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Heidelberger Zeitung — 1900 (Januar bis Juni)

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Nr. 127-149 (1. Juni 1900 - 30. Juni 1900)
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https://doi.org/10.11588/diglit.37613#0641

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Fernfprech-Anschluß Nr. 82.

Fernsprech-Anschluß Nr. 82

Xr. 135.

Dikustas, den 12. Jini

I9VV.

Aus der nationalliberalen Partei.
Berlin, 10. Juni.
H.L.O. Der Centralvorftand der national-
liberalen Partei und die nationalliberalen Frak-
tionen des Reichstages und des preußischen Ab-
geordnetenhauses traten heute zu einer gemeinsamen
Sitzung zusammen. Die Versammlung eröffnete als Vor-
sitzender derselben der Vorsitzende der Reichstagsfraktion,
Herr Abg. Bassermann.
Auf Antrag des Herrn Bassermann wurde zunächst
folgender Antrag zur Debatte gestellt und angenommen:
Der Centralvorftand der nationalliberalen Partei und die
nationalliberalen Fraktionen des Reichstags und des preußischen
Abgeordnetenhauses geben ihrer Genuglhuung darüber Ausdruck,
daß es gelungen ist, die Verabschiedung des neuen Flotten-
gesetzes mit großer Mehrheit des Reichstages, eine Verstärkung
unserer Schlachtflotte und damit die Machtstellung Deutschlands
zur See herbeizuführen, welche dem deutschen Ansehen in oller
Welt und den überseeischen Interessen des deutschen Gewerbe-
steißes den erwarteten Nutzen bringen möge!
Darauf wurde nach eingehender Erörterung folgender
Antrag des Hin. Dr. Hamm ach er zum Beschluß er-
hoben :
Die heute persammelten Mitglieder der nationalliberalen
Fraktionen des Reichstages und des preußische» Abgeordneten-
hauses, sowie des Centralvorstandes der nationalliberalen Partei
sprechen die bereits vor zwei Jahren zum Ausdruck gebrachte
Ueberzeugung erneut aus, daß bet der bevor st ehenden Fest-
stellung des Zolltarifs und dem Abschluß künfti-
ger Handelsverträge die Interessen der Landwirthschaft
durch einen höheren Zollschutz für landwirthschaftltche Erzeug-
nisse besser gewahrt werden müssen als bisher!
In der Debatte wurde mit Anerkennung insbesondere
von Herrn Dr. Hammacher auf die verdienstvollen Arbei-
ten des Wirtschaftlichen Ausschusses hingewiesen. Des-
gleichen war die Versammlung darin einig, daß auch für
Handel und Industrie bei den bevorstehenden Handels-
verträgen Fürsorge getroffen werden muß, gemäß der Er-
klärung vom 7. März 189 8, auf die vorstehender
Entschluß sich bezieht und die darum ausdrücklich noch-
mals in ihren entscheidenden Sätzen in Erinnerung ge-
bracht sei: „Wir wollen die Politik der wirthschaftlichcn
Sammlung, welche zum Schutze der nationalen Arbeit die
Interessen von Landwirthschaft, Industrie, Han-
del und Gewerbe zu vereinigen und die mittlere, ihnen
gemeinsam förderliche Linie zu finden sich bemüht, auf das
wärmste unterstützen, können aber darüber die Selbständig-
keit unserer Partei, sowie die nationalen, idealen und
liberalen Anschauungen, aus denen unsere Partei erwach-
sen ist, nicht in den Hintergrund drängen lassen."
Nach einem Berichte des Herrn Abgeordneten von
Eh nein über die gegenwärtige verfahrene Lage wie über
die kurzsichtige Opposition, die leider von rechtsstehender
Seite und einseitig agrarischer Seite dem großen Kanal-
programm bereitet wird, wurde folgende von dem Abg.
v. Eh nein eingebrachte Resolution ebenfalls einstimmig
angenommen:
Die heute versammelten Mitglieder der nationalliberalen
Fraktionen des Reichstags und Landtags und des Centralvor-
standes der nationalliberalen Partei geben ferner erneut ihrer
Ueberzeugung Ausdruck, daß die Herstellung neuer Wasserstraßen
einem dringenden wirthschaftlichen Bedürfnisse entspricht und sie
werden den dahin gerichteten Bestrebungen ihre energische Unter-
stützung angedeihen lassen!
Damit war das Berathungsprogramm erledigt. Mit
großer Befriedigung verzeichnete der Vorsitzende des Central-
vorstandes, Herr Dr. Hammacher, dieses Ergebniß und
tief bewegt nahm die Versammlung sein Versprechen ent-
gegen, so lange seine Kräfte es ermöglichen, seinen werth-
vollen Rath und Mitarbeit der Partei zu widmen. Da-
rauf richtete der Vorsitzende, Hr. Abg. Bassermann,
an die Versammlung ein eindringliches Schlußwort.

Die Irre von Sankt Rochus.
Kriminalroman von Gustav Höcker.
14) . (Fortsetzung.)
Der Detektiv lächelte. „Also Herrn Wippach hat es in
Amerika nicht gefallen, wie es scheint", nahm er das Gesprächs-
thema wieder auf- „Wo und wann haben Sie ihn denn
^Thereft nannte die Straße. Es sei vor acht oder zehn
Tagen gewesen. „Er sah so verkommen aus. daß er mich
dauerte." fuhr sie fort. „Und denken Sie nur, er frua mich,
r>b ich nicht eine Kleinigkeit Geld bei mir hätte. Er, ein
Kann, der stubirt hat. Ich gab lbm, was ich gerade un
Portemonnaie trug." , . . ,
„Haben Sie ihn nicht gefragt, wo er wohnt und was er
letzt treibt?" o
. „Nein; er mochte sich wohl seines herabgekommenen Zu-
standes schämen und ging gleich weiter, sowie er das Geld
batte. Ganz nüchtern schien er auch nicht zu sein, denn er
doch nach Fusel." . ..
^ „Wie sieht er denn eigentlich aus? frua Allram obenhin.
x3ch habe ihn damals gar nicht zu sehen bekommen, da sein
Onkel sich begreiflicherweise nicht angeregt suhlte, ihn mir
dorzustellen." ^ >
^ Frau Tborbeck entwarf nun das Porträt eines lungen
/Cannes, der mit seinen sechs» oder siebenunzwanzig Jahren,
'einem hellbraunen Haar, seinen graublauen Augen und seiner
Pnittleren Figur" genau so aussah, wie tausend andere.
Lstbei wußte sie sich nicht einmal zu erinnern, ob er einen
^wn- oder Backenbart oder einen Vollbart trug.
» „Daß sich Gott erbarm'! Sein Glück» seine ganze Zu-
fstnft durch leichtsinnige Streiche so zu verscherzen!" beklagte
ste das Schicksal des Gesunkenen. „Welche Lammesgeduld
M sein gutherziger Onkel mit ihm gehabt, welche Unsumme

Deutsches Reich
Deutscher Reichstag. Berlin, 11. Juni. Auf der
Tagesordnung steht die Berathung der Interpellation
Albrecht und Genossen betreffend den Kontraktbruch
ländlicher Arbeiter.
Abg. Stadthagen (Soz.) begründet die Interpellation.
Es bestehe ein planmäßiges Vorgehen, die Verfassung zu
ignorire». Der Bundesstaat Anhalt habe durch das Gesetz vom
16. April 1899, der Bundesstaat Reuß j. L. durch ein von der
Regierung vorgelegtes, vom Landtage angenommenes Gesetz,
betr. die Bekämpfung des Kontraktbrnches ländlicher Arbeiter,
und die Regierung des Bundesstaats Lübeck durch eine in
Nr. 16 des Gesetz- und Verordnungsblattes vom 24. April 1900
veröffentlichte Verordnung Bestimmungen getroffen, welche
s) theilweise das durch § 152 der Gewerbeordnung für das
Deutsche Reich eingcführte Koalitionsrecht der Arbeiter ein-
schränken? b) theilweise Einwirkungen aus den Willen anderer
Personen, entgegen dem siebenten und dem achtzehnten Abschnitt
des Strafgesetzbuches, dem Artikel 4 Nr. 13 der Reichsverfassung
und den 88 2, 5 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuchc,
unter Strafe stellen, o) theilweise im Widerspruche zu § 888 der
Civilprozeßordnung für das Deutsche Reich die dort verbotene
Durchführung eines civilrechtlichen Anspruchs auf Fortsetzung
eines Dienstverhältnisses mittels Zwangsmaßregeln landesrechtlich
einzuführen. Ein Bruch der Reichsverfassung sei aber ein Mein-
eid, denn die Reichsverfassung sei als Gesetz beschworen, wenn
auch nicht ausdrücklich. Redner schließt seine zweistündige Rede
mit dem Hinweis auf die Nothwendigkeil einer Reichsexekution
gegen die bethetligten Bundesstaaten: Anhalt, Reuß j. L. und
Lübeck.
Staatssekretär Nteberding erwidert: Reichsrccht gehe
vor Landesrecht. Der Reichskanzler habe geprüft, ob die an-
gegriffenen landesrechtlichen Bestimmungen thatsächlich gegen das
Reichsrccht verstoßen. Die Zweckmäßigkettsfrage habe bei dieser
Prüfung auszuscheiden. Redner geht dann die einzelnen von dem
Interpellanten erwähnten Gesetze und Verordnungen durch. Der
Wortlaut der Lübeck'schen Verordnung betr. Streikposten stehen
habe zu Bedenken Veranlassung gegeben, und der Reichskanzler
ist mit dem Lübeck'schen Senat darüber in's Benehmen getreten.
Der Senat hat erwidert, daß das Postenausstellen regelmäßig
zu schweren Ausschreitungen, Schlägereien, Körperverletzungen,
Sachbeschädigungen und großen Störungen der öffentlichen Ruhe
und Ordnung geführt hat, wogegen kein anderes Mittel übrig
geblieben sei, als die Untersagung des Streikpostenstehens. Der
Reichskanzler kann nicht anders, als den Sinn der Verordnung
so zu deuten, wie der Senat gethan hat. Danach stellt sich diese
Verordnung als eine polizeiliche, zum Schutze von Ruhe und
Ordnung dar; sie hat nicht den Zweck, gegen das Streikposten-
stehen an sich einzuschreiten, sondern gegen die üblen Folgen
oesselben. Darnach widerspricht die Verordnung, von ihrer
Zweckmäßigkeit ganz abgesehen, den Reichsgesctzen nicht.
Auf Antrag Singer erfolgt die Besprechung der Inter-
pellation.
Abg. Bassermann bezeichnet die Lübeck'sche Verordnung
als unzulässig. Gegen den Wortlaut hatte ja der Herr Staats-
sekretär selbst Bedenken. Ob seine späteren Ausführungen über
die polizeilichen Rücksichten im Hause überzeugend gewirkt haben,
möchte ich bezweifeln. Auf diesem Gebiete hat sich die einzel-
staatliche Gesetzgebung jedes Vorgehens zu enthalten, darüber
sind alle Staatsrechtslehrer einig. So Meyer und Laband:
„Was im Reichsgesetz straflos gelassen ist, kann nicht durch
Landesgesetz strafbar gemacht werden."
Auch Spahn (Centr.) und Müller-Meiningen (freist
Volkrp.) bezeichnen die Verordnung für ungültig. Der hansea-
tische Bevollmächtigte Dr. Klüg mann vertheidigt sie.
Dann wird der Gegenstand verlassen.
Um Uhr tritt das Haus in die zweite Lesung des Gesetz-
entwurfs betr. Bekämpfung gemeingefährlicher Krank-
heiten. Referent ist Abg. Dr. Endemann.
Das Gesetz wird von 8 5 ab bis zu Ende durchberathen und
genehmigt, ebenso die Resolution wegen Einführung einer allge-
meinen, obligatorischen Leichenschau.
Nächste Sitzung: Dienstag. 11 Uhr (dritte Lesung der Deck-
ungsvorlagen und der Flottenvorlage, des Reichsseuchengesetzes
und kleinere Vorlagen).
Bade«. L.O. Freiburg, 11.Juni. Am Samstag tagte
hier die 15. Jahresversammlung des Vereins aka-
demisch gebildeter Lehrer Badens. Nach Er-
ledigung geschäftlicher Angelegenheiten hielt Prof. Dr.
Luckenbach-Karlsrnhe einen Vortrag über „Römisch-
Germanische Forschungen in Deutschland." Direktor

Wittmann-Heidelberg und Prof. Dr. Heimburger-
Karlsruhe berichteten über die Oberrealschulfrage und
ihre Behandlung in der Ersten Kammer. Sodann nahm
die Versammlung Stellung zur bevorstehenden Reform
der bad. Prüfungsordnung und stellte folgende
Forderungen auf: Die Zwcitheilnng der Prüfung und
der Zeugnisse (Oberlehrer- und Lehrerzeugnisse) ist aufzu-
heben; jeder Kandidat muß in mindestens einem Fache
sich Befähigung für alle Klassen erwerben. Dabei sind
Latein-Griechisch, Französisch-Englisch, Geschichte-Deutsch als
ein Fach zu zählen. Für alle Kandidaten ist durch
Studien in Deutsch und Philosophie (vielleicht auch Ge-
schichte) ein gemeinsamer Boden zu schaffen. Es ist nur
eine fachwissenschaftliche Hausarbeit zu verlangen. In
der Debatte fand der Gedanke, die Prüfung in Pädagogik
aus diesem Examen auszuscheiden, Beifall.
— Am Freitag kommt in der Zweiten Kammer die
Vorlage betr. Aenderung einiger Paragraphen der Städte-
ordnung, am Samstag Petitionen zur Berathung. In
der nächsten Woche, und zwar schon am Montag Vorm.
9 Uhr tritt das Haus in die Berathung der Stever-
gcse tzent w ür fe ein. In parlamentarischen Kreisen
hofft man, mit dem vorhandenen Stoff bis Mitte Juli
aufzuräumen, um welche Zeit der Schluß des Land-
tags in Aussicht genommen ist.
O Schönau, A. H., 11. Juni. Der Landtags-
abgeordnete Herr Mampel erstattete gestern Nachmittag
im Saale zum Roß dahier vor seinen zahlreich erschienenen
Wählern Bericht über seine Thätigkeit während der letzten,
sowie der gegenwärtigen Landtagssession. Eröffnet wurde die
Versammlung durch Herrn Ludwig Reich wein von hier.
Während seiner 1'/,ständigen Ausführungen erwähnte Herr
Mampel alle Gesetzesoorlagen, Anträge und Berathungen,
zu denen er in der Kammer das Wort ergriffen, und
welche von großem allgemeinen und von besonderem In-
teresse des Bezirkes waren und sind. Mit einem Hoch auf
Kaiser und Reich schloß der Vorsitzende kurz nach 6 Uhr
die Versammlung.
Badischer Landtag. L.O. Karlsruhe, 10. Juni.
(91. Sitzung der Zweiten Kammer.) Am Regierungs-
tisch: Oberschulrathsdirekior Dr. Arnsperger. Einge-
gangen ist eine Petition des Bad. Rathschreiber-
vereins um Revision des Gemeindebcamtenfürsorgegesetzes.
Zur Berathung stand der Antrag He im bürg er u. Gen.,
betr. die Berechtigungen der Oberrealschulen.
Abg. Heimburg er begründet in längeren Ausführungen
seinen Antrag. Alsbald erhob sich Oberschulrathsdirekior Dr.
Arnsperger, um den Standpunkt der Regierung zu präciffren.
Der Regierungsvertretcr wiederholte unter steigender Heiterkeit
des Hauses längst bekannte Dinge. Die Regierung sei bis jetzt
noch nicht zu einer einheitlichen Stellungnahme zu dem Antrag
gelangt. (Heiterkeit.) Die Unterrichtsverwaltung nehme im
wesentlichen dieselbe Stellung ein, die im Bericht des Abg.
Heimburger nicdergelegt ist. Die Gründe, welche die andern
Ministerien zu ihrer ablehnenden Haltung bewogen, dürfe er als
bekannt voraussetzen. Wenn der Antrag Heimburger angenommen
werde, so werde dies die Anregung zu neuen Unterhandlungen
mit den andern Ministerien geben. (Heiterkeit.) Er hoffe, daß
diese dann Erfolg haben.
Abg. Dr.Wilckens hofft, daß die Regierung das etnmüthige
Votum der Kammer nicht unbeachtet läßt. In derartigen Dingen
könne man nicht auf einmal mit alten Vorurtheilen aufräumen.
sondern man müsse etappenweise Vorgehen. Warum in Baden
bis jetzt nicht einmal die erste Etappe zurückgelegt wurde, sei ihm
nicht verständlich. Redner widerlegt die Einwendungen, die gegen
die Gleichberechtigung der Oberrealschulen mit den Gymnasien
erhoben werden. Es sei höchste Zeit, daß Baden seine Sondcr-
tellung auf diesem Gebiet aufgibt.
Abg. Dr. Fieser findet es auffallend, daß die Regierungs-
bank bei dieser hochwichtigen Frage in dieser Weise besetzt ist;
rüher habe wenigstens der Staatsminister hier selbst seinen
Standpunkt vertreten. Die Haltung der Regierung in dieser

von Schulden hat er für ihn bezahlt, ehe er ihn enterbte.
Aber daß der Undankbare zuletzt gar zum Diebe wurde, das
schlug dem Fasse den Boden aus. Uebrigens wäre er ganz
der Mann dazu gewesen, das schöne Vermögen seines Onkels
in ein paar Jahren durchzubringen."
„Da ist es in der Hand der Frau Bruscher jedenfalls
besser aufgehoben," warf Allram hin.
„Ei, das will ich meinen! Die hält's zusammen!" ver-
sicherte Therese. „Das Geld hatte sie immer ein bischen lieb.
Sie mochte sich wohl schon als Wirthschafterin einiges er-
spart haben und hatte Geld auf Grundstücken stehen; denn
wenns Vierteljahr um war, kamen Leute zu ihr und brachten
Zinsen."
„Was war sie sonst für ein Frau?"
„Eine ganz gute Frau; es kamen ihr immer gleich die
Thränen. wenn es etwas gab. Sie las sehr gern, besonders
in den Zeitungen: die studirte sie von Anfang bis zu Ende
durch."
„Wie stand sie sich mit dem unglücklichen Fräulein?"
„Mit dem Fräulein Konstanze?" srug die junge Frau,
und nun kamen ihr plötzlich selbst die Thränen und rannen
ihr wie angeschwollene Bäche über die rothen runden
Wangen. „Oh, sehr gut stand sie sich mit dem armen Fräu-
lein. Sie hat sie ja eigentlich auch gerettet, wenigstens Vor
dem Schlimmsten."
„Von wegen der Epilepsie, nicht wahr?"
„Das war's jal" nickte Therese, noch immer beschäftigt,
mit einem gelben roth getüpfelten Taschentuche ihre Thränen
zu trocknen. „Niemand hat um die schreckliche Krankheit
gewußt als Frau Bruscher und der Herr Professor."
„Trug sich der Professor nicht mit Heiratsgedanken, hm?"
srug Allram, indem er plötzlich sehr leise sprach und einen
vertraulichen Ton anschlug.
Frau Tborbeck blickte sinnend nach der Decke und dann
auf ihre Schürze, die sie glatt strich.
„Nun, ein Gewohnheitsmensch war er ja," sagte sie; „er
sah nicht gern fremde Gesichter um sich und fürchtete sich j

vor jeder Störung seiner Ordnung. Sie hat ihn gut ver-
pflegt — man kann mit einem Kinde nicht sorgsamer um-
gehen — und sic ist ja auch gar keine üble Frau. Aber um
sie zu heirathen, dazu war er ihr doch an Bildung zu sehr
über. Es muß freilich einmal so etwas in der Lust gelegen
haben. Vor zwei oder drei Jahren gab es nämlich zwischen
ihnen eine arge Verstimmung; sie sprachen nur das Nöthigste
miteinander: sie ging mit verweinten Augen herum und ließ
gegen mich Worte fallen, als ob sie nächstens ihre Stelle
aufgeben würde. Dann war aber plötzlich alles wieder gut
zwischen beiden. So ganz, klug bin ich aus der Geschichte
ja nicht geworden. Ob sie nun auf eine Heirath gedrungen
und mit ihrem Abgänge gedroht hatte, das weiß ich nicht.
Doch mag es damals wohl gewesen sein, wo er sie zu seiner
Erbin eingesetzt hat, und damit konnte sie ja zufrieden sein,
und er konnte wohl auch nichts Besseres thun, als sich eine
so zuverlässige Frau zu erhalten; denn er war sehr leidend,
und wer weiß, ob er wieder eine Wirthschafterin gefunden
hätte, bei der er so gut aufgehoben gewesen wäre."
„Natürlich, ganz natürlich I" nickte der Detektiv, der
sich nicht im geringsten merken ließ, daß Therese seine
Frage mißverstanden hatte. „Na, und an eine Heirath mit
der schönen jungen Vorleserin wird er wohl auch nicht gedacht
haben."
„Ei Gott bewahre!" rief Frau Thorbeck, den Kopf zurück-
werfend, „er war stets sehr gütig gegen sie, aber so etwas ist
ihm ganz gewiß nicht in den Sinn gekommen."
„Ging er zuweilen mit ihr aus? Sie war doch ein fein
gebildetes Fräulein; nahm er sie nicht dann und wann einmal
mit ins Theater, in Konzerte?"
„Die besuchte er nie. Nur in die Kirche begleitete
sie ihn öfter des Sonntags- Er war ein fleißiger Kirchen»
desucher."
(Fortsetzung folgt.)
 
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