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Heidelberger Zeitung — 1900 (Januar bis Juni)

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Nr. 51-77 (1. März 1900 - 31.März 1900)
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https://doi.org/10.11588/diglit.37613#0301

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Fernsprech-Anschluß Nr. 82

Fr. 63.

Dmmttslas, den 15. Mir?

IW«.

Protestversammlung gegen die I-vx Heinze.
ö. 0. Karlsruhe, 14. März. Ziemlich spät hat
üch die Karlsruher Künstlerschaft zu einem flam-
bienden Protest gegen die lex Heinze aufgerafft.
letzter Stunde, gerade an dem Tage, da sich der
^eichstag mit der dritten Lesung des Gesetzentwurfs be-
schäftigte, rief ein Comit6, das sich aus Gelehrten, Künst-
!ern und Schriftstellern rckrutirte, die kunstverständige und
^eigcsiniite Bürgerschaft der Residenz in die Festhalle, um
Legen den Versuch, die Kunst zu knebeln, energischen Pro-
fit zu erheben. In Hellen Schaaren leisteten Künstler und
Künstlerinnen, Gelehrte und schlichte Bürger dem Rufe
Jolgc, so daß der große Saal der Festhalle gegen halb
^ Uhr, als Prof. Dill die Versammlung mit einer Be-
grüßungsansprache eröffnete, mit Zuhörern dicht gefüllt
Aar. Der wahrhaft imposante Besuch zeige, so führte
^rof. Dill aus, daß die Karlsruher Bürgerschaft auch
heute noch von dem Geiste beseelt ist, den wir Künstler
urinier an ihr bewundern durften. Der Kunst, die nicht
Aas Rosen gebettet sei und der Liebe und Pflege des
Kolkes bedürfe, biete der Reichstag die Polizeiaufsicht,
^as müsse unser Schamgefühl verletzen. Die Gegner, die
üshaupte», daß die wahre Kunst durchs Gesetz nicht ge-
fährdet werden kann, sprächen bewußt oder unbewußt die
U»wahrheit. Mau wisse, wie der Wind weht; die betrü-
benden Präzedenzfälle von Konfiskationen zeigen zur-Ge-
üüge. welch schweren Zeiten wir entgegengehcn, wenn
üicht alles zusammcnstcht, um die Versuche, die Kunst zu
Nebeln, im Keime zu ersticken. Hierauf trug Schriftsteller
Zeiger ein selbstvcrfaßtes, schwungvolles Gedicht vor,
dem der Zelotismus der Mucker, Jesuiten und Junker
beißender Ironie gegeißelt wird. Alsdann bestieg der
greise Direktor des Karlsruher Gymnasiums, Geh. Rath
(Aendt, das Podium, und beleuchtete in formvollendeter
-"de den famosen Inhalt der lax Heinze, die nicht bloß
Unsittlichkeit unter Strafe stellen wolle, sondern auch
^as, wo ohne unsittlich zu sein, Anstoß erregt. Mit dieser
Aagik, sagte er, ist es zweifelhafte Sache (Heiterkeit). Die
begriffe Sittlichkeit und Unsittlichkeit sind durch die An-
stauungen eines Volkes oder durch Gesetz festgelegt; da-
fbbcr kann niemals das Gefühl eines Einzelnen entscheiden,
^as Kunst und Literatur hervorgcbracht haben, ist groß
geworden unter dem Schutze einer gewissen Freiheit,
bereu die Forschung und Künstler jederzeit bedürfen. Die
7-üsichten der Gegner im Reichstag gehen nicht hervor aus
aren Begriffen, sondern aus ängstlichen Empfindungen,

die

etwas ganz anderes beweisen als wirklich sittliches

Empfinden- Wir wollen nicht der Verführung Thür und
Dhor öffnen, hier heißt es Heiligthümer schützen und für
Ak Jugend die Bahn offen halten. (Bravo I) Der folgende
üiedner Dramaturg Dr. Kilian vom hiesigen Hosthealer
lfunzeichnete in geistvollen Ausführungen die Gefahren
Ar ^ Heinze für die dramatische Kunst. Die Spitzen dieses
sind weit mehr gegen die Erzeugungen der modernen

o'teratur als gegen die Nudidäten des Tingel-TangAs
Arichtet. Man werde unwillkürlich an die Zeiten der
üerreichjschxn Reaktion erinnert, in der zwei Liebende nicht
. bvc Begleitung einer Anstandsdame die Bühne verlassen
Ersten (Heiterkeit). Solcherlei Aussichten winken uns,
E"n der Entwurf Gesetz wird. Darum erheben wir
Protest gegen die unwürdige Vergewaltigung unserer gei-
Agen Güter! Oberbauralh Schäfer mußte leider wegen
Kränkung telegraphisch seinen Vortrag absagen. Maler
§bin wies in seiner kurzen trefflichen Rede auf die Con-
o Aalionen in Berlin und Hamburg hin, woraus hervor-
-2?, daß schon das bestehende Gesetz cs ermögliche, eine

Reihe von — Mißgriffen zu begehen. Die Isx Heinze öffne
der Rachsucht und Denunziation Thür und Thor. Ledig-
lich der frische, neu schaffende Zug soll dadurch unterbunden
werden. Nachdem noch Stadtrath Weill über die juri-
stische Seite der Isx in humorvoller, zündender Weise ge-
sprochen hatte, schlug Prof. Dr. Goldschmit folgende
Resolution vor, die telegraphisch dem Reichstag und Bundes-
rath übermittelt wurde: „Eine nach Tausenden zählende
Versammlung von Künstlern und Künstlerinnen erblickt in
den Kunsiparagraphen der sog. Isx Heinze eine schwere
Bedrohung des freien Schaffens in Kunst und Wissenschaft
und eine unberechtigte Bevormundung des ästhetischen
Empfindens. Die Versammlung richtet an den hohen
Reichstag und Bundesrath die dringende Bitte, den ge-
planten Bestimmungen und jedem ähnlich lautenden Vor-
schlag die gesetzliche Zustimmung zu versagen. Die Resolution
fand einstimmige Annahme.

Deutsches Reich
— Der Präsident der preußischen Centralgenossenschafts-
casse, Landtagsabgcordneter Frhr. v. Huene. ist in Gossen-
saß (Tirol), wo er auf der Rückreise vom Gardasee schwer
erkrankt war, gestorben. Huene gehörte dem Centrum an.
Von 1884 bis 1893 vertrat er den schlesischen Wahlkreis
Glatz-Habelschwerdt. Nach der Auflösung des Reichstags
im letztgenannten Jahre sah man im Centrum von seiner
Wiederwahl ab, weil er für eine Verständigung in der
Militärfrage gewirkt hatte.
Kiel, 14. März. Der Kaiser und Prinz Hein-
rich kamen unter dem Salut sämmtlicher im Hafen liegen-
den Kriegsschiffe in einer Rudergig zur Besichtigung au
Bord des Kreuzers „Deutschland* und machten auf
ihr eine Fahrt bis zum Holler Grund. Während der Fahrt
wurden ausschließlich Schießübungen auf schwimmende
Scheiben vorgenommen. Später begaben sich der Kaiser
und der Prinz auf die kaiserliche Werft und besichtigten
daselbst das in Reparatur befindliche Linienschiff „Sachsen",
sowie die Nenarbeiten au dem großen Kreuzer und dem
„Fürst Bismarck", worauf sie in's Schloß zurückkehrten.
Anläßlich der morgen stattfindenden Taufe des jüngsten
Sohnes des Prinzen Heinrich sind hier zahlreiche Gäste
cingetroffen.
Deutscher Reichstag. Berlin, 14. März. Fort-
setzung der dritten Berathung der „Isx Heinze".
Spczialdcbatte.
Der 8 180 (Kuppelei) und Z 181 b, wonach die Vorschriften
des § 180 keine Anwendung finden auf die Vermietkung an ge-
werbsmäßige Dirnen, sofern sie mit einer Ausbeutung der
Mietherinncn nicht verbunden ist, werden zusammenberathen.
Die neue Fassung, welche 8 180 des Strafgesetzbuches nach
den Beschlüssen zweiter Lesung erhalten soll, lautet: 8 180. Wer
gewohnheitsmäßig oder aus Eigennutz durch seine Vermittlung
oder durch Gewährung oder Verschaffung von Gelegenheit der
Unzucht Vorschub leistet, wird wegen Kuppelei mit Gefängniß
nicht unter einem Monat bestraft; auch kann zugleich auf Geld-
strafe von 150 bis zu 6000 Mk., auf Verlust der bürgerlichen
Ehrenrechte, sowie auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt
werde». Sind mildernde Umstände vorhanden, so kann die Ge-
fängnisstrafe bis auf einen Tag ermäßigt werden." 8 181b
der Beschlüsse zweiter Lesung lautet: „Die Vorschriften des 8180
finden keine Anwendung auf die Venniethung von Wohnungen
an Frauenspersonen, die gewerbsmäßig Unzucht treiben, sofern
damil nicht eine Ausbeutung des unsittlichen Gewerbes der
Mtetherin verbunden ist."
Durch den Kompromiß, der zwischen der zweiten und der
dritten Lesung zu Stande gekommen ist, soll dieser Paragraph
indessen gestrichen werden, sodatz es in diesem Punkte bei dem
bisherigen, von dem Staatssekretär der Justiz als uner-
träglich bezeichnet«, Zustand bleiben soll, wonach ein
jeder Verwiether, der eine Prostttuirte bei sich wohnen
läßt, sofern er nur weiß oder annehmen kann, daß die Person
die Absicht Hot, in der vermiethetcn Wohnung Unzucht zu treiben.

der Kuppelei schuldig ist, auch wenn er nur den normalen Preis
nimmt und gar keine Ausbeutung stattfindet. Die Polizei müsse
es dulden, weil es über ihre Kräfte »ehe, einen Weg zu finden,
der in befriedigender Weise dem Gesetz Rechnung trägt. Ein
solcher Rechtszustand, bei dem niemand wisse, was Rechtens ist,
sei unerträglich.
Nach längerer Debatte wird 8 180 nach den Beschlüssen der
zweiten Lesung angenommen. 8 181b wird gemäß dem Kom-
prom ißantrag gestrichen.
8 181, gewohnheitsmäßige Kuppelei, und 8 181 b, Zuhälter,
werden ohne Debatte angenommen.
Zu 8 182, der nach den Beschlüssen der zweiten Lesung das
Schutzalter auf 18 Jahre festsetzt, liegt ein Antrag Beckh-Koburg
vor, das bestehende Gesetz (16 Jahre) aufrecht zu erhalten, sowie
ein Kompromtßantrag desselben Inhalts.
Nach kurzer Geschäftsordnungsdebatte, an der sich die Abgg.
Roeren und Beckh-Koburg bethctligen, erhebt sich große
Heiterkeit, die der Präsident etnzuschränken bittet.
H 182 wird nach unerheblicher Erörterung abgelehnl.
8 182» (Arbeitgeberparagraph) soll nach den Kompromtß-
anträgen gestrichen werden.
Abg. Hosa » g (natl.) nimmt gegen Bebels Ausführungen
in der 1. Lesung die Inspektoren gewisser Güter bei Magdeburg
als verheirathete ordentliche Männer in Schutz.
Beckh-Koburg (freis. Volksp.) beantragt Streichung des
Passus: oder durch Gewährung von Beschäftigung oder von
Lohnerhöhung oder anderer Vorthcile. Redner beantragt eine
geringe Aenderung des Paragraphen.
Abg. Liebermann v. Sonnend erg wird für den Para-
graphen stimmen.
Abg. Bebel hält gegenüber dem Abg. Hosang den größten
Theil seiner Behauptungen aufrecht, und zwar unter Berufung
auf eine Broschüre von christlich-sozialer Seite. Redner führt
Skandalfälle aus der jüngsten Zeit an, um dadurch die Noth-
wendigkeit deS 8 182» nachzuweisen.
Abg. Oertel (cons.): Bebel müßte bei solchen Anlässen die
Namen seiner Gewährsmänner nennen. Die Broschüre des Pa-
stor Wagner sei eine Teudenzschrift ersten Ranges; die Agrarier
hielten heute noch den 8 182» für nothwendig, wollten das Ge-
setz aber daran nicht scheitern lassen.
Abg. Heine (Soz.)r Die Pastoren werden immer dann von
den Richtern Tendenzpastoren genannt, sobald sie etwas den
Herren Unangenehmes sagen oder unternehmen. Redner führt
Beispiele au. (Laute Rufe rechts: Namen nennen. Glocke des
Präsidenten.) Er erwarte gar nicht, daß der Paragraph zu zahl-
reichen Berurtheilungcn führen werde; er hoffe aber auf einen
moralifirenden Eindruck. Das Centrum scheine hier wieder von
einer Belhäligung der Arbeiterfreundlichkeit zurückzuschrecken.
Abg. Graf Oriola (ntl.) bedauert lebhaft, daß der Para-
graph nicht verwirklicht werde.
Abg. Bebel (Soc.): Wir nennen die Namen unserer Ge-
währsmänner nicht, um ihnen nicht in ihren Kreisen Unannehm-
lichkeiten zu bereiten; wir übernehmen aber für unsere Angabe
volle Verantwortlichkeit (Zuruf rechts: Tuckerbrief; Lärm; Glocke
des Präsidenten.) An Ihrer Achtung liegt mir gar nichts.
Abg. Roeren (Centr.) versichert, daß es dem Cenlrum sehr
schwer falle, diesen Paragraphen aufzugeben.
Es folgen weitere Bemerkungen der Abgg. Stöcker, Oertel
und Heine.
Nach Annahme des Antrags Beckh wird 8 182» gestrichen;
damit ist der Antrag Beckh wieder gefallen.
Morgen 1 Uhr: Weilerberalhung der kor Heinze; dritte
Lesung des Münzgesetzes.
Bade«, ö. V. Karls r uhe, 14. März. Die Petilions-
kommission der Zweiten Kammer beantragt, die Eingaben
der Diözesanausschüsse Breiten und Karlsruhe-Land
um Erlassung gesetzlicher Bestimmungen zur Bewahrung
der Jugend der Großh. Regierung zur Kennt ui tz-
nah me zu überweisen. In den Eingaben wird u. A.
auf die „erschreckende Thalsache des zunehmenden Prozent-
satzes der jugendlichen Verbrecher" hingewiesen. Dem-
gegenüber konstatirt der Bericht des Abg. Obkircher,
daß in den Jahren 1889 bis 1897 die Gesammtzahl der
Bestrafungen zwar von 1378 auf 1520 gestiegen ist, daß
aber die Verbrechen und Vergehen wider das Vermögen
abgenommen haben und andererseits die Bevölkerung des
Landes von 1657867 im Jahr 1890 auf 1 725 464 im
Jahr 1895 angewachsen ist. Auch der Klage über die
Zunahme der Unsittlichkeit der Bevölkerung kann die
Kommission nicht beistimmen. Beispielsweise wurden durch-

20)

Fürst Margoni.
Roman von Moritz Lilie.
(Fortsetzung.)
sch ^'Um hatte Valerie den Saal betreten, als sich auch
Kgü?. .verschiedene HecrenmaSken an sie herandrängten ihr
stg,!?v!imenie wegen ihres eigenartigen Kostüms ,»s Ohr
b,»s"1en und sich abmühten, zu erforschen, wer sich hinter
>>n^ Tochter des wunderbaren Nillandes verberge. Ader
wieder wußte sie ihnen zu entichlüvfen; ihre Augen
den Fürsten Margoni, dessen Verkleidung ihr völlig
«n ra 21" mm- Mehr als einmal hielt sie eine Maske, die
chj.^iöße und Gestalt dem Frusten glich, an, aber immer
sah six, dich sie stg, gekäu'cht batte,
vriw.t ütieL das Orchester einen Tusch und gleich darauf
ütian E" stch die Paare zur Polonaise. Valerie war es jetzt
denn i^"hm, daß der Fürst sie noch nicht gesunden hatte,
1" iah sich ohne Tänzer.
in ein eleganter Zigeuner an sie heran, schaute ihr
Unter und strich ihr die hervorquellenden Locken
srih„ Stirnband zurück; dann nahm er ihren Arm und
dem : " die Reihen der tanzenden Paare. Es entging
tvixp. Lullen Mädchen nicht, daß der Blick des Tänzers
^l"ri "" and lange auf ihr ruhte und doch sprach er kein
Und^k!E^'S uuhui er die linke Hand des Mädchens empor
1lvu,u?".b.deutlich Wort „Valerie" in dieselbe. Er-
Uam-n"^" ^eie zurück, die Kühnheit sie nur mit dem Bor-
nennen, überraschte sie. Er war kleiner als Fürst
ki»,,. u° und stärker als Herr von Rüdingen, die beiden
^'ugerä,,».. Bekaiuilschast. denen sie das Recht
üi ß dn-u"" butte, sich dieser vertraulichen Sprache zu bedienen;
^drt -.77 nutzte er öu denen gedören, die ökler mit ihr ver-
lUüßm „2""'. "sun außer der Kenntniß ihres Vornamens
kr auch ihre äußere Erscheinung genau kennen, sonst

j würde er niemals d >S Geheimniß, welches sich Himer der
! Egpleriu verbarg, errathen haben.
! Eine seliiame Unruhe üderkam das junge Mädchen an
der Seite des schweigsamen Zigeuners, der ihren Arm fest
! in dem seinigen hielt und sicheren Fußes mit ihr nach dem
Takte der Musik dahinschritt. Mehr als einmal drängle sich
ihr die Frage nach seinem Namen auf die Lippen; aber
immer wieder hielt sie das Wort zurück.
Eben wollte sie sich ei» Herz fassen, um zu erfahren,
wer er sei. als die Musik plötzlich schwieg und der Tanz zu
Ende war. .
Der Zigeuner verbeugte sich leicht.
„Adieu, schöne Mastel" flüsterte er ihr zu. indem er
ihre Rechte ergibst und leicht drückte.
Uiib ehe Valerie auch nur Zeit (and. ein Wort zu er-
widern, war er fort. Das junge Mädchen aber bemerkte,
daß er ein Papier in ihrer Hand zurückgelassen batte, eine
Visitenkarte wie sie glaubte, die seinen Namen enthielt.
Hastig hielt sie dieselbe dem Lichte entgegen und wieder sielen
ihr die »ehcimnißvollen Worte in die Augen:
„Hüten Sie sich vor Margoni!"
Valerie fühlte, daß sie unicr der Maske erbleichte. Mit
aller Kraft drängte sie sich durch das dichte Gewühl, sie wollte
und mutzte den Zigeuner wieder finden, der ihr schon zum
zweitenmal eine so räthselhafie Warnung zukommen ließ. Sie
wollte ihn zur Rede setzen, ihn um Ausklärung ersuchen» von
ihm nähere Mittheilungen über die Gründe seiner Verdäch-
tigungen fordern, und, wenn er die gewünschte Auskunft
verweigern würde, den nächsten Kavalier zu ihrem Schutze
anrufen und ihn veranlassen, ihm nöthigensalls mit Gewalt
die Maske vom Gesicht zu reißen. Aber so sehr sie auch ihre
Augen anstrengte, so sorgsSUi» sie den Saal und alle Neben-
zimmer absuchte: von dem Zigeuner war nirgends eine Spur
zu entdecken.
Wieder nahm sie den räthselhaften Zettel zur Hand,
noch einmal prüfte sie dessen Inhalt; kein Zweifel, die
Handschrift war dieselbe wie die auf dem zuerst empfangenen ,
Papier. Wer war der Mensch, der es wagte, sich als ihr

Schutzpatron aufzudrängen, der das Geheimniß ihres Ver-
hältnisses zu dem Fürsten, das außer den Familienange-
hörigen niemand wußte, ergründet hatte? War ihm der
Fürst bekannt, wußte er Nachtheiliges von ihm? Warum
besaß er nicht den Muih, offen und ehrlich mit der
Sprache herauszugehen, anstatt seine Warnungen in so ver-
steckter Weise anzuvringen ? Was beabsichtigte der Fremde
damit?
Alle diese Gedanken drängten sich dem Mädchen auf;
sie versuchte es wiederum, sich einzureden, daß es sich um
unbegründete Verleumdungen handle, daß tledelwollen und
Neid die Triebfeder der Handlungsweise des Unbekannten
sein müssen — aber überzeugt davon war sie doch nicht. Sie
mußte sich gestehen, daß der Schreiber dieser Zettel doch ge-
naueren Einblick in die Verhältnisse Margoms haben müsse,
daß ihn eben io gut auch edlere Motive als Haß und Neid
zu dielen Warnungen veranlassen konnten, daß es doch ge-
raihen erscheine, sie nicht ohne weiteres in den Wind zu
schlagen.
Schwerer als jemals empfand sie jetzt, daß sie im groß*
elterlichen Hause eigentlich doch eine Fremde sei, daß sie
niemanden habe, dem sie sich anverirauen, den sie um Raih
fragen könnte. Der Großvater selbst war für den Fürsten
augenscheinlich so eingenommen, daß er die Klagen Valeries,
ihre Besorgnisse und dangen Vcrmutbungen lür mädchen-
hafte Grillen erklärt haben würde, die Gräfin aber benahm
sich ihrer Enkelin gegenüber so reservirt, io vornehm zurück-
haltend, daß cs Valerie gar nicht wagte, sich ihr mitzutheilen.
Am wenigsten aber mochte sie Helenen ihre Bedenken anver-
trauen, odg eich diese sie am besten verstanden haben würde:
sie fühlte, es tag etwas zwischen ihr und jener, das alle
Annäherungsversuche vergeblich machte. Wie sehr vermißte
sie jetzt den guten Onkel Sebald, dem sic sich von Jugend
auf in Freude und Leid anvcrtrauen konntet
(Fortsetzung folgt.)
 
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