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Heidelberger Zeitung — 1900 (Januar bis Juni)

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Nr. 127-149 (1. Juni 1900 - 30. Juni 1900)
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https://doi.org/10.11588/diglit.37613#0627

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Fernsprech-Anschluß Nr. 82.

Fernsprech-Anschluß Nr. 82

Xr. 132.

Kcitllg, den 8. Juni

1SVV.

Wochen-Chronik.
(Vom 27. Mai bis zum 2. Juni.)
Mai 27.: Die nach dem neuen Verfahren in Belgien vor-
genommenen Wahlen ergeben eine ultramontane
Mehrheit, doch ist dieselbe viel schwächer als die frühere.
„ 27.: Das englische Heer in Südafrika unter Roberts
überschritct den Vaalfluß.
„ 28.: Aus China kommen Meldungen über Schandthaten
der Boxer, einer geheimen Gesellschaft zur Vertreibung
der Ausländer. Sie haben die Eisenbahnstation
Linliho verbrannt und mehrere Eisenbahnangestellte
gelobtet.
„ 28.: Der Oranjefreistaat wird von England
offiziell annektirt.
, 29. : Der französische Kriegsminister v. Gallisfet tritt
zurück. Sein Nachfolger wird General Andrä.
„ 30.: Der deutsche Kronprinz wird in feierlicher
Weise in den activen Militärdienst eingestellt.
„ 31.: Die Engländer besetzen Johannesburg.
Juni 1.: Die europäischen Mächte haben je eine kleine
Schutztruppe auf chinesischem Boden gelandet.
„ 2.: Der französische Senat nimmt die Amnestte-
Vorlage, durch welche die DreyfuS-Affaire erstickt
werden soll, mit großer Mehrheit an-

Französische Rohheiten gegen deutsche Pilger
in Rom.
Folgende vier Punkte sind aktenmäßig ausgezeichnet, be-
schworen und dem preußischen Gesandten am Vatikan von
einflußreicher deutscher Seite übergeben:
1. Ein junger französischer Priester hat in St. Peter
einen ehrwürdigen alten deutschen Priester gcohrfeigt.
2. Der deutsche Gesang „Großer Gott, wir loben Dich"
wurde von den Franzosen durch schrilles Pfeifen fast unter-
drückt.
3. Französische Priester stellten sich auf die Bänke,
um das Zeichen zu neuem Pfeifen zu geben, sobald die
Deutschen nochmals sängen.
4. Eine deutsche Dame aus Dorsten wurde von
Franzosen von ihrem sehr günstigen Platze vertrieben,
indem man sie mit Nadeln stach.
Ein (kathol.) Gewährsmann des Berl. Tagebl. bemerkt
dazu noch:
Von meinen eigenen Erlebnissen theile ich Ihnen mit,
daß die französischen Priester sich bei dem beispiellosen
Gedränge auf dem Petersplatze vor der Heiligsprechung nicht
wie anständige Männer benahmen, sondern wie radaulustige
Flegel. Der Eindruck, den sie gemacht haben, ist der denkbar
ungünstigste. Außerdem wurde einem deutschen Franziskaner-
Pater vor jener denkwürdigen Audienz in St. Peter von
einem französischen Priester in wörtlicher Übersetzung
Folgendes gesagt: „Sie haben hier nichts zu suchen!
Deutsche sind Lutheraner!" —

Deutsches Reich.
— In Berlin fand gestern die Frühjahrs-
Parade beim herrlichsten Wetter statt. Der Kaiser in
Galauniform mit dem Bande des Schwarzen Adlerordens
stieg in der Kürassierkaserne mit dem Kronprinzen
von Griechenland zu Pferde. Die Kaiserin, die
Kronprinzessin von Griechenland mit den Prinzen August
Wilhelm, Oskar und dem Prinzen Georg von Griechen-
land wohnten der Parade im Wagen bei. Nachdem der
Kaiser die Front abgcritten hatte, erfolgte ein zweimaliger
Vorbeimarsch. Der Kaiser führte das zweite Garde-
regiment vor, wobei der Kronprinz von Griechenland
cotoyirte, und das Elisabethregiment. Nach der Kritik
ritt der Kaiser an der Spitze der Fahncncompagnie ins
Schloß, überall von der Menge lebhaft begrüßt.

Die Irre von Sankt Rochus.
Kriminalroman von Gustav Höcker.
11) (Fortsetzung.)
„Daß derartige Beweisstücke, wie hier der Hammer, schon
vor Ausführung eines Verbrechens unter das Eigenthum
Unschuldiger praktizirt worden seien, um auf diese den
Verdacht zu lenken, sei schon häufig dagewesen. — Das ist
richtig!"
Der Detektiv blätterte weiter und fuhr fort: „Punkt drei
betrifft die Thür, welche aus dem Empsangssalon des
Professors auf den Korridor führt, stets sorgfältig von innen
verriegelt war und dennoch vom Kriminalkommissar unver-
schlossen gefunden wurde. Das Dienstmädchen Therese
Zeidler gibt zu. daß sie die Thüre m der ersten Bestürzung
selbst ausgeriegelt haben könne. Sie könne sich hierin aber
auch geirrt und die Tbüre bereits offen gesunden haben,
weint der Bertheidiger. Beruhete es auf einer Vergeßlichkeit,
baß der Riegel nicht vorgeschoben war, so traf es sich doch
seltsam, das gerade mit dieser ganz ausnahmsweisen Ver-
»eßlichkeit der Mord zusaminenfiel. War der Thater eine
andere Person als die Angeklagte, so mußte es für ihn von
Dichtigkeit sein, die Thüre offen zu finden, denn sein Ein-
bringen durch dieses, dem Entree zunächst gelegene Zimmer
>u das Schlafkabine: war viel weniger der Gefahr ausgesetzt,
bemerkt zu werden, als wenn er den Weg zu seinem Opfer
durch den Sammlungssaal hätte nehmen müssen, dem gegen'
Uber sich das Zimmer der Vorleserin befand. — Mit
Recht hat der Vertheidigcr diese Punkte hervorgehoben,
aber sie erscheinen neben dem Belastungsmaterial un»
Wesentlich."
Doktor Gerth seufzte schwer auf. .
. „Könnte man nicht auf den Gedanken kommen, daß irgend
eine Person ein Interesse gehabt habe, das Leben des Pro-

— Der Chef des Kreuzergeschwaders in
Tschifu ist telegraphisch angewiesen worden, ein De-
tachement nach Tientsin zu entsenden und nach
Vereinbarung mit dem kaiserlichen Gesandten in Peking
sich mit den Geschwaderchefs der übrigen Mächte über
weitere Maßregeln zum Schutze der dortigen Europäer zu
verständigen.
— Die deutsche Lehrerversammlung in
Köln hat sich mit aller Entschiedenheit gegen die Auf-
nahme des Knaben-Handfertigkeitsunterrichts in den Lehr-
plan der Volksschule erklärt. Es waren wohl auch einige
Freunde des Handfertigkeitsunterrichts anwesend, aber die
große Mehrheit der Versammlung nahm einen entschieden
ablehnenden Standpunkt ein, was immerhin recht auf-
fällig ist.
— Der Betrieb der Reichs postlinien nach Ost-
asien wird durch den Norddeutschen Lloyd in
Bremen abermals eine Erweiterung erfahren. Die Ver-
bindungslinie von Singapore nach Neu-Guinea wird über
Neu-Guinea hinaus verlängert und zwar nach Australien
über die Häfen Rockhampton, Brisbane und Sydney, so
daß hier ein Anschluß an die Reichspostlinien des Nord-
deutschen Lloyd nach Australien hergestellt und eine Ver-
bindung mit Neu-Guinea in sechswöchentlichen Zeiträumen
garantirt ist. Eine weitere Verbindung in sechs-
wöchentlichen Fristen wird dem genannten Schutzgebiet auf
gleiche Weise durch eine neue Linie zu Theil werden, die
der Norddeutsche Lloyd von Hongkong aus über Saipun
(Marianen), Ponape (Carolinen), Friedrich Wilhelmshafen,
Stephansort, Finschhafen. Herbertshöhe und Maputi —
die letzteren fünf Orte .gehören dem Neu-Guinea-Schutz-
gebiet an — nach Keppel Bay (Rockhampton), Brisbane
und Sydney und auf demselben Wege zurückführen und
ebenfalls in zwölfwöchentlichen Zwischenräumen betreiben
will. Durch letztere Linien erhalten auch die Marianen
(Postagentur in Saipan) und die östlichen Carolinen
(Postagentur in Ponape) die regelmäßige Postverbindung
wieder, die sie unter spanischer Herrschaft durch einen alle
zwei Monate von Manila aus verkehrenden Postdampfer
besaßen. Der Zudrang von Frachtrund Passagieren zu den
deutschen Reichspostdampferlinien des Norddeutschen Lloyd
ist nach wie vor ein ganz außerordentlich starker.
Hamburg, 7. Juni. Die vom 5.-7. hier tagende,
von allen größerern Städten Deutschlands beschickte 9.
Hauptversammlung des Vereins zur Förderung des
Unterrichts in Mathe matik und Natur wisse nsch asten
an den höheren Lehranstalten nahm in seiner Schlußsitzung
folgende Resolution einstimmig an: Die 9. Hauptver-
sammlung erklärt, daß es eine schwere Schädigung des für
die allgemeinen Bildungsaufgabcn der Schule unentbehr-
lichen mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterri chts
sein würde, wenn bei der bevorstehenden Neugestaltung des
höheren Schulwesens die ihm zugewiesene ohnehin sehr
knapp bemessene Zeit eine weitere Verkürzung oder seine
Stellung im Lehrkörper eine Beeinträchtigung erfahren sollte.
Deutscher Reichstag. Berlin, 7. Juni. Fortsetzung
der zweiten Berathung der Flottenvorlage.
Die 88 2 bis 5 betreffend die Ersatzbauten, das Dienstalter,
Persoriatvestand und Kosten werden debattelos angenommen.
Zu § 6 (Deckungen) erklärt Abg. Siemens (freis. Vg.),
es wäre zwecklos, die in der Kommission mit großer Mehrheit
beschlossene Deckung zu bekämpfen. Er wolle nur auf einige
prinzipielle Bedenken Hinweisen, weil er glaube, daß sie in späteren
Jahren vielleicht berücksichtigt werden könnten.
Abg. Richter (freis. Vp.): Er habe sich für verpflichtet ge-
fühlt, an den Berathungen der neuen Steuern mitzuarbeiten, um
wo möglich Schlimmeres zu verhüten. Er sei der Meinung, daß
eine solche Erhöhung der Marine nicht ohne neue Steuern durch-
fübrbar sei. Vor allem aber müßten diese Steuern beweglich

sein, so daß sie erhöht oder herabgesetzt werden können. Mit
dem Abg. Siemens stimme er über die Bedeutung der Börse
vollständig überein. Seitdem die Termingeschäfte im Getreide
verboten seien, hätte die Berliner Produktenbörse so sehr ab-
genommen, daß es jetzt vorkomme, daß ein Makler an einem
Tage an der Berliner Produktenbörse kein einziges Geschäft
macht. Der Zoll für ausländisches Bier sei nur die Einleitung
für eine Biersteuer überhaupt. Seine Partei werde nur der
Verdoppelung der Lotteriesteuer betstimmen.
Abg. v. Kardorff (Rp.) bleibt bei seinen Vorschlägen in
der Kommission.
Abg. Bebel (Soz.): Direkte Steuern zahle Niemand gern,
auch nicht das Centrum; so weit reiche die Begeisterung dieser
Herren für die Flotte nicht, nach Maßgabe ihres Vermögens für
die Flotte beizusteuern. Die Steuern auf Schaumweine und
Liköre fielen gar nicht in's Gewicht. Die sonstigen Steuern seien
nicht nach der Tragungsfähigkeit vertheilbar.
Abg. Paasch e (nat.-lib.): Letzteres sei gar nicht zu be-
weisen. Die maßgebenden Parteien hätten sich redlich bemüht,
die Lasten auf die leistungsfähigen Schultern zu legen. Keine
Partei würde die Flotte auch ohne die gelöste Deckungsfrage
bewilligt haben. Ein Rückgang des Verkehrs infolge der Abgaben
sei nicht zu befürchten. Bei der Aenderung des Zolltarifgesetzes
handle es sich nur um Luxussteuern.
Abg. Graf Kanitz (kons ): Ehe das Flottengesetz endgiltig
erledigt werde, müsse da» Stempelsteuergcsetz angenommen werden.
Redner empfiehlt eine Weinsteuer.
Abg. Gröber (Centr.): Durch die Lösung der Deckungs-
frage seien die Bedenken einestheils des Centrums gegen die
Flottenverstärkungen geschwunden. Die Flottenkosten durch An-
leihen zu decken, hieße sie von späteren Generationen tragen
lassen. Die Einkommensteuer sei die beste Steuer für einen
Einheitsstaat, aber nicht für einen Bundesstaat. Mit der Reichs-
vermögenssteuer verhalte es sich ähnlich. Eine Weinstcuer würde
sich gerade gegen die Agrarier des Westens und Südens richten.
Seine Partei würde in dritter Lesung gegen die Flottennovelle
stimmen, wenn an den Steuergesetzen etwas Wesentliches ge-
ändert würde.
Nach weiteren Bemerkungen der Abgeordneten Gröber und
Schmidt-Marburg wird 8 6 angenommen, ebenso die
Schlußbestimmungen und die Resolution. Die
Petitionen werden für erledigt erklärt.
Nächste Sitzung morgen 1 Uhr.
Schluß 5^2 Ubr.
Baden. ö.U. Karlsruhe, 7. Juli. Der evange-
lisch-soziale Kongreß, von über 1000 Personell
besucht, wurde vom Vorsitzenden, Landesökonomicrath
Nobbe-Berlin, eröffnet, der die staatlichen und städtischen
Behörden begrüßt. Namens der Staatsregierung dankt
Ministerialdirektor Heyl, worauf Prälat Helbing Namens
des Oberkirchenraths und Oberbürgermeister Schnetzler
Namens der Stadt den Kongreß willkommen heißen. Ge-
heimrath Professor Wagner - Berlin wird zum Ehren-
präsidenten erwählt. In 4stündiger Debatte wird sodann
das Thema behandelt: Was muß geschehen, um die der
Volksschule entwachsene männliche Jugend stärker als bis-
her auf die religiösen, nationalen und wirthschaftlichen
Aufgaben unseres Volkslebens vorzubereiten? Schließlich
wird eine Resolution angenommen, in der als Mittel
vorgeschlagen werden: die den Kirchengemeinden möglichst
eng anzugliedernden Jünglingsvereine sowie die obligatorische
und der Jugend das Bewußtsein des Schülerstandes er-
haltende Fortbildungsschule. Damit müsse eine
soziale Reformpolitik Hand in Hand gehen. An der
Zstündigen Nachmittagssttzung wurde die Frage der
Wohnungsnoth in Stadt und Land und ihre plan-
mäßige Bekämpfung behandelt. In einer Resolution wird
die dringende Nothwendigkeit einer umfassenden und durch-
greifenden Reform unserer Wohnungszustände anerkannt
und von einem Eingreifen der Reichs- oder Landes-
gesetzgebung Abhilfe erwartet. Heute Abend findet eine
große öffentliche Versammlung statt.

Aus der Karlsruher Zeitung.
— Seine Königlicbe Hoheit der Groß Herzog haben den
nacbgenannien Personen die folgenden Auszeichnungen verliehen

fesfors abzukürzen?" frug er sich seines ersten Gesprächs mit
Konstanze erinnernd.
„Hm", machte Allram, „daß jemand seinen Tod herbei-
gewünscht hätte? Meinen Sie das mit Ihrer Frage?"
„Es kommt ganz auf dasselbe heraus," erwiderte der
Irrenarzt.
„Gewöhnlich Pflegen es ungeduldige Erben zu sein, die so
etwas herbeiwünschen,* bemerkte Allram trocken.
„Professor Georgs hatte keine Leibeserben," fuhr Gerth
fort. „Seine Sammlungen bat er der Universität vermacht.
Alles Üebrige aber (der Sprechende dämpfte hier plötzlich
die Stimme), sein bedeutendes Baarvermögen und sein
Haus ist testamentarisch seiner Wirthschaslerin Frau Bruscher
zugesallen."
„Ich verstehe," nickte der Detektiv. „Aber hier ist bei-
läufig erwähnt," fügte er hinzu, auf die Broschüre deutend,
„daß Georgs an einem unheilbaren Brustübel litt, welche«
ihm nur noch eine kurze Lebensdauer vergönnt hätte.
Ein Paar Jahre früher oder sväter. — das hätte sich schwer-
lich verlohnt, sich einen Mord aufs Gewissen zu laden und
das Risiko, dafür um einen Kopf kürzer gemacht zu werden,
zu tragen." ^
„Das ist freilich auch meine An,rcht." gab Gerth zu.
„Vergebens suche ich nach einem anderen Grunde, und doch
muß es einen solchen geben-"
,O ja," versetzte Allram, „z. B. die Furcht vor einer
Abänderung des Testaments zu Gunsten eines Anderen."
„Ja. ja," rief der Arzt lebhaft, „zu Gunsten eines
Anderen I Das wäre ein Gedanke
„Den wir noch weiter ausspinnen können, da wir nun
einmal dabei sind, den Prozeß zu revidiren," sagte der
Detektiv lächelnd. „Es ist ,a keine Seltenheit, daß Jung-
gesellen im Alter des Professors sich plötzlich heftig verlieben
und die Welt durch eine Helrach in Staunen setzen. In
den Zeitungen stand es. und in dieser Broschüre steht es auch,
und Sie, Herr Doktor, können es vielleicht aus eigener
Anschauung bestätigen, daß diese Konstanze Herbronn eine

ungewövriliche Schönheit ist. Zu diesen äußeren Vorzügen
kam noch eine geistige Bildung, die einen feinsinnigen Ge-
lehrten wohl bätte anziehen können. Wer weiß, ob —" Er
zuckte die Achseln.
„Sie meinen —" Gerth wagte den Gedanken nicht
auszusprechen. Sein Antlitz erglühte plötzlich in dunklem
Roth.
Dem Detektiv entging das nicht. Um zu prüfen, ob er
die innere Bewegung, die dem rungen Arzte das Blut zu
Kopfe trieb, richtig beurtheilte, fuhr er schonungslos fort:
„Ich meine, daß zwischen dem gelehrten Herrn und seiner
Vorleserin sich vielleicht ein zärtliches Verhältniß angesponnen
batte. Eine tüchtige Wirthschafterin, welche einem ledigen
älteren Herrn ihre liebevolle Pflege widmet, besitzt für so
etwas ein scharfes Auge. Hatte dieses Auge eine derartige
Entdeckung gemacht, dann war allerdings eine Abänderung
des Testaments zu Gunsten der schönen jungen Vorleserin zu
fürchten, und es war dringend zu wünschen, daß der heiraths-
lustige Junggeselle das Zeitliche segnete, ehe er eine solche
Unbesonnenheit beging."
Man hätte meinen sollen, daß diese Folgerungen Allrams
dem jungen Arzte aus der Seele gesprochen waren, und den-
noch berührten sie sein Inneres wie Reif die Frühlings-
knospen. Er merkte, wie es um ihn stand, welche Gefühle
für die schöne unglückliche Zellenbewohnerin in ihm die
Oberhand gewonnen hatten, und der Detektiv merkte es auch.
Sich vorzustellen, daß Konstanze zu dem Professor in einem
innigeren Verhältnisse als dem einer Vorleserin gestanden
haben könne, erschien Gerth unmöglich, aber vielleicht nur,
weil ihm dieser Gedanke unerträglich war. Und doch bätte
hiermit das Schweigen, welches sic sich selbst auserlegte, das
Geheimniß, in welches sie sich einhüllte, seine einfachste
Erklärung gesunden I
(Fortsetzung folgt.)
 
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