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Heidelberger Zeitung — 1900 (Januar bis Juni)

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Nr. 127-149 (1. Juni 1900 - 30. Juni 1900)
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https://doi.org/10.11588/diglit.37613#0655

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Fernsprech-Anschluß Nr. 82.

Fernsprech-Anschluß Nr. 82

». 138. ErAkS Klitt. äamstlig, den 16. Iiuii

1800.

Der Elb-Trave-Kanal.
Heute Samstag wird im Beisein des Kaisers der
Elb-Trave-Kanal dem Verkehr übergeben werden, der
bestimmt ist, eine billige Verbindung der Ostsee mit den
deutschen Elbuferstaaten, ja bis nach Mähren hinein zu
schaffen. Der Kanal verdankt der Opferwilligkeit der
Indischen Bürger seine Entstehung, die von ihm einen Auf-
schwung der allen Hansastadt erhoffen. Der Bau des
Kanals, mit dessen Leitung Wasserbaudirektor P. Rehde
betraut wurde und zu dem Lübeck 16054 000 Mark und
Preußen 7 500 000 Mark leisteten, ward am 30. Juli 1896
begonnen. Bei dem Baue, der manche Schwierigkeit bot,
folgte man größtentheils dem Laufe eines früheren Wasser-
wegs, der aber zumeist zugeschvttet war, dem Stecknitzer
Kanal, der einer der ältesten deutschen Kanäle war; wurde
er doch 1398 fertig. Die Hauptarbeiten am Elb-Trave-
Kanal mit Ausschluß aller Eisenconstructionen waren an
die Firmen Wcring-Hamburg und Holtzmann u. Co.-Frank-
furt a. Al. vergeben worden. Die Länge des Kanals von
Lübeck bis Lauenburg beträgt 67 Kilometer; er hat am
Wasserspiegel eine Breite von 32—39 Metern, an der Sohle
von 32 Metern und eine Tiefe von 2 Metern. Die Länge
der Schleusen beträgt je 80 Meter bei 12 Meter Thor-
weite; die Kammer erweitert sich bis auf 17 Meter.

Die Wirren in China.
Die Sorge wegen des Schicksals der Gesandt'
schäften in Peking wächst stündlich, seit bekannt ist,
daß der Vormarsch der europäischen Entsatztruppen wegen
Unterbrechung ihrer Verbindungslinie mit Tientsin zunächst
eingestellt wird. Auch die Unterbrechung der russischen
Telegraphenlinie über Kiachta gilt als ein sehr ernstes
Zeichen. In London und auch anderwärts zweifelt
Niemand mehr daran, daß der Herrschaft der Kaiserin
und ihres Anhanges schleunigst ein Ziel gesetzt werden
muß. Man verhehlt sich aber auch nicht die Schwierig-
keiten, die bei der weiteren Ordnung der Verhältnisse un-
vermeidlich sind, da alsdann nur die Wahl zwischen einem
neuen Regiment unter dem Schutz der Mächte und dem
allgemeinen Zerfall übrig bleibt.
Die für Peking bestimmten internationalen Schutz-
truppen unter dem Oberkommando des englischen Admirals
Scymour sind bekanntlich bis Langfang gekommen. Dort
fanden sie die Bahn zerstört. Ein Bericht der Times von
dort erzählt unterm 13. ds.: Die internationale Expedition
ist hier angelangt. Sämmtliche Bahnhöfe sind von Boxern
in Brand gesteckt worden. Auf dem Bahnhof Langfang
stießen wir auf die Boxer, die ihr Werk fortsetzten. Beim
Herannahnen unserer Vorhut flohen sie in ein Dorf, wir
sandten ihnen einige Geschosse nach, worauf sie sich nach
allen Richtungen zerstreuten. Weiterhin stießen wir auf
eine Gruppe Boxer, welche daran waren, die Bahnstrecke
abzuschneiden. Die Truppen verscheuchten sie durch einige
Salven. Ein Bote aus Peking überbrachte einen Brief
der amerikanischen Gesandtschaft, wonach der Generai
Tungfuhsiang die Absicht haben soll, sich dem Einmarsch
unserer Truppen nach Peking zu widersetzen. Er soll die
südlichen Thore der Hauptstadt mit 10 000 Mann besetzt
halten. Unweit Langfang bemerkten wir eine Schaar von
etwa 2000 Boxern.
Nach einer Meldung vom 14. ds. aus Tientsin, nahm
man dort an, daß Seymour Langfang zur Basis für die
Unternehmungen der internationalen Truppen machen werde.
Ein über Shanghai in London am 15. ds. eingetroffeues
Telegramm der Times aus Tientsin berichtet, daß bei
Peking ein ernster Kampf zwischen den inter-
nationalen Truppen und denen des Generals Tung-
fuhsiang stattfand. Darnach hätte die chinesische Re-
gierung in der That die Tollkühnheit begangen, ihre
Truppen den Mächten entgegenzustellen. Daß dies ge-
schehen würde, ist wohl schon vor einigen Tagen an-
gekündigt worden, allein es wäre das doch ein so ver-
hängnißvoller Schritt, daß man gut that, Bestätigung
abzuwarten. Fehlt es doch auch nicht an Gerüchten, welche
ein Einlenken der chinesischen Regierung melden. So sollen
einem dieser Gerüchte zufolge der Prinz Tuang, der zum
Vorsitzenden des Tsung-li-Aamen ernannt worden war,
sowie der General Tungfuhsiang ihre Aemter niedergelegt
haben.
Was die Ermordung des Kanzlers der japanischen
Botschaft betrifft, so soll der Mann unter den Augen von
acht Mandarinen ermordet worden sein, die keine Hand
dabei rührten. Die Kaiserin wäre durch die Mordthat so
sehr geängstigt worden, daß sie persönlich am Pekinger
Nungtingthore erschienen wäre und den Ruhestörern aller-
dings erfolglos zugeredct habe, auseinanderzugehen.
Die Londoner Morgenblätter vom 15. d. veröffentlichen
ein Telegramm aus Shanghai, wonach 1500 Russen mit
-1 Geschützen vor Peking ein getroffen sind, nachdem
sie einen andauernden Marsch an der Bahnlinie nord-
wärts ausgeführt hatten. Wie die Russen allein dazu
gekommen seien, vorzudringen, während dies den Truppen
der andern Mächte noch nicht möglich war, ist nicht recht
Su verstehen, sodaß nähere Aufklärung abzuwartcn bleibt.
Die Eifersucht der Mächte müßte wieder wachsen,
wenn eine allein vorwärts ging. Wie es damit steht,
das lehrt ein Telegramm des Reuter'schen Bureaus

aus Tientsin vom 15. d.
zunehmende Eifersucht der
zö fischen Behörden
nach ihrer Ansicht die
britischen Behörden

M-, welches meldet: Die
russischen und fran-
wegen der Erleichterungen, die
britischen Bahnangestellten den
gewähren, erreichte gestern ihren
Höhepunkt. Französische Marinesoldaten versuchten sich einer
Lokomotive zu bemächtigen. Der britische Lokomoiivinspektor
weigerte sich, ihnen die Maschine zu geben. Hierauf vcr
suchten die Franzosen mit dem Bajonett gegen ihn vorzu
gehen. Eine britische Streitmacht wurde in Bereitschaft
gestellt. Die Sache gewann ein kritisches Aussehen. Jedoch
geiang es, eine gütliche Beilegung herbeizuführen. Nachdem
der französische Consul darauf hingewiescn hatte, daß alle
Züge zur Befördung der Truppen aller Nationen dienen
sollen, gaben die Franzosen ihren Widerstand auf. Die
britischen Eisenbahnbeamten blieben auf ihrem Posten.

Deutsches Reich
— Der Fall Schweinburg hat seine Erledigung
durch einen Vergleich gefunden, der durch Vermittlung des
Kanzlers des deutschen Flottenvereins Barons v. Beaulieu
zwischen Herrn Victor Schweinburg und dem Herausgeber
der Täglichen Rundschau zustande gekommen ist. Letzterer
nimmt seine Behauptungen, daß Herr Schweinburg von
einem Angestellten des Flottenvereins geprügelt worden sei,
sowie daß Herr Schweinburg ein politischer und Börsenagent
sei, in einer öffentlichen Erkärung zurück.
Homburg v. d. H., 15. Juni. Der Kronprinz ist
heute früh hier eingctroffen. Das Kaiserpaar begab
sich um 8 Uhr mit dem Kronprinzen nach der Saalburg
und später nach Schloß Friedrichshof zur Theilnahme an
der Gedenkfeier für Kaiser Friedrich. Um 3 Uhr reiste
der Kaiser nach Hannover. Die Kaiserin und der Kron-
prinz kehrten um 4 Uhr im offenen Wagen nach Homburg
zurück.
Baden. 8.0. K ar l s ru h e,14.Juni. Die Kommission für
Straßen und Eisenbahnen der 2. Kammer beantragt, dem
Gesetzentwurf betr. den Betrieb der Eisenbahn von
Appenweier nach Oppenau (Verlängerung des
Siaatsvertrags mit der Renchthalbahngcsellschaft auf weitere
8 Jahre) zuzustimmeu und an Großh. Regierung das Er-
suchen zu richten, in der kommenden 8jährigen Periode die
Frage des Ankaufs der Renchrh-stbahn durch den Staat
nochmals wohlwollend zu prüfen und damit die Petitionen
der Städte Oberkirch und Oppenau als erledigt zu er-
klären. Bezüglich der Eingabe der Gemeinden Griesbach,
Petersthal, Löcherberg und Ibach um Erbauung einer
Eisenbahn von Oppenau nach Griesbach stellt die genannte
Kommission den Antrag, die 2. Kammer wolle die Petition
zur Kenntnißnahme überweisen mit dem Ersuchen,
Großh. Regierung wolle 1. wenn dem Bau der Bahn
Oppenau-Griesbach resp. Oppenau-Petecsthal nähergetreten
werden will, einen Staatsbeitrag leisten in einer Höhe,
der dem Unternehmer die Erstellung der Bahn ermöglicht;
2. wenn die Frage des Ankaufs der Strecke Appenweier-
Oppenau durch den Staat in bejahendem Sinne ent-
schieden wird, auch die weitergeführte Strecke für den
Staat erwerben.
Badischer Landtag. 8.0. Karlsruhe, 15. Juni.
(93. Sitzung der Zweiten Kammer.) Eingegangen ist
eine Eingabe der Bad. Handelskammern in Betreff der
Steuerreform. Zur Berathung stand zunächst der Gesetz-
entwurf betr. Aendernng und Ergänzung einiger
Bestimmungen der Städteordnung.
, Die Kommission, deren Bericht Ab«. Heimburger erstat-
tete, beantragt, die 8 15 und 33 unverändert nach der Regie-
rungsvorlage anzunehurcu, 8 35 Abs 2 soll folgende Fassung
erhalten: Es befiehl die erste Klasse aus den Höchstbesleuerten
und umfaßt das erste Sechstel, die zweite Klasse aus den Mittel-
besteuerten und umfaßt die beiden folgenden Sechstel, die dritte
Klasse aus den Niederstbesteuerten und umfaßt die übrigen drei
Sechstel der Bürgerschaft. Den von der Regierung neu einge-
fügten 8 36a hat die Kommission -'»stimmig abgelehnt. Danach
kann, wenn die Zahl der Wahlberechtigten einer Klasse mehr als
500 beträgt, durch Ortsstatut die Bildung von Wahlbezirken an-
geordnet werden, mit der Maßgabe, daß in jedem Wahlbezirk
eine der Zahl der darin wohnhaften Wahlberechtigten entsprechende
Zahl von Stadtverordneten zu wählen ist. In 8 10 wird be-
stimmt. daß Erneuerungs- und Ergänzungswahlen in dersel-
be» Wahlhandlung vorgenommen werden.
Abg. Wilckens (nat.-lib-) erklärt, daß seine politischen
Freunde und er mit einer Reihe der von der Kommission ge-
stellten Anträge einverstanden seien. Insbesondere sei es zu be-
grüßen, wenn es sich, wie Seite 40 der Vorlage Vorschläge, er-
reichen ließe, daß künftighin die Ergänzungswahlen für den
Bürgerausschuß gleichzeitig mit den Erneuerungswahlen in einer
Wahlhandlung vorgenommen würden. Es sei auch sachgemäß,
wenn die seitens der Großh. Regierung vorgeschlagenen und von
der Kommission mit geringen Modifikationen befürworteten Aende-
rungen der 8816, 33, 36 und 43 der Städteordnung angenommen
würden. Es seien diese Aenderungen zwar alle nicht von tief ein-
greifender materieller Bedeutung. Sie würden aber immerhin
zur Beseitigung von Zweifeln und Unklarheiten, wie sie in der
Praxis ab und zu aufgetaucht seien, bei.cagen, wie es denn auch
wünschenswerth sei, daß da und dort eine gewisse Uebereinstim-
mung mit den bezüglichen Vorschriften der 1896er Gemeinde-
o.dming herbeigeführt werde. Auch dagegen sei nichts zu erinnern,
wenn der von der Grobherzoglichen Regierung neu vorgeschlagene
8 36 L in die Städteordnung nicht ausgenommen werde, da ein
eigentliches Bedürsniß nach einer Bildung von Gemeindewahl-
bezirken in den Städten bis jetzt nicht zn Tage getreten sei und
daher kaum angenommen werden könne, daß von der in der Re-
gierungsvorlage vorgesehen .' Möglichkeit, durch Ortsstatut dann,
wenn die Zahl der Wahlberechtigten einer Klasse 500 übersteige,
auf ortsstatutarischem Wege die Bildung von Wahlbezirken für

die Gemeindewahlen anzuordnen, da oder dort Gebrauch gemacht
würde. Dagegen vermöchten der Redner und seine Freunde dem
Antrag der Kommission, wonach über die Regierungsvorlage
hinaus eine Aendernng des 8 35 der Städteordnung hinsichtlich
der Klasseneintheilung der Wahlberechtigten in der Weise vor-
genommen werden solle, daß an die Stelle der seitherigen
V,. und °7,r, künftighin '/«, V- und V» zu treten hätten, nicht
zuzustimmen, wie sie dies auch bereits im Jahre 1896 nicht ge-
than hätten, als die Herren Abgg. Fischer 1 und Genossen eine
gleichartige Aendernng im hohen Hause in Anregung gebracht.
Was dafür spreche, dem Antrag bezüglich der Sechsteleintheilung
der Wähler in den Städten der Städteordnung nicht stattzugeben,
es vielmehr bei der jetzigen Zwölfteleintheilung zu belassen, sei
in dem damals erstatteten Straub'schen Berichte eingehend dar-
gelcgt- Es bestehe das in dieser Beziehung jetzt gellende (Recht
seit 1882. Die ursprüngliche Städteordnung von 1874 habe
andere Bestimmungen gehabt, die Redner näher auseinandersetzt.
Es hätten diese Bestimmungen bezweckt, daß in der zweiten Klasse
wesentlich der Mittelstand der Bürgerschaft vertreten und so be-
rufen sein solle, die Ausgleichung zwischen den weniger zahlreiche»
Höchstbesteuerten und jenen der dritten Klasse, welche die große
Zahl der nur geringe Umlagebeträge bezahlenden Bürger umfasse»
sollte, herbeizuführen. Dieser Zweck sei aber in Folge der eigen-
thümlichen Fassung des 1874er Gesetzes nicht erreicht worden.
Dasselbe habe den Mißstand im Gefolge gehabt, daß die zweite
Klasse geradezu überfüllt wurde, während die dritte Klasse zu
wenig Wahlberechtigte bekam. Da sei natürlich eine Rcmedur
nöthig gewesen und sie sei dann 1882 in der Weise erfolgt, daß
die Wahlberechtigten einfach nach der Höhe ihrer Umlagen
in drei Klassen eingetheilt werden, und daß die erste Klasse, die-
jenigen der Höchstbesteuerten, das erste Zwölftel, die zweite Klasse»
diejenige der Mittelbesteuerten, die beiden folgenden Zwölftel und
die dritte Klasse, die der Niederstbesteuerten, die übrigen neun
Zwölftel der Bürgerschaft umfaßt. Diese Eintheilung entspreche
dem Gedanken, daß die Gemeinde im Gegensatz zum Staat mit
seinem politischen Charakter im wesentlichen ein wirthschaftlicher
Jnteressenvcrband sei, in welchem der Einfluß auf die Gemeindc-
angelegenheiten größer, bezw. geringer sei, je nach dem Maße, in
welchem die Einzelnen zu den Gemeindeumlagen beisteuern. Es
solle aber die Höhe der Umlagen für diesen Einfluß nicht absolut
entscheidend sein, vielmehr auch noch anderen Momenten Rücksicht
getragen werden. Daß in dieser Beziehung unsere jetzige Zwölftcl-
Eintheilung günstig wirke und daß man ihr den Vorwurf ein-
seitiger Bevorzugung des Kapitals gewiß nicht mit Recht zu
machen in der Lage sei, gehe daraus hervor, daß z. B. zur Zeit
der Erstattung des Straub'schen Berichts die erste Klasse in alle»
Städten des Großherzogthums, welche unter die Stä.dteorduung
fallen, mehr als die Hälfte, theilweise sogar 73 Proz., v"rch-
schnittlich aber 61 Proz. aller Umlagen aufb.achte, während zwei
Zwölftel der Mittelbesteuerten durchschnittlich nur 26 Proz. und
die neun Zwölftel der Mindestbesteuerten durchschnittlich sogar nur
13 Proz. des Umlagebetreffnisses aufzubringen hatten. In dem
Straub'schen Bericht sei ausgerechnet, daß bei Annahme des
Sechstelsystems die erste Klasse.durchschnittlich mindestens 74
Proz-, in Mannheim sogar mindestens 84 Proz. der gesammten
Umlage zu tragen hätte, und daß dann von den beiden übrigen
Klassen zusammen im Ganzen nur noch 26, in Mannheim sogar
nur noch 16 Proz. der Gesammtumlage aufzubriugen wären.
Redner und seine Freunde wollten und könnten für eine Mag-
nahme, wie sie die Mehrheit der Kommission in Bezug auf den
8 35 der Stadtordnung Vorschläge, für eine Maßnahme, deren
Tragweite, insoweit die Zusammensetzung der Gemeindekollegien
in Frage steht, sehr schwer zu ermessen sei und die unter Um-
ständen zu unerwünschten Verschiebungen der Gemeindeverhält-
nisse in unseren größeren Städten führen werde, keine Ver-
antwortung übernehmen und würden daher, falls das Gesetz
mit dieser Aenderuug beschwert werde, gegen das ganze Gesetz
stimmen.
Minister des Innern Dr. Eisenlohr bedauert lebhaft, daß
die Bestimmung des 8 36» auch diesmal keinen Beifall gefunden
hat. Die Aenderungen in 8 35 müsse die Negierung entschieden
ablehnen. Abg. Fischer! (Centr.) motiotrt die ablehnende
Haltung des Lentrums gegenüber dem 8 36» und die Zustim-
mung seiner Partei zu d.r Abänderung in 8 35. In gleichem
Sinne spricht sich Abg. Dreesbach (Soz.) aus. Abg. Heim-
burger (Dem.) hält die Aenßerung des Ministers, daß die
Demokraten und Sozialdemokraten auf die direkte Wahl in de»
Städten keinen großen Werth legen und sogar gegen die Klassen-
wahl nichts eiuzuwcnden haben, für einen schlechten Witz. Es sei
ihm nicht rm Traum eingefallen, sich prinzipiell für das Klassen-
wahlrccht auszusprechen Minister Eisenlohr erklärt, daß er
durchaus keinen Witz gemacht, sondern nur auf die auffallende
Thalsache hingewiesen habe, daß die Demokratie in demselben
Augenblick Konzessionen macht, in dem sie das allgemeine direkte
Wahlrecht fordert. Avg. Fieser (null.) gredt seiner Befriedi-
gung über die Aenderung m 8 40 Ausdruck. Sollte das Gesetz
scheitern, dann möchte die Regierung wenigstens diesen Para,
graphen als besondere Vorlage wieder einvringen. Redner spricht
sich sodann entschieden gegen die Aenderung in 8 35 aus. In
der Einzelberathung wird 8 35 mit 28 gegen 18 Stimmen (der
Nationalltberalen) angenommen, 8 36» mit allen gegen 5 Stim-
men abgelehni. sodann wird das ganze Gesetz mit 23 gegen 18
(natl.) Stimmen angenommen.
Es folgt die Berathung über den Gesetzesvorschlag der
Abg. Heimburger und Gen. Abänderung der Ge-
mein deordnung.
Berichterstatter Breit»er empfiehlt die Annahme folgender
Aenderungen: 1) In 8 11 der Gemeindeordnung werden die
Worte „in den Gemeinden, welche dauernd mindestens 1009 Ein-
wohner zählen, von dem Bürgerausschuß, in den übrigen Ge-
meinden" und der zweite Absatz gestrichen, so daß dieser 8 lautet:
Der Bürgermeister und die Gemeinderäthe werden von den
Bürgern und wahlberechtigten Einwohnern gewählt. 2) In 8 17
(der die Amtsperiode des Bürgermeisters auf 9 Jahre bestimmt)
wird statt „neun" „sechs" (Jahre) gesetzt. 3) Der 8 35 erhält
folgende Fassung: Die Erste Klasse besteht aus den Höchst-
besteuerten und umfaßt das erste Sechstel der Wahlberechtigten
(re. wie oben: Sechstelung statt Zwölftelung). Die übrigen
Aenderungen sind redaktioneller Natur.
Abg. Obktrcher (natl.) spricht sich gegen die Abänderung?-
Vorschläge unter 2) und 3) aus; dagegen sei er und ein Theil
seiner Parteifreunde geneigt, in Gemeinden, die nicht mehr als
2000 Einwohner zählen, die direkte Wahl zuzulassen. Abg.
Breitner u. Gen. bringen sodann eine Resolution ein, nach
der. im Falle der Vorschlag unter 1) nicht die Billigung der
gesetzgebenden Faktoren findet, derselbe dahin abzuändern sei.
daß es heißt: „In Gemeinden, welche dauernd mindestens 2000
Einwohner zählen". Minister Dr. Eisenlohr erklärt, daß die
Regierung, nachdem die Gemetndeordnung erst vor 4 Jahren mit
Mühe und Roth unter Dach gebracht wurde, die Abänderungs-
vorschläge entschieden ablehnen müsse. Abg. Heimburger (dem.)
spricht für die Vorlage.
 
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