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Heidelberger Zeitung — 1900 (Januar bis Juni)

DOI Kapitel:
Nr. 127-149 (1. Juni 1900 - 30. Juni 1900)
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https://doi.org/10.11588/diglit.37613#0615

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Fernsprech-Anschluß Nr. 82

12S.

Ditgslag, Len 5. Juni

I9VV.

Die Nutzbarmachung des australischen
Deutschthums für unsere Schutzgebiete in der
Südsee.
Ueber das Deutschthum in Australien und dessen
Nutzbarmachung für unsere deutschen Schutzgebiete in der
Südsee handelt ein Artikel in den Alldeutschen Blättern,
der auf Grund von Informationen aus Mitgliederkreisen
des Alldeutschen Verbandes in Australien geschrieben ist.
In demselben wird darauf hingewiesen, daß die Lage des
Deutschthums in Australien infolge der deutschfeindlichen
imperialistischen Strömungen daselbst eine sehr ungünstige
ist. Welche Ziele diese imperialistische Partei in Australien
verfolgt, geht aus einer Rede hervor, die der Gouverneur
von Queensland, Lord Lamington, ein Intimus von
Chamberlain, in der Geographischen Gesellschaft von Bris-
bane vor einiger Zeit gehalten hat. Er erklärt in der-
selben, daß es ein großer Fehler Englands war, Holländisch
Indien im Wiener Frieden an Holland zurückgegebcn zu
haben, und meint, es müsse der Zukunft Vorbehalten sein,
diesen Fehler wieder gut zu machen, wobei die australischen
Kolonien dem Mutterlande treu zur Seite stehen müßten
Aus der Erkenntniß der englisch-australischen Kreise, daß
Deutschland ein Hinderniß für diese Bestrebungen ist, rührt
wohl auch zum guten Thcil der Haß gegen die Deutschen
her. Da aber auch aus anderen Gründen wenig Hoffnung
vorhanden ist, die Deutschen Australiens auf die Dauer
ihrem Volksthum zu erhalten, so empfiehlt sich
der Versuch, dieselben nach unseren Schutzgebieten
in der Südsee hinüberzuleiten. Dem kommt
die Thatsache sehr zu statten, daß es gegen-
wärtig in den Gegenden, wo Deutsche angesiedelt
sind, den Söhnen deutscher Ansiedler, selbst wenn sie über
Geldmittel verfügen, außerordentlich schwer fällt, Grund-
besitz zu erwerben, da sich die agrarischen Verhältnisse in
Australien großentheils zur Latifundien-Wirthschaft ent-
wickelt haben. In den Kolonien Queensland und auch
theilweise Neu-Südwales werden übrigens fast alle tropi-
schen Produkte angebaut. Es wäre daher nicht schwer,
die Söhne deutscher Kolonisten zur Auswanderung nach
unseren Schutzgebieten zu veranlassen, wenn man ihnen
leichte Bedingungen für Landerwerb in denselben stellt.
Die neue Linie des Norddeutschen Lloyd, die außer Syd-
ney auch Brisbane und Kcppel-Bai berührt, könnte einer
derartigen Auswanderungsbewegung sehr zu statten kommen.
Die Frage ist jedenfalls sehr der Beachtung unserer kolo-
nialen Kreise werth, da hier Gelegenheit geboten wäre,
einerseits unsere Kolonien zur Entwickelung und Blüthe zu
bringen, andererseits aber einen versprengten Theil des
deutschen Volksthums wieder zu engerem Anschluß mit dem
Mutterlande zu bringen und dadurch dem Deutschthum zu
erhalten.
Das bayerische Räthsel.
Auf der Suche nach den Gründen, die den Prinzen
Ludwig von Bayern bewogen haben, das Studium der
Rcichsverfassung zu empfehlen, hält das Berl. Tagbl. bei
der neulichen Ansprache des Kaisers an den Kronprinzen,
als dieser in den aktiven Militärdienst eingestellt wurde,
an und meint, da der Ursache der Mißstimmung des
Prinzen auf die Spur gekommen zu sein. Der Kaiser
hat in dieser Rede den Kronprinzen auf das Beispiel des
nachmaligen Kaisers Friedrich verwiesen und dabei gesagt:
Zuerst als Kronprinz des deutschen Reiches,
als dieses im Jahre 1870/71 zusammengeschweißt war,
ragt diese herrliche Gestalt, die zuletzt so unsagbar gelitten,
in der Geschichte, lebt sie im Herzen des Volkes als der

Kronprinz xur exoslleuos. Das Ansehen, welches Dein
Großvater der Stellung des deutschen Kronprinzen
in der Welt und bei seinem Volke verschafft hat, ist für
Dich ein Erbtheil, u. s. w.
Es ist möglich, daß Prinz Ludwig, der sich in Moskau
s. Zt. dagegen verwahrte, daß die deutschen Fürsten Va-
sallen des Kaisers seien, an dem Ausdruck „Kronprinz des
deutschen Reiches" Anstoß genommen hat. Wer dreißig
Jahre zurückdenken kann, der wird sich erinnern, daß bei
der Gründung des Reiches die Frage, ob der Kaiser
„Kaiser von Deutschland" oder „Deutscher Kaiser" zu
nennen sei, eine nicht unerhebliche Rolle gespielt hat. Man
entschied sich für die letzte Bezeichnung in der bewußten
Absicht, damit die Empfindlichkeit der Bundesfürsten zu
schonen und anzudeuten, daß eben der Kaiser nicht über
ganz Deutschland herrscht; wie die Bundesfürsten deutsche
Fürsten, aber nicht Fürsten von Deutschland sind, so sollte
er deutscher Kaiser, aber nicht Kaiser von Deutschland sein.
Als die Kaiserproklamation in Versailles erfolgte, waren
die Gemüther noch mit dem Für und Wider in dieser
Frage beschäftigt, und der Großherzog von Baden umging
bei dem von ihm ausgebrachten ersten Kaiserhoch dieselbe
damit, daß er einfach Seine Majestät den Kaiser hoch-
lcben ließ.
Wenn es einen deutschen Kaiser giebt, so wird man
schon aus sprachlichen Rücksichten auch einen deutschen
Kronprinzen gelten lassen müssen, obgleich die Verfassung
einen solchen nicht kennt. Der Ausdruck „Kronprinz des
deutschen Reiches" aber nähert sich sehr dem Ausdruck
„Kronprinzvon Deutschland", ist vielleicht nur um eine Nüance
weniger entschieden als dieser. Möglicherweise hat Prinz
Ludwig an diesem Ausdruck, der die staatsrechtliche Stel-
lung der preußischen Kronprinzen nicht richtig bezeichnet,
Anstoß genommen._
Deutsches Reich
— Die in Berlin verbreitete Nachricht, daß die ameri-
kanische und die englische Botschaft gegen das vom Reichs-
tage beschlossene Fleischschaugesetz an zuständiger
deutscher Stelle Vorstellungen gemacht hätten, ist nach der
Köln. Ztg. in dieser Form nicht zutreffend. Thatsächlich
haben die beiden Botschaften sich nur erkundigt, wie es mit
den Ausführungsbestimmungen gehalten werden solle, deren
Festsetzung durch das Gesetz der Reichsregierung überlassen
ist. Bei dieser Gelegenheit haben sie dann auch dem Wunsche
Ausdruck gegeben, daß diese Festsetzungen unter thunlichster
Schonung der wirthschaftlichen Interessen ihrer Länder und
unter besonderer Berücksichtigung der vertragsmäßig geregelten
Verhältnisse erfolgen mögen.
— Fleischpreise im Groß- und Kleinhandel. Nach
Angabe der amtlichen Statistik wurde der Doppelcentner Schweine-
fleisch bezahlt in Berlin mit:

1897
Großhandel
105,3 Mk.
Kleinhand
132 Mk.
1898
111.3 .,
139 ,.
1899
94,8 „
134 „
Januar 1900
91.0 „
131 „
Februar 1900
90,5 „
131 .
März 1900
88.4 ..
130 „
April 1900
86.7 „
130 „

Während die Großhandelspreise von 111,3 auf 86.7 Mk., d. h.
um 22 pCt. gefallen sind, haben die Detailpreise in kaum merk-
licher Weise nachgegeben, sie sanken nur von 13S auf 130, d. h.
um 6,5 pCt.
Baden. Der nationalliberale Gegenvorschlag betreffend
Eintheilung der Wahlbezirke beruht auf der bis-
herigen Zahl von 63 Abgeordneten, also von 1 auf 30 000
Einwohner; er setzt also keine Verfassungsänderung vor-
aus. (Der Centrumsvorschlag nimmt, wie berichtet, 76

Abgeordnete, nämlich 1 auf 25 000 Einwohner, an.) Die
Städte, die mehr als 1 Abgeordneten zu wählen haben,
sollen nach dem nat.-lib. Vorschlag in feste Wahlkreise ein-
getheilt werden, eine Maßregel, die verhüten soll, daß eine
Partei die ganze Vertretung einer größeren Stadt an sich
reißt.
Konstanz, 2. Juni. Einen sehr anregenden Ver-
lauf nahm, nach der K"nst. Ztg., gestern die gut besuchte
Generalversammlung des liberalen Vereins. Zum
1. Vorsitzenden wurde an Stelle des nach Freiburg ver-
setzten Herrn Landgerichtsralh Krebs Herr Landgerichtsrath
Dr. Reichardt einstimmig durch Akklamation gewählt.
Warm dankte Herr Dr. Reichardt für das ihm erwiesene Ver-
trauen und führte unter lebhaftem Beifall aus. in wxlchem Geist
er seines Amtes zu walten gedenke. Gerne stelle er seine Kraft
in den Dienst der Partei, in deren Reihen er, solange er politisch
denke, gestanden sei; die nat.-lib. Partei wolle in sich das arbeitende
Bürgerlbum vereinen, wobei cs gleichgültig sei, ob die Hand oder
der Kopf die Arbeit leiste. Mögen auch aus dieser Vereinigung
aller Stände und Interessengruppen im Rahmen unserer Partei
manche Schwierigkeiten entstehen; immer doch habe die Parte, es
verstanden, den rechten Kurs zu steuern zum Wohl des ganzen
Vaterlands. Um aber den Einfluß unserer Partei in Stadt,
Land und Reich zu sichern, müsse jeder Parteigenosse nicht bloß
im Wahlkampf, sondern auch in stilleren Zeiten seine Pflicht
lhun. So fasse er auch seine Aufgabe als Vorsitzender des
liberalen Vereins auf. Die Belebung und Vertiefung des Eifers
für die Ideen der nat.-liberalen Partei in allen Kreisen der Be-
völkerung, das sei das Ziel, und,, um dieses zu erreichen, bitte er
um die Unterstützung aller Parteifreunde.
Karlsruhe, 2. Juni. Der Vermögenssteuer-
und Häuserkatasterentwurf gelangt gleich nach den
Pfingstferien in der 2. Kammer zur Berathung, wofür 3
bis 4 Tage in Aussicht genommen werden. Hierauf ge-
langen dieselben in der 3. Juniwochc in die 1. Kammer,
während die 2. Kammer die Versassungsrevision und neue
Wahlkreiseintheilung bcräth. Man hofft bis Anfangs
Juli auf den Landtagsschluß.
Badischer Landtag. L. 0. Karlsruhe, 2. Juni.
(87. Sitzung der Zweiten Kammer.) Nach der Be-
kanntgabe einer Eingabe der Schwarzwälder Handelskam-
mer betreffend Vorstellungen gegen einzelne Bestimmungen
der Steuerreform-Gesetzentwürfe wird in die Berathung
eingetreten.
Als einziger Punkt stand auf der Tagesordnung: Die
Petition der Teichgenossenschaft Fahrnau wegen des Fahrnauer
Teichwehres. Es handelt sich hierbei einmal um Herstellung und
Erhaltung des Wehres und um Herstellungskosten aus Veranlas-
sung der Bezirksbauinspektion im Betrage von 7417 Mk„ welche
der Genossenschaft auferlegt wurden. Eine Verpflichtung des
Staates, das Flußbett unterhalb des Wehres in dem vor dem
Jahre 1872 befindlichen Zustande zu erhalten, erkennt die Kom-
mission zwar nicht an, wünscht hingegen, daß die Wasserbauver-
wallung bei etwaigen Veränderungen Sorge trage, daß das
Wehr hierdurch nicht Schaden leide und wünscht weiter einen
Eintrag in das Wasserrechtsbuch. Die Frage der Kostendeckung
soll einer nochmaligen Prüfung unterzogen werden. In diesem
Sinne stellt die Kommission, nachdem Abgeordneter Weygold
kurz bemerkte, daß eine empfehlende Ueberweisung ihm lieber
gewesen wäre, den Antrag, die Eingabe der Regierung zur
Kenntnißnahme zu überweisen, dessen Annahme sodann einstim-
mig erfolgte.
Nächste Sitzung: Mittwoch.
Württemberg. Ein starker Rückgang der Demo-
kratie hat sich bei der jüngsten Landtagsersatzwahl in
Ulm gezeigt. Der baucrnbündlerische Kandidat, Stadt-
schultheiß Hang von Langenau, den die demokratische Presse
seit langem aufs bitterste bekämpft hat, ist mit 2120
Stimmen im ersten Wahlgang gewählt. An zweiter Stelle
folgt Gröber mit 357, an dritter Konrad Haußmann mit
190, an vierter ein Sozialdemokrat mit 161 Stimmen.
Die Bauernbündler haben gegen 1895 gewonnen 432
Stimmen, die Sozialdemokraten 31; das Centrum hat
verloren 105, die Volkspurtei volle 1072.

8)

Die Irre von Sankt Rochus.
Kriminalroman von Gustav Höcker.
(Fortsetzung.)

Als Konstanze den jungen Arzt eintreten sah, schlug sie
die kleinen weißen Hände vor's Gesicht. Mit dumpfer Gleich-
giltigkeit hatte sie vorher die anderen Doktoren empfangen;
sie wußten ja bereits, daß sie es mit einer Mörderin, mit
einer Irrsinnigen zu thun hatten; seil ihrer Verhaftung
war Konstanze es gewohnt, dafür gehalten zu werden. Aber
daß sie diesen Mann, welcher ihr das tiefste Leid aus dem
Gesicht abgelesen und, wie sie wohl bemerkt, ihr eine
warme Theilnahme geschenkt hatte, nun an diesem Orte
wieder treffen mußte, erschien ihr wie das Walten eines
höhnischen Schicksals, und sie kam sich wie eine Ent-
larvte vor.
Doktor Gerths freundlicher Zuspruch, das feine Takt-
gefühl, welches er dabei bekundete, indem er nichts sagte,
was auf den Ort und die Verhältnisse, unter denen er
sie wiederfand, Bezug haben konnte, schienen ihr wohlzu-
thun. Aber ihre Hand, die er tröstend ergreifen wollte, ver-
weigerte sie ihm.
„In den Augen der Welt ist diese Hand mit Blut befleckt,"
sagte Konstanze. Sie sank aus den Stuhl und verbarg wieder
ihr Gesicht, wie sie es bei Gerths Eintritt gethan. Trockenen
Auges hatte sie vor ihren Richtern gestanden, denn cs giebt
einen Schmerz, welcher das Gefühl betäubt und das Herz
erstarren macht. Was sie aber jetzt empfand, brach sich in
einem stillen Thränenstrome Bahn.
„Ich sehe nicht mit den Augen der Welt," entgegnete
Gerlh. „Sagen Sie mir, daß Sie das Opfer einer
Verkettung unglückseliger Umstände sind, und ich glaube
„Sie glauben an meine Unzurechnungsfähigkeit und ent-
schuldigen mich damit," schluchzte das junge Mädchen.

„Nein, ich glaube, daß Sie die Thal überhaupt nicht be-
gangen haben. Und wenn Sie mir die Hand reichen, die Sie
mir vorhin versagten, so ist mir das genug. Einer anderen
Antwort bedarf ich nicht!"
Die im Tone ehrlicher, männlicher Ueberzeugung ge-
sprochenen Worte machten aus Konstanze einen tiefen Ein-
druck. Sie blickte auf und sab ihn mit ihren großen dunklen
Augen forschend an. Dann streckte sie ihm ihre Rechte ent-
gegen. Der Arzt ergriff diese so schwer verdächtige Hand
und drückte sie leise und zart; ja er that noch mehr, er
neigte sein Haupt und führte sie an seine Lippen. Und auch
das ließ sie willig geschehen.
„Dank! Dank!" flüsterte sie kaum hörbar und unter
Thränen lächelnd, und in diesem Lächeln lag die verklärte
Glückseligkeit eines Kindes. .
«Giebt es keine Hoffnung, daß Ihre Schuldlosigkeit an
den Tag kommen könnte?" srug er- „ . .
„Keine! Ich bin gerichtet, und diese Mauern sind mein
Gesängmß, welches sich mir niemals wieder öffnen wird."
»Reat sich in Ihnen kein Verdacht auf irgend eine
Person?" frug Gerth weiter. „Um einen Raubmord hat
es sich nicht gehandelt. Wer konnte ein Interesse daran
haben, das Leben eines so harmlosen Mannes wie Professor
Georgs zu verkürzen?"
Konstanze schwieg eine Weile. Sie schien mit sich zu
kämpfen, ob sie diese Frage beantworten solle oder nicht.
„Ich fürchte, es giebt eine solche Person." sagte sie
endlich.
„Und warum nannten Sie diese nicht?"
„Weil ich darüber schweigen muß."
„Man zwingt Sie zu diesem Schweigen?"
„Nein, ich erlege eS mir selbst auf."
„Sie kenlien also den Mörder," begann Gerth nach einer
kurzen Pauke wieder, „und wollen lieber Ihr Leben an diesem
traurigen Ort verbringen, hier Ihre Jugend vergraben, als
ihn nennen?"
„Nein, ich kenne den Mörder nicht," antwortete das

Mädchen. „Es wäre allerdings ein seltsamer Zufall, wenn
der Mord unabhängig von jener Person geschehen wäre; wer
aber die That vollbrachte, darüber habe ich nicht die leiseste
Vermuthung."
Die Aerzte der Anstalt durften nicht länger bei den ein-
zelnen Kranken verweilen, als unbedingt nölhig war. Gerths
Zeit war um. Niemand durfte merken oder auch nur ahnen,
daß ihm die Bewohnerin dieser Zelle etwas anderes als
eine schwere Epileptikerin sei.
„Möge Ihnen der Gedanke einigen Trost bringen," sagte
er beim Geben, „daß Sie in mir einen Freund besitzen, einen
zuverlässigen, mitfühlenden Freund, der Ihnen Ihre Lage zu
erleichtern suchen wird, so viel in seinen Kräften steht. Bei
der eisernen Hausordnung, die hier herrscht, werden diese
Dienste leider nur gering sein können."
Als er draußen stand, stieß er einen tiefen Seufzer aus.
Im Leben dieser Unglücklichen gab es irgend ein Geheimniß,
welches sie fest in ihrer Brust verschloß. Sie stand unter
einem Banne, von welchem sie selbst sich nicht befreien konnte.
Ward vielleicht mit der Ergründung jenes Geheimnisses der
Bann gelöst? Der junge Arzt sah sich vor einem tobten
Punkte angelangt, über welchen hinauszukommen es nur ein
einziges Mittel gab: die Entdeckung des Mörders.
_ (Fortsetzung folgt.)
Kleine Zeitung.
si Ludwigshafen, 4. Juni. Ein schreckliches Unglück
ereignete sich gestern früh in unserer Stadt. Der im Hause
Ecke Wrede- und Heinestraße wohnende verheirathete Privatmann
Jean Lerchenmüller ging zwischen 6 und 7 Uhr Morgens in den
Keller, um eine Flasche Benzin für sein Motordreirad abzuziehen.
Das in seiner Begleitung befindliche Dienstmädchen, welches in
der Hand eine brennende Stearinkerze trug, kam mit dieser dem
Benzinbehälter zu nahe, so daß dieses Feuer fing und mit furcht-
barem Krach explodirte. Die Flamme schlug die offenstehende
Kellerthüre hinauf und ergriff das ganze Stiegenbaus des
Hauses, welches in wenigen Augenblicken bis zum vierten Stock
 
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