Berichterstatter Heimburger (Dem.) fuhrt aus, daßführung des Proportionarwahlshstems verpaßt werde. So sehr
die verschiedeneu Parteien iu der Kommission ihre Sonder-
tvünsche zurückstellteu, um eine Einigung zu erzielen. Es sei
zu hosfen, dasz auch hier im Pleuum das Gleiche geschieht, und
datz die Regieruug deu billigeu WUnschen dcr Volksvertretung
«ntgegenkommt. Besouders ersreulich sei, datz die naiional-
liberale Partei die Kautelen fallen ließ. Auch die Regierung
sollte nun endlich dem Volke mehr Verrrauen entgegeitbringen
und ihre Bedenken fallen lasseu, um so mehr, als das badische
Bolk von jeher cin grotzes Matz politischer Einsicht an den
Tag gelegt hat, welche dic Gcwähr dafür bietet, datz es das
Vertrauen der Regierung nicht mitzbrauchen wird. Nicht nur
in Baden sei die Bewegung im Gange; auch in den Nachbar-
ländern wollc mau das indirckte Wahlrccht durch das direkte
ersetzen. Die badische Regicrung solltc vorangehen und in einer
Frage des Forrschrittes nicht zurückbleiben. (Bravol)
Staatsmiuisier v. Brauer legt den Standpunkt der Re-
gierung zur Wahlrechtsfrage dar. Die Rcgicrung habe wieder-
holt erklärt, datz sie an dem indirekten Wahlrecht nicht mehr
unbediugt festhalte. Sie erkenne vielmehr willig an, datz dcr
Zweck des indirektcn Wahlrechts, datz alle Jnteressengruppen
der Bevölkerung entsprechende Verkretung finden, heute prak-
tisch nicht mehr in Erschcinung tritt. Wenn nun die Regie-
rung bereit ist, die Mirwirkung an der Beseitigung der indi-
rekten Wahl uicht zu versagen, so spricht sie damit nicht aus,
datz das indirckte Wahlrecht einfach über Bord geworfen und
sonst alles beim Alten gelassen wird. Sie ist vielmehr der
Ansicht, datz mau sorgfältig prüfen mutz, wie Gewahr dafür
gegeben wivd, datz dic verschiedeneu Erwerbsklassen und Be-
rufsarten der Bevölkerung nach ihrer Zahl und Bcdeutung
vertreten sind. Die Regierung ist nun zuuächst der Meiuung,
datz mit diescr Frage die Reform der Ersten Kammer nicht ver-
bundeii werden sollte, wenu sie auch die Reformbedürftigkeit
anerkenne. Selbstvcrständlich wäre es nur ein Akt 'der Billig-
keit, datz wcnn die Zahl der Volksvertreter vermehrt wird,
auch die Erste 5lammer verstärkt wird. Ohnehiu stellt ja die
ZweiteKammer eine stattliche repräsentative Bersammlung dar,
während das audere Hohe Haus in dieser Hiusicht ein Manko
aufweist, das schon öfters cmpfin'dlich in Erscheinung getreteu
. wäre, weun nicht ganz hervorragende Äapazitäten dort sitzcn
würden, die den Mangel ausgleichen. Am Prinzip des allge-
rneinen gleichen Wahlrechts wolle die Regierung nicht rütteln,
aber es frage sich, ob man ein so schrankenloses Wahlrecht
einführcn solle. Auch in Bahern und Hessen habe man in
dieser Be^iehung allerdings nicht sehr einschneidende Beschrän-
kungen gcmacht, die von der Kammermehrheit nicht beanstandet
wurden. Man wird uns also nicht als schwarze Reaktionäre
bezeichnen können, ivenn wir den Gedanken erwägen, ob nicht
anch bei uns ähnliche Einschränkungen gemacht werden kön-
nen. Auf die Vorschläge in der Denkschrist, die den Beifall der
Kammer nicht gefundcn haben, kommen .wir nicht mchr zu-
rück. Wir wollen damit zeigen, datz es uns ernstlich um eine
Verständigung zu thuu ist. Jch halte übrigcns eine V«lks-
kammer deswegen noch nicht für unrein, weil indirckt 'Ge-
wählte darin sitzen (Heiterkeit). Wir werden bor allem die
Jdee erwägen, ob nicht neben den kleinen Wahlbezirken grötzere
aus den verschiedenen Körperschaften zu bilden sind (Ge-
lächter). Daueben kämcn noch andcre Punktc in Betracht,
über dic bereits Einigkeit herrscht, zum Beispiel die Jntegral-
erneuerung, cine mätzige Vermehrung der Zahl der Abgeordne-
ten unter gleichzeitiger Verstärknng der Ersten Kammer, Aende-
rung und Neubildung der Wahlkreise: gegen alle diese Neue-
rungen hat dic Regierung prinzipiell nichts einzuwendcn. Wir
stehen am Ende einer langen, arbcits- und erfolgreichen Ta-
gung, in der Sie in harmonischem Zusammenwirken mit der
Regierung ein überreichliches Budget gründlich geprüft und
zahlreiche Gesetze erledigt haben. Bei dieser Sachlage wird
wohl niemand erwarten, daß wir auch noch in der Wahlrcchts-
frage eine völlige Einigung erzielen. Aber wir sind wenig-
stens in unseren Anschauungen einander näher getrcten. Auf
dem nächsten Landtag wevden wir einen Geseh -
entwurf mit den ebeu vorgetragenen Grundsähen vorlegen.
Er hoffc, datz dann cine Verständigung erzielt wird, wenn man
einander entgegenkommt. Jedenfalls wird es die Regierung
an treuer, lopaler Mitwirkung an der Erreichung dieses Zie-
les nicht fehlen lassen.
Wg. Wilckens (Natlib.) erklärt namens der national-
liberaleu Partei, datz sie auf dem Boden der Kommissionsan-
träge stehe. Die jetzige Stellung der Regierung bedeute
nnzweifelhaft einen großen Fortschritt; sie stimmt der Ein-
führung der direkten Wahl zu und will im nächsten Landtag
einc entsprcchende Vorlage einbringen. Der Einführung der
Zensuswahl könne die nationalliberale Partei nicht zustim-
men, dagegen halte sie den längeren Aufenthalt der Wähler
an einem Orte für diskutabel. An den Grundzügen des Ent-
wurfs werde die nationalliberale Partei unter allen Umstän-
den festhalten, dagegen lasse sie über Einzelheiten mit sich
reden, z. B. Lber die Frage, ob in den grotzen Städten
das Proportionalwahlverfahren einzuführen sei. Den Ge-
danken, datz größere Verbände eine besondere Vertretung
erhalten sollen, wolle er nicht von vornherein perhorreszieren,
er möchte nur betonen, datz nicht etwa den Kreisen ein Vor-
fchlagsrecht eingeräumt werden darf. Die Hauptsache sei, batz
endlich die Frage einer Lösung entgegengeführt wird. Die
Zusammensetzung der Ersten Kammer sollte die Garantie
dafür bieten, datz die Jnteressen des Handels, Gewerbcs nsw.
kräftig wahrgenommen werden. Mit den im Kommissions-
bericht niedergelegten Grnndzügen der Wahlkreiseinteilung sei
die nationaNiberale Partei einverstanden: auch hier wcrdc sich
Ner untergeordnete Punkte wohl ein Einverständnis erzielen
lassen. Auf eine Erweiterung des Budgetrechtes wcrde sich
Lie nationalliberale Partei nicht einlassen. Einc Lösung der
Verfassungsreform werde sich wohl auf diesem Landtage nicht
erziclen lassen, aber man sei derselben erheblich näher gekom-
men. Vor allcm sei eine Einigung unter dcn Volksvertretcrn
erzielt, auch die Regierung sei weiter gegangen, so daß man
auf eine Verständigung im nächsten Landtaqe hoffen dürfe.
(Bravol)
Abg. Dreesbach (Soz.) glaubt, datz es wohl möglich
gewesen wäre, dem jetzigen Landtag eine Wahlrechtsvorlage
zu machen; aber seit Jahr und Tag habe man diese wichtige
Frage immer ans die letzten Tage verschoben und übers Knie
abgebrochen. Die grötzte Partei ist eben immer zu beschei-
den aufgetreten. Er gebe dem Staatsminister zu, datz die
Gegensätze sich gcmildert und die Parteien auf viele Forde-
rungen verzichtet haben, um eine Einigung zustande zu brin-
gen und datz auch die Regierung entgegengekommen sei, aber
sie habe an ihre Konzessionen Bedingungen geknüpft, welche
feine Partei niemals annehmen könne. Durch die Bedingung
des längereu Aufcuthalts würde hauptsächlich die fluktuierende
Arbeitsbevölkerung getroffen. Das allgemeine Wahlrecht habe
nicht einmal Eisenlohr angetastet. Der Vorschlag der Re-
gierung wurde eme Verschlechterung des Wahlrechts bedeuten.
Wir wollen aber ein fortschrittliches Wahlrecht. Er hoffc, datz
die Wahlrechtsvorlage auf den Grundsätzen der Kommissions-
anträge sich aufbaut.
Abg. Wacker (Zentr.) beurteilt die Regierungserklä-
rung wesentlich günstiger als Dreesbach; sie zeige ini allgc-
meinen Entgegenkommen, die Einzelheiten seien jedoch für
das Zentrnm absolut unannehmbar. FLr Herabsetznng des
Alters auf 20 Iahre, für den Sonntag als Wahltag und für
das Frauenstimmrecht sei das Zentrum nicht zu haben, wohl
aber dasür, datz das passive Wahlrecht auf das 26. Lebensjahr
herabgesetzt wird. Cr bedanere, datz die Gelegenheit znr Ein-
er die Loyaliiät und Treue der Regierung anerkenne, so glaube
er doch, datz die treunendeu Punkte noch zu grotz sind, als
datz mau auf eine baldige Einignng hoffen könne. Das Ver-
laugeu nach längerer Setzhaftigkeit des Wählers bedeute zwar
keine Beschränkung des allgemeinen Wahlrechts (Zwischenruf
Dresbachsl) Wacker : Das ift nicht lohal gesprochenl Präsi-
dent Gönner: Jch habe den Zlvischenruf nicht verstan-
den. Wacker : Dreesbach hat mich eiuen Regierungskommissär
genauntl (Heiterkcit.) Der Vorschlag der Listenwahl wäre in
seinem ersten Teil acceptabel, aber nur unter der Bedingung,
datz die Parteieu diese Liften selbst aufstellen dürfen. F-ür die
Erhaltung der Ersten Kammer sei 'das Zentrum stets einge-
treten, anch damals, als die Nationalli'beralen dagegen los-
stürmten. Einen Todesritt für die Erste Kammer werde das
Zentrum aber auch nicht unternehmen. Wir sind mit einer
Reform cinverstandcn, aber nicht mit einer Erweiterung ihres
Budgetrechtes. Wir erwarten zwar keine Vorlage, die allen un-
seren Wünschen entspricht, aber die Punkte, deren Annahme
von vornherein ausgeschlossen ist, sollten nicht kommeu. Die
Frage der Wahlkreiseinteilung kaun auch getrennt vom Wahl-
rccht behandelt werden, erstere Frage ist aber die dringendere.
Redner hofft, datz yeute der Anfang zu einer Verständigung
mit der Regierung gemacht ist.
Abg. Heimbnrger (Dem.) stimmt in der Beurteilnng
der Regierungserklärung dem Abg. Dreesbach zu, wenn er auch
zugeben müsse, daß die Form wesentlich entgegenkommender
sei als früher. Das Wort „Kautele" werde jetzt nicht mehr
geuannt, die erwähnten Bedingungen laufen aber auf dasselbe
hiuaus. Auf deu Zcnsusvorschlag lasse sich die Demokratie
nicht ein. Der Vorschlag in Betrcff des längeren Aufenthalts
würde zu grotzen Schwierigkeiten führen, denn fast alle Wahl-
kreise sind Grenzbezirke. Die Listenwahl anf Vorschlägen von
Selbswerwaltungskörpern sei für die Demokratie unannehm-
bar. Er sehe. nicht so vertrauensvoll wie Wacker in die Zu-
knuft uud könne daher auch den heutigen Tag nicht als eincn
Markstein in der Wahlrechtsbewegnng ansehen.
Ministerialpräsident Schenkel findet es sehr erwünschj,
daß die Wahlrechtsfrage endlich einmal erledigt wird; des-
wegen dürfe mau aber nicht alles unbesehen annehmen, nur
um mit einem nicht beliebten Wahlrecht anfzuräumen. Wir
wollen dcn alten treuen Diener, dcr gute Dienste geleistet
hat, nicht hinauswerfen, sondern uns besinnen, wer an seine
Stelle treten soll. Der Bodcn ist durch die Crklärungen des
Staatsministers und der Parteiführer so geebnet, datz eine
Verständiguug im nächstcu LaNdtag wohl erzielt werden kann.
Er begrüße es, daß die Parteien sich nicht auf die Details
ihrer Änträge festlegen wollen. Den dogmatischen Grund-
satz der Sozialöemokratie, der nnbeschränktes gleiches direktes
allgcmeines Wahlrecht fordert auch für 21jährige und Frauen
begrcife er wohl; er wundere sich nur, datz Dreesbach nicht
für alle Schulentlassenen das direkte Wahlrecht fordert. (Oho l
tlnruhe bei den Sozialdemokraten.) Ein solches Wahlrecht be-
stehe nirgends. Das mache doch stutzig. Soll denn Baden
allein damit beglückt werden? Wenn man diesen grotzen Schritt
mache, sollte man doch an gewisse Cinschränkungen denken.
Zunächst komme das Proportionalwahlrecht in Betracht,
das allerdings gewisse Vorzüge besitze, aber andererseits auch
grotze Nachteile habe, namentlich insofern es den Partcien einen
zu grotzen Einflutz sichert. Die Regierung wolle sich daher
auf einen Versuch mit der Verhältniswahl beschränken, in dcr
Weise, datz es in den grotzen Städten zur Anwcndung kommt.
Die Frage sei aber uoch nicht abgeschlossen, sondern nnr
Gegenstand der Erwägnug. Ebenso erwägenswert wäre dic
Bestimmung, datz die Wähler eine Zeit lang am Orte der
Wahl ansassig sein müssen. Weiter sollte nur derjenige wahl-
berechtigt sein, der eine direkte Steuer bezahlt und in einem
gewisseii Zeitraurn vor der Wahl auch wirklich bezahlt hat.
Einen Zeiisus bedeute das nicht, weil die Menge der Steuer
nicht in Betracht kommt. Als dritte Einschränkung wurde ni
Erwägung gezogen, datz einc Teilung der Wahlbezirke statt-
findeii soll. Jn den großen Wahlbezirken soll nach dcm
Listensystem, in den kleinen direkt gewählt werdcn. Die
Listenwahl bezweckt, datz Männer gewählt werden, die nicht
durch die örtlichen Verhältnisse und Wünsche beeinflutzt sind.
Als Wahlkörper kämen Landwirtschafts-, Handels- und Hand-
werkskammern, Kreise und dergleichen in Betracht. Weiter
wäre eine Verstärkung des Budgetrechts der 1. Kammer wün-
schenswert. Die Regierung strecke. die Hand weit genug ent-
gegen; jetzt gelte es, die Wünsche auf ein bescheidenes Matz
zurückznführen, damit endlich cine Einigung erzielt wird. Er
hoffe uiid wünsche, datz auf dem uächsten Landtag das grotze
Reformwerk glücklich zu Ende geführt wird.
Abg. Wilckens (Natlib.) weist öen Vorwurf Drees-
bachs, datz die nationalliberale Partei die Reform nicht ernst-
lich betrieben habe, zurück. Die Ausführungen des Mini-
sters dcs Jnnern haben iu ihm den Eindruck erweckt, datz
wir vom Ziele doch noch ,viel weiter eüt-
fernt sind, als man nach der Rede des Staatsministers an-
nehmen konnte. (Sehr richtigl) Die Anträge der Kommission
halten sich in matzvollen Grcnzen, so datz man nicht von ex-
tremen Forderungen sprechen könnc. Den „alten treuen
Diener", das indirekte Wahlrecht, habe man lange genug ge-
habt, man könne ihn ruhig ziehen lassen (Bravol). Was in
Bayern und Hessen geschieht, könne man nicht ohne weitcres
auf das weit fortgeschrittencre Land Baden übertragen. Datz
das Wahlrecht an eine steucrpflichtige Leistung geknüpft wird,
sei nicht diskutierbar, wohl aber der längere Ausenthalt des
Wählers am Ort der Wahl. Auch der Listenwahl und der
Erweiterung des Bu'dgetrechts der Ersten Kammer könne seine
Partei nicht zustimmen. Sie werde an den Grundsätzen des
Kommissionsantrages festhalten. (Bravol)
Abg. Wacker (Zentr.) schlietzt sich den Ausführungen
Wilckens an und spricht seine Ueberraschung Aer die Rede
des Ministers Schenkel aus, der ihm wie ein Jupiter Pluvius
erschicnen sei (Heiterkeit). Ein Platzregen hätte nicht anders
wirken können. Der Minister des Jnnern habe die wohlthuenöe
Rcde des Staätsministers gewaltsam korrigiert. An dem all-
gemeinen Wahlrecht dürfe nicht gerüttclt werden. Gerade der
Umstand, datz das indirekte Wahlrecht ein treuer Diener war,
ist ein Beweis dasür, datz es nichts tangt (Sehr gutl). Der-
selbe sei übrigens längst von Binz charakterisiert als „Schäd-
ling" und dnrch andere Epitheta. Er könne durchaus nicht
zugeben, datz ein Boden gefunden ist, auf dem eine Verstän-
dignng möglich wäre. Jede Reform dürfe sich nur auf dem
Boden des allgemeinen gleichen Wahlrechts bewegen. Wenn die
Wahlrechtsvorlage den Charakter tragen würde, den der Mini-
ster des Jnnern bezeichnet habe, dann wäre ein Konflikt
unausbleiblich. (Bravol)
Abg. Muser (Dem.) möchte den Minister nicht so
sehr einen Jupiter Plutzius, der doch alles vom höheren Stand-
punkt aus betrachte, als vielmehr einen Verwässerungsminister
nennen. (Heiterkeit.) Seine Ausführungen waren nichts an-
deres als ein direkter Angriff auf das allgemeine Wahlrecht.
Wenn die Volksvertretung nur noch einen Funken von libera-
lem Geist in sich trägt, mutz sie dagegen Vevwahrung ein-
legen. Der Regierung kann es unmöglich an der nötigen Ein-
sicht, sondern nur am guten Willen fehlen. Sie hatte längst
Gelegenheit, ihren Standpunkt zu präzisieren. Vom sozial-
politischen Standpunkt aus wäre die Zensuswahl das Verkehr-
teste, was man sich denken kann. Es liege im Jnteresse der.
Regierung, es nicht zu einem Konflikt kommen zn lassen. Die
Volksvertretnng müsse schlietzlich budgetrechtliche Konsequenzen
ziehen, wenit öie Regierung nicht nachgebe. Noch sei es Zeit,
datz dieses leffte Mittel nicht angewendet wird; die Regie--
rung möge daher der Kammer die Hand reichen.
Abg. Geck (Soz.) hat den Eindrnck bekommen, datz wir
vom Ziel weiter entfernt sind, als je zuvor. Wacker habe
zu früh die Siegesflagge gehitzt, so datz er genötigt ivar, me-
selbe auf Halbmast zu setzen. (Heiterkeit.) Auf die Vorlage
werde seine Partei nicht eingehen.
Abg. D r e e s b a ch (Soz.) glanbt, daß wenn die national-
liberalc Partei fest aufgetrcten wäre, die Wahlrechtsfrage frü-
her hätte erledigt werden können. Minister Schenkel sei ebenso
reaktionär, wie scin Vorgängcr; er sei der festen Ueberzeu-
gung, datz män von.Schenkel das di'rekte Wahlrecht nicht be-
kommr. Er verbitte sich, daß man ihm vom Regierungstisch
aus lächerlich macht. Die Polemik des Ministers halte er
für durchans unzulässig. Der Minister des Jnnern sollte
doch einen andcren 'Ton annehmen, wenn man ihn überhaupt
noch ernst nehmen soll.
Staatsminister v. Braner kann nicht zugeben, daß ein
wescntlicher Unterschied zwischen seinen Acntzerungen und denen
des Ministers Schenkcl bestcht. Auf Einzclheiten dcs Ent-
wnrss wollc e'r nicht eingehen; das Hans mögc warten, bis
dersclbe borli'egt. Aufrichtig leid thucn ihm die heftigen
Aeutzerungen, die über die Reform der Ersten Kammer gefal-
lcn sind. Er möchte betoneii, daß, wenn auf diesem Gebiete
keinc Verständigung erzielt wird, die ganzc Vorlaqe scheitern
werde. Minister Schenkel habe mit sciner Aeutzerung die
Sozialdcmokraten gewitz nicht kränken, soiidcrn nur sagen wol-
len, wie schwer es ist, die richtige Altersgrenze zu finden. Wir
haben nur einen Fehler gemacht: datz wir Jhnen zu viel ge-
sagt haben. (Heiterkeit.) Das entspricht aber unserer Offen-
hcit.
Nach einem Schlußwort des Bcrichterstatters werden die
Kommissionsanträge einstimmig angenommen.
Schluß der Sitzung halb 2 Uhr. Nächste Sitznng: Nach-
mittag 6 Uhr. Tagesordnung: Antrag betr. Berechtignnq der
Realschulen.
Aus der Karlsruher Zeitung.
— Seine Königliche Hoheit der Großkerzog haben dem
Hauptmann der Landwehr a. D. Stadtrat Wilhelm Schlebach
in Karlsruhe die Erlaubnis zur Annahme und znm Tragen des
ihm von dem Kaiser verliehenen Roten Adler-Ordens 4. Klafse
Karlsruhe, 4. Juli. Am Miltwoch den 2., besuchten
der Großherzog und die Grotzherzogin auf dem Schaafberg
bei Baden das von den barmherzigen Schwestern vom
St. Vincentiusorden geleitete Pflegehaus. Gestern, den 3,
statteten Jhre Königlichen Hoheiten dem städtischen Hospital
einen Besuch ab, in welchem ebenfalls die Pflegeschwestern
des genannten Ordens wirken. Der Großherzog empfing
gestern Vormittag in Schlotz Baden den Kammerherrn und
Baurat Freiherrn Teuffel von Birkensee mit seinem Sohn,
Leutnant im Königlich Bayerischen ersten Cheveauxlegers-
Regiment, den Major du Mesnil, Bataillonskommandeur
im Jnfanterie-Regiment Nr. 135 und den Kirchenrat und
bisherigen Militär - Oberpfarrer Fingado nach desstn
Zuruhesetzung. Heute Vormittag hörte Seine Königliche
Hoheit den Bortrag des Geheimerats Dr. Freiherrn von
Babo und um 12 Uhr deujenigen des Generalleutnants
und Generaladjutanten von Müller. Da die Großherzog-
lichen Herrschaften am Mittwoch die projektierte Fahrt nach
Rothenfels des schlechten Wetters wegen nicht ausführen
konnten, werden diestlben heute Abend den Bcsuch bei
Jhrer Großherzoglichen Hoheit der Fürstin zur Lippe
nachholen.
Aus Stadt und Land.
H eidelberg, S. Juli.
* Prinz Max von Vaden traf gestern Mittag 12.27 Uhr
aus Karlsruhe hter ein, machte u. A. bet mehreren Pcofessoren
unserer Hochschule Besuche und reiste abends 6.42 Uhr wieder
nach Karlsruhe zurück.
Die Korps-Manöver des 14. Armeekorps werden voraiis'
sichtlich vom 22. bis 24. Scptember d. I. in der Gegend voN
Meßkirch abgehalten werden.
)!( Jn gemischter Kolonne machte heute Mittag eine
studentische Verbindnng einen Zug durch die Stadt. Voran
Wagen eine Musik, dann kam ein Antomobil, darauf einige Ztver-
räder, hierauf ein paar Chaisen, alle mit Angehörigen der Ver-
bindung besetzt. Dann solgten einige Reiter, weitere Chaisen unb
Zweiräver, gewiß ein bunter Zng!
I Eine unglanbliche Geschichte wird der „Frankf. Ztg." voN
hier berichtet. Danach hätte am 1. d. ein junger Student ver
Medizin infolge eines amerikanischen Duells sich die PulsaderN
geöffnet. Der Hausherr sei dazugekommen als der Todeskandidar
sich schon eine Anzahl tiefer Schnittwunden beigebracht hatk-
Man rief Aerzte. Während der Hausherr, die Aerzte erwarten":
bei dem Schwerverwundeten Wache hielt, erschien einer der fäR
Studenten, die mit dem Verwundeten das Duell ausqsmaaü
hatten, um zn erfahren, ob das „Urteil" vollstreckt sei. Da ^
noch Leben in dem „Verurtheilten sah, stieß er ihn mit de?
Fuße ans Bein nnd sagte verächtlich: „Pfui, der Kerl lebt 1
noch, der hat sich ja nnr gestupft!" — Uns kommt, wie gesaw'
die Geschichte unglaublich vor. „
A Vootsunfall. Ein großer Menschenauflauf entstand av
Donnerstag Abend VzH Uhr auf der alten Brücke. Eme attS
sehene hiesige Dame hatte mit dreien ihrer Pensionäre (2 Herr^
und 1 Dame) eine Bootfahrt sttomaufwärts unternommen
war den Tücken des Hackteufels zum Opfer gefallen. Das Bv
der lustigen Gesellschaft erhielt ein Leck und sank im Nu.
mit Mühe nnd Not retteten sich die so unliebsam Durchnälstsi
auf den Unterbau eines Brückenpfeilers, von woher sie SchEt
Morsch, nachdem er das Rufen der Schiffbrüchigen gev"
hatte, abholte.
* Znm Besten cmer Säuglingsanstalt ist uns em Aui ^
zugegangen. Des langen Landtagsberichts wegeu können ^
ihn leider heute noch nicht abdrncken, sondcrn müffen ihn >
die nächste Nummer dieses Blattes zurückstellen. ,
— Polizeibericht. Eine Näherin wurde wegen Umh-rzievff^
ein Dienstmädchen wegen Ruhcstörung und ein Arbeiter weg „
Bettelns verhastet. Zur Anzeige kamen S Personen we»
Ruhestörung. , g.)
Mannheim, 4. Juli. (NeneSchnellzngslokomot i v'
Heutc Vormittag traf hier eine der nenen 12 Schnenz
Lokomotiven ein, welche die badische Staatseisenbahnverwsn r
bei der Lokomotivenfabrik I. A. Maffei in München bestellt ^
Die Lokomotiven sind auf cine Geschwindigkeit von 120Kilon>
Baden-Baden, 4. Juli. (Todesfall). Der stüV^
ReichStagspräsident Freiherr Buol v. Berenbcrg tst heuie
im Alter von 60 Jahren gestorben. atti
- Konstanz, 4. Juli. (G erü cht.) Einem bestimu» ^ ,
tretenden Gerüchte zufolge soll, so meldet die hiesige »Abm?
Landeskommiffär Frhr. v. Bodman demnächst an Sten .
Herrn Eisenlohr zum Gcneraldirektor der Bad. Staats
ernannt werden. (?) , ,, ^„siahs,
Aus Baden. Mit Schluß des gegenwartigen Schu t he,
wird der Direktor der höheren Mädchenschule in Karis , Hitt
Geh. Hoftat Dr. Löhlein, in den Ruhestand ttetem
die verschiedeneu Parteien iu der Kommission ihre Sonder-
tvünsche zurückstellteu, um eine Einigung zu erzielen. Es sei
zu hosfen, dasz auch hier im Pleuum das Gleiche geschieht, und
datz die Regieruug deu billigeu WUnschen dcr Volksvertretung
«ntgegenkommt. Besouders ersreulich sei, datz die naiional-
liberale Partei die Kautelen fallen ließ. Auch die Regierung
sollte nun endlich dem Volke mehr Verrrauen entgegeitbringen
und ihre Bedenken fallen lasseu, um so mehr, als das badische
Bolk von jeher cin grotzes Matz politischer Einsicht an den
Tag gelegt hat, welche dic Gcwähr dafür bietet, datz es das
Vertrauen der Regierung nicht mitzbrauchen wird. Nicht nur
in Baden sei die Bewegung im Gange; auch in den Nachbar-
ländern wollc mau das indirckte Wahlrccht durch das direkte
ersetzen. Die badische Regicrung solltc vorangehen und in einer
Frage des Forrschrittes nicht zurückbleiben. (Bravol)
Staatsmiuisier v. Brauer legt den Standpunkt der Re-
gierung zur Wahlrechtsfrage dar. Die Rcgicrung habe wieder-
holt erklärt, datz sie an dem indirekten Wahlrecht nicht mehr
unbediugt festhalte. Sie erkenne vielmehr willig an, datz dcr
Zweck des indirektcn Wahlrechts, datz alle Jnteressengruppen
der Bevölkerung entsprechende Verkretung finden, heute prak-
tisch nicht mehr in Erschcinung tritt. Wenn nun die Regie-
rung bereit ist, die Mirwirkung an der Beseitigung der indi-
rekten Wahl uicht zu versagen, so spricht sie damit nicht aus,
datz das indirckte Wahlrecht einfach über Bord geworfen und
sonst alles beim Alten gelassen wird. Sie ist vielmehr der
Ansicht, datz mau sorgfältig prüfen mutz, wie Gewahr dafür
gegeben wivd, datz dic verschiedeneu Erwerbsklassen und Be-
rufsarten der Bevölkerung nach ihrer Zahl und Bcdeutung
vertreten sind. Die Regierung ist nun zuuächst der Meiuung,
datz mit diescr Frage die Reform der Ersten Kammer nicht ver-
bundeii werden sollte, wenu sie auch die Reformbedürftigkeit
anerkenne. Selbstvcrständlich wäre es nur ein Akt 'der Billig-
keit, datz wcnn die Zahl der Volksvertreter vermehrt wird,
auch die Erste 5lammer verstärkt wird. Ohnehiu stellt ja die
ZweiteKammer eine stattliche repräsentative Bersammlung dar,
während das audere Hohe Haus in dieser Hiusicht ein Manko
aufweist, das schon öfters cmpfin'dlich in Erscheinung getreteu
. wäre, weun nicht ganz hervorragende Äapazitäten dort sitzcn
würden, die den Mangel ausgleichen. Am Prinzip des allge-
rneinen gleichen Wahlrechts wolle die Regierung nicht rütteln,
aber es frage sich, ob man ein so schrankenloses Wahlrecht
einführcn solle. Auch in Bahern und Hessen habe man in
dieser Be^iehung allerdings nicht sehr einschneidende Beschrän-
kungen gcmacht, die von der Kammermehrheit nicht beanstandet
wurden. Man wird uns also nicht als schwarze Reaktionäre
bezeichnen können, ivenn wir den Gedanken erwägen, ob nicht
anch bei uns ähnliche Einschränkungen gemacht werden kön-
nen. Auf die Vorschläge in der Denkschrist, die den Beifall der
Kammer nicht gefundcn haben, kommen .wir nicht mchr zu-
rück. Wir wollen damit zeigen, datz es uns ernstlich um eine
Verständigung zu thuu ist. Jch halte übrigcns eine V«lks-
kammer deswegen noch nicht für unrein, weil indirckt 'Ge-
wählte darin sitzen (Heiterkeit). Wir werden bor allem die
Jdee erwägen, ob nicht neben den kleinen Wahlbezirken grötzere
aus den verschiedenen Körperschaften zu bilden sind (Ge-
lächter). Daueben kämcn noch andcre Punktc in Betracht,
über dic bereits Einigkeit herrscht, zum Beispiel die Jntegral-
erneuerung, cine mätzige Vermehrung der Zahl der Abgeordne-
ten unter gleichzeitiger Verstärknng der Ersten Kammer, Aende-
rung und Neubildung der Wahlkreise: gegen alle diese Neue-
rungen hat dic Regierung prinzipiell nichts einzuwendcn. Wir
stehen am Ende einer langen, arbcits- und erfolgreichen Ta-
gung, in der Sie in harmonischem Zusammenwirken mit der
Regierung ein überreichliches Budget gründlich geprüft und
zahlreiche Gesetze erledigt haben. Bei dieser Sachlage wird
wohl niemand erwarten, daß wir auch noch in der Wahlrcchts-
frage eine völlige Einigung erzielen. Aber wir sind wenig-
stens in unseren Anschauungen einander näher getrcten. Auf
dem nächsten Landtag wevden wir einen Geseh -
entwurf mit den ebeu vorgetragenen Grundsähen vorlegen.
Er hoffc, datz dann cine Verständigung erzielt wird, wenn man
einander entgegenkommt. Jedenfalls wird es die Regierung
an treuer, lopaler Mitwirkung an der Erreichung dieses Zie-
les nicht fehlen lassen.
Wg. Wilckens (Natlib.) erklärt namens der national-
liberaleu Partei, datz sie auf dem Boden der Kommissionsan-
träge stehe. Die jetzige Stellung der Regierung bedeute
nnzweifelhaft einen großen Fortschritt; sie stimmt der Ein-
führung der direkten Wahl zu und will im nächsten Landtag
einc entsprcchende Vorlage einbringen. Der Einführung der
Zensuswahl könne die nationalliberale Partei nicht zustim-
men, dagegen halte sie den längeren Aufenthalt der Wähler
an einem Orte für diskutabel. An den Grundzügen des Ent-
wurfs werde die nationalliberale Partei unter allen Umstän-
den festhalten, dagegen lasse sie über Einzelheiten mit sich
reden, z. B. Lber die Frage, ob in den grotzen Städten
das Proportionalwahlverfahren einzuführen sei. Den Ge-
danken, datz größere Verbände eine besondere Vertretung
erhalten sollen, wolle er nicht von vornherein perhorreszieren,
er möchte nur betonen, datz nicht etwa den Kreisen ein Vor-
fchlagsrecht eingeräumt werden darf. Die Hauptsache sei, batz
endlich die Frage einer Lösung entgegengeführt wird. Die
Zusammensetzung der Ersten Kammer sollte die Garantie
dafür bieten, datz die Jnteressen des Handels, Gewerbcs nsw.
kräftig wahrgenommen werden. Mit den im Kommissions-
bericht niedergelegten Grnndzügen der Wahlkreiseinteilung sei
die nationaNiberale Partei einverstanden: auch hier wcrdc sich
Ner untergeordnete Punkte wohl ein Einverständnis erzielen
lassen. Auf eine Erweiterung des Budgetrechtes wcrde sich
Lie nationalliberale Partei nicht einlassen. Einc Lösung der
Verfassungsreform werde sich wohl auf diesem Landtage nicht
erziclen lassen, aber man sei derselben erheblich näher gekom-
men. Vor allcm sei eine Einigung unter dcn Volksvertretcrn
erzielt, auch die Regierung sei weiter gegangen, so daß man
auf eine Verständigung im nächsten Landtaqe hoffen dürfe.
(Bravol)
Abg. Dreesbach (Soz.) glaubt, datz es wohl möglich
gewesen wäre, dem jetzigen Landtag eine Wahlrechtsvorlage
zu machen; aber seit Jahr und Tag habe man diese wichtige
Frage immer ans die letzten Tage verschoben und übers Knie
abgebrochen. Die grötzte Partei ist eben immer zu beschei-
den aufgetreten. Er gebe dem Staatsminister zu, datz die
Gegensätze sich gcmildert und die Parteien auf viele Forde-
rungen verzichtet haben, um eine Einigung zustande zu brin-
gen und datz auch die Regierung entgegengekommen sei, aber
sie habe an ihre Konzessionen Bedingungen geknüpft, welche
feine Partei niemals annehmen könne. Durch die Bedingung
des längereu Aufcuthalts würde hauptsächlich die fluktuierende
Arbeitsbevölkerung getroffen. Das allgemeine Wahlrecht habe
nicht einmal Eisenlohr angetastet. Der Vorschlag der Re-
gierung wurde eme Verschlechterung des Wahlrechts bedeuten.
Wir wollen aber ein fortschrittliches Wahlrecht. Er hoffc, datz
die Wahlrechtsvorlage auf den Grundsätzen der Kommissions-
anträge sich aufbaut.
Abg. Wacker (Zentr.) beurteilt die Regierungserklä-
rung wesentlich günstiger als Dreesbach; sie zeige ini allgc-
meinen Entgegenkommen, die Einzelheiten seien jedoch für
das Zentrnm absolut unannehmbar. FLr Herabsetznng des
Alters auf 20 Iahre, für den Sonntag als Wahltag und für
das Frauenstimmrecht sei das Zentrum nicht zu haben, wohl
aber dasür, datz das passive Wahlrecht auf das 26. Lebensjahr
herabgesetzt wird. Cr bedanere, datz die Gelegenheit znr Ein-
er die Loyaliiät und Treue der Regierung anerkenne, so glaube
er doch, datz die treunendeu Punkte noch zu grotz sind, als
datz mau auf eine baldige Einignng hoffen könne. Das Ver-
laugeu nach längerer Setzhaftigkeit des Wählers bedeute zwar
keine Beschränkung des allgemeinen Wahlrechts (Zwischenruf
Dresbachsl) Wacker : Das ift nicht lohal gesprochenl Präsi-
dent Gönner: Jch habe den Zlvischenruf nicht verstan-
den. Wacker : Dreesbach hat mich eiuen Regierungskommissär
genauntl (Heiterkcit.) Der Vorschlag der Listenwahl wäre in
seinem ersten Teil acceptabel, aber nur unter der Bedingung,
datz die Parteieu diese Liften selbst aufstellen dürfen. F-ür die
Erhaltung der Ersten Kammer sei 'das Zentrum stets einge-
treten, anch damals, als die Nationalli'beralen dagegen los-
stürmten. Einen Todesritt für die Erste Kammer werde das
Zentrum aber auch nicht unternehmen. Wir sind mit einer
Reform cinverstandcn, aber nicht mit einer Erweiterung ihres
Budgetrechtes. Wir erwarten zwar keine Vorlage, die allen un-
seren Wünschen entspricht, aber die Punkte, deren Annahme
von vornherein ausgeschlossen ist, sollten nicht kommeu. Die
Frage der Wahlkreiseinteilung kaun auch getrennt vom Wahl-
rccht behandelt werden, erstere Frage ist aber die dringendere.
Redner hofft, datz yeute der Anfang zu einer Verständigung
mit der Regierung gemacht ist.
Abg. Heimbnrger (Dem.) stimmt in der Beurteilnng
der Regierungserklärung dem Abg. Dreesbach zu, wenn er auch
zugeben müsse, daß die Form wesentlich entgegenkommender
sei als früher. Das Wort „Kautele" werde jetzt nicht mehr
geuannt, die erwähnten Bedingungen laufen aber auf dasselbe
hiuaus. Auf deu Zcnsusvorschlag lasse sich die Demokratie
nicht ein. Der Vorschlag in Betrcff des längeren Aufenthalts
würde zu grotzen Schwierigkeiten führen, denn fast alle Wahl-
kreise sind Grenzbezirke. Die Listenwahl anf Vorschlägen von
Selbswerwaltungskörpern sei für die Demokratie unannehm-
bar. Er sehe. nicht so vertrauensvoll wie Wacker in die Zu-
knuft uud könne daher auch den heutigen Tag nicht als eincn
Markstein in der Wahlrechtsbewegnng ansehen.
Ministerialpräsident Schenkel findet es sehr erwünschj,
daß die Wahlrechtsfrage endlich einmal erledigt wird; des-
wegen dürfe mau aber nicht alles unbesehen annehmen, nur
um mit einem nicht beliebten Wahlrecht anfzuräumen. Wir
wollen dcn alten treuen Diener, dcr gute Dienste geleistet
hat, nicht hinauswerfen, sondern uns besinnen, wer an seine
Stelle treten soll. Der Bodcn ist durch die Crklärungen des
Staatsministers und der Parteiführer so geebnet, datz eine
Verständiguug im nächstcu LaNdtag wohl erzielt werden kann.
Er begrüße es, daß die Parteien sich nicht auf die Details
ihrer Änträge festlegen wollen. Den dogmatischen Grund-
satz der Sozialöemokratie, der nnbeschränktes gleiches direktes
allgcmeines Wahlrecht fordert auch für 21jährige und Frauen
begrcife er wohl; er wundere sich nur, datz Dreesbach nicht
für alle Schulentlassenen das direkte Wahlrecht fordert. (Oho l
tlnruhe bei den Sozialdemokraten.) Ein solches Wahlrecht be-
stehe nirgends. Das mache doch stutzig. Soll denn Baden
allein damit beglückt werden? Wenn man diesen grotzen Schritt
mache, sollte man doch an gewisse Cinschränkungen denken.
Zunächst komme das Proportionalwahlrecht in Betracht,
das allerdings gewisse Vorzüge besitze, aber andererseits auch
grotze Nachteile habe, namentlich insofern es den Partcien einen
zu grotzen Einflutz sichert. Die Regierung wolle sich daher
auf einen Versuch mit der Verhältniswahl beschränken, in dcr
Weise, datz es in den grotzen Städten zur Anwcndung kommt.
Die Frage sei aber uoch nicht abgeschlossen, sondern nnr
Gegenstand der Erwägnug. Ebenso erwägenswert wäre dic
Bestimmung, datz die Wähler eine Zeit lang am Orte der
Wahl ansassig sein müssen. Weiter sollte nur derjenige wahl-
berechtigt sein, der eine direkte Steuer bezahlt und in einem
gewisseii Zeitraurn vor der Wahl auch wirklich bezahlt hat.
Einen Zeiisus bedeute das nicht, weil die Menge der Steuer
nicht in Betracht kommt. Als dritte Einschränkung wurde ni
Erwägung gezogen, datz einc Teilung der Wahlbezirke statt-
findeii soll. Jn den großen Wahlbezirken soll nach dcm
Listensystem, in den kleinen direkt gewählt werdcn. Die
Listenwahl bezweckt, datz Männer gewählt werden, die nicht
durch die örtlichen Verhältnisse und Wünsche beeinflutzt sind.
Als Wahlkörper kämen Landwirtschafts-, Handels- und Hand-
werkskammern, Kreise und dergleichen in Betracht. Weiter
wäre eine Verstärkung des Budgetrechts der 1. Kammer wün-
schenswert. Die Regierung strecke. die Hand weit genug ent-
gegen; jetzt gelte es, die Wünsche auf ein bescheidenes Matz
zurückznführen, damit endlich cine Einigung erzielt wird. Er
hoffe uiid wünsche, datz auf dem uächsten Landtag das grotze
Reformwerk glücklich zu Ende geführt wird.
Abg. Wilckens (Natlib.) weist öen Vorwurf Drees-
bachs, datz die nationalliberale Partei die Reform nicht ernst-
lich betrieben habe, zurück. Die Ausführungen des Mini-
sters dcs Jnnern haben iu ihm den Eindruck erweckt, datz
wir vom Ziele doch noch ,viel weiter eüt-
fernt sind, als man nach der Rede des Staatsministers an-
nehmen konnte. (Sehr richtigl) Die Anträge der Kommission
halten sich in matzvollen Grcnzen, so datz man nicht von ex-
tremen Forderungen sprechen könnc. Den „alten treuen
Diener", das indirekte Wahlrecht, habe man lange genug ge-
habt, man könne ihn ruhig ziehen lassen (Bravol). Was in
Bayern und Hessen geschieht, könne man nicht ohne weitcres
auf das weit fortgeschrittencre Land Baden übertragen. Datz
das Wahlrecht an eine steucrpflichtige Leistung geknüpft wird,
sei nicht diskutierbar, wohl aber der längere Ausenthalt des
Wählers am Ort der Wahl. Auch der Listenwahl und der
Erweiterung des Bu'dgetrechts der Ersten Kammer könne seine
Partei nicht zustimmen. Sie werde an den Grundsätzen des
Kommissionsantrages festhalten. (Bravol)
Abg. Wacker (Zentr.) schlietzt sich den Ausführungen
Wilckens an und spricht seine Ueberraschung Aer die Rede
des Ministers Schenkel aus, der ihm wie ein Jupiter Pluvius
erschicnen sei (Heiterkeit). Ein Platzregen hätte nicht anders
wirken können. Der Minister des Jnnern habe die wohlthuenöe
Rcde des Staätsministers gewaltsam korrigiert. An dem all-
gemeinen Wahlrecht dürfe nicht gerüttclt werden. Gerade der
Umstand, datz das indirekte Wahlrecht ein treuer Diener war,
ist ein Beweis dasür, datz es nichts tangt (Sehr gutl). Der-
selbe sei übrigens längst von Binz charakterisiert als „Schäd-
ling" und dnrch andere Epitheta. Er könne durchaus nicht
zugeben, datz ein Boden gefunden ist, auf dem eine Verstän-
dignng möglich wäre. Jede Reform dürfe sich nur auf dem
Boden des allgemeinen gleichen Wahlrechts bewegen. Wenn die
Wahlrechtsvorlage den Charakter tragen würde, den der Mini-
ster des Jnnern bezeichnet habe, dann wäre ein Konflikt
unausbleiblich. (Bravol)
Abg. Muser (Dem.) möchte den Minister nicht so
sehr einen Jupiter Plutzius, der doch alles vom höheren Stand-
punkt aus betrachte, als vielmehr einen Verwässerungsminister
nennen. (Heiterkeit.) Seine Ausführungen waren nichts an-
deres als ein direkter Angriff auf das allgemeine Wahlrecht.
Wenn die Volksvertretung nur noch einen Funken von libera-
lem Geist in sich trägt, mutz sie dagegen Vevwahrung ein-
legen. Der Regierung kann es unmöglich an der nötigen Ein-
sicht, sondern nur am guten Willen fehlen. Sie hatte längst
Gelegenheit, ihren Standpunkt zu präzisieren. Vom sozial-
politischen Standpunkt aus wäre die Zensuswahl das Verkehr-
teste, was man sich denken kann. Es liege im Jnteresse der.
Regierung, es nicht zu einem Konflikt kommen zn lassen. Die
Volksvertretnng müsse schlietzlich budgetrechtliche Konsequenzen
ziehen, wenit öie Regierung nicht nachgebe. Noch sei es Zeit,
datz dieses leffte Mittel nicht angewendet wird; die Regie--
rung möge daher der Kammer die Hand reichen.
Abg. Geck (Soz.) hat den Eindrnck bekommen, datz wir
vom Ziel weiter entfernt sind, als je zuvor. Wacker habe
zu früh die Siegesflagge gehitzt, so datz er genötigt ivar, me-
selbe auf Halbmast zu setzen. (Heiterkeit.) Auf die Vorlage
werde seine Partei nicht eingehen.
Abg. D r e e s b a ch (Soz.) glanbt, daß wenn die national-
liberalc Partei fest aufgetrcten wäre, die Wahlrechtsfrage frü-
her hätte erledigt werden können. Minister Schenkel sei ebenso
reaktionär, wie scin Vorgängcr; er sei der festen Ueberzeu-
gung, datz män von.Schenkel das di'rekte Wahlrecht nicht be-
kommr. Er verbitte sich, daß man ihm vom Regierungstisch
aus lächerlich macht. Die Polemik des Ministers halte er
für durchans unzulässig. Der Minister des Jnnern sollte
doch einen andcren 'Ton annehmen, wenn man ihn überhaupt
noch ernst nehmen soll.
Staatsminister v. Braner kann nicht zugeben, daß ein
wescntlicher Unterschied zwischen seinen Acntzerungen und denen
des Ministers Schenkcl bestcht. Auf Einzclheiten dcs Ent-
wnrss wollc e'r nicht eingehen; das Hans mögc warten, bis
dersclbe borli'egt. Aufrichtig leid thucn ihm die heftigen
Aeutzerungen, die über die Reform der Ersten Kammer gefal-
lcn sind. Er möchte betoneii, daß, wenn auf diesem Gebiete
keinc Verständigung erzielt wird, die ganzc Vorlaqe scheitern
werde. Minister Schenkel habe mit sciner Aeutzerung die
Sozialdcmokraten gewitz nicht kränken, soiidcrn nur sagen wol-
len, wie schwer es ist, die richtige Altersgrenze zu finden. Wir
haben nur einen Fehler gemacht: datz wir Jhnen zu viel ge-
sagt haben. (Heiterkeit.) Das entspricht aber unserer Offen-
hcit.
Nach einem Schlußwort des Bcrichterstatters werden die
Kommissionsanträge einstimmig angenommen.
Schluß der Sitzung halb 2 Uhr. Nächste Sitznng: Nach-
mittag 6 Uhr. Tagesordnung: Antrag betr. Berechtignnq der
Realschulen.
Aus der Karlsruher Zeitung.
— Seine Königliche Hoheit der Großkerzog haben dem
Hauptmann der Landwehr a. D. Stadtrat Wilhelm Schlebach
in Karlsruhe die Erlaubnis zur Annahme und znm Tragen des
ihm von dem Kaiser verliehenen Roten Adler-Ordens 4. Klafse
Karlsruhe, 4. Juli. Am Miltwoch den 2., besuchten
der Großherzog und die Grotzherzogin auf dem Schaafberg
bei Baden das von den barmherzigen Schwestern vom
St. Vincentiusorden geleitete Pflegehaus. Gestern, den 3,
statteten Jhre Königlichen Hoheiten dem städtischen Hospital
einen Besuch ab, in welchem ebenfalls die Pflegeschwestern
des genannten Ordens wirken. Der Großherzog empfing
gestern Vormittag in Schlotz Baden den Kammerherrn und
Baurat Freiherrn Teuffel von Birkensee mit seinem Sohn,
Leutnant im Königlich Bayerischen ersten Cheveauxlegers-
Regiment, den Major du Mesnil, Bataillonskommandeur
im Jnfanterie-Regiment Nr. 135 und den Kirchenrat und
bisherigen Militär - Oberpfarrer Fingado nach desstn
Zuruhesetzung. Heute Vormittag hörte Seine Königliche
Hoheit den Bortrag des Geheimerats Dr. Freiherrn von
Babo und um 12 Uhr deujenigen des Generalleutnants
und Generaladjutanten von Müller. Da die Großherzog-
lichen Herrschaften am Mittwoch die projektierte Fahrt nach
Rothenfels des schlechten Wetters wegen nicht ausführen
konnten, werden diestlben heute Abend den Bcsuch bei
Jhrer Großherzoglichen Hoheit der Fürstin zur Lippe
nachholen.
Aus Stadt und Land.
H eidelberg, S. Juli.
* Prinz Max von Vaden traf gestern Mittag 12.27 Uhr
aus Karlsruhe hter ein, machte u. A. bet mehreren Pcofessoren
unserer Hochschule Besuche und reiste abends 6.42 Uhr wieder
nach Karlsruhe zurück.
Die Korps-Manöver des 14. Armeekorps werden voraiis'
sichtlich vom 22. bis 24. Scptember d. I. in der Gegend voN
Meßkirch abgehalten werden.
)!( Jn gemischter Kolonne machte heute Mittag eine
studentische Verbindnng einen Zug durch die Stadt. Voran
Wagen eine Musik, dann kam ein Antomobil, darauf einige Ztver-
räder, hierauf ein paar Chaisen, alle mit Angehörigen der Ver-
bindung besetzt. Dann solgten einige Reiter, weitere Chaisen unb
Zweiräver, gewiß ein bunter Zng!
I Eine unglanbliche Geschichte wird der „Frankf. Ztg." voN
hier berichtet. Danach hätte am 1. d. ein junger Student ver
Medizin infolge eines amerikanischen Duells sich die PulsaderN
geöffnet. Der Hausherr sei dazugekommen als der Todeskandidar
sich schon eine Anzahl tiefer Schnittwunden beigebracht hatk-
Man rief Aerzte. Während der Hausherr, die Aerzte erwarten":
bei dem Schwerverwundeten Wache hielt, erschien einer der fäR
Studenten, die mit dem Verwundeten das Duell ausqsmaaü
hatten, um zn erfahren, ob das „Urteil" vollstreckt sei. Da ^
noch Leben in dem „Verurtheilten sah, stieß er ihn mit de?
Fuße ans Bein nnd sagte verächtlich: „Pfui, der Kerl lebt 1
noch, der hat sich ja nnr gestupft!" — Uns kommt, wie gesaw'
die Geschichte unglaublich vor. „
A Vootsunfall. Ein großer Menschenauflauf entstand av
Donnerstag Abend VzH Uhr auf der alten Brücke. Eme attS
sehene hiesige Dame hatte mit dreien ihrer Pensionäre (2 Herr^
und 1 Dame) eine Bootfahrt sttomaufwärts unternommen
war den Tücken des Hackteufels zum Opfer gefallen. Das Bv
der lustigen Gesellschaft erhielt ein Leck und sank im Nu.
mit Mühe nnd Not retteten sich die so unliebsam Durchnälstsi
auf den Unterbau eines Brückenpfeilers, von woher sie SchEt
Morsch, nachdem er das Rufen der Schiffbrüchigen gev"
hatte, abholte.
* Znm Besten cmer Säuglingsanstalt ist uns em Aui ^
zugegangen. Des langen Landtagsberichts wegeu können ^
ihn leider heute noch nicht abdrncken, sondcrn müffen ihn >
die nächste Nummer dieses Blattes zurückstellen. ,
— Polizeibericht. Eine Näherin wurde wegen Umh-rzievff^
ein Dienstmädchen wegen Ruhcstörung und ein Arbeiter weg „
Bettelns verhastet. Zur Anzeige kamen S Personen we»
Ruhestörung. , g.)
Mannheim, 4. Juli. (NeneSchnellzngslokomot i v'
Heutc Vormittag traf hier eine der nenen 12 Schnenz
Lokomotiven ein, welche die badische Staatseisenbahnverwsn r
bei der Lokomotivenfabrik I. A. Maffei in München bestellt ^
Die Lokomotiven sind auf cine Geschwindigkeit von 120Kilon>
Baden-Baden, 4. Juli. (Todesfall). Der stüV^
ReichStagspräsident Freiherr Buol v. Berenbcrg tst heuie
im Alter von 60 Jahren gestorben. atti
- Konstanz, 4. Juli. (G erü cht.) Einem bestimu» ^ ,
tretenden Gerüchte zufolge soll, so meldet die hiesige »Abm?
Landeskommiffär Frhr. v. Bodman demnächst an Sten .
Herrn Eisenlohr zum Gcneraldirektor der Bad. Staats
ernannt werden. (?) , ,, ^„siahs,
Aus Baden. Mit Schluß des gegenwartigen Schu t he,
wird der Direktor der höheren Mädchenschule in Karis , Hitt
Geh. Hoftat Dr. Löhlein, in den Ruhestand ttetem