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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Juli bis Dezember)

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Nr. 203-228 (01. September 1902 - 30. September 1902)
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Mittwoch, 10. Scptmicr 1902.

Grstes Blatt.

44. JahiMg. — KL 211.

E rscheint täglich Sonntags ausgenomrnen. Preis mtr Familienblältern monatlich 50 Pfg. m's Haus gcbracht, bei dcr Expedition und den Zweigstellen abgeholt 40 Pfg. Durch die Post be-
. .... s°gen vierteljährlich 1.35 Mk. ausschlietzlich Zustellgcbühr.

A nzeigenpreis: 20 Pfg. für die Ispaltige Petitzeile oder deren Raum. Reklamezeile 40 Pfg. Für hiesige GeschäftL- nnd Privatanzeigen ermähigt. — Für die Aufnahme von Anzeigen an bestimmt
vorgeschriebenen Tagen wtrd keine Lerantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Znserate auf den Plakattafeln der Heideibcrger Zeitnng nnd den städt. Anschlagstellen. Fernsprech-Anschlutz Nr. 82

WationaMberale Iugendvereine.

Fiil Auschliiß au die Vertreterversaubmlung der nat.-
lib. Iiigeudvercme am 12. uitd 13. September tagt am
Soniltag den 14. September zum erstenmale auck) der
Verbandsta g dieser Vereine in D ü s s e l d o r f.
Satznngsgemäß siiidet ein solcher nur alle drei Jahre
statt. Bet der regen Thätigkeit, welche die nat.-Iib. Ju-
gendvercine mährend der knrzen Zeit ihres Bestehens
entsalteten, ist zu erwarten, daß der „Tüsseldorfer Tag"
von den 20 zum Verband zählenden Vereinen zahlrcich
beschickt und von der nat.-Iib. Jugend hierbei wie bisher
daS gleiche freudige Bestreben znm Ausdruck gelangeu
wird, die Ueberlieferungen der nat.-lib. Partei znr Wah-
rnng der nationalen nnd ideellen Güter unseres Volkes
auch für die Zukunft lebendig zu eryalten. — An dem
Verbandstage gedenkt der ^renior der Partei, der von
Anbeginn der Jugendbäwegung das größte Anteresse ent-
gegenbrachte und ihr die weitestgehende Jörderung an-
gcdeihen ließ, Tr. Hammacher, teil zu nehmen. Jm
Mrtelpimkt der politischen Erörterungen des Verbands-
tages steht die sozialpolitische Frage, zn der Reichstags-
abgeordneter Tr. Hieber zn einern einleitenden Vortrage
das Wort ergreifen wird.

Wom Kaisermanöver.

PotsLam, 9. Sept. Der Kaise^ nnd der
Ä r o n prinz haben sich heute früh nach Sonneiiburg
zu den Manövern begeben.

F r ankfurt a. O., 9. Sept. Die aIlgemeine
Kriegslage der heurigen Kaisermanöver lautet:
Ein „rotes" Armeekorps ist über die Weichsel in der
Richtung nach Rogasen, ein anderes von Süden durch
Schlesien in der Richtung auf sagan vorgegangen. Ein
„blaues" Armeekorps wivü bci Frankfurt a. O. versam-
melt.

F rankfurt a. O., 9. Sept. Das d r i t t e,
bIaue Armeeko r p s besteht aus der 6. nnd 6.
Divisiou, der 1. Gardeinfanteriedivision und der Kaval-
leriedivision .V. Die beidcn ersteren standen am Morgen
bei Drossen, die Garde bei Landsberg und die Kaval-
leriedivision bei Tempel, westlich von Meseritz. Das
fünfte, rote Armeekorps besteht aus der 9.,
10. nnd 41. Division und der Kavalleriedivision ir. Tie
drci crsten standen morgens östlich, die Division 13 süd-
westlich von Meseritz. Das blane Armeekorps rückte
nach Osten, das rote nach Westen vor. Bei Tempel
fanden kürzere KavalleriezusaiMienstöße nnd ein Artil-
leriegefecht statt. Den Manövern wohnte der Kaiser, die
Prinzen und die fremden Offiziere bei. Die Prinzen
Albrecht und Friedrich-Leopold sowie die nichtpreußischen
Prinzen und die fremden Offiziere kehrten am Nachmit-
tag nach Frankfurt zurück. Der Kaifer nnd der Kron-
Prinz begaben sich nach Sonneburg.

Hrauerfeier für Wirchorv.

Berlin, 9. Scpt. Die Stadt Berlin Lereitete hente
Vormittag ihrem Ehrenbürger 'Rudolf Vir ch o w eine
Trauersier im Festsaal des Rathauses. Der
Festsaal zeigte reichcn Tranerschmnck, an der dem Ein-
gang gegenüber licgenden Schmalseite war der Sarg
aufgebahrt. Fn der Tranerversammlung sah man zahl-

reiche Gelehrte, Aerzte, Ltadtverordnete, SNagistratsmit-
glii'der und Parlamentarier. Als Vertreter des Reichs-
kanzlers erschien der Chef der Reichskanzlei, Geh. Rat
Conrad, ferner waren anwesend Ltaatssekretär Frhr. von
Richthofen, sowie die iNinister Frhr. v. Rheinbaben und
Dr. Stiidt. Von den anwesenden Professoren seien
Momm'sen nnd v. Bergmann hervorgehoben. Zahlreiche
studentische Abordnnngen mit Bannern waren im Hinter-
grnn'd des Saales aufgestellt. öcachdem die Familie
Virchows erschienen war, sang der Tomchor ein Lied.
Prediger Kirmß hielt die Gedächtnisrede, der Anatom
Geh. Rat Waldeyer feierte Virchow als Fürst der Wissen-
schaft, der Abgeordnete Traeger als Menschen und Poli-
tiker, Oberbürgerineister Kirschner als einen um die Sta'dt
Berlin höchst verdienten Bürger. Nach einem Gcfang
des Domchores bildete sich der Trauerzug, der die ftevb-
lichen Uebcrreste Virchows dnrch die Stadt zum Mathäi-
Friedhof geleitete. Hinter dem sarge schritten in erster
Reihe der Oberbürgermeiste>r, der Knltusminister nnd
der Stadtverordnetenvorsteher Dr. Langerhans. Die
Straßen waren von einer großen Menschenmenge besetzt.
Ter fast eine halbe Stnnde dauernde Tranerzug langte
gegen 3 llhr am Friedhofe an. An der Gruft sprach der
Geistliche kurze Worte nnd segnete die Leiche ein. «o-
dann wnvde die sterbliche Hülle Virchows der Erde über-
geben. _

Deutsches Reich.

— Das „Armeeverordnungsblatt" verössentlicht eine
Kabinetsordre betresfend die Abänderung der Verordnung
über E h r e n g e r i ch t e d e r O f f i z i e r e im preußi-
schen Heere, wonach die den Ehrengerichten unterwor-
fenen s a n i t ä t s o f f i z i e r e der Armee, Marine
und Lchutztruppcn in einem ehrengerichtlichen Verfahren
gegen Offiziere nicht zu vereidigen sind, sondern die Rich-
tigkeit ihrer Aussagen auf Ehre nnd Pflicht zu ver-
sichern haben.

— An den öffentlichen Anschla gsäulen in der
Stadt Posen ist die im Landeshause gehaltene Rededes
Kaisers zur Kenntnis der Bevölkerung gebracht worden.
Dasselbe soll auch an entsprechender Stelle in anderen Orten
der Provinz geschehen. Bisher war es in Deutschland nicht
üblich, politische Reden an den Anschlagsäulen zur Kenntnis
der Bevölkermig zu bringen. Jn Frankreich geschieht es
allerdings.

H a m b u r g , 9. Sept. Laut eiuer bei dem hiesigen
haitianischen Konsulat eingegaugencu Benachrichtigung
des haitianischen Gesandten in Berlin hat die provisorische
Regierung infolge der 1i u r u h e n auf Haiti die
S ck l i e ß u n g der Häse n von Gonaives, St. Marc
und Port du Pair für sremde Schiffe versügt. Der
Gesandte macht hiervon im Austrage des Präsidenten
dcr Provisori'schen Regieruug Mitteilung. Jnfolgedessen
werden für die gcnannten drei Häfen vorläufig kcine
Fakturen, Manifestationen und andere Dekrete gezeich-
net.

Baden.

L.O. S t. Blasien, 9. Sept. Eine zahlreich besuchte
Versammlung des Nationalliberalen Bezirks-
vereins St. Blaficn sprach stch im Anschluß an einen
Vortrag dcs Landgerichtsrats Schwoerer einstimmig und

entschieden gegen die Zulassung von Männerklöstern
in Baden aus.

Ausland.

Oestcrrcich-Ungarn.

Wien, 9. Sept. Jn Mährisch-Ostrau, wo die Mehrheit
der Bevölkernng noch deutsch ist, wurde gestern eiu
tchechischcs Sokolfest veranstaltet, das cine deutsche
Gegenkundgebungzur Folge hatte. Die Unterbehörden
hatten anfangs aus Furcht vor Zusammenstößen beide
Feste verbolen, die Oberbehörden gaben beide frei, trafen
aber genügende Maßregeln zur Aufrechterhaltung der Ruhe.
Die tschechischen Turner zogen unter dem Schutz von 200
Gendarmen ein und wurden von der deutschen Jungmannschaft
mit Katzenmusik empfangen. Der erste Wagen, in dem man
den bekannten Prager Exbürgermeister Dr. Podlipny ver-
mutete, wurde mit faulen Eiern beworfen. Der tschechische
Festplatz war militärisch besctzt und das Schauturnen wurde
unter militärischem Schutz obgehalten. Das gleichzeitige
deutsche Volksfest verlief ohne Störung. Erst gegen 9 Uhr
abends versuchte cin Pöbclhaufe gegen das deutsche Haus,
aus dem deutsche Lieder erklangen, vorzudringen. Gen-
darmerie und Militär schritten e!n und räumten die Stra-
ßen, worauf wieder vollständige Ruhe einkehrte. Es geht
doch alleweil recht gemütlich zu in Oesterreich.

Belgicn.

Brüssek, 9. Sept. Weitere aus der Vallee ds
Suchou eingetroffene Nachrichten erklären die Meldnng,
der Ordonnanzofsizier des Künigs der Belgier, Leuk-
nant Binje fei am Fuße des Maladetta von einenm Bären
getötet worden, für unbegründet.

Frankreich.

P aris, 9. Sept. Das hiesigc Bnreau des argen-
tinifchen Bkattes „Prensa" bringt eine Depesche, wonach
die Stadt Bolivar in der Provinz Buenos-Aires
durch einen Wirbelsturm fast vollstän'dig zerstört
wurde. 10 Personen wnrden getötet und 50 permnndet.

England.

— Ter amtliche Jahresbericht über die Streiks
der englischen Gewerks- und Arbeiterschaft für 1901
berechnet den Ansfall sür diefe Zeit aus nicht weniger als
vier Millionen Arbeitstage, die sich, auf die ganze indu-
strielle Bevölkeriing des Vereinigten Königreichs verteilt,
anf einen halben Tag pro Kopf stellen, bezw. auf zwan-
zig Tage für jeden an den Ausständen Beteiligten. Wäs
die Strciks selbst angeht, so kann nnr derjenige in
Grimsby, wo die im Fischfange beschäftigten Leute in
den AnsstaNd traten, Ansprnch arif Bedentnng machen.
Den nnparteii'schen Schiedsgerichten wnrden 685 Fälls
nnterbreitet, während 642 andere Fülle, die zum offenen
Ansstande von 180 000 Arbeitern (oder 2 Prozent der
indnstriellen Bevölkerung des Vereinigten Königreichs)
mhrten, darin nicht einbegriffen sind.

London, 9. Sept. Allseitig giebt män zu, daß
Deiitschkand in der H a i ti - A n g sle g enh e i t
'das Recht völlig auf seiner Seite habe. Das Gesindel,
das sich in gewissen Teilen Südainerikas ewig hernm-
streite, sei eine Pest für den Geschäftsverk'ehr zivilisierter

Aom Karnöurger Hrientalisten-Kongreß.

Man schreibt der „Frankf.Ztg." aus Hamburg vom 8. d.:
Jn der 2. Plenarversammlung, die heute stattfand, sprach
Angelo Gubernatis in längerem französtschem Vortrage
über „Sakuntala und Grisclda". Er zeigte in einer scharf-
sinnigkn eingehenden Untersuchung, daß die Sakuntala des
Calidasa und die Griselda des Boccaccio sagengeschichtlich
derwandte Gestalten sinv, dercn gemeinschaftliche Quelle ein
altindischer Aurora-Mythus ist. Von einem der griechischen
Namen für die Göitin der Morgenröte (Chryseis, Chry-
salis) kommt der Namc „Grisclda" der italienischen Sage;
aus der griechischen Quelle hat Boccaccio geschöpft. Die
Demut und Unterwürfigkeit der Griselda-Genovefa aber
^rinnert an die ursprüngliche Herkunst aus einem Lande,
b>o die Unterordnung der Frau unter den Mann noch bis
vor Kurzem so weit ging, daß die Witwe stch verbrannte.

„Die Stufen des sprachlichen Bedeutungswechsels" be-
handelte Prof. Lefmann-Heidelberg. Sein Vortrag be-
Sweckt im Wesentlichen, die Notwendigkeit der Erforschung

vor der grammatischen Epoche der Sprache liegenden
^adikalen Grundformen zu beweisen. Es zeigte sich, daß
^Uf arischem und semitischem Boden der Laut- und Be-
^utungswandel gesetzmäßig vor sich geht, und die Wissen-
jchaft hat die gleicheu Gesetze dicses Prozesses zu unter-
suchen.

Einen sehr fesselnden Vortrag hielt sodann Geheimrat
^rof. M e r x - Heidelberg über „Den Einfluß des alten
Testaments auf die Entwicklung und Ausgestaltung der

Universalgeschichte". Er zeigte, wie der Begriff einer
„Weltgeschichte" erst das Produkt einer Verschmelzung von
Hellenismus und Hebraismus ist. Während dte griechische
Geschichtsschreibung zunächst national war und erst in einer
langen Entwicklung, die m!t der dcs römischen Reiches zur
Weltherrschaft parallel ging, dcn Gedanken einer „all-
gemeinen Gcschichte" und schließlich in der Stoa, auch den
der Brüderlichkeit und Einheit des Menschengeschlechtes
fand, macht es das Bedeutende der jüdischen
Geschichtsschreiber aus, daß diese Verfasser ihre
lokalen Sagen sofort in das allgemeine Wcltsystem e!n-
fügen. Alle ihre Berichte kulminieren schon um 800 v. Chr.
im Gedanken der menschlichen Einheit, und tiefsinnig finden
sie für die bestehende soziale Ordnung einen sittlichen Er-
klärungsgrund, indem sie sie auf den Sündenfall gründen:
Ehe, Familie und Arbeit rühren ihnen daher. Der Jah-
vist steht seine Aufgabe darin, die Reihe der sittlichen
Zwecke zu erkennen; nicht die Einzelvorfälle, sondern die
großen beherrschcnden Gedanken sind ihm das eigentliche
Objekt des Historikers: die Geschichte wird zur Theodicee."
Der Redner trat hier der jetzt herrschenden wissenschaft-
lichen Strömung entgegen, die durch MS Schlagwort „Babel
und Bibel" gekennzeichnet wird, in der Babel Allcs und
Bibel nichts ist. Man spreche immer von den Entlehnungen
des alten Testaments bei Babyloniern und Phoeniciern,
vergesse aber den fundamentalen Unterscbied, daß die letzteren
Materialisten und Evolutionisten, die Juden aber Theisten
und Creationisten sind- Dem Elohisten der Bibel ist das
gcnealogische Moment, die Abfolge der Synchronismen zu
verdanken. Diese Jdeen des alten Testaments wurden bei

der durch das Christentum vermittelten Berührung beider
Welten sofort von den Griechen übernommen. Den Apo-
logeten des neuen Glaubens erschien jetzt die ganze Ge-
schichte als eine große Hinführung zu dem ncuen Volke
der Christen. Von diesem Standpunkte ist das Werk des
Eusebius geschrieben, welches die Mutter aller späteren
Geschichte» geworden und von dem die Jdee einer Univer-
salgeschichte ausgegangen ist.

Kleine Zeitung.

— Bonn, 9. Sept. Der Kaiser wird voraussicht-
lich im Laufe des nächsten Monats hier eintreffen, um der
Jmmatrikulation seines zweiten Sohnes, Friedrich
Eitel, beizuwohnen. Der Prinz wird mit dem nächsten
Wintersemester die hicsige Universität beziehen und in der
kaiserlichen Villa wohnen.

— Kroiiprinzcssin Stcphanic von Ocstcrrcich weilt
gegenwärtig, do sie sich seit gerauiner Zeit leibend fühlt,
znr Luftknr in Cromer an der Ostküste Englands. Jn
ihrer Begleitung befindet sich neben ihrem Gemahl, dem
Grafen Elsnicr Lonyay, nnr eine ihrer Kammerzofen.

— Pantvffcl ans Papicr. Zwei anf der Reise sehr
notwendige Gegenstände findet der Reisende in den Ho-
tels meistens nicht vor; es sind dies: Pantvffel und Seife.
Dennoch sind Pantoffel bei der Ankunft, sowie abends,
wenn män sich auf sein Ziinmer zurückgezogen hat, un'd
morgens beinr Ankleiden eine ebenso notwendige, wie
angene'hme Fußbekleidung. Bei knrzen, Plötzlich ange-
tretenen Tonren hat man dieses Bekleidnngsstück' sehr
oft pergessen, oder bei der Ankunst noch nicht ausgepackt.
 
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