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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Juli bis Dezember)

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Nr. 203-228 (01. September 1902 - 30. September 1902)
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Mittwoch, 3. September 1902.

Evstes Blatt.

44. Jahrgang. — 205




E rscheint täglich Sonntags ausgenommen. Preis mit Familieublüitern monatlich 50 Pfg. in's Haus gebracht, bei der Expedition uud den Zweigstellen abgeholt 40 Pfg. Durch die Post be-
» . ?ogen vierteljährlich 1.35 Mk. ausschließlich Zustellgcbühr.

« nzeigenprers: 20 Psg. für dte Ispaltige Petitzeile oder deren Siaum. Reklamezeile 40 Pfg. Für hicsige Geschäfts- nnd Privatanzeigen ermäßigt. — Für die Aufnahme von Anzeigen an bestimmt
oorgeschriebenen Tagen wird keine Verantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Inserate auf den Plakattafcln der Hcidelberger Zeitung nnd den städt. Anschlagstellen. Fernsprech-Anschlnß Rr. 83

Für den Bionat

Septembev

nehrnen sämtliche Postanstalten und
Postbotcn Bestellungcn auf die
„Heidelberger Zeituug" noch
jetzt entgegen. Die „Heidelberger
Zeitung" kostet, durch die Post be-
zogen, nur

«fstenmg pro Msnst.

Kie Stell'nng d-s Ir-Ichskanzl-rs zum Aaljer.

Ilober die S t e I l u n g des R e i ch s k a n z I e r s
Ftim Ka i s e r, über die tn den letzten Jahren mitümrholt
lt.aatsrechtliche Betrachtungen angestellt worden sind, nud
die nLNlenttich nach Veröffentlichnng der Münchener De-
Peschan wieder Gegenstmrd lebhafter Auseinandersetzun-
SNi war, sindeu wir in der „Neuen Züri-cher Zeitung"
eine Auslassung, die, mag man ihr nun in vollem Matze
sustinmien oder nicht, jedensalls den Vorzug hat, von den
GLsichtspnnkten praktischer Politit auszugohen, imd den
Vdrsuch zu nWchen, sich mit den Dingen, wie sie nuil ein-
uial liLgen, abzufinden. Der Berliner Mitarbeiter des
Züricher Btattes kätzt sich darüber folgendermatzen aus:

Wenir nun heute Bülow oder irgend ein Mmister
wegeu der Verantwortlrchkeit die Kabinetsfrage stellt, so
ijt hundert gegeu eins zn wetten, daß der Kaiser schlank-
cheg dcm Betreffenden in Ilngnade entlätzt, sich einen ge-
ichrneidigeren Minister oder Reichskanzler nimmt und
bor allen Dingen anch einen solchen findet. Und ebenso
sst hundcrt gegen eins zn wetten, daß die Mehrheitspar-
teien des Reichstages vielleicht einige schöne Reden zu
Ehren des Gefallenen halten, dann aber mit dem neuen
Minister ruhig lveiter arbeiten würden, ohne dcn ge-
i'ingsten wirt'Iich ernsthasten Bersuch zu machen, dem
Kaiser einen bestimmten Minister aufzuzwingen. Der
ueue Atinister wäre dem Herrscher gegenüber alsbald
genau in derselben Lage, wie etwa der gestürzte Gras
Vükow. Die Minister nnd der Reichskanzler smd nicht
die vom Parlament gestellten Vertrauenspersonen der
inaßgebenden Parteien, sondern- vom Kaiser berufene
^Diener" der Krone. Nur wenn einmal ein halbes
Dutzend Männer aus dem hohen Dienstadel sich hinter-
emander weigerten, eine kaiserliche Berufung anders an-
Aunehmen, als mit dem sesten Versprechen des Kaisers,
ne als wirklich verantwortliche Ratgeber walten zu las-
Wn, und wenn jeder von ihnen sofort sein Amt nieder-
kkgte, sobald das Versprechcn nicht strenge innegehalten
würde, könnte sich das jetzige Verhältnis ändern. Oder
stuch, wenn eine seste parlamentarische Mehrheit den
Kstiser einmal zwänge, einen Minister oder Reichskanzler
Zu Pehalteu, obgleich Se. Majestät dessen Selbständigkeit
Uscht ertragen will. Aber diesc Entscheidung ginge durch
^nien Konflikt, imd -ie Bnndesfürsten müßten dabei mög-

lichst auf Seiten des Reichstagcs stehen. Solange der
eine oder andere Fall nicht eintritt, ist eine grundsätzliche
Besserung nicht zu erwarten. Höchstens eine Ueberklei-
sterung von Fall zu Fall. Darnm wird auch bei einer
späteren parlamentarischen Behandlung der Kaiser-
depesche nichts weiter herauskommen, als was bei einer
srüheren Gelegenheit ein hoher fürstlicher Mnnd drastisch
nngefähr in die Worte faßte: „Wenn sie genug geschwatzt
haben, hören sie von selbst aus!" Das ist tranrig, aber
wahr. Denn wer glaubt wohl, daß eine ReichStagsmehr-
heit wegen dcr Dcpcschengeschichte einen wirklichen Kon-
slikt mit der Krone konstruieren nnd durchfechten wollte,
und wer, datz sich Graf Bülow oder ein andercr NNinister
dabei als Sturmbock gegen den Kaiser hergeben würde?
Graf Bülow hat seine Lausbahn als Diplomat, nicht als
Parlainentarrer gemacht, imd er behandelt, soweit man
bis jetzt sehen konnte, auch als Reichskanzler den Kaiser
und die Volksvertretunq ganz nach diplomatischen Re-
zepten. Manchmal schimpsen die Lente darüber, aber
osfen gestcmden, lvie soüte er wohl bei der Lage unserer
ganzen Verhällnisse anders verfahren, wenn er übcrhaupt
sich haltcn und etwas sördern will? ZNan sagt, er solle
als starker Löwcnbändiger gegen dcn Kaiser auftreten
oder mit großer Gebärde gehen. iLchön! Und was ge-
wänne män dabei, oder wie würde eS mit seinem Nach-
folger bestellt sein?

M diplomalische Mertretung der sranzöfischen
Wepuölik.

P a r i s, 31. Aug.

Die „Reinigung" des sranzösischen höheren diplo-
matijchen Dienstes von den noch rückständig gebliebenen
aristokratischen und zweifelhast republikanischen, wo nicht
gar zweifellos antirepüblikanischen Elementen, so schreibt
man der „Allgem. Ztg.", wird von der Regierung der
Republik seit Jahren angestrebt; die Sache sieht aber
leichter aus, als sie ist, und so hat die Operption denn
bis jetzt mannigsachen Aufschub imd vielfache Unterbrech-
ungen erfahren.

Das zweite Kaiserrcich hatte sich darin gefallen, sich
möglichst an allen europäischen Hösen, namentlich den
großen, mir durch Edelleute ans alten Häusern, durch den
Eegitimsten Adel, diesen sogar gegen die kaiserlichen
Titelträger bevorzugend, vertreten zu lassen. Gambetta,
obwohl der vornehmste Grundstcinlegcr der hentigen
srcmzösischen Republik, hatte die Eigentümlichkcit (anch
die jüngsten Veröfsentlichimgen ans den Gallisfetschen
Memoiren legen dasür Zeugnis ab), sei es im Gesühl
seiner Atacht nnd Stärke und im Glauben an die Zn-
kunft der Republik gnand meme, sei es cms einem ihm
nicht ganz abzusprechendcn Snobismus, 'der ihn mit
hochadeligen, selbst sürstlichen Bekcmntschaften Prahlen
ließ, in der Armee sowohl, wie im auswärtigen Dicnst
den Protektor der Aristokratie auch dann zu spielen, wenn
diese kaum verschleiert antirepublikanisch und offen ein-
gestanden klerikal war. Später, zur Zeit, als der rädi-
kale Herr Goblet hier leitender Minister war, wurden,
bevor noch die gleichen Bestrebungen in dcr Armeo cin-
setzten, im auswärtigen Dienst die ersten systematischen
Versuche unternommen, die Aristokratie abzudrängen imd
die Demokratie vorzuschrieben. Tie Wahl der Personen
war hierbei nicht immer glücklich, auch das Hin- und Her-

schwanken der politischen Strömungen in Füankreich
selbst wirkte aushaltend, und so ist es denn gekominen,
daß man am Quai d'Orsay zwar aümählich und ziemlich
ohne Unterbrechung das diplomatische Korps von unten
heranf demokratisierte, daß man wenigstens adelige Aspi-
rcmten kaum noch zuließ, daß man aber gleichzeitig die
obersten Stellen an den großen europäischen Hösen, noch
immer ans Opportunitätsgründen, mit Edelleuten be-
sctzte.

Die Ereignisse der letzten Jahre nim, das Entstehen
des NationaliSmns ans aggressiv repnblikfeindlicher nnd
ebenso aggressiv nltrcimontaner Grundlage, die Bedroh-
img der Repnblik durch diesen Nationalismus znr Zeit
der Dreyfus-Affäre und die mit diesen Vorgängen siic
die herrschendene republikanischen Krcise verbnndene Er-
kenntniS, daß das Offizierkorps der Armee nnd das
diplomcitische Korps zn einem bedenklich großen Teil rein
nationalistisch war imd ist, haben endlich zu durchgreifen-
den Maßregekn geführt. Das Ministcrinm Waldeck hat
den Kamps gegen den Nationalismns da, wo er momcn-
tan am gefährlichsten schien, aiisgenoimnen: in der
Arniee, nnd das Kabinet Comlles solgt ihm jetzt im Be-
reich des auswärtigen Dienstes.

Das ist Lie wirkliche Bedeutung der jüngsten großen
Veränderungen in der hohen französischen Diplomatie,
Veränderimgen, von denen auch wir in Berlin und viel-
leicht in München betroffen werden.

Deutsches Reich.

(N. L. C.) Ter neugewählte nationallibernle R'eichs-
tagsabgeordnete Faber hat scinen Wählern solgen-
den Dank abgestattet: „Für das Vertrauen, das inir
meine Wähler durch die Wahl zum Reichstagsabgeordne-
ten geschcnkt baben, bringe ich meinen tiefgefühlten Dank
hiermit zum Ausdruck. Sie sollen diese Wahl nicht zu
bereuen haben! Möge das Beispiel der Einigkeit der
liberalen Parteien bei künftigen Wahlen nachwirken und
nnserem engeren und weiteren geliebten Vaterlande zum
Scgen gereichen. Diese Einigkeit möge auch sortan
nnserem Wahlkreise eine liberale Vertretnng sichern, die
ihm nach der ganzen Zusammensetzung seiner Bevölke-
rimg mit Fug nnd Rccht gebührt und die in andercm
Sinnc nnr dnrch die Ilneinigkeit der liberaken Partei
imd durch eine ungeheure Disziplin der Gegenpartei
18 Jahre lang niöglich war. Mit treudentschcm Grnß!
Karl Faber, Reichstagsabgeordneter für Forchheim-
Kulmbach."

-— Uebcr die Art, wie dem Grasen Bülow der
Ammnciatenorden vom König von Jtalien beim Früh-
stück anf der italienischen Botschaft verliehen wordcn ist,
berichtet die „Neue Freie Presse": „König Viktor Ema-
nnel erhob sich nnd sorderte die Gesellschast auf, mit ihm
ciiif das Wohl des Grafen Bülow, des treuen Dolinet-
schers der Jnteressen des deutschen Reiches und des Drei-
bundes, sowie auf das Wohl seines lieben Botschasters
Grafen Lanza zu trinken. Dann wendete sich dcr König
an den Grafen Bülow imd überreichte ihm den Annun-
ciatenorden. Graf Bülow war so überrascht, daß er
kein Wort des Dankes hervorbringen koimte." (?) ^

— Der „Lokalanzeiger", dem man in journalistischen
Kreisen vertrauensvolle Beziehungen zum Fürsten
Eiikenbnrg nachsagt, berichtet aus absolut sicherer

Kleine Zeitung.

-- Braunschweig, 31. Aug. Erbprinz Adolf zu
Schaumburg-Lippe und sein Bruder, Prinz Moritz, haben,
°er „Magdeb. Ztg." zufolge, heute am hiesigen neuen Gym-
uastum mit den anderen 29 Oberprimanern die Reife-
prufuna bestanden.

Dcr Sturm an dcr Kapküste. London, 2. Sep-
winver. „Daily Mail" meldet aus Kapstcidt: Ein Sturm
von nicht dagewesener Heftigkeit brach am Sonntag
^bend an der ganzen südlichen Küste der Kapkolonie
Die ganze Wucht des Sturmes wütete mit der
tLasligkeit eines Cyklons kurz vor Mtternacht in Port
Zizabeth imd war begleitet von einer Flut von Regen
uö gkänzenden Blitzen. Die Nacht war stockdunkel und
ch"» dia sortwährend von den Schiffen auffteigen'den
aretcn zeigten die snrchtbare Zerstörung an, welche der
"bm in Alga Bai anrichtete. Verschiedene Bergungs-
tzf ^üer -es Hasens versuchten hinauszudampfen, um
beit ^^ülhudeten Schisfe zu retten, aber die Dunkel-
gina^^^ immöglich zu erkennen, was dranßen vor-
nm^'i'^kls der Tag anbrach, war der ganze Strand am
Ende der Bai mit trocken daliegenden Schifsen
< i"'eut, andere lagen im Surf (eine Ärt Brandung)
w/i. Wellen rollten über sie weg. Bis Mittag

von'! - ^ Segelschiff im Hasen gestrandet mit Ausncihme
aen welche mit der ganzen Besatzung imtergin-

(mctz ^Hffr kleine DamPfer sanken auch und dreißig
orkahne sind gestrcmdet. Der Dampfer „Scot" von
Eastle-Linie fuhr ain Samstag von Port
""ch Kcipstadt und sollte am Montag früh in
mp>tadt ankonmien, er kam aber noch nicht in Sicht.

Den letzten Nachrichten zufolge sind achtzehn Schiffe
gestrandet, sünf andere gescheitert und mit der gnnzen
Besatzung gesunken.

— Dcr Papst als Erbc. 700 Erblassec testierten
im Jahre 1901 zu Gunsten des Papstes. Die Gesamt-
summe, die der Papst d'adurch erbte, betrng 2 400 000
Mark.

— Bcyucme und intcrcssantc Eiscnbahnfahrtcn inacht
man nur noch in Asrika. Eine Eisenbahnsahrt nach
Khartnm in Zentralafrika scheint den Jnbegriff von Kom-
sort zu bieten, nnd wenn man nnch nicht wie ans der
Ilganda-Bahn, wie ich jüngst berichtct habe, durch einen
zoologijchen Gartcn fährt, so hat die Wüste doch so viel
Merkwürdiges zu erzählen in dein, was sie wirklich sehen
läßt, und dem, was sie vorspiegelt, daß auch die Lange-
weilc nicht lcmge weilen kann. Jn „The Monthly Rc-
view" vom August giebt Zohn Wcird, der im vorigen
Jahre gemeinsam mit dem großen englischen Bibelforscher
Prof. Sacce Khartum imd dic Neberreste einer großen
christlichen Kultur, welche von der späteren Kaiserzeit an
bis zur Eroberung durch die Mohammedaner in der
Umgebung von Khartum geherrscht hat, besuchte, eine
kurze Schilderung der Eisenbahnfahrt von Assuan
(24. Breitegrad) bis Khartum. Die Fahrt bis nach
Assuan, wo jetzt der große Nildamm vollendet ist, zählt
ja überhaupt nicht; die ist sür den Engländer nnd iiber-
haupt für den Egyptenbesucher eine kleine Spritztonr.
Herr Ward erzählt: „Khartum, dieser wunderbare Platz,
der ein hervorragend interessantes Beispiel friedlicher
Entwickelung bietet, kann jeht von Assncm aus in fünf
Tagen erreicht werden, dank dem von der egyptischen
(englischen) Regiermig eingerichteten ansgezeichneten

Dienst, die beste Einrichtung, die mir je vorgekommen
isl. Nicht allein verkehren da (in Zentralafrita natür-
lich) vortreffliche Speise- und Schlafwagen, sondern in
Abu Hamed, nachdem man den längsten Weg dnrch ein-
sörmige Sandwüsten zuriickgelegt hat, wird man noch
durch unerwartet angebotene tuxuriöse Bäder überrascht.
Der erste Teil der Fahrt von Halsa (22. Grad nächst dem
zwciten Katarakt) nach Abu Hamed läust in kerzcnge-
rader Linie durch die flache, straßenlose Wüste, die trost-
loseste Gegend, die ich je erlebt habe; der Sand hat eine
heiße rote Färb-mig, die selten anstaucheiweii Felsen
gleichen deni verbrannten Sienna unserer Farbenskala.
Jn der Entfermmg scheinen pyramidenähnliche Spitzen
sich zu erheben und nach Sonneiiaiifgang zeichnen sich
wnnderbare Bilder mm Horizont — fcitamorganische
friedliche kleine Seen und sanste Hügel mit Grün, wo
kein Wasser nnd^kein Wachstum und kein Wesen exi-
stiert. Als die Sonne aufging, ein feuriger Ball über
der Wüste, war ich gerade im Begrifss, ihren wunder-
baren Glanz in mein Skizzenbuch in Farben wiederzu-
gcben, als es an die Thür meines Abteils klopfke: „Ein
Bad gefällig, kalt oder warm, wie Sie belieben, mcin
Herr; in zehn Minuten ist es bereit." Der Zug hielt
sofort daraus an nnd aus der Sandniasse, wie mit Zau-
berei dahingestellt, erhob sich eine Reihe von Bädezellen
mit jedem denkbaren modernen Komfort ausgestattet,
wozn dcr Nil cius einem nur jeine engkische Meile
entserntcn Arm sein mildes Wasser, das eine Damps-
pnmpe herbeischcisfte, lieferte! Der Zug gab uns 20 Mi-
nutcn Aiifenthalt zu dem Bade, und dann ging's in voller
Geschwindigkeit weiter, während uns ein delikates Früh-
stück reserviert wurde!" So reist man in Zentralafrika!
 
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