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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Juli bis Dezember)

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Nr. 229-255 (01. Oktober 1902 - 31. Oktober 1902)
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Samstag, 18. Oktober 1902.

Gvftes Blatt.

44. Jahrgang. — 244


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Erscheint täglich, Sonntags ausgenommen. Preis mit FamMenblättern nronatlich SO Pfg. in's Haus gebracht, bei der Expedition und den Zwciganstalten abgeholt 40 Pfg. Durch

die Post bezogen vierteljährlich 1.35 Mk. ausschlietzlich Znstellgebühr.

A n z c i g c n p r e i s: 20 Pfg. für die Ispaltige Petitzeile vder deren Raum. Reklamezeilc 40 Pfg. FLr hiesige Geschäfts- und Privatanzeigen ermätzigt. — Für die Aufnahme von Anzeigen
an bcstimmten Tagen wird keine Verantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Jnserate auf den Plakattafeln der Heidelb. Zeitung und den städt. Anschl^gstellen. Fernsprecher 82.

Aur Zolkturifsevatte.

Uoücr dns Schicksnl ües Zolltnrifs äutzertr sich die
„Frts. Ztg." imter üciu ersleii Eindruck der Rede Bii-
tows:

Dic Büloivfchcn Acußerungen machcn den Eindruck, datz
damit das Todesnrteil für dcn Zolltarif gcsprochen ist.
Dah die Ngrarier auf der ganzen Linie nun noch — nnmittel-
bar vor den Wa'hlcn — nmfallen, ist nm so unwahrscheinlicher,
als sic ja doch bckommcn sollen, was nach Lagc der Sache
irgendwie zu errcichen wäre.

Äm folgenden Tage aber schrieb das Btatt:

Dcr Rcichstag ist in die zwcite Lcsung des Zolltarifs cin-
getretcn nnd noch immcr stehen die Chanccn der Vorlagc so,
datz man über dcn endgiltigen Ausgang Wettcnabschli e-
tzen kann. Kommt er zustande? Kommt er »icht znstande?

Lchließsich aber kehrte es zn seiner ersten Meinnng
znrnck:

Datz es „auch so ge'ht", ist u. E. der Tbdcsstotz für dcn
Zollrarif und wir crkennen gernc an, datz Graf Bülow ihn
elcgant und sichcr geführt hat.

Tie Prophezeinngen des Frankfnrter Blattes find
hiernach weniger vorsichtig abgefaßt, als gewisse Wetter-
ansagen, die sich alle Möglichkeiten offen zn halten
Pflegcn.

Die „N a t. - l i b. Korresp." drückt ihre Befrie-
dignng darüber ans, daß die nationaliberale Partei niit
anfrichtiger Genngthuung sich ihrer Tagnng in Eifenach
bewußt sein darf. Dieselbe Stellung des Reichskanzlers in sciner
Rede, Ivie dieStellung derPartei in dieserFrage. Dieselbe
Betonnng der nationalen Pflicht einer Rücksichtnahine
nnd eines Ansgleiches des Fnteresses der Erwerbsstände
nnteveinander, von dem Reichskanzler erkannt als eine
Pflicht Lcr Reichsregierung. Dicfelbe Erkenntnis, daß
in dcn Minimalzöllen für die vier Getreidesorten das
innerhalb der Grenzen des Möglichen denkbare Ent- ^
gegcnkoinmen fiir die LandNürtschaft enthalten sei. Die- !
selbe Kritik der radikalen Fordevnngen von rechts und
von links. llnd bei allcdem ist »nsere Partei nicht als
labmer Bote hinterhergehinkt, sondern ist im entschei-
denden Moment v o r a n g e g a n g e n.

Deutscher Weichstag.

Deutsches Reich.

— Es fällt allgemein unangenehm auf, daß der Prä-
sident des Reichstages beim Wiederzusammentritt der
Körperschaft der inzwischen dahingeschicdcnen früheren
Abgg. v. Bennigsen und Virchow nicht gedacht hat.
Wohl gehörten sie bei ihrem Tode nicht dem Hause an;
aber das war auch mit dem früheren Abg. Buhl nicht der
Fall, dem der Prästdent v. Buol trotzdem einen hübschen
Nachruf widmete. Es ist schwer, das Verhalten dcs
Präsidenten v. Ballestrem anders als durch die Rückstcht-
nahme auf das Zentrum zu erklären, welchem Bennigsen
in erstcr Linie der Präsident des preußischen Abgeord-
netenhauses während des Kulturkampfs und der Zerstörer
des Zedlitz'schen Volksschulgesetzes ist. Und so geschah es
iii zarter Schonung der Gefühle des Zentrums, daß der
Reichstag dem großen Patrioten die naturgemäße Ehrung
versagtc.

Berlin, 17. Okt.

Beraiung des Zoliiariss.

Abg. Anirick jSoz.) besürwovlet den sozicckdcmokra-
lijcheu Anlrag auf Zollfreiheil dcr vicr Hauptgetreidearle».
Der Regierungsentivurf sei cine Mitzgeburt. Wcnn der Rcichs-
kauzler Beiehrnngeii erlasseii ivvllc übcr das Anfehen des
Parlamcnts, so hätte cr sic an die Srelle richten sollcn, dic
gegenüber den Buren alles gcthan habe, um das Aiisehcn dcs
deutscheu Reichcs zuni Spott dcr ganzen Welt zu machen. Der
Hinweis des Reichskanzlers mif franzäsische und englifche Ge-
trei-dezölle sei verfehlt. Eine Erhöhung ber Zölle diene ledig-
lich dem Jnteresfe der Grotzgrundbesitzer. Redncr schlictzt seine
d r e i e i n h a l b st ü n d i g e Rede nnter hcftigen Ausfäl-
len auf das Junkertum, in dcsscii Taschen Ströme kristallisicr-
ten Arbeiterschweitzes flössen. Die Sozialdcnwkralen lehntcn
sowohl die Regierungsvorlage als auch die Kommissionsvor-
schlüge ab. Die Annahme des Tarifs würde eine Volksvc-
wegung entfachen, die nicht bloh diescn Tarif, soiidern auch seine
Anhänger und das ganze prcutzische Zunlertum in den Orlus
schleudern würde. sBeifall bei Len Sozialdemokraten, Geläch-
rcr rechts iind im Zentrum.)

Abg. Paasche (narlib.) bedauert unicr dem Lärm der
Linkeii die Zeirvergcudiing dnrch überlange Rcden der Abgcord-
neten Gothein und Antrik. Dic Dozialdemokratcn unlcrslütz-
ken den Freihandel nur, weil cr dic Revolittion befördere.
sZahlreiche Abgcordncte umringen die Rednertribüiie und un-
terbrechen Paasche wiederholt, 'was der Präsident rügt.) Red-
ner hebt hervor, datz der Reichskanzler gcstern namens der
verbündetcn Regierungen gesprochen habe. Würde die Vor-
lage aügele'hnt, so würde keinc Regierung imstande sein, eine
neue Tarifvorlage zu macheu. Man solle doch vcrsuchcii, das
Erreichbare zustande zu bringen.

?lbg. Graf Kanitz (kons.) bcdaucrt, dah der Reichs-
lanzler gestern erllärt habc, von dem, was die Regierung als
äntzerste Grenze halte, nicht aögehen zu könncn. Unter der
Älassc der Einfiihr übcrseeischen Gctrekdes werdc das Bedürf-
nis ciner Erhöhung dcr Ilgrarzölle immer dringender. Jaures
have in Paris mit Recht geschrieben: „Ueberall lassen sich die
Regierungen von dcr Lohe dcr Hochöfcn blcnden, nicht sehend,
datz ans dem vom Pflug durchfurchtcn Boden das Mark des
Volkes wächsj." Die grotze Mehrheit der Konservativen sei
für eine Erhöhung der Minimalsätze. Die Fraktion sei mit der
vertragsmätzigen Herabsctzung dcr Jndnstriezölle cinverstanden,
weiin die Lan'dwirtschafr gcnügcnd geschützt werde.

Abg. Herotd (Zentr.) tritt in längercr Rcde für die
Äufrechterhaltung der KommissionsbeschlLsse cin.

?kbg. Fischbeck (fr. Vp.) spricht sich aufs schärsste gegcn
die Minimalsätze aus.

Fortsetzung morgen 12 Uhr.

Baden.

— Die „Karlsruher Zeitung" schreibt, in Bestätigung
einer von uns gestern durch Extrablalt hier bekannt ge-
gebenen Nachricht:

Der Er b g ro ßh e rzog hat am 1. Oktober an
den Kaiser und König die Bitte gestellt, Jhn von Seiner
Dienstleistung als Kommandierender General des VIII.
Armeekorps zu enthebkn. Seine Königlichc Hoheit hat
dieses Gesuch mit dem Wunsche begründet, Sich in voller
Unabhängigkeit den Jnteressen Seiner Hcimat widmen
zu können, was mit den Verpflichtnngcn des General-
kommandos des VIII. Aimeekorps sich nur schwer ver-
einbaren ließe. Der Kaiser hat die Bitte des Erbgroß-

herzogs genehmigt; infolgedessen ist derselbe gestern
(Donnerstag) Abend nach Coblenz gereist, um sofort den
Dienst zu übergeben. Seine Königliche Hoheit kehrt
heute (Freitag) nach Schloß Baden zurück und begleitet
Seine Königliche Hoheit den Großherzog zu den Regi-
ments-Jubiläen nach Rastatt und Mannheim.

Der von der „Koblenzer Zeitung" gestern gebrauchte
Ausdruck, der Erbgroßherzog sei nach Karlsruhe versetzt
worden, ist also nicht richtig. Der Erbgroßherzog über»
nimmt nicht etwa stait dem 8. das 14. Armeekorps, son-
dern er tritt aus dem aktiven Dienst zurück. Ob er spä-
ter am Ende doch das 14. Korps übernimmt oder ob er
eine Armeeinspektion erhält, muß dahingestellt bleiben. Jn
Baden hat man alle Ursache, die Rückkehr des Erbgroß--
herzogs zu begrüßen. Es ist doch gut, wenn der Erb-
großherzog die augenblicklich sehr eigenartige Entwicklung
der politischen Dinge in Baden miterlebt, statt daß er ihn
nur von weitem und in Anspruch genommen durch um-
fassende militärische Pflichten zuschaut. — Die „Koblenzer
Ztg." berichtet über die Abreise des Erbgroßhcrzogs von
Koblenz noch: Heuie (Freitag) Vormittag versammelte sich-
das gesamie Osfizlerkorps zur Verabschiedung. im Militär-
kasino. Der Oberpräsident der Rheinprovinz Nasse und
der Oberbürgermeister von Koblenz machten bereits am
frühen Morgen Besuche. Am Sonntag wird der Erbgroß-
herzog voraussichtlich noch einmal nach Koblenz zurück-
kehren, wo dann ein Festessen sein wird. Der Erbgroß-
herzog wird zunächst seinen Wohnsitz in Freiburg
nehmen, bis das erbgroßherzogliche Palais in Karlsruhe
in Stand gesetzt ist.

— Der Erbgroßherzog hat das 8. Armeckorps
seit dem Jahre 1896 geführt, als sein Vorgänger m
dieser Stellung, der General der Jnfanterie Vogel v. Falcken-
stein, zum Chef des Jngenieur- und Pionierkorps und
Generalinspekteur der Festungcn ernannt wurde. Vorher
war der Erbgroßherzog als Generalleutnant Kommandeur
der 29. Division in Freiburg, welche er vom Jahre 189S
an führte. Vor seiner Ernennung zum Divisionskomman-
deur kommandierte der Erbgroßherzog die 4. Jnfanterie-
brigade in Berlin. Als Regimentskommandeur hat der
Erbgroßherzog von Baden das 5. Badische Jnfanterie-
Regiment Nr. 113 in Freiburg kommandiert, bei welchem
er früher bereits ein Bataillon befehligt hatte. Außerdem
hat er bei den badischen Leib-Grenadieren, beim 1. Garde-
Regiment zu Fuß in Potsdam, beim 1. Garde-Ulanen-
Regiment u. s. w. Dienst gethan. Leutnant wurde der
Erbgrotzherzog 1875, Oberleutnant 1878, Hauptmann
1882, Major 1884, Oberstleutnant 1888, Oberst 1889„
Generalmajor 1891, Generalleutnant 1893, General der
Jnfanterie 1897, er hat also eine Dienstzeit von 27 Jahrew
hinter sich. Der Erbgroßherzog ist Chef des 5. Badischen
Jnfanterie-Regiments Nr. 113 und steht L la, snits des
1. Garde-Regiments zu Fuß, des 1. Badischen Leib-
Grenadier-RegimentS Nr. 109 und des 1. Garde-Ulanen--
Regiments.

Stadttyeater.

Heidelberg, 18. Oktober?'

„S c i ii D o p p e l g ä n g e r." Schwank in drci Akten
bon Manrice H e n n e g u i n und Georges D n v a l, über-
sctzt und bearbeitet von Benno I a c o b s e n.

„Mensch, sei frcchl", das war die Dcvise 'des gestrigen
Abends. Jn unzähligen Variationen, in immer neuen über-
raschcndeii Wendungen wnrde da auf den Brettern dies Gau-
nerprinzip in die That umgesetzt und zwar so witzig, so geist-
reich, daß ma» das Gewagte, das wirklich Freche mancher Si-
tuationen ganz übersehen nnd sich lediglich dcr erhciieriiden
Wirkung des Schwankes hingeben konnte.

Hennequin ist wohl der Schönthan der Franzosen;
wie dieser seinen Compagnou östers wechselt, erscheinr auch
laud und hier mit D n v a l zusammen auf dcm Plan. Es
land und hier mit Duval zusammen auf dem Plau. Es
scheint, das; cr mit diesem Ehebruchsschivauk höchster Potenz
alles hat übertrumpfen wollen, was auf diescm Gebiet die fran-
zösische Litteratur hervorgebracht hat, mtd däs Irstll biel heitzen!

Ein „Napoleon ides Ehebruchs" ist der Held dcs Stückes, ein
geriebener, berschlagener, vielgewandter Pariser Chemann, 'der
in solchen Dingen seinen Hauptbertif erblickt, im Ncbenamt
ist er Jngenieur und Erfinder eines Patentofens, nach ihm
Barisard-Ofen genannt. So lebt er vevgnügt dahin, seine
junge Fran Colettc, die natürlich esii albernes Gänschen ist,
bertraut ihm blind; sein Geschäft geht gut und die verbotenen
Früchte schmccken gut. Aber es schwebt Lbcr scinem Haupt
ein Damoklesschwert in Gestalt seiner Schwiegermutter. Cha-
raktcristik: Regimeutslederhose, nach eigener Aussage. Sie ist
ihm, weil cr sie vom Todc erretiet, zu Dank verpflichtet, sucht
nber nach eincr Gelcgenheit, sich dicser ungcrn crfüllten Pflicht
SU entlsdigen und ihre wahren schwiegcrmütterlichcn Gefühle
und Gelüste an dcm Schornsteinfeger, wic sie Barisard nennt,
uuszulafsen. Bald irstrd ihr dazu die Gelegenheit; es kommt
^esuch aus dcr Provinz: der Doktor Gaston Marcinclle mit

seiner Frau, ivelcher als Enkelin Scribes durch pietätvolles
Studium sämtlicher 100 Theaterstücke des Grohvaters mit den
Schlicheu lustigcr Ehemänner dcrart vertraur ist, dah sic alle
Cxtratouren, dic ihr Mänu sich geuehmigeu möchte, durchschaut
uiid vereitelt. Colette, uaiv, ivie sie ist, schwärmt ihr von ihrcm
treueu Mcmn vor; aber die Eukelin Scribes ist skcptischer:
sie schlägt des Zweifels Saite iu Coletiens Herz an. Barisard
bemerkt dies mit Mitzvergnügen nnd beschlietzt eine „grotze
Nummer" auszuziehen. Bisher hat er nämlich einen Trik
bcimtzt, den es bei Scribc nicht giebt: er hat seckicr Frau dcn
Glauben an die Existenz cckies Doppelgängers beigebracht, dcr
für alles herhalten muh: jetzt soll dieser Doppelgäuger in Person
erscheinen, er kommt selbst als sein Doppelgänger, als Herr
Corneillac, mid besteigt so dcu Gipfel der Frcchheit.

Wäs folgt, ist einc Komödic, deren Szencn einander jagen
und sich in immer tolleren Bildern überbieten. Dieser Bari-
savd-Corneillac ist geradezu ein Genie un'd ein französisches
Publikum könnte sich, glaube ich, für ihn förmlich begeistern.
Bei uns sind es mehr die wirklich komisch und fast immer un-
gezwnngen zugespitztcn Situationeii, wclche dem Stück iinmer
zu einem, allerdings ckur rein äuhercn Crfolg verhelfen wcr-
den.

Nachdem uuu dieser Schwaukheld von dcr Scribc-Enkelin,
wekche seinen Trik wohl durchschaut, aber gleichzeitig es ihrem
Großvater schuldig zu secki glaubt, dcu Fuchs aufs Eisen zu
locken, umgarnt worden ist, sich wiedcr heraus gezogeu hat
und wieder hineingefallen ist, da endlich eiffolgt doch die Cnt-
larvrmg; die Frauen belauschen ihn, wie er im Selbstgespräch
an sich zum Verräter ivird. Der 'Schlutz ist dann bezeichnend:
Colettchen rast und weint und redet von Schcidung, aber die
kluge Susanne redet ihr gut zu und schließlich zieht das Argu-
meut: „Wenn alle betrogenen Frauen sich scheiden lassen woll-
ten, würde es in Frankreich bald kcinc Ehe mehr geben.

Selbsterkermtnis und Selbstironie ist sters cine Seite des
französischeu Nationalcharakters gewesen, der sonstige iman-
genehme Züge dem Nichtfranzosen verwischen hilst.

Die Bombeiirolle des Barisard-Corneillac trägt das ganze
Stück: sie mutz in gnten Händen sein, sonst ist dcr Rcst nichts
wert. Gestern Ilbend war sie nun glücklichcrwcisc in sehr
giiten HLudcii: Herr G r o h m a n u hat, wic das übrigeuI
nicht auders zu erwarteu war, sich seiner uicht eben leichten
Aufgabe iu hervorrageuder Weise eutledigt. Um dieses Grotz-
mannschen Barisard willen ivürde ich den ganzcn, zuletzt eben
doch ctivas crmüdeud wirkeckden Schivank noch einmal übcr mich
ergehen lassen. Als Colette debütierte Fräulein I c n n y
Hummel; sie faud in dieser Schablonenrolle weniger Ge-
legenheit, ihr schauspielerisches Können, als die Fähigkeit, sich
gut anzuzieheu, zu zeigen; man wird mit einem defiuitiven
Urteil noch zurückhalten müssen. Herrn Brandt sche ich
lieber als Vertreter komplizierterer Charakterc, als „Jntri-
gant", wie man im älteren Bühnenjargou sagte. Doch fand
er sich mit seinem ProvinztroUel ganz gut al>. Auch Fräulein
Hoheuau haite gesteru Abend als «usaime wieder recht
gute Momcnte; mir stört beim Mienenspiel ein übertricbenes
Verzerreu des Mimdes. Der Oberst Lehuchois des Herrrn
Schneider bewegte sich im konventionellen Rahmcn; mehr
ist aus der Rolle auch nicht zu macheu. Erfreulich warcu die
Figureu dcs Dieners Casimir und des Sekretär-Dichterlings
Theodore, durch die Herren MaIten und Kr o ne s vertre-
ten. Jntcressant würe es, ersteren einmal mit einer wichtige-
ren Aufgabe betraut zu sehen. Herr Krones hat sich über-
raschcnd entwickelt; er geht aus sich heraus und spielt recht
frisch; nur seme Maske erschien gestern sowohl der Jdee als auch
der Ausführung nach etwas verfehlt. Fräulein Fischer
lieferte eine Durchschnittsschwiegermutter, Fräulein Milde
eine etwas altmodische „kleine Witwe" und Fräulein Olderk
ein Dicnstmädchen, das durch seine guten Wlaniereu ange-
nchm auffiel.

Das Zusammenspiel war Dank der Regie des Herrn Hein-
rich ein rccht lebhaftes; ebenso waren die Dekorationen ange-
meffcii. Man konnte recht zufrieden sein und so kargte auch>
das ziemlich gnt besuchte Hans nicht mit seinem Bcifall. v>'- kt-

Die heutige Numrner umfaßt vier Blätter, zusammen 16 Seiten
 
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