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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Juli bis Dezember)

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Nr. 177-202 (01. August 1902 - 30. August 1902)
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Donnerslag, 14. Angust 1902

Blatt.

44. Jahrgang. — 188

Trschcint täalich Sonntags ausgenommen. Preis mit Familienblättern monatlich 50 Psg. in's Haus gebracht, bei der Expedition und den Zweigstellen abgeholt 40 Pfg. Durch dle Post be»

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vorgeschriebenen Tageu wird keinc Verantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Jnserate auf den Plakattafeln der Heidelberger Zeitnng und den städt. Anschlagstellen. Fernsprech-Anschluß Rr. 82

Der Kaiser und die Streichrmg der öayr.
Kunstforderungen.

Berlin, 13. Aug. Das Wolff'sche Bureau erfährt
aus München, daß zwischen dem Kaiser und dem Prinz-
Regenten von Bayern nachstchende Telegramme aus-
getauscht worden sind:

Swinemünde, 10. August.

An den Prinz-Regenten von Bayern in München.

Von meiner Reise eben heimgekehrt lese ich mit
tiefster Entrüstung von dcr Ablehnung der von
Dir angeforderten Summe für Kunstzwecke. Jch
eile, meiner Empörung Ausdruck zu verleihen über die
schnöde Undankbarkeit, welche sich durch diese Handlung
kennzeichnet, sowohl gegen das Haus Wittelsbach im
allgemeinen, als auch gegen Deine Erhabene Person,
welche stets als Muster in der Uebung und Unterstützung
der Kunst geglänzt hat. Zugleich bitte ich Dich, die
Summen, welche Du benötigst, Dir zur Verfügung stellni
zu dürsen, damit Du in der Lage sciest, in vollstem
Maße die Aufgaben auf dem Gebiete der Kunst, welche
Du Dir gesteckt hast, zur Durchführung zu bringen.

Wilhelm.

Die Antwort Seiner Königlichen Hoheit des Prinz-
Regenten lautcte:

Seiner Majestät Kaiser Wilhelm in Swinemünde.

Es drängt mick>, Dir mcinen innigsten Dank für Dein
so warmes Jnteresse an meinen und meines Hauses Be-
strebungen auf dem Gebiete der Kunst und für Dein so
hochherziges Auerbieten auszusprecben. Zugleich freut
es mich, Dir mitteilcn zu können, daß durch den Edel-
sinn eines mciner Reichsräte, welcher die abgelehnte
Summe zur Verfügung stellle, meine Regierung in die
Lage versetzt ist, getreu den Traditionen meines Hauses
und Volkes die Pflege dcr Kunst als eine meiner vor-
nehmsten Aufgaben unentwegt fördern zu können.

Jagdhaus Fischbach, den 11. August.

Prinz-Regent von Bayern.

Kin KngMnder üöer deutsch-englifche We-
ziehungen.

Ter onglischo Pkarinosachverstäiidige Arnold W h i t e,
der an Bord deutscher Kriegsschiffe das deutsche Ver-
Pflegnngssyslem stndiert hat, ist in Berlin voin Kaiser
nnd dentschen Bcinistern in Andienz empfangen worden.
Das giebt einem Artit'el über dentsch-englische Beziehun-
gen, den er in der übrigens gegen Deutschland besonders
unsrennölichen „Taily Btail" verössentlicht, ein beson-
deres Interesse. Mr. White beginnt mit einer ziemlich
Nark aufgetragenen Schildernng dcs „sieberhaften Ver-
iangens nach einer Flotte, das das dcutsche Volt wie eine
Epi'deniie gepackl hat". Es und seine Rcgierung sehen in

ihr die „einzige Hossnnng für die Zuknnft", das einzige
Mittel, nm ihr „Verlangen nach einem Stück Kolonial-
gebiet in gemäßigter Zone" besriedigen Zn können. Das
ist eine Thatsache, die England nicht ans dem Ange ver-
lieren darf. „Sie entspringt nicht aus,einem angebore-
nen Haß des deutschen gegen das englische Volk, aber sie
giebt zn Gefühlen, die in thörichten Blättern Ansdrnck
sinden, Veranlassung, die zu peinlichen Resultaten führcn
mögen, wenn ihnen nicht aus beiden Seiten der Nord!-
see Einhalt geboten wird." England kann nnn natürlich
nicht in Gebietsabtretungen oder eine Einstellnng seiner
Anstrengnngen, seine Vorherrschaft znr See zn behanp->
ten, wiltigen; „aber es kann doch viel geschehcn, um un-
sere internationalen Beziehungen zu DeNtschland besser
zn gestalten". Ein gntes Zeichen dafür, daß solche Be-
mühnngen nicht vergebens sind, sieht Mr. White in den
ansgezeichneten kameradschaftlichen Beziehungen, die no-
torisch zwischen den zwei Marinen bestehen, und in der
Ansrichtigteit, mit der die Großkanfleute Deuschlands die
Anglophobie der dentschen Presse beklagen.

Das Mittel ans dentscher Seite, nm bessere Beziehiin-
gen möglich zn machen, sei die „Einstellnng der abscheu-
lichen und iiiianständigen Angriffe auf den englischen
König, die Arinee, das Land und die englischen Sitten,
die in endlosem Strom in der deutschen Presse erscheinen".
Mr. White empfiehlt allen englischen Fabrikanten nnd
Kaiiflenten, die Korrespondenten in Dentschland haben,
ihnen „rnhige nnd srcnndschaftliche Proteste gegen die
Beleidignngen der dentschen Presse" zugehen zn lassen.
Auf englischer Seite ist vor allem nötig, daß britische
Tonristen „i h r h o ch m ü t i g e s n n d b ä n e r i s ch e s
Gebahren" korrigiercn, nnd cr empfiehlt den
verschiedenen Reiseagentnren, ihre Kunden in diesetn
Sinne zu beeinflussen. Er erinnert weiter die englische
Pressc daran, daß „Kritik und Kommentnre, die in natio-
naler Kindheit schweigend ertragen werden, unerträglich
lvebden, wenndie jnnge Nation ein starkes nenes Reich
geworden ist. Die Dentschen beschweren sich darüber,
daß man sie in England nie so ernst nimmt, als sie es
vcrdieiien." „Mangel an Humor", der Hanptfehler der
dentschen Presse, verschärft den Schaden, den der „eng-
lische Mangel an Einbildungskraft" anrichtet.

„Die Grundlage der gegenwärtigen Verhältnisse,"
sährt Äir. White fort, „ist, daß die Ausdehnung Deutsch-
lands und das Wachstnnr der deutschen Flotte nicht eine
Laune des Kaisers oder das Ergebnis ehrgeiziger poli-
tischer Pläne seiner Minister sind. Sie sind diktiert dnrch
das nnerbitterliche Gesetz der S e l b st e r h a I -
t u n g. Wenn das wahr ist, ist es dann nicht der Mühe
wert, den dentschen Standpunkt zu verstehen? Es besteht
Grnnd zu der Aiinahme, daß der Kaiser nnd seine Mini-
ster der Meinnng sind. daß Dentschland von anfeinander-
folgenden britischen Ministern in Bezug anf Kohlensta-
tionen und anch anf bestimmte Antworten anf bessimmte
Fragen s ch l e ch t behandelt worden ist. Kein
Traußeiistehender kami natürlich sagen, wie weit diese
Beschuldignngen wahr sind. Wenn es aber eine Thatsache
ist — nnd das wird mir von höchster Stelle versichert —,
daß Anfragen des deutschcn Auswärtigen Amtes Monate,
ja I'ahre lang unbeantwortet geblieben sind, dann ist es
an der Zeit, daß das Ilnterhaus sein konstitutionelles
Recht ansübt nnd nnser Answärtiges Amt znr Rechen-
schaft zieht. Wünschen wir mit Dentschland frenndi-

schastlich zu stehen, so ist es sicher gute Politik, nicht nn-
nötig Änstoß zn geben. Ist andererseits die deutsche
Flotte eine Bedrohnng des britischen Reiches, diktiert
dann nicht der gesunde Alenschenverstand, sie zn zerstören,
bevor der Knabe ein SNanii oder ein Riese wird, was 1915
der Fall sein wird?"

Mr. White betont die Frenndschaft des Kaisers für
den König nnd das englische Volk und sein lebhaftes
Interesse an dcr 'britischen Flotte, das so weit gehe, „daß
er mindestens bei einer Gelegenheit hinsichtlich des -bri-
tischen Plittelmecrgeschwaders bestimmte Ratschläge er-
teilt habe, die nicht imangebracht gewesen wären, ivenn
se. Majestät ein Rsitglied des britischen Parlaments ge-
lvesen wäre". Mr. White letztes Wort ist: „Wir wollen
übercinstimmen, wo das möglich ist, nnd übereinstimmen,
in anderen Dingen zn differieren"; denn fiir beide Natio-
nen gilt, daß sie dnrch die Zerstörnng der anderen mchr
zn verlieren als zn gewinnen hätten.

Deutsches Reich

Der r n s s i s ch e Student Calaje w, der
in Bcyslowitz in Haft gehalten wurde, ist nunmehr, wte
dem „Vorw." aus Breslan qemeldet wird, an Rnßland
ausgeliefert worden. Wie das „Oberschlesische
Tageblatt" erfahren haben will, soll die Ausliefernng
auf Anordnung des Regiernngspräsidenten von Oppeln
erfolgt sein, nnd zwar nnter der Annahme, daß Calajew
ein Genosse des Attentäters auf Ssipjägin sei.

— Lant einem Polnischen Blatte soll der Fall
L ö h ning noch ein gerichtliches Nachspiel haben. Wci-
tere Entliüllungen seien zn erwarten, die s e h r s e n s a-
tionelIer Natnr wären.

— Aus einer sozialdemokratischen Kreiskonferenz im
Zubeilschcn Reichstagswahlkreise wurde der Antrag gcstellt,
der Parteitag möge beschließen, daß offiziell das Duzen
unter Parteigenossen eingeführt werde und jeder
Genosse cin deutlich sichtbares Erkennungszeichen trage. Die
Versammlung ging über den Antrag zur TageS-
ordnung über.

Baden.

—; Ter dritte Artikel des „B e o b a ch t e r" über dis
Eingabe der 121 badischen ll n i v e r s i t ä t s p r o f e s-
sorcn ist glücklich vier «Palten lang geworden. Es
wird in dem Arsikel die Legitimation der Bitsiteller be-
stritten iiiid daim im Namen der Freiheit Lie Znlassnng
von Männerorden gefordert. Jm Namen der Freiheit
kann man schließlich alles verlangen; hier kommt aber
nicht die Freiheit in Frage, sondern das Staatsinteressc,
die möglichste Erhaltnng des konfessionellen Friedens.
Wenn das Zentrnm dnrchaus die Ktöster habcn will,
so mnß es die Mehrheit im Landtag erringen, ein ultra-
montanes Ministerinm wird sich beeilen, seine Sehnsucht
zn stillen, andererseits wird es an den Liberalen fein,
alles anfzubieten, daß ihre Vertretnng in der Kammec
wieder einen Stiinmeiiznwachs erfährt; denn daß der
gegenwärtige Znstand für irgend einen der Beteiligten
ein angcnehmer sei, daß überhaupt ohne eine feste parla-
mentarische Mehrheit eine feste nnd bestimmte Politik
geführt werden kann, das ist eine Ansicht, die allcin der ab-
sonderliche Politiker dcr demokratischen „Neuen Badischen
Landeszeitnng" vertritt.

Kine künstlerische Kapuzinerpredigl.

Welchen Eindruck die Kunst-Besprechung in der baye-
fischen Abgeordnetenkammer sim Ansland, u. a. im
lianimverwaiidtcii Oesierreich, machte, davon ist in der
Ar. 32 der Zeitschrist „Die Wage" (HerauSgeber E. B.
iienil.>r, Wien, Toniinikanerbastei 19) gar Erbantiches
lesen.

Auge um A u g e, Zahn um Z a h n,
Pretiigt der Psarrer nnd dcr Kaplan.
llnd also sprach im Namen Aller
Im bayerischen Landtag'der Toktor von Daller:
„Heissah, jnchheissah! Tndetdnmdei!

Getd für die Kunst? Da sind wir nicht dabei!
Schlagt Jhr den Landmaiin,

Tchlag ich den Crailsheim,

Geb' die Prügel mit Zinsen
Im Namen des Heils heim.

Ihr wollt Geld haben für die Kunst?

Ihr sollt haben einen Dunst!

Alle Künstler, voran den llhde,

Sollt' man jagen ans ihrer Bnde,

So ein Jerobram wie der .Keller
Lollt nicht sinden einen Besteller,

So ein Holofernes wie der Stuck,

Hat er der Sünden nicht genug?

Habermann, Slevogt und Korinth
"anter Teufelsbraten sind.

Lassen sich nennen gute Kolonisten,

Tollten aber sein gute Christen;

Htait in die Pinakothek zn lanfen
^ollten sie lieber Ablaßzettel kanfen.

«tatt zu den klassischen Nnditätcn
Soüten sie gehen wallfahren nnd beten.
lleberhanpt die Glypothek und die Plastik,

Das ist des Satans wahre Scholastik
All diese klassisch nackten Weiber,

Diese hcidnisch göttlichen Leiber!

Nber wie soll man die Künstler loben?

Komnit das Acrgcrnis doch von oben.

War nicht König Ludwig der Zweite weiland
Für die Künstler ein wahrer Heiland?

Ist seine Hoheit der Herr Prinzregent
Nicht ein Mäeenas, wie man es nennt?"
Zogen die Wittelsbacher Herr'n
Nicht iminer die Künstler nach München gern?
'Zion, wie jeder gelernt hat,

War doch anch eine berühmte Stadt.

Aber wo steht davon zu lesen,

Daß dort eine Sezession gewesen?

«alomo ivar doch auch ein König,

Aber in die Knnstausstellung ging er wcnig.
Tavid schlug Harfe, so wird nns verknndet.
Hat er Akademien der Tonkünst gegründet?
Für solche Eitelkeiten der Welt
Haben wir Frommen im Lande kein Geld!"
Also sprach Herr Toktor von Daller
Im bayerischen Landtag im Namcn Aller,

Soll heißen aller Klerikalen

Nehmt's Ench znr Lehre bei künftigen Wahlen,

Sonst steht ihr cines Tages da

Wie jetzt die Bayern beim Kultnsetat.

Kleine Zeitung.

— Mainz, 13. August. Jn ungemein großer Auf-
regung befanden sich gestern etwa 75 Damen und Herren,
die mittelst derZahnradbahn in Rüdesheim zum
Nationaldenkmal hinauffuhren, als an einer besonders
steilen und gefährlichen Stelle das Verschlußventil
des Zuges erschlaffte, sodaß der Contredampf
entwich und die besctztcn Wagen mit großer Ge-
waltbergabsausten. An cincr Kreuzung gelang es
glücklicherweise demMaschincnführer durchBrcmscn denZugzum
Stehen zu bringen. Wäre das nicht gelungen, so würde der Zng
den Abhang herabgestürzt und sämtliche Jnsassen verloren
gewesen sein. Ein holländischer Herr sprang während der
rasenden Fahrt aus dem Zuge und erlitt eincn schweren
Beinbruch und Armverletzungen. Er wurde ins katholische
Krankenhaus in Rüdesheim gebracht. Eine Anzahl Damen
war ohnmächtig geworden. Andere schrien um Hilfe und
waren selbst, als der Zug schon hielt, kaum zu beruhigen.

— Straßburg, 13. Airgust. Der ehemalige Präsident
dcr fraiizösischeii Rcpublik, Casimir-Perier, dcr gestcrn
Abeud nach 7 Uhr niit Familie und Dieuerschast hicr eiu-
gctroffcn ist mid im Hotel „zur Stadt PariS" Absteige-
quartier geuoiiimeil hat, kam direkt von seinem in der Nähe
von Paris gelegenen Schlosse Pont-sur-Seine nnd beab-
sichtigt in Tribcrg, wohin er hcute Nachmittag gegen 5
Uhr nach Besichtignng dcr Sehenswürdigkeitcn unsercr Stadt
abgercist ist, mit seinem gcgenwärtig in Lcipzig stndicrcndeil
Sohne zusammenzutreffen nnd sich dort mehrere Tage anf-
znhaltcn. Seine Gcmahlin ist mit nach Triberg gefahren.
 
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