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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Juli bis Dezember)

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Nr. 281 - 305 (01. Dezember 1902 - 31. Dezember 1902)
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Donmrstag. U. Dezcmbcr 1M2. Wrst«s Btatt. Ial,r»am.. 44. — M 2S0

Erscheint täglich, Sonntags ausgenov-'nen. Preis mit Familienblättern monatlich 80 Pfg. in's Haus gebracht, bei der Expedition und den Zweiganstalten abgeholt 40 Pfg. Durch

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Aie Dorgänge in Denezueta.

Loirdon, 10. Dezember. Rcuter meldct «ns (Laraeas
vom 0. Dczcmlier, das; gestcrn 4 vcnezolanische jtricgsschiffe,
dic vor dem Hafen von La Gunyra stehen, von dcr vercrnigten
dentsch-englischen Flotte weggenommeil wurden nnd in bara
cas alle englischen Staatsangehiirigen verhastet wurden.

Wir habeu bieses Lelegramm gestern nocls in üen
grötzeren Teil unserer Anflage aufnehmen können.

Es hat also in Venezuela bas in Aussicht gestellte
Einfchreiten Eng'lanbs nnb Deutschlanös begonnen. Die
Flotte der beiben Mächte hat bie L-chifschen ber Benezo-
laner niit Beschlag belegt. Was die Gegenat'tion öer
Venezolaner anbetrisft, so werben sich die Leser getvun-
dert haben, daß nur die englischen Staatsangehörigen
in Caracas verhastet worben seien. Es wäre in der That
merkwürdig gewesen, wenn die Engländer verhastet wer-
den, die Deutschen aber unbehelligt geblieben wären.
Die Dseldung wird darum auch schon dahin ergänzt, batz
auch sämtliche Deutschen verhastet worden feien.

Unter den in Venezuela lebenden Fremben ra-
gen die Deutschen durch Jntelligenz und Thaitrast
hervor. Vor allem nehmen sie im Großhanbel eine bo-
minierenbe Stellung ein: die ersten kapitalkrästigsten
Firmen in La Guaira, Puerto Cabello und Vcaracaibo
sind dentscher Nationalität. Ferner sin>d unsere Lands-
leute in Venezuela thätig als Fabrikauten, als Techniker,
als Jnhaber von Verkaufsgeschäften, als Pflanzer, als
Hotelwirte. Durch ihren Fleiß und ihre Vetriebsam-
keit erwarben sie sich rasch Vermögen. Die Zahl der
Deutschen in Venezuela wirb anf 962 angegeben, während
die Zahl der britischen Unterthanen 6164 beträgt, jedoch
meist Leute von Trinidab. Das Gebiet Venezuelas nm-
faßt 973 000 Qudratkilometer, hat aber noch nicht Zi/b
Millionen Einwohnec. So lange es sich um Orte han-
delt, die von dcn Geschützen der fremden L-chiffe bestrichen
werden können, ist an einen Widerstand der Venezolaner
nicht zu denken. Die Flotte besteht aus acht Dam-
pfern und 2 Goeletten init 6 Kompaguien Marinesolda-
ten — jedoch gilt nur ein Kanonenboot als einigermaßen
kriegstüchtig — und die Armee aus 30 Bataillonen zn
3 Kompagnien zu je 60 Mann — meist aber nur auf dern
Papier. Brauchbare Soldaten sind, wie der „Hamb.
Corr." bemerkt, nur die Gebirgsbewohner, die Andinos,
welche treu zum Präsidenten Castro, der sclbst ein An-
dino ist, halten. Die Jnfantcrie ist mit dem deutschen
Gewehr, Modell 71—84, bewaffnet. Die Artillerie ist,
abgesehen von der Gebirgsbatterie, mit kleineren Ge-
schützen älterer Kruppfcher Konstruktion ausgerüstet. Be-
spannung eristiert aber nicht. Die Uniformierung ist
der französifchen nachgebildet: blauer Waffenrock mit
zwei Reihen Knöpfen, rate Hosen, Käppi und Stiefel
Für gewöhnlich besteht öie Bekleidung jedoch nur in
Drillichanzug, Käpvi oder Strohhut und Sandalen nebst
Patronengiirtel. Häufig sind aber auch fchon Offiziere
in Civil im Dienst erschienen. Der Dienst beschränkt
fich im großen und ganzen anf Wachdienst. Die Schisß-
ausbildung läßt alles zu wünschen übrig unid der Soldat
bedient sich im Kampfe am liebsten der landesüblichen
Machette, eines langen Haumessers.

An cinen crnstlichcn Widerstand VeneznelasHist also
trotz aller großsprecherischcn Reden des Präsidcnteu Castro
(siehe weiter unten) nicht zu denken. Dagcgeu ist zu

besorgen, daß die Volkswut sich gegen die im Lande le-
bcnden Deutschen und Engländer richtet.

Wir lasscn nun dic wcitercn in dieser Angclegenheit
bisher eingelaufenen illachrichten folgen.

Newyork, 10. Dezember. Eine Depesche aus
Caracas (Veneznela) von gestern meldet: Ein offenes
Schreiben der Präsidenten Castro, welches von den hie-
sigen Zcitungen veröffentlicht wird, besagt: Auswär-
tige Telegramme melden, baß gewisse Nationen, darunter
England nnd Deutschland, einen Bund ge-
schlossen hätten, um mit Gewalt und Angriff gegen Vene-
zuela vvrzugehen. Die Art und Weise, in welcher diese
Nwtionen den Versu-ch machten, die Wiederaufnahine der
Zinszahlnng der Staatsschuld zu erlangen, müsfen den
Verdacht erwecken, daß das die Konsequenzen der Revo-
lution wären, die er, Castro, niedergeschlagen habe. Trob
des amtlichen Charakters der Nachricht von einem eng-
lisch-deutschen Einschreiten lehne er e s d o ch a b,
daran zu glauben. Es müsse ihm unbegreislich
erscheinen, daß Nllitionen, welche herzli-che und frenndliche
Beziehnngen zu Venezuela unterhielten, es vorziehen soll-
reu, zur Gewalt ihre Zuflucht zn nehinen, anstatt den
diplomatischen Weg zu verfolgen; insbesondere, wenn
vorausgesetzt werden müsse, daß der Streitfall vöüig in
den Bereich venezolanischer Gesetze gehöre, die auf den
Grundsätzen der Gerechtigkeit fußen. Hätte Venezuela
sich seine siskalischen Verpflichtungen zu erfüllen gewei-
gert, hätten Necht und Diplomatie alle ihre Hilfsmittel
gegen ein solches llntersangen erschöpft, nur dann hätte
ein solches äußerstes Vorgehen erwartet werden können:
aber dies sei nie der Fall gewesen. Die Thatsache, daß
bie venezolanische Rcgierung die Staatsschuld nicht er-
höht und alles bczahlt hat, was wahrend der Revolntion
einschließlich der Frachten auf der deutscheu und anderen
Eiseubahn bestellt worden sei, beweise die Ehrenhaftig-
keit vou Castros Verlvaltung und zeige, was die Aus-
länder von Castro erwarten tonnen. Das Schreiben
siihrt fort: „Ehrenhafterweise kann ich nicht mehr thun;
ich stelle die Ehre voran und werde keine Ausflüchte
suchen, um dreiste (foolhardy) Feindschaften durch An-
nahrne von Demütigungen zu entwaffnen, die die Würde
Vcnezuelas verletzen und nicht in Einklang mit meinem
Leben als Staatsmann stehen wiirden. Die Sache un-
serer nationalen Würde ist gegründet auf nnser Recht,
unseren Gerechtigkeitssinn und unsere Beziehungcn der
Freundschaft und gegenseitigen Achtung zu den fremden
Nationen."

Wash i n g t o n, 10. Diczem-bür. Estie Depesche
des amerikanischen Gesandten bei der Regierung von
Venezuela in Caracas meldet, daß der englische Mirnster-
resident und der dentsche Geschäftsträger vor ihrer Ab-
reise crsucht Hätten, die Fnteressen ihrer Länder wahrzii-
nehmen. Diesem Ersnchen wird stattgegeben werden, da
keine Rechtfertigung für eine Ablehnung vorhanden ist,
nnd die Gesandtschaft der Vereinigten Staaten von Am?-
rika in Caracas wird demgemäß die englischen und
dentschen Staatsangehörigen, wenn dariun ersticht wird,
beschützen. Ans dem Jnhalt einiger Mitteilungen der
Gesandtschaft der Vereinigten Staaten in Caracas an das
Staatsdcpartement geht hervor, daß der Gesandte, wenn
er Gelegenheit znr Veiwendnng seiner gntcn Dienste als
Vcrmittler sehe, diese nngesänmt benützen wollc. Das
Staatsdepartement ermntigte den Gesandten nicht zn

dieser Hnltnng, da es vorzeitige Verwicklungen verinei-
den will; doch ist es, da er an Ort und Stelle ist, damit
einverstanden, daß er thut, was er kann, nm eine Krisis
zn vermeiden, nnd es wird ihm eine gewissermaßen
diskretionäre Befugnis gegeben. Das Staatsdeparte-
ment isl init den Absichten Dentschlands und Englands
vollkommsn bekannt und sieht keinen Grnnd, in diesem
Stadiuin sich überhaupt einzuinischen.

Caraca s, 10. Dezember. Das Reutersche Burecm
meldet: Die vereinigte deutsch-englisckfe Flotte hat 4 Uhr
nachmittags anßerhalb von La Guayra die dort besind-
li-chen -L>chifse weggenommen und ins Schlepptau genom-
inen. Es waren dies üie Kriegsschiffe „General Crespi",
„Totuno", „Assun" nnd „Margaretha" mit einer Ge-
samtbesatzung von 390 Mann. Die Nachricht von der
Wegnahme der Schifse ist in der Hanptstadt noch nicht
allgemein bekannt: es wird bei ihrem BekanntwerderL
große Erregung eintreten.

L o n d o n, 10. Dezember. Wie wir erfahren, sind«
die englischen Gonvernenre der britischen Kolonien in der
Nähe des Operationsschauplatzes von Veneznela von dar
englischen Regiernng in sehr entgegenkommender Weise
angewiesen worden, den dentschen .Kriegsschiffen iväh-
rend des Verlauss der Operation alle mögliche Erleich-
terung zu gewähren.

Deulscher Weichstag.

Znr vürgestrigen Sitzung des Reichstags benierkt die
„Köln. Ztg.":

Es ließ sich erkennen, daß die Sozialdemokraten nach ncuen
Mitteln suchen, die Zeit totzuschlagen. Jhre Führer beteiligten
sich heute nicht daran; man schickte nur untergeordnete Redner
vor, wie Lberhaupt dic vollständige Zurückhaltung einiger Ab-
geordneten immcr mehr auffällt, vor allem die Thcrtsache, datz
Vollmar es noch nicht für nötig gehalten 'hat, in dem
ganzen Kanrps auch nur eimnal das Wort zu ergreifen. Jn de«
svzialdemokratischen Fraktion soll es am Montag und crm
Dienstag zu geradezn stürmischen Auseinandersctzungen ge-
kommen sein, bei denen man schliehlich vorsichtshalber auch die
Saaldiener beurlaubt hätte. Als cinen neuen Kunstgriff ver--
suchten die kleinen Geister der Obstruktion heute, um über
3-Minuten-Redezcit hinwegznkommen, die Stellnng von Ta-
gesordnungs-Anträgcn zu ihren eigenen Anträgen? So kam
es denn, daß die Soziäldemokraten für dcn Tagesordnungs-
Antrag sprachen und dagegen stimmten, während er von der
Mehvheit, nachdern Spahn dagegen gesprochen, angenommerr
wurde. Daß dieser oder ähnlicher Wrdersinn sich bei der jetzi-
gen Wandlung der Dinge lange fortspinnen ließe, glauben die
Sozialdcmokratcn selbst kaum.

Berlin, 10. Dezember.

Präsident Graf B a l l e st r e m eröffnet die Sitznng um
10,20 Uhr und äußert fich zunächst zu den Bcschwerden, dis
über die Auslegung der Listen der namentlichen Abstimmungen„
über den stenographischen Bericht des Rcferats des Abgeord-
netcn Gothein eingebracht worden sind, und die Klagen des
Abgeordneten Broemcl über die Heizung und Ventilation rm
Sitznngsraum. Er bezcichnet insbefondere letztere Beschwer-
den unter der Heiterkeit des Hauses als unbegründet. Als der
Abg. Got'hein (fr. Vg.) das Wort wünscht, verweigert
der Präsident es ihm, da das Haus übcrhaupt noch nicht in die
Tagesordnnng eingetreten sei.

Nachdem dem Abg. Dr. Arendt (Rcichsp.) über die
Zollpositionen 508-^516 referiert hat, beantragt Abg. Doktor
S t o ck m a n ii (Reichsp.) Rückverwcisung allcr Positioncn«
über die berichtet worden sei.

Stavttyeater.

Heidelderg, 11. Dez.

„Es lebe das Leben." Drama in füiif Akten Vvn
Hcrnrann S u d e r m a n ».

Er, sie und der Freuiid vilden das sogenaniite iiiieressante
Dreieck, das schon manchem Dvama zur Grundlage gedient hat.
So aiich in diesem Sudermannschen. Das Milieu ist stark
Politisch; man hört viel von Wahlen und von Partei, von
Abgeordnetenmandaten und ZWahllvexsainrftlun-gen., Er shat
dem „Freund" seinen Wahlkreis avgetreten. Während der
Azahlagitation worden von dem Agitator der sozialdemokrati-
schen Gegner, seinem frühercn Sekretär, Anspiclungen in die
Presse gebracht, die Auftlärung erheischen. Damit tommt
die Sache zu feiner Kenntnis, sie soll aber vor der Welt,
der Partei zuliebe, vertuscht werdcn. Die Frau, die einsieht,
.daß cin Opfer fallen muß, vergistet sich während des Akahles,
das vor der Oeffentlichkeit üie Nichtigkeit öer Nnschnldignngen
vezeugen soll.

Es ist schon lange her, Laß die Beiden — sie und der
Hausfreund — den Wortlaut des sechsten Gebotes verletzr
yaben -— zwölf Jahre. Aber nach der strengen Auslegung
sind sie auch heute noch schuldig, da ihr Verhältnls sich äutzer-
üch im Rahmen der Freundschast 'hält. Sie liebt ihn mit allen
Sasern ihrer Seele, mag sie das auch vor ihm selbst unter
der Maske erlanbter Gesühle verbergen. Schwer genug hat
de daran zu tragen. Jhr Herzleiden, das ihr jeden neuen
s-ebenstag als ein Geschenk erscheinen läßt, ist nicht von unge-
>ähr gekommen. Trotzdem und alledem möchte sie ihre Liebe
Gcht aus ihrcm Dasein streichen, denn sie ist ihr das Leben
lelbst: Es lebe das Leben.

^ Es klingen in dem Sudermannfchen Schauspiel Töne an,
ans dE Reiche jenseits von gut und böse kom-
Mn, aber sie haben keine mitreißende, siegreiche Gelvalt. Jn
Drama steckt etwas von der Halbheit eines Kompromisses.

Heldin hätte den Knoten durchhauen; das Stück wäre

dann ein Trauerspiel gewvrden, der höchste Ausdruck des
Lcbens, das triumphierend die zufällige menschliche Form zer-
dricht. Die Gräfin vo» Kellinghausen läßt sich von dem
Knotcn bis zue Erdrosselung eiuschnüreil; sic lebt, solange es
geht. Es lebe das Lebeii! Wir werdcii nicht erhoben, auch
nicht im Jnnerften ergriffen, aüer wir folgen mit schmerzhafier-
Enipfindung cinem Drama, in dem sich das Leben auszehrt.

Viel hat Sudermann gcthan, um scin.Stück interessant
zu machen, das Psychologische an sciner Hauptpcrson 'hat er
sein ausgearbeitet, es ist Freilichünalerei darin, wie in den
meisten hcrvorragcnden Dramen der moderncn Art. Die bc
deutende, schöiie uud leidenschaftliche Frau läßt uus aus deu
Grund ihres Wescns blicken nnd zeigt dessen Einzelhciten mit
gincr sast erschreckenden Deutlichkeit. Einer denkenden, tcm-
peramentvollen Künstlerin, die über die Mittel ihrer Kunst
frei verfügt, bietet die Verkörperung dcr Gräsin von Kelling-
'hausen ohne Zweifel eine sehr verlockende Aufgabe. Ein
Problcm, dessen- Lösung die Anspannung aller Kräfte verlangt.

Wie hat nun Fräulcin Boch ihre Aufgabe gelöst'l Wenn
man in seinen Erinnernngen kramt und an jene Zeit zu-
rückderrkt, da Fräulein Boch hier die ersten thearralischen Ver-
suche rmternahm, dann tritt vor das Gedächtuis das Bild
eines sehr licbenswürdigen amnutigen Mädchen, das schön
deklanriercn korinte und sich redlich Dtüye gab, Geist und Em-
pfindung in ihre Rollen zu legen und die Personen, die sie
darstellte, regclrecht mimisch zu verkörpern. Eine Neigimg
zum Pathetischen war damals unverkennbar, das Gefühls-
mäßige machte meist einen etwas gegwungenen, crkünstelten
Eindruck. Jetzt lebt Fräulein Boch ihre Rolle, das ist der
große Unterschied zwischen damals und heute, der Unterschicd
zwischen Anfängertum und reifer Künstlerschaft. Mrtuos ist
Fräulein Boch jetzt in allem, was das Aeußere der Kunst an-
betrifft. Wie sie die Situation beherrscht, wie sie jeden Augen-
blick zwanglos nnd natürlich ausznfüllen bersteht, wie sie
mit einer Handbewegung, eincm Kopfneigen zu sprechen weiß,
das ist überraschend fein. Man denke nur an das Wetter-

leuchten der Liebe, das aus ihr in der ersten Sgene mit Völker-
lingk herausblitzte. Jhr Spiel ist nrtim und graziös. Auch über
den Ausdruck wärmeren Gefühls verfügt sie jetzt nach freier
Wähl. Bei dem der Leidenschaft tst noch ein kleiner Rest der
altcn Liebe zum Pathetischen zu bemerken.

Wenn dcr reilweise etwas schleppende Verlauf des Suder-
mannschcir Schauspiels mit begieriger Aufmerksamkeit verfolgt
wurde, so ist dies dem außerordenrlich intercssanten Spiel des
Fräulein Boch zu verdanken. Man wollte keine Eirizelheit
dicser reich bewegten, lebendigen Darstellung verlieren. Reich
wurde die Küristleriu mit Beisall ausgezeichnct und anch an,
Bluinenspcnden fehlte es nicht.

-L>ndermanns Dvama spiclt in konservativeii aristokratischen
Krei'scn, im allgerncinen ein ziemlich gcfährlicher Boden sür
die Darsteller, die sich bald zn fornrell, bald zu geflisseirtlich
natürlich zrr gcben pflegcn. Jst eine größere Änzahl von
Rollen zu besetzen, dann pslegt es da nnd dort zu hapern. Jrg
allgcmeinen konnte man gestern zufrieden sein.

Anspruch auf Jntcresse gieüt Sudermann eigentlich nnr noch
dcm Grafen INichael Kellinghausen und dem Freunde Rrchard
bon Völkerlingk mit. Hcrr Sigl, der den ersteren spielte»
hielt den unzulünglichen Lebensgesährten seiner bedeutendenl
Frau etwas kleirrbürgerlich. Als der Konflikt begann, täm
er dann- in das Fahrrvasser, in dem er sich am erfolgreichsten
zu tummclil Pflegt. Derr Richard von Völkerlingk gab Herv
H o l st e i n. Wie über den an Geist urrd Energie bedcutenden»
sck-affcnslustigeii uich chrgeizigen Mann 'die Schätten des
Schuldgefühls huschcn, das ist der interessantcste Tcil an diesem
Charakterbildc. Der Darsteller brachte ihri gut zum Aus-
druck. Dic seelißche Aktivität ist in den Hauptszenen des
Stückes jedoch zu so großem Teil in dcr Person der Beate
von Kellinghausen konzentriert, daß sclbst für ihn davon nicht
viel übrig bleibt.

Zahlreich sind dic Nebenpersonen des Stückes. Man hat das
Gefühl, es iväre besser gewesen, der Dichter hätte in dieser
Hinsicht einen geringeren Aufwand gemacht und die Frmktioncn
 
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