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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Juli bis Dezember)

DOI Kapitel:
Nr. 229-255 (01. Oktober 1902 - 31. Oktober 1902)
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Freitag. 31. Oktobcr 1W2. Krftes Blatt. 44. JahlML. — 255.

Erscheint tägIich, Sonntags ausgcnommcn. Preis mit Familienblättern monatlich 50 Pfg. in's Haus gebracht, bei der Expedition und den Zweiganstalten abgeholt 40 Pfg. Durch

die Post bezogen vierteljährlich 1.35 Mk. ausschlietzlich Zustellgebühr.

Anzeigenpreis: 20 Pfg. für die Ispaltige Petitzeile oder deren Raum. Reklamezeile 40 Pfg. Für hiesige Geschäfts- und Privatanzeigen ermätzigt. — Für die Aufnahme von Anzeigcn
an bestimmten Tagen wird keine Verantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Jnserate auf den Plakattafeln der Heidelb. Zcitung und den städt. Anschl^gstellen. Fernsprecher 82.

Bestellnngen

auf die

fielüelberger Lettung

für die Monate November und Dezember werden
bei allen Postanstalten, den Briefträgern, den Agenten, bei
den Trägern, sowie in der Expedition, Untere Neckar-
straße 21, angenommen.

Bezugspreis: monatlich nur AO frei

in's Haus gebracht; durch die Post bezogen für die
Monate Novcmber u. Dezember zusammen nur A?!. 1.16
Mit Zustellgebühr.

Der gediegene reiche Jnhalt der „Heidel-
berger Zeitung" ist ihre beste Empfehlung.

Aie Schwächen der englischen Ilotte.

„Die Schwächen unserer Flotte" überschreibt Sir
William Allan eine Serien-Abhandlung in der ultra-kon-
servativen „Pall Mall Gazette", und die Ausführungen
können schon darum Anspruch auf höchste Beachtung
machen, da der Verfasser, einMitglied des englischen
Parlaments, als einer der besten englischen
Flottenexperten gilt. Jn dieser Serie (der zwciten)
beschäftigt sich Sir William nun mit der Bemannungs-
frage, die ihm als eine der wichtigsten überhaupt gilt.
Es heißt da:

Es ist allbekannt, daß die Admiralität die Schiffe nicht
boll bemannen kann. Nehmen wir die Bedienung der Ma-
schinen und Geschütze vorerst, von der in einem Seegefechte
ber Erfolg hauptsächlich abhängt. Es ist zweifellos, daß
unsere Schiffe in skandalöser Weise unterbemannt sind und
doß wir in praktischem Sinne auch nicht die geringsten
Reserven für Jngenieure und Heizcr haben. Warum dem
so ist! Nun weil unserer Admiralität jedes Organisations-
berständnis abgeht. Wir haben lein der modernen Zeit
ungepaßtes System und können nicht genug Leute finden,
die Dienste in der Flotte nachsuchen. Die Ausbildung
Unserer Flotteningenieure ist absurd und die der Heizer bei
weitcm zu kostspielig. Anch dadurch, daß man junge
Burschen von der „Britannia" nach dem Keyham Kollege
fendet, bildet man aus ihnen keine James Watts oder
Nelsons heron . . . Das gegenwärtige System unserer
Admiralität ist ein verhäitetcs Gemisch von veralteten
Absurditäten und persönlichen Eifersüchteleien, die zwischen
der technischen und der sogenannten bürgerlichen Abteilung
bestehen. Eine selbständig die Geschäfte erledigende Ober-
keitung besitzt unsere Admiralität nicht. Alles ist den
Jdiosynkrasien und Jdeen gewisser „Lords" überlassen,
die von ökonomischer Handhabe und dem Geiste der prak-
tischen Vollendung einer Sache auch nicht die leiseste
Ahnung haben. Das ist veränderlich, denn die Herren
berstehen von geschäftlicher Sparsamkeit nichts und eben-
iowenig können sie cine einmal begonnene Sache durch-
iühren und fehlerfrei gestalten. Daher erklärt sich, daß
^nsere Schiffe zweimal so viel Kohlen verbrauchen, als sie

sollten und daß sienicht einmal mit Sicherheit die Geschwindig-
keit einhalten können, die bei ihrem Entwurfe vereinbart
worden ist. ... Es wird sich als notwendig erweisen,
mit den gegenwärtigen Methoden vollauf zu brechen. Unsere
Admiralität wird im Falle eines Seekrieges ebensowenig
den Anforderungen entsprechen können, als das Kriegsamt
zu Beginn des Burenkrieges, und sie wird sich in einer
allgemeinen Konfusion befinden. Die 30 Millionen Pfund
Sterling, die wir alljährlich auf unsere Flotte verwenden,
werden nicht weise ausgegeben. Was wir im Austausche
erhalten, sind Schiffe wie die „Terrible", „Powerful",
„Diadem", „Europe", „Hermes", „Spartiale", „Mon-
tagu" und andere, die schon nach kurzem Gebrauche und
bei geringer Knotengeschwindigkeit dienstunfähig sind.
Hätten wir eine richtige Organisation in der Admiralität
gehabt, so wären solche Schiffe niemals gebaut
worden, vielmehr besäßen wir bessere Typen zn weit
geringeren Ausgaben. Wenn mil diesen Zuständen nicht
aufgeräumt wird, wird unser britisches Weltreich in den
Zeiten der Not in der Flotte nur einen schwachen Stütz-
punkt besitzen.

Deutsches Reich.

— Der Reichstagsabgeordnete Brandenburg (Ztr.),
der den Wahlkreis Lingen-Bentheim vertrat, ist gestorben.

— Die neue Schanmweinsteuer ist im nächsten
Reichsetat mit etwa 4 Mill. Mk. cingesetzt.

— Jn der gestrtgen Sitzung des Buudesrats
wurde die Borlage betrcffend die Verleihung von Korpo-
rationsrcchten an die mit dem Sitze in Tsingtau gegründete
deutsch - chinestsche Seidenindustrie-Gesellschaft (Kolonial-
gesellschaft), sowie eine Denkschrift über die Ausführung
des seit dem Jahre 1875 erlassenen Anleihegesetzes und
die Einführung von Lohnbüchern für die Kleider- und
Wäschekonfektion an die zuständigen Ausschüsse überwiesen.
Ferner wurde der Entwurf eincr Verordnung wegen Jn-
kraftsetzung ded Gesetzes über die Unfallfürsorge für Ge-
fangene vom 30. Juni 1900 genehmigt; ebenso der Ent-
wurf eines Gesetzes betreffend weißphosphorene Zündwaren, ^
genehmigt. Zugestimmt wurde weiterhin den Ausschuß- j
anträgen über die vom Reichstag zu dem Gesetzentwurf
betreffend die Feststellung des Reichshaushaltsetats für
1902 gefaßte Resolution wegen Versicherungseinrichtungen
für die Folgen der Arbeitslosigkeit, und über die Frage
der Ergänzungs- und Ausführungsvorschriften zu dem
Gesetz vber die Unterstützung von Familien der zu Friedens»
übungen einberufenen Mannschasten vom 10. Mai 1902.

— Der Frage der Hebung der Viehzucht in
Südwestafrika wird in der Kolonialabteilung des Aus-
würtigen Amtes in neuerer Zeit noch mehr Aufmerksamkeit
als früher gewidmet. So hat sich die Kolonialabteilung,
um auch auf die bei der Viehzucht stark in Betracht
kommende und beispielsweise in Südamerika init großem
Erfolg durchgeführte Verwertung der Tierhäute und -Felle
die Jnteressenten in Südwestafrika hinweiseu zu können,
ein Gutachten üter die Konscrvierung der für den Export
bestimmten Tierhäute und Felle vom Zentralverein der ^

deutschcn Lederiudustrie erstatten lassen und dieses den
Juteresseiiten zur Kenntnis gebracht. Nebcn der Fleisch-
verwertung wird für eine Steigerung der Viehzucht in den
deutschen Schntzgebieten hauptsächlich die Häute- uud Felle-
verwertung in Frage kommen. Es ist selbstverständlich von
großem Werte, daß die Jnteressenten über die besten
Konservierungsmethoden für den Export auf diesem Gebiete
von sachverständiger Seite unterrichtet werdeu. Der deutschen
Lederindustrie könute cine Erweiterung ihrer Bezugsgebiete
für ihr wichtigstes Rohmaterial natürlich auch nur ange-
nehm sein. _

Deutscher Weichstag.

Berlin, 30. Okt.

Zolltarifgesetzenkwurf.

Die Mindestsätze füe Getreide, Pferde, Vieh und Fleisch,
» Absatz 1 des Z 1 des Zolltarifgesetzes, werden in namentlicher
Gesammtabstimuiung mit 153 gegen 128 Stimmen bei zwek
Stinimenenthaltuiigen angenommen.

Das Haus geht miiimehr zur Beratnng des dritten Absatzes
des § 1 des Zolltarifgesetzes betreffend Anwendnng von Z o ll-
befreiung undZollermäßigung anf die Erzeugnissr
der Zollansschüsse nnd der deutschen Kolonien über.

Die Kommission hat die Bestimmnng eingefngt, daß die vom
Bnndesrat getroffenen entsprechenden Anordnungen dcr Zustinimuna
des Reichstags bedürfen.

Ein sozialdemokratischer Antrag Albrecht wünscht, daß
die Zollbefreiung und Zollermäßigung ohne weiteres auf die
Erzengiiisse der Zollansschüsse und Kolonicen Anwendung finden.

Abgeordneter Molkenbnhr (Soz.) begründet den Antrag
Albrecht. Dem Bundesrat dürfe die Befngnis nicht eingeränmt
werden, die Zollansschlüsse zu behandeln, als ob sie mit uns iu
eincm Zollkrieg lebten. Man dürfe Hamburg nnd Bremen nicht
schlechter behandeln als Rotterdam nnd Antwerpen, die sich der
Meistbegünstigung ersrenen.

Abg. Frese (freis. Ver.) stimmt diesen Ausführungen zn.

Staatssekretär Frhr. v. Thielmann bekämpft den Antrag
Albrecht. Der Bnndesrat müsse etwaige Berschleiernngen, die im
Falle eines Zollkrieges in einem so großen Freihafen wie Ham-
bnrg vorkommen kömiten, entgegentreten können. Eine Gefahr
für Hamburg nnd Bremen liege in der vorgeschlagenen Fassung
des Absatz 3 nicht.

Jm weiteren Verlanfe der Erörterung sprechen die Abge-
ordneten Dr. S p a h n (Zentr.) und Dr. Paasche (ntl.) gegen
den Antrag Albrecht, über den namentlich abgestimmt wird.

Der Antrag Albrecht wird mit 192 gegeii 86 Stimmen ab-
gelehnt.

Nachdem der von dcr Kommission eingefügte 8 1a des Zoll-
tarifgesetzes, betreffend die Errichtung einer Z ollau sku nfts-
behörde in jedem Stenerdirektionsbezirk, ohne erhebliche Debatte
angenommen ist, beginnt die Beratung des von den Sozial-
demokraten (Antrag Albrecht) vorgeschlagenen 8 1b, wonach der
Bundesrat verpflichtet ist, die zollfreie Einfnhr von solchen
Waaren zuznlassen, die von deutschen Sy n d ika ten, Tr ustK,
Kartellen, Ringen, nach dem Ansland oder im Ausland
billiger verkauft werden, als im deutschen Zollgebiet. Eiu
Eventnalantrag Barth - Broemel (freis. Ver.) will statt „Ver->
pflichtnng" des Bnndesrats „Befugnis" setzen.

Abg. Bernstein (Soz.) begründet den sozialdemokratischeir
Antrag nnd führt aus, der Antrag sei nicht von grundsätzlicher
Feindseligkeit gegen die Kartelle geführt; er wolle aber ihrer
Preispolitik einen Damm entgegensetzen.

Nach fast zweistündiger Rede Bernsteins führt Abg. Graf
Kanitz (konf.) ans, er billige die Tendenz des Antrags Albrecht,
halte aber den vorgeschlagenen Weg für nngangbar. Die Er-
örternng verzögere die so dringliche Erledigung des Zoll-
tarifs. Uebrigens sei man in Oesterreich schon seit drei Jahreir
mit der Kartellgesetzgebung beschäftigt, aber bisher ohne Ergebnis.

Die Wot unserer Schanspielerinnen.

. Ü. R. Die Gagen der Schausplelerinnen sind schon
Nt Gegenstand öffentlicher Erörterungen gewesen. Nkit
^nigen Ausnahinen sind sie nicht blotz an und für sich
'^hr niedrig, sondern sie stehen auch in keinem Verhältnis
^ den hohen Ausgaben für Kostüme, üie den Künstlerin-
^n durch die Kontrakte seitens der Theaterdirektoren
Mferlegt sind. Bei der grotzen Verschiedenheit der
^heaterbetriebe ist es natürlich nicht möglich, die Höhe
Gagen der Schauspielerinnen genau anzugeben. Jn
^eutschland betragcn sie unter normalen Verhältniffen
Nach dem Fach an kleinen Theatern (bei sechsmonat-
"cher Spielzeit) im Durchschnitt 90 bis 150 Mark mo-
ntlich, an mittleren (mit 7- bis Lmonatlicher Spiel-
^N) 150 his ZOO Mark, an grötzeren mit Jahreskon-
^akten 200 bis 600 Mark monatlich, an den größten
Uf- und Stadttheatern sür die ersten Fächer bis zu
16 und 20 000 Mark jährlich mit längerem oder
. iZerem Urlaüb. An der Oper sind die Gagen durch-
koii' als beim Schauspiel, weil die Ausbildung

^(Dieliger ist und wirklich große und schöne Stimmen
Föu ^lber wenn auch einzelne Vertreter der ersten
Seli kr hohe Gagen beziehen, so sind sie doch verein-
lliiiss ^risuahmen. Selbst an den besseren Provinztheatern
Px ^rn stch die tüchtigsten Schauspielerinnen mit 200
in uwnatlich begnügen, obschon sie für die Toiletten
iNMsUem einzigen neuen ^tück oft viel mehr ausgeben
SalluWährend die Schauspieler durchweg höher be-
bud und die Köstüme seitens des Theaters geliefert
djx ü?uien, wird den Damen in den Kontrakten einfach
^rpflichtung aufcrlegt, für ihre Kostüme selbst auf-

zutömmen. Die Engagementskontrakte bleiben dem
Publikum meist völlig unbekannt; sie enthalten vielfach
so ungeheuerliche Bestimmungen, daß man sie einfach
überschreihen könnte: „Mit Händen und Füßen gebun-
den". Der Hamburger Theaterdirektor Bittong hat selbst
diese Kontrakte als eine „Ungeheuerlichkeit" Lezeichnet.
Tony Kellen hat in dem eben bei Otto Wiegand in Leip-
zig erschienenen Werke: „Die Not unserer Schauspieler-
innen" (Preis 2 Mk.) die wirtschaftlichen Verhältnisse
der Schauspielerinnen eingehend untersucht. Er legt
darin an der Hand cines reichhaltigen Materials dar,
daß die Gagen den Schauspielerinnen kaum genügen, die
nötigsten Lebensbedürfnisse zn bestreiten, und daß des-
halb die meisten Künstlerinnen für ihre Kostüme auf Zu-
schüsse angewiesen sind. Da nun aber die einer Künstlerin
auferlegte Vetpflichtung znr Anschaffnng von Kostümen,
deren Kosten in keinem Verhältnisse zu ihren Bezügen
stehen, gegen die guten Sitten verstößt, ist sie laut Para-
graph 138 des B. G.-B. rechtlich ungiltig. Jn Frank-
reich hat in einem solchen Falle das Gericht zu Gunsten
der gegen ihren Direktor klagenden Schauspielerin
entschieden. Es steht außer Zweifel, daß anch die deut-
schen Gerichte dasselbe thun würden. Hoffentlich wird
das in Vorbereitung befindliche neue Theatergesetz das
bisherige Theaterrecht nach den Bedürfnissen der Neu-
zeit gestalten. Bis jetzt haben die Mitglieder einer
Bühne nur Pflichten, aber beinahe gar keine Rechte, und
sie sind gegen jede willkürliche Behandlung ohnmächtig.
Hier muß jedenfalls eine Aenderung eintrctcn, wie sie
sich für die Angehörigen eines liberalen Bernfes ge-
ziemt.

Kleine Zeitung.

— Wien, 30. Okt. Jn Hofkreifen verlautet, daß sich
Erzherzogin Elisabeth, geb. 1878, die Tochter des ver-
storbenen Erzherzogs Karl Ludwig, mit dem Prinzen
Johann Liechtenstein, geb. 1873, drittem Sohne des Fürsten
Alfrcd Liechtenstein verloben werde.

— Aus der Schweiz, 28. Okt. Wirklich mit Kindern
gesegnet ist ein in dem bekannten Wallfahrtsorte Ein-
siedeln wohnhaftes Ehepaar. Letzte Woche wurde der 28.
Sprößling zur Taufe getragen. Von den 28 Kindern sind
25 am Leben, 14 Knaben und 11 Mädchen.

— Aus Stockholm, 25. Okt-, schreibt inan der „Mgdb.
Ztg.": Ein arger Mißbrauch deS Telcphons, der
hier jüngst vorgekomnieii ist, beschäftigt lebhaft alle Ge-
müter. Ein Privatdetektiv hatte den Auftrag, den Aufent-
halt eines wegen einer Wechselschuld verklagten Herrn Ek
zu crmitteln. Er vermutete, daß dieser sich im Hause
seines Vaters aufhalte, wie er aus einem zufällig aus
dem Telephonamt gehörten Drahtgespräch zu entnehmen
glaubte. Nachdem er von der Telephondame die Nummer
der beiden Sprechenden erfahren hatte, verschaffte er sich
von dem Pförtner des Hauses, in dem der alte Herr Ek
wohnte, die Erlaubnis, den Dachraum betreten zu dürfen.
Dort verband er Eks Telephonvcrbindung mit einem mit-
gebrachten Hörapparat und lauschte während eines halben
Tages allen Gesprächen, die ihm bald die Gewißheit ver-
schafften, daß der Gesuchte sich wirklich im Hause befand.
Die Aufregung über dies Vorkommnis ist begreiflicher-
weise in der Geschäftswelt sehr groß, umsomehr, als im
 
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