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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Juli bis Dezember)

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Nr. 229-255 (01. Oktober 1902 - 31. Oktober 1902)
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https://doi.org/10.11588/diglit.23861#0679

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Donncrstag, 9. Oktober 1902. Grstes Blatt. 44. Jahrgang. — ^ 236.

Erschcint t ä g l i ch, Sonntags ausgenommcn. Preis mit Familicnblättcrn monatlüH 60 Pfg. in's Haus gebracht, bei dcr Cxpedition und den Zweiganstalten abgeholt 40 Pfg. Durch

die Post bczogcn vierteljährlich 1.85 Mk. ausschließlich Zustellgebühr.

A n z c i g c n p r e i s: 20 Pfg. für die Ispaltige Petitzeile vder dercn Raum. Reklamezeile 40 Pfg. Für hiesige Geschäfts- und Privatanzeigen ermätzigt. — Für die Aufnahme von Anzeigen
an bcstimmten Tagcn wird keine Verantwortlichkeit übernommen. — Anschlag dcr Jnserate auf den Plakattafeln der Heidelb. Zeitung und den ftädt. Anschl^gstellen. Fernsprecher 82.

Der Kaiser und die Murengenerate.

Berlin, 8. Oktober. Dic „'liorddcutsche Allgemeine
Zcitung" schreibt: Nachdcm cs zur Kcnntnis dcs Kaiscrs
gllangt war daß die Führer dcr chcmaligcn Burcuarmce
Botha. de Wct und de la Mey nach Bcrlin kommen
würdcn, crging am 18. Seprember dcr kaiserliche Befehl.
die Gcncralc dahin zu verstäudigcn, der Kaiser sei
bereit, sie zu empfangen voransgcsetzt, daß sic sich in
Dcutschland jcdcr antienglischen Agitation enthiclten und
beim Kaiscr durch Vermittlung des cnglischcn Botschafters
sich anmelden lasscn würden. Hieraus erklärte General
de Wet für sich und seinc Kameraden, daß sie mit den
Bcdingungcn, unter dencn der Empfang bcim Kaiser
stattfinden sollte, einverstanden seien. Nach ciner am
6. Oktobcr aus dem Haag cingcgangencn amtlichen
Mcldnng sind die Geucrale jcdoch inzwischen anderen
Sinnes gcwoiden. Sie crhobcn jetzt Bedenkcn dagcgcu,
die Andienz nachznsuchen. Sie crwarten vielmehr cine
Bcrufung durch den Kaiser. Demnach ist diese Angelegen-
hcit in negativcm Sinne entschieden und
e r l e d i g t.

(Wiederholt aus einem gestern Abcnd hier verteilten Extrablatt.)

Man darf wohl annehmen, daß der Kaiser die tapferen
Burcngenerale sehr gern gesehen und persönlich gesprochen
hätte; er weiß Männer und Thaten zu schätzen, und die
drei Gcnerale, die Deutschland besuchen wollen, gehören
zu den tüchtigstcn Gestalten des klcinen und so eigenartigcn
Bnrenvolkes. Man darf auch sagen, daß die Bedingungen,
die der Kaiser den Generalen stellte, keine schwere gewesen
sind und daß sie durch notwendige Rücksichten geboten
wurden. Der Kaiser als Hüter der auswärtigen Be-
ziehungcn Deutschlands muß darauf schen, daß diese
Bcziehungen nicht ohne Not beeinträchtigt werden. Es
liegt ja auch in der Natur der Sache, daß er englische
Unterthanen — nnd das sind doch die Buren jetzt —
nicht empfangen kann, falls sie die Absicht zeigen, gegen
England in Teutschland zu arbeiten. Dewet hat dies ja,
wie aus den Mitteilungen der „Nordd. Allg. Ztg." hervor-
geht, selbst anerkannt und die Bedingungen des Kaisers,
einschließlich der Anmcldung durch den englischen Bot-
schafter, angenommen. Wenn nun die Burengenerale
anderer Meinung geworden sind, so muß das in
Deutschland Bedauern nnd auch Befremden erregen.
Jhr Verhalten erinnert unwillkürlich an das Verfahren
des Präsidenten Krüger, der in Paris erklärte, er wolle
den deutschen Kaiser durch das deutsche Volk zwingen, und
dann auch richtig nach Deutschland abreiste, sodaß er sehr
deutlich zur Rückkehr aufgefordert werden mußte. Damals
nahm das deutsche Volk allgemein für Krüger Partei. Die
große Sympathie für das damals noch um seine Unab-
hängigkeit kämpfende Burenvolk drängte jedes andere Ge-
fühl und anch jede Ueberlegung zurück. Heute sind die
Verhältnisse andere. Heute ist mehr Raum für ruhige

Ueberlegung. Die Burengenerale werden das deutsche
Volk heute nicht so mit sich fortreißen, wie dies damalS
Krüger gethan hat. Man wird ihren Schritt kritisch be-
urteilen und man wird vermutlich zu dcr Ansicht gelangen,
daß diese Demonstration gegen den Kaiser nicht nötig war.
Die Folgen davon ergeben sich von selbst.

Es wird in der Haager Mitteilnng nicht gesagt, daß
die Generale nnn auf die Reise nach Berlin überhaupt ver
zichtet hätten, also wird die Reichshauptstadt sie in ihren
Mauern sehen. An die Bevölkerung Berlins nnd des
Reiches tritt nun die Forderung heran, der durch die
Generale geschuffenen etwas peinlichen Lage mit großem
Takt gerecht zu werden, d. h. dem Kaiser zu geben, was
des Kaisers ist und den Burengeneralen, was ihrer ist.

Irankreich und Siam.

Der zwischen F r ankrei ch und Siam nbgeschlos-
sene, vorgestern vom französischen Ncinister des Aenßern
im PNinisterrat vorgelegte Vertrag bedeutet eine neue
Etappe in dem vor einem Jahrzehnt erfotgreich begon-
s nenen Eiiigreifeii Frankreichs in Vie Geschicke des „L-taa-
j tes der Freien", wie der Siamese stolz sein Vaterkand
? nennt. Damals kam es zwischen Frankreich und dem
; zwischen Franzöfisch-Jndo-China nnd dem britischen Bir-
§ ma gekegenen Siam zu Grenzstreitigkeiten. Jn solchen,
j wofern sie sich in freniden Ländern mit halbzivilisierten
Nationen abspielen, hat die dritte Republik anerkannt
Giück.

Durch die nunmehrige förmliche ALtretung der in
dem obigen Vertrag genamiten Provinzen Maluprei und
Bassat auf dcm rechteu Ufer des SNekong oberhalb
.Cambodschas hat I- r a n krei ch van jetzt an den F u tz
im Zentrum Siams, und durch die weitere Ab-
lretnng dcs Gebietes am Großen See ist ihm sür künftige
Eventualitäten der Weg nach B a n g k o k um die
Hälfte der 'bisherigen Länge verkürzt. Daß die franzö-
sischen Truppen Tschantahun, die an der Grenze von
Kambüdicha getegene Stadt, räumen, verschlägt dabei
wenig. Aus dem abseits der Heerstratze gelegenen Ort
kann F-rankreich bis später verzichten.

Die weiteren Klauseln des Vertrages lesen fich nach der
„Allg. Ztg." nicht ohne Jnteresfe: Siam erhätt das Recht,
TruPPen nach verschiedenen Punkten anf dem rechten Ufer
des dNekong zu entsenden, wekche Siam verbkciben, doch
nur ansschließlich siamesische von siamesischen Offizieren
befchligte Trnppen. F-erner darf Siam in dem siamesi-
schcn Teile des Flntzbettes des Mekong Häfen, Kanäle
nnd Eisenbahnen bauen, jedoch ausschlie^lich mit siamesi-
scheni Personal nnd nnter siamesischer Leitung. Das eine
zielt — nnd wie denltich! — anf den englischen Nachbar
zur Rechten, das andere auf insgesamt nichtfranzösisches,
darunter anch deutsches, Kapial, das sich in den letzten
Jahren der knltnrellen Erschließnng SiaMs, das be-
kanntlich von einem anfgewecklen Fürsten regiert wird,
mit wachsendem Eifer nnd nicht magerem Erfolg gewid-
met hat. Der letzte, zollpolitische Teil des Vertrages
wird wohl bei den ini Mekonggebiet Handel treibendcn
Nationen die stärkste Wirkung erzielen.

Tanach darf ohne Znstimmnng Frankreichs keine Dif-
ferenzialabgabe für Bemitzniig der Häfen, Kanäle nnd
Eisenbahnen im Mekonggebiete und ganz Siam erhoben

werdeii. Die im französischen Gebiete gckborenen oder
unter französischem Schutze stehenden Asiaten, sowie deren
Kvinder können wie französische staatsangehörige in die
Listen der französischen Gesandtschaft nnd der Konsulate
i» Siam eingetragen werden. Bezüglich der andern
Asiaten soüen Frankreich dieselben Rechte zustehen, welche
«iam anderen Mächten eingeräumt hat.

Dieser Teit dürfte auch mehr noch wie die ersten Teits
deS AbkommenL an der Themse das imfreundlichste Echo
wecken. JMmerhin hat die Politik des Herrn Delcasse
einen Erfolg zn verzeichnen, den unsere transvogesischen
Nachbarn mit dem ihnen eigenen Selbstbewntztsein regi-
strieren werden.

Deutfches Reich.

— Die Zahl der a n g e m e I d e t e n Teilnehmer
i an dem Eisenachcr n a t i o n a l ll b e r a l e n Dele -
^ giert e n t a g hat bereits das sechste Hundert iiber-
j schritten.

E Baden.

- Der „Stratzb. Post" schreibt man aus Karlsrnhe:
Die Nachricht über Levorstehende Veränderungen in der
O r g a nisati o n der obersten Staatsbe -
l h o r b e n ist >n der „Stratzb. Post" bereits als der Be-
S gründung entbehrend hezeichnet worden. Die Errichtung
- eines weiteren Ministeriums einige Monate nach Schlutz
j des Lalldtages erscheint auch durchaus unwahrscheinlich^,
j denn eine solchc Aenderung hat, wenn auch ein neuer Mi-
k nisterposten nicht geschafsen zu werden Lraucht, nnd
Staatsrat Reinhard das neue Btinisterium übernehmen
wiirde, doch so viele neue persönliche wie sachliche Aus-
aaben zur Folge, daß eine Organisationsänderung, wenn
sie wirklich beabsichtigt gewesen, wohl während der Ta-
gnng des Landtages vorgenommen niid zur bugetmäßigen
Gcnehmigung gebracht worden wäre. Richtig ist,
datz die beiden Ministerien, das Ministerium der Justiz,
dcs Kultns iind llnterrichts, wie auch das MinisteriNin
des Jimern, mit Geschäften nberlastet sind. Ebenso wäre
eS sachlich gerechtfertigt und würde -auch längst gehegten
Wunschcn entsprechen, das gesamte Unterrichtswesen, das,
soweit es die gewerblichen Schulen anbelangt, derzeit dem
Miinsierinm deS Jnnern, im übrigen dem Unterrichts-
ministerinm nntersteht, einem einzigen Ministerium zu-
zuteiken. Das kömite allerdings keineni der bestehenden
Ministerien überwiesen werden. Mit einer solchen Re-
form hat es aber noch gute Wege. Was die Bemerkun-
gen über beporstehende Krisen im Staatsministerinm we-
gen der K l o st e r f r a g e cmgeht, so läßt sich darüber
znr Zeit nur sagen, daß die INeldung, wonach im Staats-
ministerium in der Beurteilung der politischen Lage und
der Frage der Männerkloster im besonderen Meinnngs-
verschiedenheiten entstanden seien, bis jetzt noch uner-
wiesen ist.

Freiburg, 8. Okt. Die Meldung der „Koust. Ztg."
von eincr bedenklichen Erkrankung des Landgerichts-
präsidenten Dr. Fieser, der sich etner schweren Operation
unterziehen wolle, ist unrichtig. Herr Fieser ist allerdings
unwohl und seit kurzem wegen eines örtlichen Leidens ge-
nötigt, das Zimmer zu hüten, wird aber in Bälde seinem
Berufe wieder obliegen können, ohne vorher „einer schwe-
ren Operation" sich unterzieben zu müssen.

Schtagfertigkeit auf der Müyne.

Geistesgegenwart ist der Hauptvorzug des BühnenMirstlers.
Beim Thealer ist keine Störung unmöglich. Selvst die sicher-
stcn Proben geben keine Gewcihr sür die Darstellung und nur
dcr Bühnenkünsller ist vor Unfüllen gefeit, der sich nicht ver-
blüfsen läßt. Die cchte Kiinstlernatur wird vor dem fleißigen
Künstler in solchen Fällen, wo sich die Geistesgegenwärt be-
thätigen soll, im Vorteil sein.

Es giebt ausgezeichnete Bühnenkünstler, die jcden Ton
jede Ueberlegung vorher reiflich.studiert haben, die aber so-
fort mit ihrer Rolle umpurzeln, wenn irgend em Mitspieler
nicht das richtige Stichwort gieüt. Und wieder giebt es andere
Vühnentünstler, die fast keine Rolle gründlich lernen,-die abcr
niemals in Verlegenheit geraten, weil sie auf dcr Bühne sich
ebenso sicher bewcgen als in ihrem Heim.

Dic Zufälligkeiten, denen der Darsteller auf der Bühne
ousgesetzt ist, sind ebenso zahlreich, daß auch der Vvrsichtigste
Rcgisscur und Darstcllcr aiis dieselben nicht Rücksicht nehmen
fann.

Als im Jahre 1838 das Vaudebille-Theater in Paris
ltbgcbrannt war, spielte die Gesellschast im Cafe Spectacele
^iif dem Boulevard Boune-Nouvelle weiter, Bei >der ersten
^orstellung wollte es nun der Zufall, oder auch die Nachlässig-
-eit dcs Regisseurs, daß in einer Szene, wo zwei Personen sich
öu setzen hatten, nur cin Stuhl auf der Bühne stcmd. „Setzen
b>ir uns", sagte nun der eine Darsteller, welcher mit dem
beliebten Komikcr Arnal auf der Bühne stand und die Ab-
biesenheit des einen Stuhles nicht bemerkt hatte. Ein allge-
sllcines Lachen crscholl. „Um Verzeihung", sagte nun Arnal
lshlagfertig, indem er seineni INitspielenden den Stuhl präsen-
*'erte, „wir sind noch im Umziehen begriffen."

Auch dem berühmten deutschen Schauspieler Eckhoff wird
außcrordeniliche Schlagsertigkeit nachgcrühmt. Als einft

ln üem' heute längst vergessenen Lustspiel „Der Mann nach der

Uhr" dem Schauspieler, der den pedantischen Magister zu
spielen hatte, der Degen aus dem Gehänge siel, ohne üaß er
öies merkte, schov Eckhof, der niit ihm auf der Szene stand,
'den Degen wieder hinein mit den Worren: „Ei Herr Magister,
ein ordentlicher Mann steckt auch seinen Degen festl"

Große Geistesgegenwart sindet man zuweilen bei den Mit-
gliedcrn der sogen. Schmieren, da ja auch hier freilich die Ner-
legeu'heiten am öftesten zu finden sind. Jn einer mecklen-
burgischen Provinzialstadt befindet sich währeiid der Winter-
monare ein Saalrheater, in welcheni eine nicht gerade rühm-
liche Komödie gespielt wird. Dessenungeachtet hat sich's der
Direktor nicht versagen können, auch den „Rauü der Sabine-
rinnen" zur Aufführimg zu bringcn. Jm dritten Akte erscheint
der Direttor Striese in einem „möglichst lang" vorgeschrisbenen
Kafsermantel, äber dieses Kleibungsstiick fehlte im Garde-
rob'envorrat der pommerschen Schmiere. Mer den Direktor,
der natürlich den Direktor Striese selbst giebt, verläßt die
Geistesgegenwart nicht. Während des zweiten Aktes schon wurde
ein SackMerständiger von der Bühne aus in die Garderobe
des Publikums, wo die Ueberkleider hängen, abgesendet, so
mit spähendem Blicke forschte dcr Abgescmdte nach einem ge-
eigneten Paletot. War dcr betreffende Mantel gefunden, so
wurde er rasch -auf die BUHne beföröert und im dritten Akt
erschien er vor dem Publikum. Mancher Zuschauec mag über
die Aehnlichkeit des Kaisermantels mit seinem vermeintlich in
der Garderobe hängenden w-vhlbehüteten Mantel erschrocken
^eiu, abcr wer hätte dcm geniaken pommerschen Striese emen
lolchen kccken Geniestreich zugetmut l

Die hubschestc Geschichte dieser Art ist folgende, die vou dcm
alten Chorsänger ^Peter I. am Hof- und Nationaltheater zu
M., einem außerordentlich vevwendbaren Mitgliede erzählt
wird. Sein Hauptfach waren die Bedientenrollen, doch wurde
er auch zuiveilen zu größeren Aufgabcn herangezogen.

Seine größte Rolle war dcr Frießhardt im Schillersch-eii
„Tell", bckanntlich einer der Sölduer, welche bei dcm ver-

hänguisvollen Hut auf öem Altdorfer Marktplatz Wache halten
und den renitenten Tell wegen Verletzung des 8 113, Wider-
stand gegen die Staatsgewalt, znr Hast bringen. Hier ent-
wickelie Pcler auch in des Wortes verwegenster Bedeutung ein
„ergreifendes" Spiel.

Einst war ein neuer Oberregissepr in M. erncmnt worden,
und Dieser machte es sich zur Aufgäbe, namentlich die Auffüh-
rungen klassischer Stücke von m-ancherlei Schlendriaii zu säu-
bcru, dcr sich- im Laufe der Jahre bei denselben eingeschlicheu
l-atte.

Nun mcldct, wie mänuiglich bekannt, im vierien Akt des
„Tell" dcr Söldner Frießhardt den Lan-dvogt Getzler mit den
Worten an: „Mcm fährc aus dem Wegl Mein gnäd'ger Herr»
der Landvogt kommt dicht hinter mir geritten!"

Trotzdem der „gnädige Herr" auf der Bühne zu M. nie
geritten, sondern immer ücscheiden zu Fuß gekotnmen war,
hatte ihn daselbst Frietzhardt seit langen Jähren immer als
reitend angekündet, unbekümmert darum, wie das -b'erehrungs-
würdige Publikuni sich iu diesem Zwiespalt zwischen Rede
und That zurechtfinde. Und so faäd rvieder eine Tellauf-
führuiig statt, in welcher ein fremder Schauspieler, d-er für
das Fach des Jntriguants gastierte, als Gehler auftrat, wäh-
rend dcr neue Oberregisseur deu Tell spielte. Als auf der
Probe die oben crwähnte Szene herankam, meldete Frießhardt
wicdcr wic gewöhnlich, daß der Landvogt dicht hinter ihm ge-
ritten käme, was den Obcrregisseur veranlaßte, ihn verwundert
anzusehen iind etwas gereizt zu äußern:

„Aber bitte, lassen Sie doch das Wort „geritteu" weg, er
reitct jä uich-t."

„Mcr ich habe es seit nunmehr neunzehn Jähren gesagt",
wagte der Gckränkte zu erwidern.

„Meinetwegcu seit Hundert", schu-aubt -er Oberregiffeur,
„setzi aber sagen Sie es nickst me-hr, und wenn ich es' heute
Abend höre, werden Sie um fünf Gnlden gestraftl"

Sapperlotl Das war zu jener Zeit fast eine Wochengage
cmes Chorsängers, nnd dafür war die Geschichte zu teuer.
 
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