Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Juli bis Dezember)

DOI Kapitel:
Nr. 229-255 (01. Oktober 1902 - 31. Oktober 1902)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.23861#0707

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
en


bsi


Lurr'

kts.

,

0

:s

ie

:e,

m

r-


Montaa, 13. Oktober 1902. Grites Blatt. 44. IMaana. — 239.

Erscheint t ä g l i ch, Sonntags ausgenornmen. Preis mit Familienblättern monatlich 50 Pfg. in's Haus gebracht, bei dcr Expedition und den Zweiganstalten abgeholt 40 Pfg. Durch

die Post bezogen bierteljährlich 1.35 Mk. ausschlietzlich Zustellgebühr.

l! n z e i g e n p r e i s: 20 Pfg. für die Ispaltige Petitzeile oder deren Ranm. Reklamezeile 40 Pfg. Für hiesige Geschäfts- und Privatanzeigen ermätzigt. — Für die Aufnahme von Anzeigen
an bcstimmtcn Tagen wird keine Verantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Jnserate auf den Plakattafeln der Heidelb. Zeitung und den städt. Anschl^gftellen. Fernsprecher 82.

Mgemelner Aetegierlentag der nationat-
kiöeraten Wartei.

Eisenach, 10. Oktober 1902.

1. Zentralvorstandssitzung.

Jn der Wartburgstadt, welche in diesem Jahre von
Kongreßbcsncherii und Parteigästen besonders zahlreich schon
in Anspruch genommen war, versammelten sich heute die
Vertrcter der n ational liber a l en Partei aus allen
Teilen Deutschlands, nm als die zahlreichst beschickte
! Tagung den Abschluß der öffeutlicheu Veranstaltuugen in
k diesem Herbste zu machen.

Während die Menge der Ankommenden ihre Quartiere
» bezog, war der Zentralvorstand der Partei im Speise-
k saal des Fürstenhofes bercits fieißig an der Arbeit, um
t den morgen begiunendcn Delegiertentag inhaltlich vor-
k zubereiten. Bei der Reichhaltigkeit der Tagesorduung ist
k es vollkommeu begreifltch, daß die Sitzung des Zentral-
» vorstandes fast acht Stunden in Auspruch nahm. Jn dieser
galt es zunächst, betreffs der äußeren Veranstaltungen noch
' mancherlei festzusetzen. Dann wurden die einzelnen Punkte
der Tagesordnung durchgesprochen. Die Fragen der
Organisation wurden vorweggenommen. Entsprechend
! dem von mehreren Seiten geäußerten Wunsche, uber diese
j Fragen nicht erst am Montag, sondern möglichst schon am
: Samstag zu verhandeln, wurde beschlossen, eine Umstellnng
der Tagesordnung dahin vorzunehmen, daß der Puukt
Organisation und Wahlvorbereitungen nnmittelbar hinter
die allgemeine Erörterung des ersten Tages, dafür die
Frage der Rcichsfinanzen an dritter Stelle der Tages-
ordnung am Montag verhandelt werden soll. Den ver-
schiedenen Anträgen betreffend Verbesserung der
Organisation bczw. des Organisationsstatuts von 1892
kommt der Zentralvorstand in der Weise entgegen, daß er
selbst beantragt, den Geschäftsführenden Ausschuß durch Zu-
ziehung geeigneter Personen aus den verschiedenen Orga-
nisationsgcbieten zu einer Kommission zum Zwecke der Vor-
bereitung eines Reformvorschlags zu erweit;rn und mög-
lichst noch mit Wirksamkeit für die nächsten Wahlen das
verbesscrteWtatut in Kraft zu sctzcn.

Der Antrag Köln, welcher stch für die weitere Ent-
wickelung der Jugendvereine und ihres Rcichs-
verbandes und für die Förderung der kleinen national-
liberalen Presse ausspricht, fand allseitige Zustimmung,
desgleichen der andere Antrag Köln, welcher die energische
Vorbereitung der Rei chstagswahlen befürwortet.

Jm Weiteren wurden dann die einzelnen Gebiete der
Politik, soweit über dieselben im Rahmen der Tages-
ordnung verhandelt werden soll, mit den Referenten be-
fprochen. Der Zentralvorstand bestätigte in allen wesent-
lichen Punktcn die vom vorbereitenden Ausschuß unter-
breiteten Vorschläge dahingehend, daß es bei den Fragen
der Finanzpolitik, dcs Verkehrswesens, der Mittclstands-
polttik, der Kolonial- und Sozialpolitik hauptsächlich darauf
ankomme, dem Delegiertentag einen Ueberblick über die seit
dem Delcgicrtentag von 1896 geleistete Arbeit zu geben
und die für die weiteren Bestrcbungen auf diesen Gcbieten
gewonncnen Richtpunkte nochmals zusammenzufassen. Hier-
bei können die in den Programmen von 1896 und 1898

anfgestellten Grundsätze nach wie vor als maßgeblich er-
achtet werden; neuer Resolutionsbeschlüsse bcdarf es nicht.
Hingegen war der Zentralvorstand darin vollkommen einig,
daß zu der gegenwärtig brennenden Frage dcr Zoll-
und Handelspolitik im Anschluß an die program-
matische Kundgebung vom Oktober 1901 Stellung zu
nehmen sei. Nach längerer Tebatte wurde ein Resolutions-
vorschlag, welcher noch durch eine Redaktionskommission
im Wortlaut festzusetzen ift, beschlosscn.

Die Verhandlungen dauerten, wie schon bcmerkt, von
vormittags ^11 mit einstündiger Frühstückspause bis abends
kurz vor 7 Uhr und wurden während dieses ganzen acht-
stündigen Arbeitstages m!t bewundernswerter Frische von
dem Vorsitzenden des Zentralvorstandes, Herrn Dr. Ham-
macher, geleitet. Das hierauf folgende zwanglose ge-
meinsame Mahl im Fürstenhof gab dem Vizepräsidenten
des Reichstags Herrn Geheimrat Büsing Gelegenheit, in
einer kurzen Ansprache dieser bewundernswerten Leistung
des rüstigen Chefs der Partei rühmend zu gedenken und
ein Hoch auf ihn auszubringen, worauf dieser dankbar er-
widerte, indem er sein Glas auf das Gedeihen der nicht
nur für die Partei, sondern für das ganze Vaterland be-
deutsamen Tagfahrt leerte.

Die Zahl der nunmehr gemeldeten Teilnehmer hat
heute das siebente Hundert crreicht; die verschiedenen
Organisationsgebiete des Reiches sind in bisher noch nicht
erlebter gleichmäßig zahlreicher Weise vertreten und aus
Allem, was die einzelnen Vertreter aus ihren Wahlkreisen
und Landschaften mitbringen, geht deutlich hervor, wie sich
die gesamte Partei in Nord und Süd dessen bewußt ist,
daß sie durch Bekundung ihrer Einigkeit und Ent-
schlossenheit der innerdeutschen Politik einen bedeut-
samen Tienst zu leisten berufen ist.

2. Begrüßungsabend.

Ter Delegiertentag selbst begann mit einem Be-
grüßungsabend in der „Erholung", zu welchem die
Abgesandten aus allen Teilen des Reiches sich zahlreich
in fröhlicher Tafelrunde zusammenfanden. Der gemein-
schaftliche Gcsang des „Bundesliedes" leitete ihn ein.
Dann hieß der Vorstand des nationalliberalen Reichsver-
eins Eisenach, Prof. Dr. Flex, die Versammlung herzlich
willkommen. Nach ihm ergriff Vizepräsident des Reichs-
tags Büsing das Wort, um im Namen aller Delegierten
herzlichen Dank zu sagen für die Mühe, welche die Partei
am Ort sich gegeben, sür den liebenswürdigen Empfang
und die freundliche Begrüßung. Es läßt sich nicht
leugnen, so sagte er dabei, daß die Partci sich in einer
überaus schwierigen Lage befindet. Wir siud die am
meisten angefeindete Partei Deutschlands. (Sehr richtig.)
Wir haben Front zu machen nach links und nach rechts
und gegen das leider herrschende Zentrum. Deshalb
nimmt die Reichstagsfraktion eine so überaus exponierte
Stcllung ein. Abgesehen von dem allgemeinen Kampf
gegen die Sozialdemokratie hat Jeder in seinem Wahlkreis
mit eincm anderen Hauptgegner zu kämpfen, gegen das
Zevtrum, gegen die Konseivativen, gegen den Freisinn.
Da ist es natürlich, daß j der aus den Verhältnissen seines
Wahlkreises die Dinge anders ansieht. (Sehr richtig.)

Hieraus ergiebt sich von sclbst eine Verschiedenheit dcr
Anschauungen betr. der praktischen Politik im Reichstag.
Dazu kommt noch die von unserer Partei gewährte Frei-
heit in wirtschaftlichen Fragen. Sie fällt um so schwerer
ins Gewicht, als seit Langem die wirtschaftlichen Fragen
im Vvrdergrund des Jnteresses stehen und nicht scharf zu
trennen sind von den politischen, um so weniger, als rechts
und links die Parteien glwisse wirtschaftliche Grundsätze
zu Programmpunkten gemacht haben. So wird die Si-
tuation für die Partei überaus schwierig und zum Gegen-
stand der Kritik, auch aus der Partei selbst heraus. Wir
bitten aber diese Verhältnisse zu berücksichtigen. Dann
wird man anerkennen, daß in diesen vier Jahren unendlich
viel geschehen ist, um die verschiedenen Elemente zu assi-
milieren, und daß ein tüchtiges, gutes Stück Arbeit gc-
leistet wordeu ist. Wir werden stets reaktionären Be-
strebungen der Regierung oder anderer Parteien cntgegen-
treten, stets die liberalen Anschauungen auf geistigem,
politischem und wirtschaftlichem Gebicte zur Geltung
bringen. (Bravo!) Wir haben übcrall unsere Anhänger,
aber auch in unseren eigenen Reihen auch unsern größten
Feind: die politische Gleichgiltigkeit. (Sehr richtig!) Das
nachgekomrnene Geschlecht lebt im Genuß des Erruugenen
gleichgiltig oder widerstrebend. Um so erfreulicher tst es
daß unsere Jugend sich regt, daß unsere Jdcale nun auf-
genommen werden von ihr. Es ist höchste Zeit, daß der
alte Wein in neue Schlüuche gefüllt werde. Wenn die
Jugend uns gehört, gehört uns dte Zukunft. Nachher
bracht: Oberlandesgerichtsrat Wagner-Augsburg ein
Hoch auf die Jugend aus, welches Rechtsanwalt Dr.
Falck-Köln namens der Jugendvereine mit einem Hoch
auf die Führcr der Partei erwiderte.

Ueber das Weitere des D e le giertent ag es be-
richten wir in den nächsten Nummern d. Bl. ausführlich.
Für heute sci nur so viel gesagt, daß er einen sehr an-
regenden, die Teilnehmer befriedigenden Verlauf genommen
und die Sache des Liberalismus gestärkt hat. Die bad.
Nationalliberalen dürfen voll zufrieden sein mtt folgender
Resolurion, die in Betreff der Ordensfrage tn Baden
angenommen wurde:

Der Delegiertentag der Nationalliberalen Partei spricht
den Parteifreunden in Baden die lebhafteste Zu.
stimmung aus zu ihrem festen Auftreten gegen
das auf Einführung von Männerklöstern gerichtete Ver,
langen des Ultramontanismus. Auf Grund der glänze n-
den Traditionen von Badens Fürst und Volk
hegen wir das feste Vertrauen, daß es gelingen werde
die aus der Zulassung von Männerorden dem konfes-'
sionellen Frieden und der Kultur drohenden Gefahren
abzuwenden.

Die Resolution wurde einstimmig angenommen.
Jn den Ansprachen wie in den Einzelgesprächen trat her-
vor, daß eine entschiedene Betonung des liberalen Ge°
dankens, schärfstesAuftreten gegen dasZen-
trum als Hauptaufgaben anzusehen sind.

>:S

gli'

l°K

flsil'

b-l


Stadttyeater.

Heidelberg, 13. Oktobcr.

„D e r T r vmpeter oon S ä cn n g e n Oper von
Rndolf Bunge, Musik von Viktor Netzler.

^ Es war die spekulative Jdee eines findigen Kopfes, als
Stosf zn eincm Operntexte eine Dichtung auszusuchcn, welche
bermöge ihrer glücklichcn Volkstümlichkeit einen so autzerordent-
lichen, beinahe übermätzigcn Erfvlg errnngen. Aus dcm popu-
lären Gcdichte tvurdc eine populüre Oprr. Das Schesfelsche
Original hat natürlich durch die Bearbeitung nichts wentger
als gewonncn; insbesondere ist der köstliche Humor, der jenes
oelebt, sast ganz vcrloren gegangen, die einzelnen Figurcn
sind schablonenmätzig nnd farblos geworden, und die an den
Haarcn herbeigezogene Umarbeitung des Stückes tst direkt läp-
Pisch. Doch ist cinc echte und gerechte Oper daräus geworden,
Und was verlangt man denn mehr? Wir genietzen mit dem
glcichen Bchagcn heute dcn „Don Juan", morgen den
„Trfftan", übermorgen den „Trompeter" und freucn nns un-
serer bcntschen Meister.

Die Miffik Netzlers trifft mit Glück den richtigen Ton,
ivelchen dcr Text verlangt, weitz sich jedcn höheren Schwunges
borsichtig zu enthalten und ergeht sich mit Vorliebe, besonders in
oen Chörcn in jcner rührenden Licdertafel-Weise, die nun
einmal bei derartigen Stosfen nicht mehr vcrmiedcn werden
wnn. Leider bcrfällt der Komponist aber anch fast immer, wenn
kr humorfftisch sein will, in einen wenig geivählten Operettenton,
oer bann wicdcrum höchst seltsam kontrastiert mit dcm zcit-
weiligen Bestrebcn, Wagncrsche Ausdr-ucksweise auzuweuden,
^n Versuch, dcr schou iufolge des Mangcls ciner richtigeu
fieklamation kläglich scheiterl. Ebenso sühlich, wic der süsz-
^ichc Text crinnert die Musik auffallend an gewffse Jllnstra-
wren der Scheffelfchen Trompetergestalt, dte ffch riner merk-
würdigen Beliebtheit ersreuen. Netzler ist gerade durch diese
^Per ein berühmter Mann geworden. Es ist bezeichnend, datz

er sowohl in seinem „Rattenfänger bon Hameln", als be-
sonders in seinem ganz verschollenen „Otto der Schütz" anf
'einer weit höheren tünstlerischen Stufe steht.

Die gestrige Ausführnng stand auf cincm imgleich höhcren
Nivean, als man bisher gewohnt war. Der Träger der Hanpt-
partie, Herr Mechle r, rechtfertigte in erfreulicher Weisc
die guten Auspizien, die wir ihm bei seinem ersten Auftreten
gestellt hatten. Scine gut ausgebildete, weiche Baritonstimmc
'kam ihm als Werner trefslich zu statte». Seine imposanre
Fignr — fast zu imposant für unsere Bühne — und scin im
Gcmzen ausdrncksvolles Spiel verhalfen ihm zn warmcr An-
erkennung, die sich in erstmaligem starkem Bcifall aussprach.
Als Marie lernten wir eine sehr schätzenswerte Sängerin ten-
nen. Fräulein T o l l a r, die schon eine recht wohlthuende
Routine besitzt, hat eine klangvolle sympathische Stimme und
verrät eine sehr tüchtige Schulung. Auch wird fie untcrstützt
durch günstige BLHnenfigur uud gewandtes Spiel. Herr von
Hunyady, der wie gewöhnlich in Maske und Spicl gut
charakterisierte, sang den Freiherrn, und Fräulein K a l t e n-
bach, die hente Gelegenheit hatte, thre wohlklingende und
kräftige Altstimme zu zeigen, die Gräfin Wildenstein (in,der
Maske etwas zu jugendlichl), Der zweite Akt, der wohl
der gelungenste der Oper ist, brachte es infolge dieser vier
guten Vertreter zu ein'er sehr schönen Gesamtwirknng.

Bon den kleineren Partien erwähnen wir deu Konradin
des Herrn Walter, gn dessen Singweise und Sprechmängel
man sich erst wieder gewöhnen mutz, und Herrn Stauffert,
dcr die alberne Figur des Damian mit Humor und lobenswertcr
Zurückhaltuug spielte.

Die Optzr war von Direktor Radig mit gewohuter Hin-
gabe'cinstudicrt, cmch dic Ausstattung war hiibsch. Vernünfti-
gerwcise wnrde das Maifest im letzten Akte ansgelassen.

O. 8.

KLeine Zeitung.

— Heilbronn, 11. Okt. Jm Prozeß gegen die
Direktoren der Heilbronner Gewerbebank
fällten die Geschworenen heute ihren Spruch. Sie ver-
neinten die Frage betreffend betrügerischen Bankerott und
die Fragen nach mildernden Umsiänden; die übrigen Schuld-
fragen wurden bejaht. Der Staatsanwalt beantragte so-
dann gegen Direktor Fuchs 9 Jahre Zuchthaus und
10 Jahre Ehrverlust, gegen Direktor Schäfer 6 Jahre
Zuchthaus und 8 Jahre Ehrverlust und gegen den
Prokuristen Klug 5 Jahre Zuchthaus. Fuchs erhielt
8 Jahre Zuchthaus und 8 Jahre Ehrverlust, Keefer 4
Jahre 3 Monate und Krug 3 Jahre und 2 Monate
Zuchthaus.

— Bad Nauheim, 11. Okt. Heute Vormittag wurde
der hiesige Obcrbürgermeister Werner im großen Teich
totaufgefunden.

— Berlin, 11. Okt. Die intern atio n a l e
Tuberkulosenkonferenz hält vom 22. bis 26. d.
M. im Saale des Abgeordnetenhauses Beratungen ab.
Mit der Organisation wurde das unter dem Ehrenprotektorat
der Kaiserin und dem Ehrenvorsitz des Reichskanzlers
stehende deutsche Zentralkomitee betraut, in dessen Prästdium
Staatssekretär Dr. Graf v. Posadowsky den Vorsitz führt.
Aus Anlaß der Konferenz findet eine Ausstellung von
Gegenständen statt, welche sich auf die Tuberkulosekonferenz
und die Tuberkulosebekämpfung beziehen.
 
Annotationen