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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Juli bis Dezember)

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Nr. 150-176 (01. Juli 1902 - 31. Juli 1902)
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Samstag, 5. Jvli 1902. GvsteS Blatt. 44. Jahrgang. — 154.

Erscheint täglich Sonntags ausgenommen. Preis mit Familienblüttern wonatlich 50 Pfg. in's Haus gebracht, bei der Expedition und den Zweigstellen abgeholt 40 Pfg. Durch die Post be-

zogen vierteljährlich 1.35 Mk. ausschließlich Zustellgebühr. "" ^

Anzeigenpreis: L0 Psg. für die Ispaltigc Petitzeile oder deren Rauw. Reklamezeile 40 Pfg. Für hiesige Geschäfts- und Privatanzeigen ermäßigt. — Fur die Aufnahme von Anzeigen an bestimmt
vorgeschriebenen Tagen wird keine Verantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Jnserate auf den Plakattafeln der Heidelberger Zeitung und den städt. Anschlagstellen. Fernsprech-Anschluß Nr. 82

Hine Kundgeöung der Wniversttät Würzöurg.

W ü r z b u r g , 4. Zuli. Von den Professoren der
hiesigen Universitüt ist an den Rcktor nnd Lenat folgende
A dresse gerichtet worden: Turch die «tellung. welche
der üaycrische Knltnsirnnister Herr Dr. von Landinann
am 26. Juni c. im Landtag zum Fall Chroust einge-
nommen hat. ist das Ansehen der Universität Würzburg
ernstlich gefährdet. Auf die schweren nnd unbegründe-
ten Vorwürfe des Herrn Ministers konnten Rektor und
Senat nnr mit der Niederlegung des Amtes antworten.
Wir unterzeichnete wahlberechtigte Professoren sprechen
hierdurch dem Rektor nnd der überwiegendcn Mehrheit
des senats für die energischc Wahrnng des Ansehens
unserer Nniversität nnseren wärmften Dant nnd unsere
vaüe Zustimmung ans. Boveri (phil.), Des Coudres
(Phil.), Finger (jnr.), Förstcr (Phil.), Gcigel (med.),
Harchsch (phil.), Heß (med.), Jägcr (jur.), Iolly (phil.),
v. Kölliker (med.), Krans (Phil.), Külpe (Phil.), Kunkel
(med.), Lehmann (med.), v. Leube (med.), Matterstock
imed.), Mayer (jur.), Mcdicns (Phil.), Piloty (jur.),
Prym (phil.), Regel (Phil.), Rieger (med.), von Rind-
fleisch (med.,), schneeganS (Phil.), Schönborn (med.),
Schultze (med.), Wicn (phil.), Wislicenus (phil.), Wol-
ters (phil.). — ES haben sonach unterschrieben 23 or-
dentliche und 6 autzerordentliche Professoren, so daß mit
Einschluß derSenatsmitglieder 32 ordentlicheProfessoren,
also drei Biertel-Majorität der wahlberechtigten 43 Pro-
fessoren, gegen das Verhaltcn des Ministers Protestie-
ren. Von den nicht protcstiereuden acht ordentlichen
Professoren gehören nach der „Frankf. Ztg." o her
theologischen und 3 der philosophischen Fatultät an.

Deutsches Reich

— Ter Reichskanzler hat die Gcwerbeinspektoren um
Bericht über folgendc Fragen ersucht: Erscheiut es
Aweckmäßig und durchführbar, die dNarimalarbeitszeit
der A r b e i t e r i n n c u über 16 Iahre von jetzt elf
Stunden täglich und zehn an den Vorabenden der Sonn-
und Festtage auf allgemcin zehn Stunden herab-
Zusetzen? Jst es zweckmäßig, die den Arbeiterinnen
zwifchen dcn Arbeitsstunden gewährte, mindestens ein-
stündige Mttagspause auf cineinhalb Stunden zu ver-
längern und den Arbeitsschluß am Samstag früher äls
halb 6 Uhr zu legen?

— Tie Zolltarifko mmiss ion des Reichstags
Ist gestern bis zu Position 542 des Zolltarifs gekommen.
Dann vertagte sie sich bis Montag.

Baden.

L.6. Karlsruhe, 4. Juli. Die Debatte über die Anträge
ouf Einführung des direkten Wahlrechts und Abänderung der
Aiahlkreiseinteilung und der Landtagswahlordnung nahm
E>nen dramatisch bewegten Verlauf. Nachdcm der Bericht-
^statter Heimburger in eindringlichen Worten der Re-
Sirrung die Anträge der Verfassungskommission zur Be-
'iickstchtigung empfoblen hatte, erhob sich Staatsminister
Brauer und gab in diplomatisch gewählter Form die
^erstcherung ab, daß die Regierung nicht unbedingt am
^dirckten Wahlrecht festhalte, vielmehr an desscn Beseitigung
^itzuwirken bereit sei, sofern Gewähr dafür geboten werde,

daß die verschicdenen Erwerbsklassen und Berufsarten der
Bevölkerung eine gebührende Vertretung in der Zweiten
Kammer finden werden. Am Prinzip des allgcmeinen
Wahlrechts wolle die Regierung nicht rütteln, sondern nur
ähnliche Einschränkungen vornehmen, wie sie von den
Volksvcrtretungen in Bayern und Hessen bereits acceptiert
seien. Der Staatsminister stellte sodann eine Wahlrechts-
vorlage für den nächsten Landtag in Aussicht und gab der
zuversichtlichen Hoffnung Ausdruck, daß das Reformwerk
gelingen möge. An der treuen und loyalen Mitwirkung der
Regierung werd e es nicht fehlen. Diese Erklärung machte offen-
bar auf das Haus einen gnten Eiudruck nnd die Führer der
beiden größten Partcien, Dr. Wilckens und Wacker
begrüßten sie als einen entschiedenen Fortschritt in der
leidigen Wahlrechtsfrage. Auch Dr. Heimburger nnd
Dreesbach gaben zu, daß man wenigstens formell gegen-
über den früheren Erklärungen von eincm Entgegenkommen
der Regierung sprechcn könne. Schon glaubte man, die
Diskussion werde zur allseitigcn Befriedignng geschlossen,
da verlangte Minister Schenkel das Wort, um die Grund-
züge der kommenden Wahlrechtsvorlage, die sich allerdings
vorerst noch im Stadium der „Erwägung" befinden, dar-
znlegen. Tie Ausführungcn des Ministers siclcn wie ein
Reif in der Frühlingsnacht ans die hoffnungsfrohen
Gemüter. Die Generaldebatte wurde neu entfachl und
ebenso einmütig wie entschieden erklärten nach einandcr die
Parteiführer, daß diese „Kautelcn" für sie absolut un-
annehmbar seien. Vergebens suchte Herr v. Brauer zum
Schluß den unangenehmen Eindrnck der Schenkel'schen
Rede zu verwischen: die Ueberzengung blieb bestehen, daß,
wenn die Regierung wirklich eine solche Vorlage dem kommen-
den Landtag unterbreiten sollte, ein schwerer Konflikt un-
ausbleiblich ist. _

AMscher Landtag.

L.O. Karlsruhe, 4. Juli. (22. Sitznng der
Ersten Kammer.) Vizepräsident Graf v. Bodman er-
öffnet die Sitzung um 9'/^ Uhr. Eingegangen eine Petition
der Handelskammer Mannheim, die wandelbaren Bezüge
dcr Notare betreffend.

Freih. v. Neubrou n crhält das Wort zur Abgabc eincr
'Erklärung. Er wendet sich gegen die Angriffe, die im andern
hohcn Hause auf ihn gcrichtet wurdcn und die nach Form
und Jnhalt das zulässige Matz überschrittcn hätten. Er felbst
fei durch fein Temperament iu der Lage, manchmal auch pole-
misch zu sprechen und dann nicht frei von persönlichcn Spitzen
zu schcinen. Redner wendct sich gegen den Abg. Frühauf,
der ihm schlcchte Witze vorwarf, und gegen den Abg. Binz, der
von Silbenstecherei sprach. Beides sei unbegründet. Ohne
Witze wären die Verhandlungen oft fehr trocken; wann nnd wo
solche anzubringen, sei Sache des Einzelncn. Gewöhnlich ärger-
tcn fich diejenigen, die sich betroffen fühlen. Rcdner verwahrt
sich gegen dcn Vorwurf dcr Animosität gegenübcr der Budget-
kommission des andern Hauses und sagt, die Kritik dcr drei
Karlsruher Abgeordneten habc nicht er, sondern ein Vorredner
(Geh. Rat Dr. Engler) gegeben und er (Redner) habe fich nur
angcfchlossen. Was er über das Klima von Karlsruhe und
das Schütteln des Stäubes von scinen Fühen gesagt häben
sollc, weisc das Stenogramm als unrichtig ans. Er habc nur
sagen wollen, dah er an der Frage unbetciligt sei. Wcr im !
63. Jahrc stehc und 40 Jahre des öffcntlichcn Dicnstes hintcr !
sich habc, dürfe sich die Fragc vorlegen, wie lange cr noch mit-

machen wolle. Wenn .er (Redncr) ans seincr Wirksamkeit
zurücktrete und ihm der Aufcnthalt in Frciburg bcsser ge-
fallen würde, so sei dies seinc Sache und kcin Karlsrüher könne
darin eine Animosität erblicken. Der Abg. Binz habe eine
Gencralkritik der politischen Thätigkeit dcs -Rcdners gegcben,
wozu cr nicht berechtigt gcwesen sei. Die Wahrung des Tones
in dcr Ersten Kammer könne er dieser selbst überlassen. Die
Hcreinziehung der Eigenschafr des Redners als höchster rich-
terlicher Beamrer sei besonders unzulässig; was jemand auher
dem Hause sei, gehöre nicht in die Erörterung. Redner führt
die Polemik gegcn Binz noch weiter fort, dcr nicht dcn Beruf
habe, ihn zu rektifiziercn. Jm eigenen Jnteresse und iu dem
dcr Ersten Kammer habc cr diese Zurückweisung für nötig ge-
halten. Sie sei sein erstes und sein letztes Wort. Werden die
Augriffe im andern Hausc oder in der Prcsfe weiiLrgesponnen,
so gcbe er keine Antwort mehr.

Dcn Bericht dcr Komnüssion für Juftiz und Verwaltung,
dcn Gesetzentwurs bctr. dic G e m e i n d e b e st c u c r u ng
nnd das Gemeindcwahlrecht crstattct Geh. Kommer-
zienrat D i f f e n Die Grenze von 2000 Einwohner für
dic direktc Wahl dcr Bürgcrmcister und Gemeinderätc sei nicht
theoretisch, sondern durch die Erfahrung bestimmt worden. Die
Kommission glaubt, dah es ganz richtig wäre, das Kollegium
nach Stcuerklasscn wählen zu lassen, Loch habe die Regierung
gnt gethan, das Gesetz nicht an den gegenteiligen Willen der
Zweitcn Kammcr scheiicrn zu lassen. Der Antrag: Genehmi-
gung in der Fassung des andern Hauses wird einstimmig an-
gcnommcn.

Bcricht der Pctitionskommission über die Bitte dcs ge-
fchäftsführenden Ansschusses der mittleren Städte
Badcns, das Fürsorgegesetz für Gemeinde- und
Körperschaftsbcamte betr. Berichterstatter Freihcrr
v. Rüdt schildert dic Verhältnisse, woranf die Petition sich be-
zicht und beantragt im Hinblick auf die von der Regicrung
zugcsagten Erhebungen Uebcrweisung Zur Kcnntnisnahme.

Geh. Kommcrzienrat Diffene üüernimmt als 2. Vize-
präsident den Vorsitz, weil Graf v. Bodman den Bericht dev
Kommission für Eisenbahnen und Stratzen übcr die Petitionen
betr. Verbindung der Bodenseegürtelbahn mit der Schwarz-
waldbahn erstattet. Sämtliche Petitionen betr. Stahringen-
Stcihlingen-Engen und Wahlwies-Eigeltingcn-Engen werden
cinstimmig zur Kdnntnisnahme überwreseru

Bizepräsident Graf v. Bodman übernimmt wicdcr den
Vorsitz.

Freihcrr v. Rödcr berichtet über die Petition der Ge-
meinden Pforzhcim, Bretten n. a., den Ban einer Bahn
Pforzheim-Bretten betr. Die Kommission hält eine
Schmalspnrbahn für das richtige und beantragt Uebcrwcisung
zur Kcnntnisnahmc. Einstimmig angenommen.

Gch. Koinmcrzienrat Sander berichtet Lbcr die Petition
dcr Gemeinde Kirchzartcn n. a. betr. die Gütcrzufahrt-
stratze der Gemcinde Kirchzartcn. Der Antrag auf Ueber-
Ivcisung znr Kenntnisnahme wird einstimmig angenommen.

Ucber dic Pctition dcr Gemeinden Langcnbrücken, Sins-
heim n. a. dic Hcrstellug ciner normalspurigen Ncbcnbahn
von Langenbrücken über Eichtersheim, Sinsheim nach Waib-
stadt betreffend berichtet Graf v. Hennin. Die Ucberwei-
sung zur Kenntnisnahmc crfolgt einstimmig. Das gleiche ge-
schicht auf den Bcricht dcs Frciherrn v. Röder mit den Pe-
titionen dcr Eiscnbahnkommtssion in Lichtenau um Fortsetzung
der Hanptbahn von Rastatt näch Kehl-Offcnburg.

Schluß der Sitzung 10(4 Uhr. Nächstc Sitzung: Montag.

L.O. Kartsruhe, 4. Juli. (123. Sitzung der
Zweiten Kammer.) Präsident Gönner eröffnet die
Sitzung um Uhr.

Auf der Tagesordnung stehen die Anträge auf A b-
änderung der Verfassung (Wahlrecht), der Waht-
k reise inteilung und der Landtag swahlord-
nun g.

Don Kans Hhoma's religiöser Kunst.

Seir kurzer Zeit isl im Kunstvercin ein Beispiel von Hans
Äornas religiöser Ktinst zu sehcn, das wohl geeignei ist, allen
Tpsuchcrn den ticfstcn Eindruck zu hinterlassen, um so mehr,
^ wir Heidclbcrgcr dassclbe als eincn verheitzungsvoüen
- vrboi^^ begrützcn dürfcn dcr grotzen Schöpfungen, wclche die-
Mcistcr für unsere Peterskirchc in Arbcit hat, Schöpfun-
welchcn wcite Kreise auch auherhalb Heidelbergs mit freu-
^ gcr Erregung cntgcgenschen, da sie zweifelsohne zu dem Be-
sutendsten gehören werden, was unsere Zeit an Künstlerifchem
sch^äffen. Wem Thomas neue, cigenartige Kunst und be-
>>ders dic rcligiöfe Seite dcrselben noch immer nicht gauz
LZtäut geworden ist, der möge jctzt einmal in stiller
y-wnde Räume dcs Kunstvereins geheu und sich mit

Htsttcm Sinn und hingebungsvollcm Gefühl in das kleine
" dcr Kreuziguug vcrscukcu, wclches dort, in eincm schönen
jn italienischsn Renaissanccrahmeu cingefügt, ausgestellt
- Es sst cigentlich eiuer der Steindrucke des Meisters, den
tctbst mit Farben bemalt hat, so dah er wirkt wic cin kleines
^,Ntld. Ahxr was für cin Blattl und was für^cine Be-
i>i k Wie gebannt steht mau vor diescr klcincn Schöpfung,
cs „ f ?tuc Welt tiefster Empfindung ausgcdrückt ist, aus der
ste,i Feirnnisvoll mächtig zu uns spricht, dah wir im Juner-
snhri in Andacht versinken. Wclche Macht des Aus-
tnnigster Gcfühle besitzt dieser Pinscll Was liegt
seii,,. diesem kleinen Bildchen, was allein in der Sprache
^ü'ei^ ^tiüdervollen Farben! Hoch ragt, über das Jrdischc er-
de„ ' fä? Kreuz, daran der Erlöser hängt. Er ist verschie-
?t>ie fahler, nächtlicher Schcin nmwcbt seinen Körper,

>rs>iiä, er ihn auflösen wollte, wie wenn der

vrm qn ^-eichnahm des Göttlichen entschwinden wollte,

. llleich, der in Nebeldünsten zergeht. Das
ii/^^fftthe Antlitz hat sich geneigt: Es ist vollbracht. —-
.tachtl Hinter dem Kreuze, hoch am Himmel, da
aus, Lüer schweren blaucn Wolken flammt cs iü fcn-

rigcm, sieghaftcm Ror. Es ist, wie wcnn cin Schrei des gaiizcn
Weltalls in diescm Rot crklängc: cin Aufschrei des Schmcrzes
und doch zugleich ein Siegesruf des Heiles: Er hat es voll-
brachtl Und die Mcnschenwclt? Ticf untcii am Krcuzcs-
stamm steht eine Gruppc. Jm Hintergrunde sieht man einc
Landschaft mit dnstere» feftungsähnlichen Gcbnndcn, der Schau-
platz schwerer Menschenlcben nnd zugleich dicscs göttlichen Lei-
dcns. Ein mondschcingrünliches nnd bläuliches Licht wcbi
über der Gegend und über den feicrlichl nnd strll stehenden
Testalten am .Krcuzesfuhc. Wie cin Schauer des Gcheimnis-
vollcn, das die Brust dieser Menschen durchzicht, schwcbt äuher-
lich, wre symbolisch, dieses Licht Lbcr ihncn. Jn ahnnngs-
voll unbegreifendcm Erstauncn blickt dcr einc empor, in tief-
inncrlicher Versenknng der andere nicder; kindlich ergriffen
wieder ein anderer. Mit grenzenloser Hingabe steht Maria
Magdalena vorne vor dcm Stamm, im Rücken gesehcn —
ncin, nur die Haare sehcn wir, die in dnnkelgoldener Glut
von ihrem Halse herniederwallcn. Kein lNesichtsansdruck ist
von ihr sichtbar, känm cine Bewcgnng erspähcn wir: nnr cüi
weiblich sich neigcndes Hintcrhaupt mit flntcüden Haaren
in namcnloser Hingabc; — und doch alles, was die Seele
dicser Gestalt erregt, 'das erlcbcn wir mit bci diescm Anblick.
Welches Ausdrucksvcrmögen besitzt diescr Malerl Unbcgrciflich,
mit Wortcn nicht ausdrnckbar ist das, was der bei solchcm Ein-
druck cmpfindet, 'der künstlerisch zu schauen versteht. Wie bei
den größten Mcistern altcr Zeiten spricht alles nnd jedcs üi
solch einem Werk, sogar jede Farbe, cinc Haarfluk — allcs
mit ergreifendster Deutlichkeit. Es spricht von cincm tief-
innerlichcn Fühlcn, öinem lcidenschaftlichcn Sichberscnkeii in
jene Geheünnisse des Lebens, die 'da sind dic Geheimnisse dcs
Religiösen.

Wcr nach diesem Eindruck im bicsigen Kunstverein den
Drang verspürt, mchr von Thomas religiöser Knnst zn schanen,
der versäumc nicht, falls er Gelegcnhcit hat, dic Karlsruhcr
JubiläumsaNsstellung zu besuchen, sich dort in das Bild der
„Pieta" zu versenken, das aus des Prinzen Max von Baden

Bcsitz in dankenswcncr Wcisc dcr Oeffciülichkcit zngänglich
gemacht wordcn. Jch bcnütze die (üelegenheit, zusammcn mit
der hicsigen„Krcnzignng"anf dicses andere Zengnis der rcligiö-
scn Tiesc Thomas aufmerksam zu machen. Eine andere Stim-
mnng waltct da; die Ticfe dcs Empfindcns ist die
gleich nncndliche. Der Lcichnam des Hcrrn, vom Krcuze ab-
genommcn, wird von zwei Engeln gehaltcn: ein uraltes, kirch-
lichcr Knnst vcrtrautcs, schlichtes nnd ergreifcndcs Motiv.
Bchcrrscht die Kreuzigung ein glüheüdes Rot, so ist dieses Bild
anf den Akkord von tiefblan und goldbraun gestimmt. Nächt-
lichcs, grünliches Blau bildet den Grund; nur an der Scüe tief
nntcn am Horizont vcrglimmt dnmpf violetrrötlich 'der letzte
Schcin des Abcnds. Dic Nacht sinkt hcrnieder. Wie zwei
Genicn, die vom Himmcl geschwebi, wie zwci Mensch gewor-
dcne Stcrne erschcinen die Engcl. Hcll erglänzt wie von in-
ncrem Licht vcrklärt dcr Leichnam, golden braun lcuchtcii sanft
Antlitz und Haarc der Engcl; ganz dunkel sind dcren schlichte
Oiewändcr, ticfgrnn und schwarzlila. Das Haupt Christi ist
in 'dcn Nackcn zurückgesnnken, so dah wir von seinem Schmcr-
zensantlitz nicht viel sc'hcn; des Anblicks der Spuren scines
Todeskampfs sind wir übcrhoben. Sein Körper ist nrcht
starr nnd verwescn. Wie gclöst aus dcm Kampfe dcs Lcbcns
fällt nnd lchnt er nach rückwärts. Keine Klagen cntbrechen den
Lippen der Engel; sanft und sorgsam sind die beidcn um den be-
schästigt, dcr nberwundcn hat. Ucberwnnden I tönt nns das
ganzc Bild cntgcgen! Ucbcrwundcn! durch irdischen Schmerz
znm vollen, tiefen Akkord wic Gkockenklang von Grals-
weltlichem Leben in diesem Bilde; kcüi Rot crglänzt. Nuc
nächtliches Blau und Tiefbrann und verklärtes Hell fügcn sich
znm Vollen, tiefcn Akkord nnd Glockcnklang von Grals-
knppelhöhcl Kcin Schrci dcr Entrüstnng, kcin Rnf dcs Erit-
sctzcns, kein Ringen nnd hcftigcs Aeuhern des Schmcrzes, nur
sanfte Rnhc, licbendcs Schweigcn un'd Sichbcmühcn, schmerz-
gclöstcs Ersterbcn, überwunden!

Wahrlich: dicse Kimst ist eine tiefrcligösc und crhabenel'

vr. !>.

Die heutige Nummer umfaßt drei Blätter zusammen 14 Seiten.
 
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