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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Juli bis Dezember)

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Nr. 281 - 305 (01. Dezember 1902 - 31. Dezember 1902)
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Montag, 1. Dezember 1W2

Evftes Blatt.

44. JMgang. — 281

Srschrint täglich, SonntsgS «mSgenommen. PreiS mit Kamilienblättern monatlich 50 Pfg. in'S Haus gebracht, bei der Expedition und den Zweiganftalten abgeholt 40 Pfg. Durch

die Post Lezogen vierteljährlich 1.35 Mt. ausschlietzlich Zustellgebühr.

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«cn bestimmten Tagen wird keine Berantwortlichteit übernommen. — Anschlag der Jnserate auf den Plakattafeln der Heidelb. Zeitung und den städt. Anschlagstellen. Fernsprecher 82.

Hin Nrtheil des Kaijers üöer die Heutige
Aeueralio»!.

B e r i i i:, 20. illovembev. Die A n spra ch e, die
der K a i s e r in Gör 1 i tz bei der gestrigen Entgegen-
nahme des Ehrentrunkes iin der Ruhrneshatte hielt,
lautet:

Indem ich Ihnen, hochverehrter Qberbürgermeister,
herztichsten Dank ausspreche dasür, datz Görtitz wünschte,
datz ich an diesein Tage der Einiveihung zugegen sei,
spreche ich auch dem Komitee meinen Dank und meine
Freude über das Werk aus, das Sie hier vollbrachten.
Es ist ein Werk der Erinnerung, deshatb möchte ich gtau-
iben, daß der Name Erinnerungs- oder Gedenkhalle für
diese Hallen besser paßt, als Ruhmeshalle. Es ist un-
germanisch, sich zu rühmen. Wir wollen Gott danken,
daß er meinem Großvater und mcineni Vater geholfen
hat, unser Land wieder zu einigen, unü uns bis herher
zu sühren, wir wollen uns aber dessen nicht rühmen,
denn ohne ihn wäre es uns kaum gelungen. Atso „Ge-
denkhalle" für den Ruhm des deutschen Vatertandes!
Sie soll uns mahnen, wie das verehrte Stadtoberhaupt
soeben gesagt hat, soll nns mahnen, daß unserm Volk
beim Anblick der Paladine und Heroen aus großer Zeit
wieder klar wird, daß unsere Einheit nur durch gewaltige
Arbeit des Kaisers Wilhelm des Großen, der in sahre-
langen Kämpsen dafür gewirkt hat, die gewaltige Geistes-
arbeit des deutschen Volkes, welches in allen seinen Stän-
den darnach trachtete, die Einheit wiederzufinden, und
die gewaltige Arbeit seiner bewehrten Söhne aus den
Schlachtseldern.

Mir will es aber scheinen, als ob die jetzige Genera-
tion der Verpflichtung, durch ihre Arbeit fortzuführen,
was uns durcl) die Arbeit der Vätcr überkonnnen ist,
nicht vollkommen entspräche. Ilnser Volk in den ver-
schiedenen Klassen und Ständen ist für diese Aufgaben
unempfänglicher geworden; die großen Fragen, seitdem
ein einiges deutsches Vaterland, ein einiges germanisches
Wolk wiederhergestellt ist, werden nicht verstanden. Jch
hoffe aber, daß jeder Bürger, der hier ein- und ausgeht,
aus diesem Anblick zuin Nachdenken angeregt werde, und
daß in den Lausitzern und auch in den Fremden, die
sich hier hoffentlich zahlreich einfinden werden, das Ge-
fühl für den kategorischen Jmperativ wieder wach werde.
Es ist schön und herrlich, wenn ein Volk Liebe zu den
Vätern und zur Krone hat und deren Träger zum Aus-
dnick bringt, allein damit ist nichts gethan. Es kann
der Träger der Krone und seine Organe aus die Dauer
ein gcmzes Land nicht vorwärts bringen, wenn nicht alle
Stände helfen. Wir stehen an der Schwelle der Ent-
faltung neuer Kräfte; nnsere Zeit verlangt ein Ge-
fchlecht, das fie verstcht. Das neue Jahrhundert wird
beherrscht durch die Wissenschaft, inbegriffen die Technik,
nicht wie das vorige, durch die Philosophie; dem müssen
wir entfprechen. Groß ist der Deutsche in wissenschaft-
licher Forschung, groß in dcr Organisierungs- uud Dis-
ziplinierfähigkeit. Die Freiheit für das einzelne Jn-
dividuum und der Drang zur Entwicklung der Jndivi-
Äualität, der unserm Stamme innewohnt, ist bedingt
durch die llnterordnung unter das Ganze zum Wohle des
Ganzen. Möge deswegen die Zukunft ein Geschlecht !
heranwachsen sehen, das in voller Erkenntnis dieser I
Thatsachen, in freudiger Arbeit Jndividuen entwickelt, die

sich unterordnen zum Wohl des ganzen Volkes und des
Naterlandes, dann wird, wie ich in Aachen andeutete,
erst in Wirklichkeit Wahrheit werden, äußerlich begrenzt,
innerlich unbegrenzt.

Hier auf schlesischem Boden ziemt es sich wohl, an
den großen König zu erinnern, der diesen Edelstein der
Krone einfügte. Das, was er füc die Zukunft des
Vaterlandes im Auge hatte, das wollen wir auch weiter-
bilden. Die Freiheit für das Denken, Freiheit in der
Weiterbildung der Religion und Freiheit für die wissen-
schaftliche Forschung, das ist die Freiheit, die ich dem
deutschen Volke wünsche und ihm erkänrpfen möchte, aber
nicht die Freiheit, sich nach Belieben schlecht zu regieren.
Nun ergreife ich den Pokal, gefüllt mit deutschem Wein,
und trint'e auf das Wohl der Stadt Görlitz und der
Lausitz. _

Kin neuer Schiedsspruch des Kaager Schieds-
gerichts.

H aag , 29. November. Das Haager Schiedsgericht
hat sein llrteil in der B e h r i n g s m e e r - A n g e -
legenheit, in welcher Rußl a n d und die Ver -
einigten Staaten v o n A m e r i k a die strei-
tenden Parteien sind, gesprochen. Jn demselben wird
ausgesührt: Die Beschlagnahme des Schiffes „White"
(dnrch die Russen) ist als außerhalb der Territorial-
gewässer erfolgt anzusehen. Das Völkerrecht gestattet
keine Verfolgung außerhalb dieser Geivässer, da sich die
Rechtsgewalt eines Staates nicht über die Grenzen des-
selben hinaus erstreckt, außer wenn eine besondere Ab-
machung getroffen ist. Die Veschlagnahme ist daher un-
rechtmäßig, indessen ist die (von Amerika) geforderte
Summe ungerechtfertigt. Es ist eine Entschädigung von
32 444 Dollars zu gewähren. Jn der Angelegenheit
des Schiffes „James Hamilton" wurde die gleiche Ent-
scheidung gefällt und die Entschädigung aus 28 688
Dollars festgesetzt. Desgleichen wurde in der Sache des
Dampfers „Cape Horn" auf Ersatz des entgangenen Ge-
winnes in Höhe von 38 760 Dollar erkannt. Bezüglich
des Dampfers „Kate Anna" wurde entschieden, daß
dessen Kapitän an der Fortsetznng der Jagd nicht ge-
hindert gewesen wäre, Rußland also keine Schuld treffe.
Es sei nur eine Entschädigung von 1488 Dollars zu <
leisten. __

Deutfches Reich.

— Die „N atio n a Izeitun g" hat von jeher die
Taktik befolgt, sich als nationalliberal anfzuspielen nnd dabei
den Nationalliberalen, wo immer es anging, Prügel in
den Weg zu werfen. So hat sie auch jetzt,wieder mit
ihreni Artikel über den von den Nationalliberalen unter-
stützten Antrag v. Kardorff die nationalliberale Fraktion
des ReichDtags unnötig in Verlegenheit Zu bringen ge-
sucht. Es erschien daraufhin Dr. Hammacher im Reichs-
tagsgebände, um Rücksprache mit den Mitgliedern der
Fraktion zu nehmen. Die Fraktion wird auf jeden Fall
an ihrer bisherigen Stellungnahme festhalten. — Jn
eben derselben „Nationalzeitung" protestiert der Kammer-
gerichtsrat Dr. Karsten gegen den Antrag von Kardorff.
Das gleiche Blatt teilt mit, daß bis jetzt die Abgeordne-

ten Büsing, Prinz Schönaich-Carolath, Hilbck, Esche,
Wehl gegen den Antrag stimmen werden.
j — Ein Fachmann schreibt der „Köln. Ztg.": Die
! Feststellung eines blnterschiedes zwischen 'Futter-
, gerste und B r a u g e r st e ist in, der Regel durchaus
nicht schwierig, da er hauptsächlich im Naturalgewicht
der Gerste besteht. Jn der Praxis wird alle Gerste, die
ein Naturalgewicht von 62—63 Kilogramm das Hekto-
liter hat, als Futtergerste benützt, und erst solch>e Gersten,
die wenigstens 64 Kilogramm das Hektoliter wiegen,
kommen als Braugerste in Betracht. Jn der Hauptmasfö
muß Braugerste sogar mindestens 65—68 Kilogrannn
das Hektoliter wiegen, und die meisten Brauereien und
Mälzereien berücksichtigen sogar erst Gersten von 66
bis 68 Kilogramm und darüber. Bei der zollamtlichen
Ilnterscheidung wäre also das Naturalgewicht als Maß-
stab anzuwenden, indem alle Gersten bis 63 Kilogramm
das Hektoliter Gewicht als Futtergersten, diejemgen rnit
höherem Naturalgewicht als Brangerften zu verzollen
wären. Ausnahmefälle, in denen zu Brauzwecken un-
geeignete Gersten von schwerem Gewicht als Futtergersten
eingeführt werden könnten, sind so selten, daß deswegen
eine besondere Vorkehrung zu treffen, ganz überflüssig
wäre. _

Dentscher Hteichstag.

Berlin, 29. Novcmber.

Dcr Gegensimid dee Togcsorbnung, die P o l c n-
i n t e r p e I l u t i o u, wird olsbaid veilassen.

Staatssekretar Dr. Graf v. Posadowsky erklärt, der
Reichskanzler sei bereit, die Jnterpellation zu beantworten;. er
stelle aber zunächft Erhebungen an.

Sodann erklärt Präsident Graf B a l l e st r e m, im Jn-
teresse der Würde des Hauses und der Redefreiheit der Mitglie-
der frische er die bestehende Ordnung auf, datz der Raum
'vor der Rednertribüne frei üleibt. (Braoo bei dcn Mehrhcrts-
parteien; ironisches Lachen links.)

Dre auf der Treppe zur Rednertribüne und am Tische des
Hauses stehenden Abgeordneten nehmen ihre Plätze ein. Nach-
dem Staatssekretär Dr. Graf v. Posadowsky den Saal ver-
lassen, erhält Abg. Stadthagen (Soz.) das Wort zur
Erörterung, ob üer Antrag Kardorff zulässig sei.

Da die meisten Mitgliedsr der Mehrheitsparteien den Saal
verlassen haben, bringt Stadthagen seine gegen die Zulässigkeit
des Amrages Kardorff gerichteten ausführlichen Darlegungeu,
vor spärlich besetztem Hause vor.

Abg. Dr. Barth (freis. Ver.): Scine Partei würde es
für den höchsten Ehrentitel betrachten, wenn sie am meisten
dazu beitragen könne, den Zolltarif zu Fall zu bringen. Als
Redner im Verlaufe seiner Ausführungeu gegen den Wg.
Eugen Richter polemisierend sagt, Richter habe früher
selbst Obstruktion empfohlen, rust Bebel dazwischen: „Richter
ist der Verräter der Mmderheit". Richter springt erregt
auf und sagt: „Dieser Ruf ist eine Jnfamie."

Vizepräsident Büsing ruft den Abg. Bebel zur Ord->
nung.

Abg. Dr. Barth schlietzt, die Bevölkerung müsse darüber
befragt werden, ob sie den Tarif wolle oder nicht.

Hierauf beantragt Abg. Singer Bertagung und bezwei-
felt zugleich, während sämtliche andere Sozialdemokraten den
Saal verlafsen, die Beschlutzfähigkeit des Hauses an. (Grotze
Bewegung.)

Präsident Ballestrem schlieht sich dem Zlveifel Smgers
an und sctzt die Weitcrberatung anf Montag 1 Uhr fest.

Kleine Zeitung.

— Hochschulnachrichten. Nach der Hochschulstatistik
für das S.-S. 1902 betrug die Zahl der Hörer in Preußen
24 321, in Bayern 6981, in Baden 3772, tn den übrigen
Bundesstaaten zusammen 9267, insgesamt im deutschen Reich
44 341. Davon waren 36890 immatrikuliert, die restlichen
7451 Hospitanten. Von den immatrikulierten Studierenden
waren 34107 Reichsdeutsche, 2783 gehörten dem Auslande
an. Nach Studienfächern geordnet studierten 2281 prot.
Theologie, 1645 kath. Theologie, 10926 lur. et. 6aiu.
6763 Medizin und 15 275 Philologie, Philosophte rc. An
den beiden badischen Universitäten studieren 57 prot. Tbeol.,
235 kath.Theol., 1273 lur.öt vam., 707 Medizin, 1229
Philosophie, PHIlologie ec. Davon entfallen auf das deutsche
Reich 3196 (incl. 954 Badener) und auf das Ausland 305
Studierende.

— Frankfurt, 29. Nov. (Lorbeerbaum und
Bettelstab.) Aus Wien wird gemeldet: Fräul. Kathi
Frank, die ehemalige gefeierte Heroine des Frankfurter
Schauspielhauses, befindet sich in bitterster Not. Frl.
Frank verließ das Frankfurter Schauspielhaus, um ein
Engagement am Deutschen Volkstheater in Wien anzunehmen.
Sie verließ Frankfurt gegen den Rat Derer, die es gut
wit ihr meinten. Die Wiener Bühne, in deren Vcrband
öe trat, hatte keine Repertoire und auch kein Publikum für
die Kunstrichtung des Frl. Frank. So gab sie dort ihre
Stellung auf, fand aber kein anderes Engagement. So
lebt sie jetzt im grötztem Elend.

— Leipzig, 28. November. Der stud. phil. Erich
Woth ist am 12. Juni vom Landgericht 1 iu Berlin
wegeu Veröffentli-chung der von Wofessor Schmoller
in seiiier Vorlesiing vom 8. März gethanen Aeußerungen
über den Zolltarif auf Grund des Gesetzes über das Ür-
heberrecht zu 200 Mark Geldstrafe verurteilt worden
und hat gegen dieses llrteil Revision emgelegt. Der An-
geklagte hatte die Aeußerungen Schmollers teilweise
wörtlich und teilweise im Anszuge in einem Berichte zu-
sainmengestellt und diesen einer Reihe von Zeitungen zu-
gesandt. Das Reichsgericht v erwarf hente das Re-
visionsgesuch.

— Berlin, 28. Nov. Als gestern der Kaiser die
Linden passierte, ließ er, wie die Blätter berichten, beim
Nahen der Feuerwehr sofort halten und begrüßte den
16. Zug, der zur Wache und nicht einmal zum Feuer fuhr,
sehr freundlich. Die „Nationalzeitung" bemerkt dazu:
Was wird der Hauptmann dazu sagen, der kürzlich verlangte,
daß die Feuerwehr halten soll, wenn er mit seiner Kom-
pagnie vorbeimarschiert?

— Das älteste Gesrtzbuch der Welt. Jn Susa, dcr
alten Hauptstadt Persiens, hat eine französsische Expedition
cinen Fund gemacht, dcr an kulturgeschichtlichem Wert
alles hinter sich läßt, was sonst dem Boden Vorderasiens
von inschriftlichen Denkmälern entlockt worden ist. Man
hat dort ein vollständigcs Gesetzbuch entdeckt, das civil-
und strafrechtliche Bestimmungen umfaßt und aus einer
Zeit stammt, aus der sonst nur „der Fürften einsame
Häupter" erhellt glänzen. Es sind die Gesetze Hammurabis
KönigS von Babylon um 2250 v. Chr.

— Das Tclephou vor 275 Jahren. Ju einem Werk
Gulileis, das die Vorträge des großen Astronomen und
Physikers über die Weltanschauungen des Ptolomäus
und des Llvpernikus enthält und zuerft im Jahre 1627!
erschienen ist, findet stch eine Stelle, die den überraschen--
den Schluß znläßt, daß eine Vorstellung von der Mög--
lichkeit des telephonischen Verkehrs und vielleicht fogar
eine derartige Ersindung schon zu jener Zeit einmal auf--
getaucht ist. Galilei legt nämlich folgende Worte in den
Mund einer der Personen, die er im Gespräch über jens
Weltanschauungen vorführt: „Jhr erinnert mich an einen
Mann, der mir das Geheimnis verkaufen wollte, mit
einer Person in einer Entfernung von zwei oder drei
Meilen mittels Ler Sympathie von zwei magnetischen
Stäben zu sprechen. Als ich ihm sagte, daß ich das Ge-
heimnis gern kaufen würde, aber zuerst eine Probe
machen möchte und datz es wohl genügend sein würde,
den Versuch zwischen den beiderseittgen Wohckungen an-
zustellen, antwortete er mir, daß die Wirkung auf eine
so geringe Entfernung t'aum beobachtet werden könnte,
Daraufhin ließ ich ihn gehen mit den Worten, daß ich
weder Lust noch Zeit hätte, zu solcheni Zweck nach Kairo
oder Moskau zu fahren, aber daß ich gern bereit wäre,
mit ihm von Venedig aus auf seine Art in Verbindung
zu treten, wenn er selbst die Reise nach einer dieser beiden
Städte unternehmen wollte." Was aus jenem Mann
mit seiner Erfindung geworden ist, weiß man nicht, noch
weniger, ob vielleicht in dieser Worten Galilei selbst
eine seiner eigenen physikalischen Jdem geheimnisvost
hat niederlegen wollen.
 
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