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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Juli bis Dezember)

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Nr. 150-176 (01. Juli 1902 - 31. Juli 1902)
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8.0. Karlsruhe, 11. Juli. Beim Emp fang der
Stände, der gestern Nachmittag im Residenzschloß statt-
fand, unterhielt sich das Großberzogspaar auf das liebens-
würdigste mit jedem Einzelnen der Erschienenen. Es waren
die Mitglicdcr aller bürgerlichen Parteien anwesend. Auch
Geistl. Rat Wacker, der sonst an den Empfängen nicht
teilzunehmen pflegte, wurde dicsmal unter den Erschienenen
bemerkt.

Bahern.

München, 11. Juli. Dem Staatsminister Dr. von
Landmann wurde aus Gesundheitsrücksichten bis auf
weiteres Urlaub bewilligt und der königl. Staatsrat
vonSchraut mit der Führung der Geschäfte des StaatS-
ministeriums des Jnnern für Kirchen- und Schulangelegen-
heiten betraut.— Vermutlich ist die Beurlaubung v. Land-
manns der Vorbote seines Rücktritts vom Kultusministerium.
Staatsrat Sckraut, sein Stcllvertreter, ist vor wenigen
Tagen zum Regierungspräsidenten von Oberbayern er-
nannt worden, an Stelle des Präsidenten v. Auer, der
nach Vollendung des 70. Lebensjahres mit dem 1. August
aus seinem Amte ausscheidet. Möglicherweise wird Herr
Schraut das Regierungspräsidium in Oberbayern garnicht
antreten, dieses vielmehr doch an Herrn v. Landmann über-
gehen. v. Landmann ist im Jahre 1815 als Sohn eines
Försters geboren. Gymnasium und Universität besuchte er
in München mit solch emsigem Fleiße, daß er schon mit
17 Jahren das Abiturientenexamen und mit 21 die letzte
juristische Prüfuug und zwar mit der ersten Note bestehen
konnte. Herr v. Landmann trai zur Verwaltung über, war
aber auch Jahre lang in der Anwaltschaft, als Handels-
kammersekretär und als Redakteur der „Allgemeinen Ztg."
thätig und machte Reisen durch ganz Europa. Während
seines langen Aufenthalts in Berlin, wo er stellvertreten-
der Bundesratsbevollmächtigter war, hat v. Landmann mit
großem Fleiße an vielen juristisch-volkswirtschaftlichen Fra-
gen mitgewirkt. Die Ernennung znm Minister, die 1895
nach dem vorzeitigen Tode des erst 19jährigen Kultus-
ministers v. Müller erfolgte, war als die Bcförderung
eineS tüchtigen Juristen und fleißigcn Verwaltungsbeamten
aufzufassen. Man erwartete, datz v. Landmann stch ebenso
geschickt in das Unterrichtswesen einarbeiten werde wie seiner
Zeit in die Volkswirtschaft. Daß ihm dies trotz seines
Fleißes nicht gelungen ist, zeigt neben anderem die große
Mißstimmung in Volksschullehrer- und Universitätsprofessoren-
kreisen. Vor allem hat es v. Landmann nicht verstanden,
die besonders dem Zentrum gegenüber so dringend not-
wendige Selbständigkeit voll zu wahren.

Aus der Karlsruher Zeitung.

— Kanzleisekretär Ludwig Jacob bei dem Ministerium
des Jnnern wurde zum Registrator ernannt.

Expeditionsassistent Karl Kräuter in Markdorf wurde
nach Singen, Expeditionsassistent Friedrich Hof in Neckar-
gemünd nach Kehl versetzt.

Deutscher Aöend im großem Saale des
Saawaues.

e i d e lb e r g, 12. Juli.

Den Vorsitz der gestrigen Versammlung führte Herr
Prosessor L e s e r (Vorstand des hiesigen Kolonialvereins).
Nach einigen einleitenden Musikstücken des Orchestervereins
^rgriff Professor Leser das Wort und entbot den erschienenen
Damen und Herren ein herzliches Willkommen. Er sprach die
Hoffnung aus, datz ähnliche Zusammenkünfte wie der gestrige
deutsche Wend eine dauernde Einrichtung in Heidelberg werden
mögen. Jn Vorträgen belehrender und unterhaltender Art
soll an diesen Abendeu den Deutschen dargelegt werden, welches
die weitergehenden Ziele und Bestrebungen der Angehörigen
des neugegründeten und nun erstarkten Deutschen Reiches
sein mützten. Besonders der Deutsche Kolonialverein hätte die
Ausgabe, nicht nur den deutschen Binnenländer über die er-
worbenen Kolonien des Deutschen Reiches auszuklären, sondern
besonders auch aufklärend über das Leben und Treiben
der Deutschen in autzerdeutschen Ländern zu wirken. Ueberall
wo deutsche Geisteskraft und deUtscher Geift sich bewährt ha-
ben, da ist ües Deutschen Vaterland. Jhn zu schützen, seinen
Wohlstand zu heben, sei eine der hauptsächlichsten Ausgaben
des deutschen Mutterlandes und diese zu fördern habe sich der
Deutsche Kolonialverein und an seiner Spstze wiederum die
^Zentrale, die Deutsche Kolonial-Gesellschaft zur Aufgabe ge-
macht. Möge der heutige Abend die Liebe zum Vaterlanüe
heben, die Anwesenden über Kleinliches erheben, zum Ver-
ständnis für seine Grötze beitragen und den Gesichtskreis der
Zuhörer erweitern; dazu sei der heutige Abend bestimmt und
das werde Herr Prof. Ra t h g e n mit seinem interessanten
Bortrage erreichen.

Es folgten nunmehr zwei Lieder für Männerchor, sehr aus-
drucksvoll vorgetragen vom Heidelberger Liederkranz.

Darauf ergrisf der Redner des Abends, Profefsor Rath-
gen, das Wort zu seinem Vortrage, „Der deutsche Kaufmann
in Ostasien". Hierbei wies er zunächst aus die politischen Er-
eignisse der letzten acht Jahre hin, die den Lesern wohl noch im
Gedächtnis haften. Deutschland ist in diese Ereignisse nur
durch seine wirtschaftlichen Jnteressen hineingezogen worden.
Redner stellte nunmehr die Frage auf, welches die wirtschaft-
lichen Existenzbedingungen sind, unter denen der deutsche Kauf-
mann im Osten, speziell in China lebt, und Welches seine Be-
deutung ist. Die Teilnahme der Deutschen am Handel im
Osten ist im Grunde genommen neu. Vorläufer haben sich
im achtzehnten Jahrhundert zur Zeit Friedrichs des Grotzen
gefunden, jedoch keine bleibenden Folgen hinterlassen. Die
führende Macht ist seit dem achtzehnten Jahrhundert im Ostew
England. England hat 1839—1812 freien Handel und Schritt
für Schritt das Prinzip politischer Gleichberechtigung erkämpft,
«ine That, die jetzt sämtlichen Europäern, mögen sie einer
Nation angehören, welcher sie wollen, zu Gute kommt. Prof.
Rathgen schildert sodann die heutige Stellung der fremden
.Kaufleute in China in ihren Riederlassungcn. Früher war der
Fremde ein geduldeter Barbar, jetzt ist er ein privilegierter
Ausländer. Jm Gegensatz zu den kleinlichen Berhältnissen
in Europa ist im chinesischen Leben die Solidarität der euro-
päischen Nationen hervorzuheben. Erst ist man Europäer, im
Gegensatz zum Chinefen, dann erst Deutscher, Engländer,
Jtaliener usw. Redner schildert die Gemeindeeinrichtung von
Shanghai, entwirft uns ein lebendiges Bild von dem Gegensatze
der schmutzigen chinesischen Abteilung des chinesischen Paris
zu dem wunderschön angelegten, mit Rasenplätzen, Denkmälern
und schönen Gebäuden geschmäckten europäischen Teile. Shang-
hai sei, so führte Redner aus, der Typus einer Kaufmanns-

gemeinde arrstotelischen Charakters. Die chinesische
Bevülkerung hat sich erst allmühlich, Schutz in der Nähe euro-
päischer Niederlassungen suchend, eingefunden. Jn Shanghai
haben die Europäer ihre eigcne Polizei eingerichtet. Sie vcrsieht
den Ordnungsdienst und hat keine kleine Aufgabe, den chine-
sischen Mob in Zügel zu halten. Shanghai wird von einem
aus Europüern aller Nationen zusammengesetzten Gemeinde-
rate, hauptsächlich Grotzkaufleuten, unter denen sich auch
Deutsche befindcn, in republikanischer Weise verwaltet. Die
Zölle dcs Einfuhr- und Ausfuhrhandels befinden sich nichi in
chinesischer Verwaltung, sondern in europäischer. Sie sind
die einzige sichere Einnahme der Regierung Chinas. Auf ihr
beruht allein der Kredit. Eine Aenderung im Handelsbetriebe
ist im Gegensatz zu vergangenen Zeiten insoferne eingetreten,
als früher an der chinesischen Kllste und speziell in
Shanghai nur wenig grotze, jetzt dafür eine grötzere Anzahl
kleinerer Häuser entstanden sei. Auch ist die wachsendc, Be-
deutung der chittesischen Kaufleute nicht zu unterschätzen. Be-
sonders zum Handel mit den Chinesen selbst ist der Europäer
ungeeignet, da ihn: gewöhnlich die Kenntnis der chinesischen
Sprache mangelt. Aber gerade diese Entwickelung hat auch die
deutschen Kaufleute hochgebracht. Unter europüischem Nanwn
und europäischem Rechtsschutze werden neue Firmen gegrün-
det, deren eigentliche Kapitalisten und Unterhändler mit dem
chinesischen Volke Chincsen sind. Alles hat im Osten ursprüng-
lich wesentlich englischen Charakter. Erst das wachsende Na-
tionalbewutztsein der Deutschen und ihre Rührigkeit, auf die wir
in Europa besonders durch englische Allarmrufe aufmerksam ge-
macht worden sind, hat die deutsche Eigcnart mehr zur Geltung
gebracht. Zeichncn sich die englischen Klubs dadurch aus, datz
in ihnen stets über Handel und Verkehr gesprochen wird, so
forgt der deutsche Klub für Geselligkeit, Haltung guter Biblio-
theken usw. Die Zunahme des chinesischen Außenhandels ist
zu einem großen Teile das Werk der deutschen Kaufleute.
Neue Absatzartikel hat der Deutsche importiert, neue Ausfuhr-
artikel und Ausfuhrquellen hat der Deutsche erschlossen, und so
kommt es auch, datz verhältnismätzig der Deutsche in den
alten Ausfuhrartikeln, als da sind: Thee, Seide, Baumwolle
keine grohen Geschäfte macht, während'er an neuen Artikeln
in hervorragendem Matze beteiligt ist. Jetzt ist die Zahl der
deutschen Grotzhandelsfirmen nicht sehr viel kleiner als die der
englischen. Die deutsche Schiffahrt war im Osten besonders
zur Zeit der Segelschiffahrt bedeutend, sank nach der Eröff-
nung des Suezkanals, nimmt aber neuerdings wieder stark zu.
Hierzu haben besonders die vom Reiche subventionierten Linien
des Norddeutschen Llohd beigetragen. Auch sind die engli-
schen Verbindungslinien in Südchina jetzt durch Deutschland
verdrängt. Die Förderung dcs dcutschen Handels im Osten
ist den deutschen Kaufleuten zu verdanken. Sie haben recht-
zeitig eingesehen, wie notwendig die wirtschaftliche Erschlietzung
Chinas ist und welche Bedeutung die Hebung der Kaufkraft
Chinas für den Wohlstand des Mutterlandes hat. Welche An-
erkennung der Thätigkeit des deutschen Kaufmanns von allen
Seiten gezollt wird, ist besonders in einem Berichte zu lesen,
den der Gouvcrneur von Hongkong im Jahre 1897 erstattete.
Er sagi darin: Die Deutschen sind in ehrlichem Wettbewerb vor-
angekömmen, infolge ihrer sehr grotzen Jntelligenz, grotzen Sorg-
falt und Umsicht und allgemeinen Bildung. Die Furcht vor der
„gelbcn Gefahr" ist ein Ausflutz mangelnder Sachkenntnis
und unklarer Gefühle. Nicht im Abschlutz nach Autzen liege
die Zukunft des deutschen Volkes, sondern in seiner überguellen-
den Volkskraft, die neue Bahnen öffnet für deutschen Erwerb
und deutsche Kultur.

Nach dem geistreichen, ungemein fesselnden und klaren
Vortrage sang der „Liederkranz" noch zwei anmutige Lieder,
bon denen das letzte, Kirchl, „Stilllcben", durch seine Schalk-
haftigkeit so gefiel, datz sich die wackere Sängerschar zu eincr
Wiederholung verstehen mutzte. Weitere Orchestervorträge und
das gemeinsame Lied „Des Deutschen Schwur" lietzen die
Stunden schnell vergehen, bis Herr Professor Leser in sei-
nem Schlutzworte für die Darbietungen des Herrn Prof. Rath-
gen sowie die Mitwirkung des „Liederkranzcs" den Dank der
Versammlung aussprach. Ein Hoch auf das deutsche Bater-
land und das gemeinsame Lied „Deutschland, Deutschland
über allesl" schlossen die erhebende Feier, die wir mit dem
Wunsche verlietzen, datz uns recht bald wieder Gelegenhcit ge-
geben werde, einer solchen beizuwohnen.

Aus Sladt und Land.

Heidc lberg, 12. Juli.

** S. K. H. der Erbgroßherzog traf gestern Mittag 12.27
Uhr aus Karlsruhe hier ein und setzte um 12.32 Uhr die Reise
in der Richtung nach Franffurt fort.

-c- Sommerfcst. Der Kaufmännische Verein
Heide.lberg veranstaltet heute Abend in dcr Schlotzwirt-
schaft ein Sommerfest, zu dem auch Nichtmitglieder gegen
geringes Entgelt Zutritt haben. Bei ungünstiger oder zweifel-
hafter Witterung findet das Fest in der Halle statt.

si- Gesellenpriifung in dcr Metzgerinnnng. Bei der gestern
im städt. Schlachthaus abgehaltenen Gesellenprüfung wurden
2 Lehrlinge hiesiger Metzgermeister geprüft, während ans dem
Bezirk Wiesloch und Landbezirk Heidelberg nicht ein einziger
Lehrling erschienen war. Es scheint, datz sich die Metzgermeister
noch nicht recht in die Vorschriften der Handwerkskammer fin-
den können. Die Prüfung wurde von dem stellv. Obermeister
abgenommen. Sie war eine theoretische und eine praktische.
Der Lehrling des Metzgermeister Koch erhielt die Note sehr
gut, derjenige des Metzgermeisters Bauerdie Note gut. Nach
der Prüfung richtete Herr Metzgermeister Koch noch einige
Worte an die Prüflinge und ermahnte sie, ihrem Berufe treu
zu bleiben und in der bisherigen Weise vorwärts zu schreiten.

-r- Personalien. Schuhmann Hans, gegenwärtig bei der
.Kriminalpolizei wurde zum Sergeanten befördert und Schutz-
mann Englert als Kirchendiener in der Heiliggeistkirche an-
gestellt. — Hilfskirchendiener Schäfer in der kathol. Not-
kirche übernimmt am 1. Oktober die Stelle als Kirchendiener
in der ncuen katholischen Bonifaziuskirche in der Weststadt.

** Wiedcrhergestellt und in seine Heimat abgereist ist der
Studierende, dcr kürzlich einen Selbstmordversüch machte und
zu einem falschen Gerücht über ein amerikanisches Duell Ur-
sache gab.

— Polizeibericht. Verhaftet wurde ein Schreiner wcgen
Diebstahls, ein BLrstenmacher, der sich der Wehrpflicht ent-
zogen hat, ein Taglöhner wegen Hausfriedensbrnchs und ein
Dienstmädchen wegen Umherziehens. Wögen Unfugs kam
eine Person zur Anzeige.

X Handschuhsheim, 12. Juli. (U n g l ü ck s f a l l.)
Gestern Abend kurz vor 6 Uhr ereignete sich in der Stöckinger-
schen Dampfziegelei ein Unglücksfall dadurch, datz die ledige
Fabrikarbeiterin Simon von Schriesheim beim Einstampfen
me rechte Hand in das Walzwerk brachte; die Verunglückte
wurde zu Wagen in das akademische .Krankcnhaus vcrbracht.
Ein zu kurzer Stiel an dem von ihr benützten Stempfel soll
die Ursache des Unglücksfalles sein.

Thairnbach, 10. Juli. (S ch a d e nf e u e r.) Heute Vor-
mittag wurden. die hiesigen Einwohner in Schrecken versetzt,
als kurz nach 8 Uhr die Sturmglocke ertönte. Jm Hause des
Johann Christian Benz, Landwirt, war Feuer ausgebrochen,
das schr rasch um sich griff. Da zur jetzigen Fahr'eszeit die
Leute auf dem Felde beschäftigt sind, konnte das Feuer erst
gelöscht werden, als das Haus vollständig niedergebrannt war.

st Mannhcim, 11. Juli. (S ch w u r g e r i ch t.) 10. Fall.
Wegen Totschlags hatte sich der 67 Jahre alte frühere Stratzen-

wart und jetzigc Landwirt Peter Philipp Reinhard vott
H o h e n s a ch s e u zu verantworien. Reinhard ist periodeu-
weise dem Trunke ergeben unü bummelt dann tagelang herum.
Mitre Mai d. I. hütte er wieder einc Säuferperioüe. Er
hatte zu dieser Zeit von der Gemeinde Hohensachsen ein Rin-
denschälstück übernommen. Die Gemeinde drängte auf Er-
ledigung der Arbeit, Reinhard huldigte aber lieber dem
Schnapse. Am 23. Mai fing er wieder an zu schaffen. Er
wollte noch zwei Taglöhner zur Hilfe engagieren, fand aber
nur einen. Er ging deshalb gegen Mittag zu seiner im Wein-
berg arbeitenden Frau und forderte diefc auf, die Arbeit im
Weinberg zu unterlassen und mit ihm nach dem Schälwald
zu gehen. Die Frau weigerte sich, es käm zu Auseinander-
setzungen und schlietzlich stietz Reinhard seiner Frau das Messer
in den Hals. Die unglückliche Frau, mit der Reinhard 34
Jahre lang verheiratet w«r, gab bald darauf ihren Geist auf.
Der Angcklagte ging nun zurück und that, als ob nichts passierr
würe. Nach Auffindung der Leiche wußte er sich vor angeb-
lichem Schmerz nicht zu fassen, bis der Gendarm an seiner
Hand Blut bemerkte. Reinhard wurde verhaftet und gestand
die That ein. Das Schwurgericht verurteilte ihn zu 4 Jahren
Gefängnis.

11. Fall. Auch bei diesem Fall bilden unglückliche Fami-
licnverhültnisse den Hintergund einer sich als Totschlagsversuch
charakterisierenden That. Auf der Anklagebank satz der 28
Jahre alte ledige Kaufmann Friedrich Rothacker, von Lör-
rach gebürtig, wohnhaft in H e i d e l b e r g. Dcn Totschlags-
vcrsuch hat er an seinem Zwillingsbruder, dem Studiosus juris
Hermann Rothacker begangen. Die beiden Brüder entstammen
einer nicht ganz normalen Familie; denn der Vater ist vor
Jahren im Jrrenhaus gestorben. Die Mutter starb im ver-
gangenen Herbst. Wegen der ziemlich grotzen, auf 160 000
Mark geschätzten Hinterlassenschaft der Mutter kehrte Friedrich
Rothacker, der in Belgien lebte, nach Heidelberg zurück, weil
er befürchtete, daß ihn sein Bruder Hermann um sein Erbteil
bringen würde. Hermann Rothacker setzte nun dcm Ange-
klagten, der geistig nicht ganz normal ist, und im Jahre 1891
bis 1895 Isst Jahr im Jrrenhaus in Jllenau zugebracht hat,
in einer sehr unschönen Weise heftig zu, indem er ihm fort-
gesetzt drohte, er könne ihn zum Bettler machen und ihn ent-
erben auf Grund eines cmgeblich vorhandenen Testaments.
Friedrich Rothacker geriet hierüber in grotze Aufregung und fing
an zu trinken, was er früher nicht gethcm. Am 11. Februar
abends kam es wieder zu einem Auftritt zwischen den beiden
Brüdern in der Behausung derfelben. Ein paar Minuten da-
rauf trafen beide Brüder im Korridor der Wohnung wieder zu-
sammen. Hermann hob seinen Stock und wollte damit auf den
heutigen Angeklagten schlagen, der sich nicht mehr anders zu
helfen wuhte, als den Revolver zu ziehen und auf seinen
Bruder zu schietzen. Dcr Schuß traf diesen in die Unterlippe-
Die Verletzung war keine bedeutende. Die Geschworenen
verneinten die Schuldfrage, worauf Freisprechung erfolgte.

X Rhcinau, 11. Juli. (Feuersbrunst.) Heute
Nachmittag 1 Uhr brach in der Korkmühle der Suberiffabrik
Feuer aus, das in kürzer Zeit den ganzen Jnnenbau einäscherte-
Die drei Feuerwehren waren erschienen. Bei der herrschenden
Windrichtung war ein weiteres Umsichgreifen des Feuers
nicht zu befürchten, nur ein nahestehendes zweistöckiges Bau-
bureau mutzte geschützt werden. Der Betrieb der Fabrik wird
leider bis zum Wiederaufbau der Mühle eingestellt bleiben
müssen.

2C Karlsruhe, 12. Juli. (U n g l ü ck s f a l l.) Heute
Morgen wurden bei der Staffon Graben-Mudorf der Bahnar-
beiter Daniel Müller und scin Sohn von dem Schnellzug
Mannheim-Bruchsal erfaßt und zur Seite geschleudert. Der
Vater ist seinen Verletzungen alsbald erlegen, der Sohn hat
mehrere Rippenbrüche und inneve Verletzungen davoygetragen-

80 Karlsruhe, 11. Juli. (T o d e sf ä l l e.) Jn Etten-
heim ist Realgymnasiumsdirektor Oster (kath. Priester, früher
in Villingen, Gernsbach und Waldshut thätig) im 60. Lebens-
jahr, in Waldshut Realschulprofessor Winterhalder, 37 Jahrr
alt, gestorben.

Karlsruhe, im Juli. (M i l i t ä r a n w ä r t e r u nst'
Jubiläumsmedaille.) Eine Zuschrift aus Baden iN
der „Sträßb. Post" beklagt, datz bei der Verleihung der Er-
innerungsmedaille zum Regierungsjubiläum unseres Grotz^
herzogs Militäranwärter in noch nicht etatsmätzigen StelleN
leer ausgegangen sind. Es sei für diese Leute schmerzlicb'
Beamte, die sowohl im Lebens- wie im Dienstalter jünger alb
sie sind, mit dem Ehrenzeichen geschmückt zu sehen. Doppen
schmerzlich, wenn sich die jüngeren ihnen gegenüber mit dcr
Auszeichnung womöglich noch brüsten. Gerade die SoldateN
fühlen sich dadurch zurückgesctzt. Der Einsender meint, die Rr-
gierung würde weise und gerecht handeln, wenn fie dieseN
Sachverhalt einmal prüfen wolle.

Keine Männerklöster.

Aufruf.

Wir Cndesunterzeichnete geben hiermit bekannt, datz wir n'
Karlsruhe ein Komitee gebildet haben, um die Protestbewegui^
gegen die drohende Zulassung männlicher Orden und Klöst^
in die Wege zu lsiten. Ilnser Komitee setzt fich zusammen aU^
Anhängern verschiedener politischer Parteien und Konfessiourst'
insbesondere gehören ihm eine Reihe von Katholiken an. E,
halten dafür, datz die Bewegung weder eine parteipolitiE
noch konfessionelle sein darf. Es gilt, das badische Volk av
solches womöglich noch rechtzeitig zu wecken unb zu Woff,
kommen zu lassen. Jede parteiliche Einschränkung der Aö,,
tation kann der Sache nur zum Schaden gereichen. Der Erftä
unserer crsten Versammlung hier in Karlsruhe am 10.
in den Räumen der „Eintracht" ist uns ein schlagender Bewf,^
dafür, dah wir auf dem rechten Wege find. Selbstverstandl'.
werden wir es mit Freude begrützen, wenn Anregung
Unterstützung von irgendwelcher Seite kommen. Wir wilnlE^
nichts so sehr als ein wirksames Zusamrnenarbeiten. Ju
sem Geiste fordern wir hiermit die Förderer der gutcn
auf, allenthalben, wo sich dazu die Gelegenheit bietet, Konn^
zu bilden ähnlich dem unsrigen. Es dürfte fich hierbei
mätzig «rweisen, fich mit uns in Beziehung zu setzen und um
bereits erstattete Resolution im Wortlaut sich anzueM^
Wir sind gerne bereit, falls es gewünscht wird, einen
gierten oder auch Redner zu stellen. Vor allem aber gi"
keinen Tag zu berlieren. Vivant sequentesl
Das Komitee:

v. Pezold, Schriftsteller, Vorfitzender,

Allers, Dentist; Arnold, Prof.; Beeser, Redakteur; iööhtusic^
Prof.; Brauer, Pros.; Drews, Prof.; HLndel, Rechtsanma
Haid, Prof.; Haueisen, Kunstmaler; Jahraus, BuchharM ^;
Keller, Pros.; Marguerre, Jngenieur; Meidinger, -st
Oberle, Malermeister; Süpfle,

-rg^

Eingesandt.

Heidclberg, 12. Juli. Um Jrrtümern vorzubeugen,

stelle

i-S

unter Bezugnahme anf das Eingesandt in der vorigen
dieser Zeitnng fest, daß den Stadtgartenwirt, Herrn
bei dem in Rede stehenden Vorfall durchaus keine ZTltzt»
trifft, da Herr Classen zu der fraglichen Zeit den
garten bereits verlaffen hatte, und da ferner die ^
weisung aus dem Stadtgarten durch eine nicht Herrn st-
unterstehende Person veranlaßt wnrde. Nur gegen das - HAS
Hinsicht unangemessene Vorgehen dieser Person soll vurw
 
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