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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Juli bis Dezember)

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Nr. 203-228 (01. September 1902 - 30. September 1902)
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Freitag, 26. September!M2.

Aweites BLatt.

44. Jahrgang. — «r. 225.

Erlcheikt täglich, Sonntags auSgenommen.

Preis mit FamiUenbläliern monsrlich 50 Pfg. in'S HeuS gebrachr, bei der Expedition und den Zweigstellen abgeholt 40 Pfg. Durch die Post be.
zogen vierteljährlich 1.35 Mk. ausschttcßlich Zustellgebühr.

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»orgeschriebenen Tagm vird keine Berentwortlichkeit übernommm- — Anschlag ver Jnserate auf den Plakattafeln der Heidelberger Zeitung und den städt. Anschlagstellen. Fernsprech-Anschluß Nr. 82

Wom 74 deutschen Waturforschertag.

Karlsbad, L2. Sept. Die deutschen Naturforscher uud
Acrzte sind hier, wie schou kurz gemetdet, zu ihrer 74. Taguug
zusammcugekommeu. Vertvcter Oesterreichs, Deutschlands,
dcr Schweiz, Rutzlands und Japans haben sich eingefunden.
Die östcrreichische Megicrung ist durch den Unterrichtsminister
Dr. vmr Hartel, dic preutzische Untcrrichtsverwaltung durch dcn
Minister Dr. Studt vertreten, ferner ist von Böhmcn Statt-
halicr Graf von Coudenhove anwesend. .Geschäftsführer Dr.
Hcrmann-Karlsbad begrützte den Kongretz, besonders den öster-
reichischen imd den preutzischen Unterrichtsminister und schlotz
seine Ansprache >mit Hochrufen auf Kaiser Franz Joseph nnd
Kaiser Wilhelm. An beide Herrscher ivurdcn Huldigungs-
tclcgrammme abgcsan'dt. Unterrichtsminister Dr. v. Hartel
dankte im eigenen wie im Namen der Regicrung für dic Ein-
ladimg. Der Minister hietz dic Aliwesenden. herzlich willkom-
men, wies auf die Bedeutimg des Kongresses hiii imd bezeich-
nete dic Vercinigung dcr Kräfte und Mittel zur Erreichung
großer gemeinsamer Ziele als cin Kennzeichcn dcs wisscn-
schaftlichen imd wirtschaftlichcn Lebens unserer Zeit. Er be-
tonte, daß dic hohe praktische Bedentung der Studien und
Forschungcn der Kongretzteilnehmer es der Regierung zur
Pflicht mache, die Nrbeiten zn imterstühen imd zu fövdcrn,
ihre Anrcgungen zu prüfen und zn beachten. Der Minister
gcdachte der wertvollen Früchte, wclche die gegcnscitige Unter-
stühung vaii Theorie uüd Praxis, das Zusammenwirken von
Wissenschaft und Vcrwaltung nicht blotz in dem übcr rciche
Mittel verfügenden verbündcten deutschen Reichc, sondern auch
in Oestcrrcich getragen habe, iiidem er namentlich auf dic
Ausgestaltung der naturwissenschaftlichen! und mediziiiischen
ynstitute, sowie auf die Verbesserung dcr gesundhcitlichen
Einrichtungen Böhmcns hiiiwies. Es sei keine blotze Phrase,
wenn er versichere, datz der Staat und die Unterrichtsberival-
tung gerade den Verhandlnngen dieses Kongresses mit voll-
ster ?tufmerksamkeit folgen. Der Minister wies darauf hin,
datz sich zu dicsem Kongreß nicht nnr Mediziner, sondern Ver-
treter allcr anderen Zweige der Naturwisscnschaft immcr ivie-
der einfinden, im Bewutztsein ihrer gemeinsamcn Aufgaben,
der Wahrheit zu diencn. Zu dieser Teilimg der Arbeitsge-
kuete und der nnmifhaltsam fortschreitenden Spezialisierung
gcselle sich der Trieb, übcr die trcnnenden Schranken der cin-
Zclnen naturwisienschaftlichen Disziplinen hinweg das Ver-
bindcnde zu suchen. Der Minister schlotz mit dem Wunsche, datz
biefem Bcstreben der Geist Gocthcs, der so oft in Karlsbad
gewcilt, voranleuchten imd über den Berhandlungen schweben
wöge, der Menschheit zinn Wohle, der Wisfenschaft zur För-
derung nnd Ehre. (Sturmischer Bcifall.)

Nach der Begrützungsansprache des Karlsbader Bürger-
weisters Schäflcr und des Rektors der Pragcr deutschen Uni-
bcrsität Bachmann, gedachtc dcr erste Vorsitzende des Kon-
gresses, Geheimrat Pröfcffor Heubner-Berlin, der im abge-
laufenen Jahre verstorbenen Mitglieder K uch m a u l - H e i-
belberg, Gerhardt und Virchow-Berlin in ehrcndeii Nach-
bufen.

Hieranf begannen Borträge, die Prof. Hofmeister (Straß-
burg i. E.) mit cinem Bortrage über ,den Bau des Eiwcitz-
woleMs eröffnetc. Prof. Weber (Amsterdam) behandeltc
een Malayischcn Archipel nnd die Geschichte seiner Tierwelt.
-ten dritten und lctztcn Vortrag hielt Professor Voller (Ham-
"urg) übcr die Grimdlagen und Methoden dcr elektrischen
-Hellentelegraphie (sogenannten drahtlosen Telegraphie). Ein
sirotzes Jnteresie knüpfe sich mehr nnd mchr aN? die Leistungcn

sogenannten drahtlosen Telegraphie. Dcn Gebildeten,
^eren Schnlung in älterer Zeit lag, sind dic modernen Anschau-
bugen nur wcnig vertraut, ja sehr schwierig. Die alte Lehre,
"atz die Leistungcn der Mektrizität, wie wir sie zuerst in der
6rwöhnlichen Telegraphie, sodann in den maimigfachcn An-
ibentuingcu der Elektrotechnik benutztcn, an die Existenz ge-
Ichlossencr elcktrischer Ströme gebimdcn scien, datz solche Ströme
b»r in metallischen odcr elektrolythischen Leituugcn dcnkbar '

seien, beherrjchte bis vor wemgen Jahren die Anschauungen.
Heute wissen wir mehr von den Wirkungsmöglichkeiten der
Elektrizität. Seit Faraday, Nkarwell, Helmholtz und Heinrich
Hertz ist neben die alte Lehre oon den geschlossenen elektrischen
Strümen in den Leitcru die Lehre von den Berschiebnngs-
strömen des Aethcrs oder der Glektrizität iiinerhalb der soge-
naimten Nichtlciter getreten; zu dicscn gehört vor allcm auch
die atmosphärische Luft. Elektrizitätsentladungen in, Leitern
rufen im Aether der umgebenden Luft isochrome Bewegungen
heivor, die sich nach allcn Richtungen des Raumes mit Licht-
geschwindigkcit fortpflMizen imd imter gecigneten ilmständen
ihrerseits ivteder neue Entladungsvorgänge in Leitern, auf
dic sie trefsen, hcrvorrufcn. Sind die primären Anstötze perio-
disch wechselude, so siud nuch die fortschreitenden Bcwegungs-
vorgängc im Aether periodisch aufcinanderfolgende, das heißt
es laufeii elektrische Wellen, Strahlen elek'trischer Krast, durch
den Aether imd erregcn in Leitevn elektrische Schwingungs-
zustände. Die Wahrnehnnmg dieser Vorgänge gelang bekannt-
lich zuerst Heinrich Hertz, er wies die Entstehimg elektrrscher
Fuiiken nnd oscillatorischcr Llchterscheinimgen beim Auftreffen
elektrischer Wellcn nach. Zugleich vcrdcmken wir ihm die
experimentelle Ausbildung dcr Erzeugimg sehr schneller pri-
märer oscillatorischcr Eiitladimgsvorgäuge iimerhalb gccig-
ncter elektrischer Fnnken, die zwar schou taii'ge vor ihm be-
kaimt war, aber erst durch ihn die grohe Bedeutung gewanu,
die zur elektrischen Wellentelegraphie führte. Der erste, dcr
in grotzem Matzstabe diese Anwendung zu realisiereii suchte,
war Marconi (1806) : er lietz in Hertzschen Funken sehr schnelle
clektrische Oscillationen entstehen, dic von scnk'rechten Drähten
oder Flächen aiisstrahltcn, den Luftraum durchzogen und
in mätzigen Entfernimgeii ncuc elektrische Wirkungen hcrvor-
riefen, die zur Zeichengebung bermtzt wurdcn. Die Wirkmig
war kcine sehr sichere. Der Grund hiersür lag in der damals
iwch mangelhaften Kenntms der Bedingungen, unter denen
kräftige, praktisch verwertbare ReproduMonen ele'ktrischer
Prozesse möglich sind, dagegen war es ein grotzes Verdienst
Marconis, datz er zu solchen Reproduktionen nicht die wenig
empsindliche Methode der Crzeugnng scMrdärer elektrischcr
Funk'en oder sonsttger Lichtwirkungen benntzte, sondern eine
anderc, scit 1890 dnrch Brandy-Paris näher studierte Wirkung
der elektrischcn Wcllen. Diesc Wellen haben die Eigenschaft,
wenn sic anf elektrisch schlecht leitendes Metallpu'lvcr treffen,
dcsien Lcitimgsfähigkeit plötzlich schr zn steigern, sedoch so, datz
kleinc Erschüttcruiigen wieder dcn ursprimglichen Zustand her-
vorriisen. Marconi bildetc anf Grimd dieser Thatsachen den
heute sogen. Fritter oder Kohärcr aus, der bis hcute das
wichtigste Empfangsiiistrumciit dcr Wellentelegrasic ist; erst
ncucrdings siüd Mitteilungeii bekaimt gewordcn, wonach es ge-
lungen fcin soll, ein weit empfindlicheres Jnstrument mit trle-
phomscher Zeichenwiedergabe zu ersiiidcn. Der gewaltigste
Fortschritt der Wellentelegraphie ist seit zwei Jahren durch
zwei deuischc Forscher, Professor Braun in Stratzburg i. E.
und Prof. Slaby in Charlottcnburg, 'herbeigeführt worden, die
bcide auf verschiedcucu Wegen zu verwandten Resultatcn ge-
langten. Der Fortschriit besteht in der Verwendung der elek-
trischen Rcsonanz odcr Mstimimmg der Wcllen. Jeder elek-
trisch schwingende Körper bcsitzt, ähnlich wie eiu akilstiscli töncn-
der Körper, cine bestimmte, ihm eigcntümliche Slhwingungs-
periode: imr wenn dic aiikammeiiden elektrischen Wellen die-
selbe Schwingimgsdaiicr haben, kann eine kräftige Resonanz
entstehen, Braim imtcrsiichte sehr eingehend die theorctischen
Bödingungen solcher Resonanz, die er 'dann praktisch crprobte;
Slaby wnrde direkt dnrch seine grotzen nnd erfolgreichen
praktischcn Vcrsnche zur Auffinduiig gceigneter Reso'nanzbe-
dingungen geführt: ihm stand der Inacn'ienr Graf Arcn als
Mitarbeiter znr Seite. Die Grimdlagen dieser Methoden
wurden yon dem Vartragendeii durch eine Anzahl von grosien
Zcichnimgen, Projektionsbilderii nnd erpernnentalen Borfüh-
rimgeii crläutert, an dic nch dmm Versuche mit den im Saal
aiifgestellten grotzen Apparaten des vraktiicben Bctriebes an-
schlossen: letztcre Apparnte waren von der Gcscllscbaft für

drahtlose Tolcgraphic, System Prof. Braun und Siemens uud
Halske, sowte von der hAllgcmeinen Elekrrizitätsgescllsihaft
(Systcin Slaby-Arco) installiert worden. Den Schluh des
Vortrages bildete ciue kurze Darlegung der wescntlichen Ünter-
schiede der Braimschen uud der Slabyschen Methodc, sowie der
bis jetzt in der elektrischen Wcllentelegraphie durch die Anwen-
dimg abgcstumnter Wellen crreichteii grotzen Refultate und
der Aussichten, die sich derselbeii auf Grnnd neuer uüd erwei-
terter Vcrfahreii cröfsnen. — Am Nachmittag begcmncn die
Arbcitcn dcr 28 Abteilungen, deren Sitzungslokale in mehreren
Schulen und öffentlichcii Gebäuden der Stadt untergebracht
sind.

Dcr Vorstand imd dcr wissenschaftliche Ausschutz haben
in ihrer gcmeinsameii Sitzimg am Soimtag beschlosseii', der
Geschäftssitzung als Ort dcr iiächstcu Vcrsainmlung Kassel vor-
zuschlagen. Für die Stelle des dritten Vorsitzenden der Ge-
scllschaft wird vorgeschlagen: Dr. Jng. von Hefner-Alteneck
(Berlin). Als Mitgliedcr des Vorstandes wuvden vorgeschla-
gen: Prof. Dr. Lecher (Prag), Prof. Dr. Naunyn (Stratzburg
st. E.), und Prof. Dr. 'W. Ostwald (Leipzig). Als Schatz-
äneister Dr. Karl Lampe-Vischer (Leipzig).

Karlsbad, 23. Sept.

Bci dem heuttgen Festmahl des Deutschen Natur-
forschertagcs in Karlsrnbad ergriff nach Mcdiziiialrat Heub-
ner, der auf Kaiser Franz Josef trank, Professor Chiari aus
Prag das Wort, um in schwniigvollcn Worten die geistige Zu-
sammeiigehörigk'eit der Deutschen in Oesterveich und im Reiche
zu fciern. Dann brachte er seinen Trinkspruch auf das Wohl
des deutschen Kaisers aus, der, wie er sich ausdrücbte, „bewun-
dcrt von der ganzen Welt, mit unerhörter Universalität und
Thatkrafk, mit wahrer Mannesenergie sich stets als uner-
reichter Mäceu dcr Wissenschaft erwieseu hat und unter dessen
wciser Führung in Dcutschland wie auf vielen auderen Gebie-
tcn auch auf dem Gebiete der Wissciischaft die Deutschen
zu ciner führenden Rolle in der Welt gekommen sind. So
stimmen Sie mit mir denn ein in den Ruf: Seine geheiligte
Majestät der deutsche Kaiser Wilhelm der Zweite lebe hoch!"
Die Versammlung brachte ein dreimaliges begeistertes Hoch
mis, worauf Heil 'dir im Siegeskranz gespielt und von der
Versammluug stehend mitgesungen wurde.

Deutsches Reich.

— Die deiltsche S ch a u s p i e l e r f a h r t
ll a ch P a r i s. Die „Ncatioilalzeituilg" schreibt: Eine
nnmer wiedcrkehrende Ente, die fortwährend in inanchen
Blättern hernmflattert, ist die Ankündigung einer unter
der Giinst des amtlichen Frankreichs stattfindenden deut-
schen Schanspielcrfahrt nach Paris. Bald hietz es, Prä-
sident Loubet habe das Protektorat dieses eigenartigen
llnterliehmens angenommen, bald wurde gemeldet, die
französische Regieriing habe allen Teilnehmern freie
Fahrt auf sämtlichen französischen Bahnen zugestanden.
Wir haben uns in Paris, wie an üen zuständigen Stellen
in Leipzig, von wo die wundersamen Nachrichten kamen,
erkundigt, und das Ergebnis ist gleich Null. Herr Loubet
hat nie eine Eingabe dcutscher Künstler, wegen Ueber-
nahme des Protektorats ihrer Produktionen in Paris, er-
halten, und wäre auch, nach der für das Elysee mahge-
benden Ueberliefernng, außer Stande, sich mit der Pa-
tronage fremdländischer Kunstfahrten zu befassen. Anch
ist in keinem der überhanpt in Frage kommenden Pariser
Theater von einem für nähere oder spätere Zeit in Aus-
sicht stchenden deutschen Eiisemble-GastspiLl das Geringste
bckannt. Ebensowenig hat in Leipzig von dem wirklichen
Bestehen des in gewissen Zeitungsnotizen genannten
„Komitecs zur Förderung einer deutschen Künstlerfahrt


Rittergut Tressin.

Roman von Robert Misch.

(Nachdruck verboten.)

Cs regnete; es rcgncte „Biii'dfaden und Schufterjungen",
(bie der Herr Jnspektor auf Tressin sagte. Es klatschte gegen
Fenster, es rieselte und strömte unablässig seit gestern
'Vend. Auch am Vormittag sah es noch lücht nach Besserung

Tie Mägde patschten mit hochgeschürzten Röcken, unter
die drallen wollbcstrumpften oder nackten Waden hervor-
^.ckten, durch den zähen Brei des Hofes und der Wcgo, die
Oigcn'd nach einer neucn Ausschüttung verlangten.

^ . Die Knechte fluchten leise, der Jnspektor schimpste halblaut
der „Alte", wie sie kurzweg den Herrn uannten, wetterte,
h?shte und schimpfte so laut, datz ihm Mensch und Vieh in
Bogen aus dem Wege gingen.

H Das war zwar nun nichts neues. Aber heute war der
h sr Ockonomievat Roloff ganz bcsonders schlechter Laune.

heute hatte er beiuahe eincn Grund dazu.
ij, Eben kam er aus dem Pferdestall, schlug mit dröhnendem
Itzj M die Thüre hinter sich zu, brummte noch etwas von „Sau-
lz^schaft" und „Dreckmensch" in seinen dicken, struppigen
q,^ubai.-t, versetzte einem Köter, der ihm nicht schnell genug
dem Wege ging, einen Futztvitt, datz er heulend mit ein-
ltz^llfcnem Schwanze davonlies, und schritt dann, aus einer
Jagdpfeife einen stinkigen grauen Dampf ausstoßend,
«tz-t Hause zu, in dem er zur Erleichterung der Hofleute
Ph verschtvand.

^Drinnen im Eßzimmer, das er betrat, stand eine jnnge Dame
IchMierte Semmeln, die ste dann sorgfältig mit Schinken
^Lurst belegte.

^N^er Gutsbesiher ging schweigend im Zimmer umher und
-ktzll nm- zu Zeit einen schiefen Seitenblick auf seine

dix ruhig in ihrem Geschäfte fortfuhr.

„Für wen ist denn das?"

„ErwaS zum Mitnehmen für unterwegs", erwiderte die
Dame, ohne aufzublicken.

„Na, dn sorgst gut für dich l Das willst du alles allein —"

„Aber, Vatcr, ich komme ja crst gegen Sieben in Derlin
an. So lange kann ich's doch nicht aushalten, ohne was zu
essen."

„Na ja, au Appetitlosigkeit hast du nie gelitten. Es thäte
es auch ohne Schinken. Die Schweine werden immer teurer."

„Desto besser für dich als Landwirt und Züchter."

„Ja, schon — aber nicht, wenn man alles alleine auf-
präpelt. Jhr Frauenzimmer könnt eben nicht sparen."

Lisbeth zuckte schweigend die Achseln. Dcmn legte sie
plötzlich daS Messcr beiseite und wendete ihm ihr Gesicht zu,
über das es wie verhaltene Schelinerei zuckte.

„Nun, wenn >du meinst, Papa, kanu ich mir ja unterwegs
was kaufcn . . . Das ist auch prakttscher."

„Na, das sehlte noch geradel Das Geld wegschmcitzenl
Fünfzig Pfennig für ein Margarinebrötchen mit 'nem Karteu-
blatt Schinken 'darauf l . . >, Hcchahal" — er lachte spöttisch
— „du hast ja auch gar kein Geld."

„Freilich . . . ich kann doch nicht ohne 'nen Groschen
nach Berlin fahren."

„Du hast doch uicht ctwa aus der Milchkasse —?"

„Ja, natürlich . . Dreitzig Mark . . . das ist doch das
Mindeste, das ich mitnehmen muß."

„Du hast — du bestiehlst meine Kasse?" — Er stcrmpfte
wütcnd auf ste, sie mit hochrotem Gesicht nnd erhobener Sttm-
me anschreiend: „Augenblicklich gieb das Geld raus! Fh, das
wäre noch schönerl Wozu brauchst du Geld in Berlin? Pro-
fessors könneu für dich bezahleu, wenn ste dich eingeladen
haben — ganz unuötigerweise übrigens."

„Aber Papa," crwiderte Lisbeth, die an scine Art gewöhnt
war, ruhig — „es kommt doch mal vor, datz ich allein aus-
gehe, einc Droschke bezahlen oder Trinkgelder geben muß."

Der Alte lachte so wütend auf, datz sie jetzt doch ganz cr-
schrocken inne hielt.

„Das gnädige Fräulcin fährt Droschke imd giebt Trinl-
gelder — ganz wic Rothschilds Tochter. Bin ich ein Fürft?
— Du kamist Pferdebahn fahren oder zu Futz gehen, wenn
Proscssors dich uicht sreihalten, was ihre verdammte Pflicht
nnd Schuldigkeit ist."

„Jch muh mir auch Verschiedenes anschaffen in Berliu."

„Anschasfen?!" brüllte der Oekonomierat im den höchsteri
Töncn zoriüger Berwunderung. „Arbeitest du mcht seit drei
Wochen mit Miekeu un-d der Klützower Schneidermamsell an
der verdmnmten Kleedage, statt dich um die Wirtschaft zu
kümmern? Bist du nicht extra nach Klützow gefahren und hast
eiiigekaiift, als ob ich ein Millionär wäre und kein armer Land-
mami, dem die Zinsen und Hypotheken und schlechten Zeiten
die Haare vom Kopfe fressen?"

„Beruhigc dich doch, Papal Es handelt sich ja nur um
Handschuhe und so Kleiiügkeiten."

„Handschuhe — damit fängt's an, und mit seidenen
Schlcpproben hört's auf. Und nachher koimnen die Rechnun-
gen aus Berlin uud der Alte soll's berappen. Wenn das schon
so anfäugt! .... Niw will ich dir mal was sagen — jetzt
fährst du üverhaupt nicht hin —- punktum! Jch werde sofort
an Prpfessors telegraphiereu, das heitzt eine Postkarte werde
ich ihnen schreiben, daß du hier nicht fortkannst, daß ich dich
notwendig brauchte, oder daß du Jnfluenza bekommen hast —"

„Papa, da.s ist nicht dein Ernst!"

Sie sah ihn mit ihren ernsten, grauen Augen streng an.

„Ach was, ich spatze nicht .... Du bleibst hier — fertigl
Packe nue gleich wieder ausl"

„Das würden dir Onkel und Tante sehr übcl nehmen. Jch
würde ihnen natürlich die Wahrheit schreiben, datz du mich nicht
weglasien willsi. Und du weitzt —"

„Jch weiß, datz sie 'ne Hypothek auf Tressin stehen haben
und reich siii'd und keine Kinder haben. Und ich weitz auch,
datz ich dich sonst überhaupt nicht hinlassen würde — ja, das
 
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