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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Juli bis Dezember)

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Nr. 203-228 (01. September 1902 - 30. September 1902)
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Samstag 27. Seplcmber 1902. Aweites Blatt. _ 44. Jahrgaug. — §r. 226.

Er 1 chelnl täglich, Sonntags arrsgenomrnen. — PreiS wtt Famtlienvlättcrn monatlich 5V Pfg. in's Haus gebracht, bei der Expedition und den Zwcigstellen abgeholt 40 Pfg. Durch die Post be.

zogen vierteljährlich 1.35 Mk. «usfchließlich Zustellgebühr.

Anzetgenpreis: 20 Pfg. für die Ispaltige Petitzeile oder deren Raum. Rcklamezeilc 40 Pfg. Für hiefige Geschäfts- und Privatanzeigen ermäßigt. — Für die Ausuahme von Anzeigen an bcftimmt
borgeschriebenen Tagen wird keine Verantwortlichkeit übernommeu. — Anschlag der Jnfcrate suf den Plakattafeln der Heidelberger Zeitung und den städt. Anfchlagstellen. Fernsprech-Anschluß Nr. 82

Wachktänge zum ersien dentschen Mankiertag.

(„Berlincr Lokal-Anzeigcr.")

Die armcn reichcn Leutel Wenn üie Nationalökonomen
und Sozialpolitiker, wclche sich die scharfcn wirtschaftlichen
Gcgensätze zwischen >den verschiedencn Bevölkcrungsklaffen znm
Gegensrand ihres Studiums gemachr haben, den Verhandlun-
gen in grötzcrer Zahl bcigewohnt hätteir, die soeben im Frank-
furrer Saalbau geführt wurden, so wären mmrche von ihnen
zu der Uebcrzeuguirg gelmUgt, datz die Zeit nicht fcrn sei, wo
man dcn kleinen unö auch den mittlercn Bankicr in die Reihen
dcs Proletariats einbcgreifen kömre. Ein Bankproletariat I
Diese rrübe Perspcktive würde, wre in gleicher Schärfe kaum
emc andere soziale Erschcinung, das tempora mutantur illu-
flrieren.

Nkag man nrur Wen iuteressantcn Erörterulrgeir dieser
zlvci inhaltsreichen Tage als entschiedener oder auch nur als
bedingtcr Geguer der börsenfeindlichen Gefetzgebrrng gcfolgt
fein: so viel stcht ohnc Zweifcl fest, datz die gcgen das Börsen-
gesetz vorgcbrachten, durch mehrjährige vcrschicdcnartigste Er-
fahruiigen crhärteten Argumentc einc durchschlagende tlcbcr-
zeugiingskraft bcsaßen.

Datz diese ganze imposante Frankfurtcr Veraustaltung,
trotz der sich auf die verschiedcnsten Gebiete der bankgeschäft-
lichcn Fachthätrgkcit crstreckendcn Erörterungen, im weitestcn
Simre dcs Wortes dcm verbesserurrgsbedürftrgeii Börsengefctz
galt, lag von vornherein auf der Hand. Ilnd datz man die
alte Kanfmalrnsstadt Frankfurft zur Beherburry dcs ersten
^eutschen Bankicrtages crwwhlte, entsprach nicht sowohl dcr
Zweckmätzigkeit, wcgcn Franffurts zentralier Lage, sondern
auch der Pietät. Es gab in Frankfurt cinen blühendcn, läu-
dcrumfpminenden Grotzhmrdel, da die heuffg-e Weltstadt Berlin
aus ihrer Entwickelung nur erst -wenige Etappen vom mnrki-
fchen Fischerdorf zurückgelegt hatte. Das altfrankfurter Pa-
trizrertum, dessen Nachkommen noch heute als Jnhaber hochge-
achteter Kaufmanns- rm-d Bankhäufer den deutschen Handols-
stand zicrcn, trug sein gut Tcil dazu bei, datz man das stolze
Wort vom „Königlichen Kaufmamr" auf sie' anwenden Lurftc.
Und eigcn wehmütig wird einem zu Sinn, -wemr man wahr-
nimmt, wre eine durch di-e Jnteressenivut verblend-ete Agitaffon
mittels parlamentarischer Zufallsmajoritäten gro-tze und her-
vorragende Bestandterle des ehvcnwerten Kaufmannsstmides,
die ihr gut Teil mitgearbcitct habcn an der ivrrtschastlichen
Macht und Größe unsercs Vaterlandcs, durch ehvenkränkende
Ausnahrneg-esetze niederbeugen konnte.

Solcher Art war die Sffmmung, welche aus den meist her-
borragenden Vorträgen dieser beiden Tage hcransklang. Tem-
pora mutanffrr! auch das alte Franffurt, wic es der Schrcrber
dieser Zeilen noch bor dem Amrexionsjahre 1866 als „freie
dcuffchc Reichs- und Krönungsstädt" gesehen, hat fich gcivülffg
verändert. Das enge, winkeliq-e, altmodische, teilweisc noch
engbrüstig um'ivalltc Franffurt fft licht, tveitschichtig, brerfftratzrg
gcwordcn. Hochgiebclige, cnge Wohn- rmd Geschästshäufer
haben modernen, balkongezicrten Prachtbautcn, grotzen Miet-
kafernen und bielstöckigen breitfronffgen Bäzaren Platz ge-
macht. Und nicht allein äntzerlich wurde rhm der grotzstädtische
Charakter a-ufgedrückt. Auch der Geschäftsbetrieb hat weichen
Anschlutz an den Weltverkehr gefunden, und der Dunstkreis
jenes behäbigen Kaufmannstums, wie er rms aus Gustav
Frebtags „Soll und Haben" so wohlig eiitgcyenfffömt uird tvre
er mrch einstmals mich in Frmrkfurts alter, geschäfffger City,
der„Fahrgafse", „Schmrrgasse", „Döngesgafse" rmd der„Neuen
Kräme" mit ehrfurchtsvollen Schauern erfüllte und noch heute
in ciner rosigcn Wolke der Erinnerung nmschwebt, ist auf
Nimm-erwrederkehr dahin.

Und auch das grotzgeschäftliche Wah-rzerchen Alt-Frankfurts
ist nicht rnehr: das Welthmis Rothschild, das iir Fvanffrirt die
ältcsten Wurzeln seines Stammbarrmes eingesenkt hatte, ist
dorten ausgestorben und — Zeichen der Zeit — eine Berliner
Grotzbank hat in umäglich nüchterner Wicise „die Firma über-
nommcn". Uhr Erlösch-en liesz in den altfranffurtcr Herzen

^ Rittergut Tressin.

Rommr von Robert Misch.

(Nachdruck verbotcn.)

Ju Lisbcths cürfachem Mädchcnzrmmer saherr derwerl die
Gcschwister Hmrd in Hand auf dem kleincn Sopha und nahmen
Abschied von einander — den ersten Abschied seit lmrger Zeit,
seit Fritz vom 'Gymnasium ins Vaterhaus zurückgekehrt war.

„Und Bücher schrckst du mrr und neue Mtalfarben", bat sie
der junge Mensch, indem er seinerr Arm zärtlich um sie schlang.

„Der Onkel wird schon seine milde Hand austhun", meinte
Lisbeth zustimmend, indem sie den grotzen Jungen zärtlich
kützte. „Aber nicht war — du hälfft dern Wort?"

„Keinen Tropsenl"

„Weder Wein, noch Bier, noch gar Schnaps — hast du mir
versprochen."

„Ja, Herr Pastor Lisbcth. Schlietzlich bin ich doch kein
Trunkenboldl"

„Wer du kannst einer werdcn; und vertragen kannst du
auch nichts."

„Wer rst Schuld darmr? Der Bater, der sich jetzt am meisten
darüber aufhält, wenn ich mal in lrrstiger -Gesellschaft Äes
Guten zu brel thue. Werl er mir alles fortnrmmt, was mir
Freude macht — Bücher und Pinsel und Farbe."

„Macht dir denn dein Bevuf keine Freude? Jch kann
mir kernen schöneven denken."

„Jch schon!— Warrmr lätzt Papa mich nicht sffldieren oder
Maler werden oder sonst was? - Ach, das muß herrlrch sein,
in eincr grotzen Stadt zu leberrl Fnrmer nur Knechte und
Mäg-de und Vieh und Mist sehen — grätzlichl Hol's der T-eufell
Ach, weun- ich mrtdürfte nach Berlin! Da giebt es Museerr
und Bibliothcken und Theater, und kluge, feine Menschenl"
rief er mit lcuchtenden Augen, — „Herrgott, mutz das schön
sein, da zu leben!"

einen Stachel zurück — ein neuer Schmerz zu dem alten, tie-
seren, der herborgevusen ist durch die gewaltige Ueberflügclung
der cinstmaligen Fvanffnrter Bankierweltstellung durch die nen-
gebackene, rapi.de emporgeschossene Welfftadt an der Spree.
Die Frmrffuvter Börse ist zur Provinzbörsc herabgesunken, und
das verpönte Börsengesetz hat zum wohlgemessen-en Teil das
Seinige dazu lbeige'trayen. Und die kleineren süddeuffchen
Schwestevbörsen zcigen eine verhältnismätzig noch stärkere Ver-
ödung. Was Wunder, dah die Stellungnahmc der süd- und
nrittte'ldeutschen Bankwclt gegen die böffenfeindliche Gesetz-
'gebung noch eine erhcblich radrkalere ist als diejenige Rovd-
deutschlands, wo die Haute banque nrit einev gcwissen vor-
nehmen Reserve opponierte, während allerdings nnser stark
dernokvatisiertes Gros der bankgeschäftlichen Jnt'eressenten von
so-lcher Vornehmheit nrchts wissen wv-llte. Die schärserc Ton-
art der süddeutschen Opposiiron ist anherdcm mit dadurch ver-
anlaht, datz der süddeutsche Bankiefftanld weit m-ehr durch- die
Grltendmachung des berpönten DifferenKeinwanbes gelitten
hat als der Norden.

Am letzten Freitag rmd Sonnabenü aber ivutzten sie sich cins
in der Verurteilung des Börsengesetzes, nnd dies nicht allein
aus spezifisch egoistischen Gründen, die ja n-ach dcr Lage der
Dinge wohl beqreiflich wären, sondern auch ans den tieser
wurzelnden Rücksichten auf die gefährdetc wrrtschaftliche Macht-
stellung Dentschlands, we'lche. eine balld-ige Äenderung des
Gesetzes zu einer nationalen- Notwcndigkert macht.

Di-cse Tage haben arlch beim Bankierstand die trenneiide
„Mainlinie" der lvettbewerblichen Eifeffüchteleien hinweggc-
tilgt. Dte sympathische Ha-Itung, welche die anwesenden Re-
giernngsvertreter in rhren Erklärun'g-en bekrmdeten, lätzt hofsen,
datz die Frünkfrirter Ta-ge ihre guten Früchte tragen könnten.
Abcr Gednld wivd die Böffe haben. mnssen, denn es tvrrd
wedcr leicht noch schnell gehen mit d-erG-esetzesänderung.Jndessen
die Bankwelt hat ja bisher bswiesen, datz sie mit Engelsge-
Luld gewappnet ist. Derjenige Reichstag aber erst, der die
Handelsverträge ernerrert, wird das Böffengesctz mildernl.
Datz es höchst wahffchcinlich nicht der gegenwärtrge ist, brancht
die Börse nicht zu grämen.

Es geht dem Äeinen Bankier hcute ja herzlich schlecht, aber
ein gut Teil der hier erschienenen B-mrkleute ist über die Tages-
sorgen hinaus. Jch hab-c mir heute Nachmittag nüch- Schlutz
der Verhandlungen das eigcnartige Vergnügen gegönnt, mit
einern erfahrenen Frermd aus einer Anzahl von etwa 100
Pvivatbankiers der Präsenzliste die wohlhabendsten Millionäre
zus'a.mnrenzuzählen, Als 'wir nach nicht gar zu lantzer Zeit
das nette Sümmchen von 800 Millionen Mark zusarrmren
hatten, hörte ich mis.

Der Neid ist nicht nur ein Laster, er ist sogar ein unangc-
nchm-cs. Die sehr reichcn Banffer-Millionäre sind Ansnahmcn
— gewitzl Aber schr angcnehme.

Ludwrg Metzger.

Deutsches Reich.

Berlin, 25. Sept. Zur Richtigstellung einer
kürzlich 'durch dentsche Blätter gegangenen, aus dem jv-
panischen Blatte „Nicoku Schimpu" entnommenen Mit-
teilung wird der „Nordd. Allg. Zt g." geschrieben,
daß die A u s w e i s n n g einer Anzahl japanischer
Händler von der zur K a r o I i n e n g r u p p e ge-
hörendeu Insel Ruck im Anschluß an deren durch
richterliches Erkenntnis ersolgte Verurteilung we-
gcn Zuwiderh-andlung gkgen das Einfuhrverbot von
Wasfen und Munition ersolgte. Eine strenge
Durchsührung des Verbots sei um so wichtiger, als es
sich anch auf Ruck um eine unruhige, zur tlnbotmäßrgkeit
geneigte Bevölkeruug handelt und der 'deutschen Verwdl-
tung zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung milr-
tärische Machtmittel nicht zur Verfügung stehen. Wenn

„Eines Tages wrfft du das alles auch sehen und ge-
niehen."

„Ach, erues Tages, weun ich alt brn l Der Alte lätzt mich
ja nicht fort, der Thrcmn!"

Er ballte drohend die Fäuste.

„Fritz — er ist dein Vater."

„Ja, deiner auch — und doch hab' ich üich' schon schimpfcn
hören."

„Das ivar sehr unrecht von mir. Fedenfalls meiut er es
gnt nrit — mrt uns."

Der junge Mensch lachte spöttisch:

„Ja, arbeiten von früh bis spät — ine ein Vergnügen,
rmmer imr Schelte nnd Vorwürfe j Jch hab's satt, sage ich dir,
s-ati brs hiercher, das ganze Tressin."

„Du mntzt nicht so sprechen. Du se-hnst dich einfach- nach
Wivechslung, und ich werde es schon machen, datz dich der
Onkel nächstes Jahr einladet."

„Dcmrit ich's damr erst recht scheutzlich hier findel Iiein,
gan-z will ich fort. Jch halte das Leben hier auf die Dauer
nrcht aus. Latzt mich nur erst majorenn sein, datz mir der
Me rrichts mehr zu sagen hat, dann geht's hei-drl"

„Fritz?!"

„Hier werd' ich stumpf nnd roh. Hier verbaure ich uird
gewöhne mir das Trinken an. Und dafür fürchte rch mich
so."

Lisb-Äh blickte ihn effchrocken und traurrg an. .

„So -habe ich dich noch nie sprechen hören."

„Weil ich dir keinen Kurnm-er machen will, uNd helfen
kannst du mir ja doch nicht. Drch tyrannisiert er ja auch;
du mußt ja auch deine schönsten Fahre hier versitzen und
vertrcmern zwischen MilchkAieln, der Küche und dem Stall."

„Oh, ich — ich beklag' mich nicht . . . ich bin gernc auf
dem Lande."

„Ja, wenn unsere Mutter noch lebte, oder der Vatcr
anders wäre! Wenn -wir ein Heim hätten, wie die and-eren
Leute, wo es lrrstig zugeht, wo sie Verkehr haben und Menschen

nicht gcgen die auf Ruck Waffen und Munition verkau-
fenden japanischen Händler emgeschritten worden wäre,
hätte auch die Gesahr nahe gelegen, daß die Eingeborenen
versuchen würden, sich gegen die deutsche Verwaltung
mit den Wa-ffen in der Hand aufzulehnen. Gleichzeitig
verhandelte, ohne von diesen Vorgängen bereits unter-
richtet zu sein, die Kolonialverwaltung mit derIalui t-
Gesellschast über ein Abkommen, wodurch der
letzteren die ausschließliche Bewirtschaftung einer Reihe
von Jnseln überlassen wird. Die „Nordd. Allg. Ztg."
schließt: „Es kann zugegeben werden, daß die Ruck-
Grnppe ohne die Answeisung der japanischen Händler
wie anderc Jnseln von den Abmachungen der Verwaltung
mit der Jalnit-Gesellschaft ausgenommen worden wäre.
Mit der nnabhängig hiervon erfolgten Ausweisung der
sapanischen Händler aber entfiel der Grund, um von der
Ausdehnung der im Jnteresse des Schutzgebietes mit der
Jaluit-Gesellschcift getrofsenen Abmvchungen auf die
Ruck-Gruppe abzusehen."

Ausland.

Belgien.

— Wie bereits ecwähnt, hat die nnn vecstorbene
Königin Maria Henriette ihrer unglücklichen
Schwägerin, der Kaiserin CharIotte, mit besonderer
Hingebung sich gewidmet; sie soll eine der Wenigen ge-
wesen sein, die einigermaßen im Stande waren, die
Geisteskranke zn leiten, sie aufzurichten oder zu bernhi-
gen. Wie der „Neuen Freien Presse" aus Brüssel be-
richtet wird, hat man der Kviserin mit allcr Schomrng,
.welche ihr Geisteszustcmd erfordert, vom Tode der Kö'-
nigin, ihrer treuen Pflegerin und Helferin, dnrch ihre
Ehrendame, Jräulein Bartels, Mitteilung gemacht. Dis
Kaiserin wußte seit langec Zeit, daß die Königin sehr
leidend sei und erbat si-ch häufig Nachricht über ihr Be-
findcn. Sie zeigte sich durch die Nachricht vom Tode der
Königin sehr bewegt und erregt und weinte viel. Am
Bcittwoch empsing sie de-n Besuch der Prinzessin Ctemen-
tine. Diese übernimmt jetzt an Stelle der Königin die
Oberteitung des Haushaltes der im 63. Lebensjahre
stehenden Kaiseriu. (Die Kaiserin Charlotte, eine belgi-
sche Prinzessin, die einzige Tochter Leopolds I., i-st die
Witwe Marimilians, Erzherzogs von Oesterreich und
Kaisers von Mexiko, der 1867 standrechtlich erschossen
wurde.)

— Dic Kabinetskanzlei des Königs Leopold
hat dcm „Journal de Brurelles" zwei Noten zur
Pub'Iikation übermittelt. Jn der ersteren heißt es: „Da
dcr du'rch das Erscheinen der Gräfin Lonyay,
geborenen Prinzessin Stephanie, im Schlosse Laeken her-
vorgerufene Zwischensall zahlreiche Kommentare
gefunden hat, erscheint es uns, um den ganzen Sach'-
verhalt klarzulegen, angezeigt, zu konstatieren, d-aß die
Gräfin Spa sofort verließ, als sie erfahren hatte, daß
sie an den offiziellen Zeremonien nicht werde teilnehmen
können. Die Prinzessin Stephanie war seinerzeit vor
ihrer Wiedervermählung verständigt worden, daß es ihr,
salls sie, trotz des formellen Widerspruches ihrer Eltern,
den Grafen Lonyay heiraten würde, untersagt sein werde,
offiziell an den Hofzeremonien sowohl in Ocsterreich,
als in Belgien teilzunehmen. Der König hat es selbst-
redcnd der Gräfin Nicht verübelt, daß sie an das Sterbe-

bei sich sehen. Wer kommt denn zu uns? All-es schueide-t
cr eincm ab, alles vergällt und verbietet er eiuem. Jst deim
das noch ein Leben l Affch ivürde es nicht wunderu, wemr du
gar nicht m-ehr wiederkämst."

Sie strich- ihm mit müder und zuglerch mütterlich-er Zärt-
lichkert übor den brauneu Lockenkopf, um i-hn zu bevuhigen»
'währeud ihr doch sonst Las W-einen näher war als das Lachen.
Zärttich umschlang uud ffitzte er die grotzc Schwester.

„Ach, Lisbeth, -wenn ich dich nicht hättel — Konmr nur
bald wiedcr . . . ohne dich kamr ich ja gar nicht lcben hier."

Des Vaters ranhe Stimme, der plötzlich, ohne sich an-
znkündigen (wie es seine G-ewohnheit war), den Kopf zuc
Thür hereinsteckte, schreckte sie auf.

„Na vorwärts, Lisbeth — höchste Zeit — Ita, das mutz
ich sagen . . . da sitzen sie, küssen sich wre ein Licbespar un-d
flennen, weil sie auf ein paar Wochen fo-rtgehtl"

Und da ihn vier Augen nnlvillig anblickten, versetzte er
sich schnell in die Rolle des zärtlichen Vaters, die er zu nran-
chen Zeiten, besonders vo-r frcmden Lenterr zu spielen liebte:

„Na, meint Jhr, mir kommt's nicht auch schwer an, das
INädel fortgehen zu lassen, die m-ir so un-entbehrlich ist?"

„Ja, für d-ie Milchkammerl" murmelte Fritz leise.

Der Ockonomierat machte cinerr schüchternen Versnch, s-einer
Tochter väteffich übers Haar zu strerchen; aber sie entzog sich
rhm nrit einer schnellen Bewegung nnd ordnete noch einige zuv
Hand gcstcllte Toilettengcgenstände in ihren Rcisekorb ein.

Auch der Veffuch, den -der Akte nrachte, das Geld von ihr
herauszulocken, das sie ihrer Milch-kasse en'ffrommen, schlng
gänzlich sehl. Lisbeth erklärte kategvrisch, ohne etwas eigen-es
Geld reise sie nicht zu ihren Berwandten. Es sei ivenig ge-
nug, und die g-enane Verrechnnng wnrde er im Buche finden,
das sie anf seinen Schveibtisch gclegt.

Es kam ja nicht oft vor, datz LiAbeth, die sonst Fügsame,
Sanftc, einen so drohenden energischen Ton in der Stimme
hatte. Aber die Effahrrmg hatte den Gutsbesitzer gelehrt»
 
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