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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Juli bis Dezember)

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Nr. 229-255 (01. Oktober 1902 - 31. Oktober 1902)
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Domierslag. 2. Oktober 1902.

Zweites Blatt.

44. Jahrgang. — Ar. 230.

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' - scheiut täzlich, SenntagS ausgenommen. — Preis mit Familienblättern monatlich bli Pfg. ia's HauS gebracht, bei der Expedition und deu Zweigstellen abgeholt 40 Pfg. Durch die Post be.

zogen vierteljährlich 1.35 Mk. auSschlteßlich Zustellgebühr.

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^raeschriebenen Tagen wird keinc Verantwortlichkeit übernommcu. — Anschlag der Jnserate auf den Plakattafeln der Heidelberger Zeitung und den städt. Anschlagstellen. Fernsprech-Anschluß Nr. b2

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Das Kleichgewicht im Zoü'tarif

i „ Mit Recht hat bei dem Jubilätmi der Königs- und
?-aurahütte der -iHandelsminister der Hoffnung Aus-
?ruck gegeben, datz es doch noch gelingen Iverde, bei dem
Mlltarif einen Ausgleich Fwifchen den ividerstreiten-
Interessen herbeizuführen. Dieser Ausgleich kann
^aturgemätz nur nach der Richtung hin gesucht werden,
?aß das infolge der einseitigen Erhöhung der landwirt-
ichaftlichen Zölle üurch die Tvrifiommissioir des Reichs-
chges gestörte Gleichgewicht zwischen den grotzen Erwerbs-
^eigen der Jndustrie und der Landwirtschaft wieder her-
Testellt wird. Tazu sordert, abgesehen von deni dringenden
ünteresse des Zustandekommens des Zolltarifs, auch die
^eitere Thatsache auf, datz sich seit Vorbereitung des Re-
Tierungsentwurfs zum Zolltarif die Lage der Jndustrie
'vesentlich verschlechtert, die Lage der Landwirtschaft da-
E^gen nach mehreren Richtungen beträchtlich gebessert
?at. Der grötzte Teil unserer Industrie leidet noch schwer
bnmr der Absatzstockung und man kann noch gar nicht
s>bsehen, wann eine Besserung nach dieser Richtung ein-
! ^eten wird. klmgekehrt wirst bei den jetzigen hohen
lfieisen des Schlachtviehs die Anfzucht und die Mästung
^es Viehes den Landwirten einen sehr guten Ertrag ab
bnd eröffnet ihnen die Aussicht auf sehr günstige Ver-
^ertung des in diesem Sommer reichlich gewachsenen
nutters. Zugleich hat sich der Mangel an ländlichen
urbeitern und ländlichem Gesinde sehr wesentlich ge-
biindert. Die Löhne dieser Aebeiter sind im letzteu
^ommer zunächst beträchtlich niedriger gewesen, als in
fiüheren J-ahren, und es macht durchaus nicht mehr
loviel Schwierigkeiten, wie in früheren Jahren, die nö-
uge Anzahl von Llnechten uud Mägden zu beschaffen.
Mem Anschein nach wird stch diese günstige Lage der
"andwirtschaft noch besser gestalten, weil von den in die-
lern Jahre zur Reserve entlasscnen Mannschaften ein
Ungleich geringerer Teil sich der Beschäftigung in Ler
Ludustrie zuwenden kann. So viele neue Arbeitskräfte
mimen dort keine Beschästigung sinden und dar-
Um werden die vom Lande stammenden Mannschasten in
Ungleich höherem Maße als bisher den landwirtschast-
uchen Berufen erhalten bleiben. Die gedrückte Lage der
xzndustrie auf der einen und die Verbesserung der wirt-
Ichaftlichen Lage der Landwirtschaft auf -er anderen
Seite weisen beide gleichmätzia darauf hin, das Gleich-
Sewicht zwischen beiden großen Erwerbszweigen in der
Zolltarisvorlage nicht einseitig zn Gimsten der Land-
Unrtschast zu verrücken, mahnen vielmehr nachdrücklich
Zur Herstellung dieses Gleichgelvichts in der Richtung der
btückkehr zur Regierungsvorlage.

Sozralpolilik und der Kefundheitskongreß.

s. r. Die diesjährige Versammlung des deutschen
«ereins für ösfentliche Gesundheitspflege stand im Zei-
fhen der Sozialpolitik. Die Verhältnisse auf dem Lande,
vie Lage der Bäckereiarbeiter und die Wohnungssrage
churden Zwar naturgemäß in erster Linie vom sanitären
Standpunkte betrachtet, die sozialpolitischei-' Gesichts-
bunkte lietzen sich jedoch dabei nicht ausschlietzen und bei
oer grotzen Bedeutung, welche den Verhandlungen dieser
finflutzreichen und cingesehenen Körsterschaft zukommt,
fit es von Jnteresse, kurz zusammenzufassen, was die
Tozialpolitik bei der Münchener Taguug profitiert hat. *

Rittergut Tresfin.

Roman von Robert Misch.

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zKorr,etzimg.i

Herr Ptann führte üic Dameu ins Museum. Aber er
stelr es zur uiweomgr nötig, noch eimgemaie hinzugehen.
-Veim mau tönne öoehj schlietzUch die Dameii nicht vurch eiii'en
langen Besuch ermuoeu. Lr wujzte übrigens reehr schön
^escheio, un0 insverh sraunte geraöezu über leiue Kemitmise.

Aver öann fuhrre er sie in ein WeiiireslauraiN, und sie
nühsructten ausgezeichnet, wovei es sehr lujtig vci Kaviar,
'lusrern mid Setr zugrng. So Lurchstreisrcn sie sast eine Woche
Miig üas alte und neue Aiuseum, das HoheiigoUern-, Las
fsoiier- uiid LaS jlunstgewerbcmuseum, uiid pers endete es mir
^elr uud Austern.

Xüsbeth niachte grotze Augen, wie die Tante uiiü Hcrr
xlaten mü dem Gelde umgingen. Was das kostetel Weun
i^c da an ihren Bater dachte, unü wie Ler jeden Psemiig zwei-
jUal umdrehte l Natürlich wolite jeder 'die Nostei« tragen. Aber
^ie Tante einigte sich bald mit Platen, und >o bezahlte jeder
°o>i ihnen abwcchselnd.

^ Ganz offenkundig machte er ihr jetzt deir Hof, erschien jeden
f-ag^mir eiirem neuen Vergnügungsprogramm, und als es kalt
söuioe, tief er mit Lisbcth Schlittscyuih auf der reizenden
«!?usseau-Jnselbah>i im Tiergarten. Er hiclt cS sür seine
Michi, erklarte er lacheiid, üer Professorin die Sorge um
Dsbeths Amüsement abzunehnicn. Uebrigens habe er ja im
^runüe momeirtan inchts zu ihun, und er sorge dabei nur für
üin eigenes Vergnügen.

So gab es ein iustiges Leben. Uud wenn er nicht zum
p-hee, oder abends bei Bösthmanns erschien, brachte er als „Ne-
^anche" sür die Gastfreuiidschast Dhearerbillets für die Damen.
.mch tzem Theater gingen sie dcmn, ohne oder mit dem Profes-
^och irgend ein Rcstaurant soupicren. Die Prosessorin

Wir müssen sofvrt konstatieren, daß die Versammlung auf
einem fortgeschrittenen sozialpolitischen Mvean stand,.
wenn auch in einzelnen Pnnkten noch eine gcwisse Rück-
ständigkeit wahrzunehmen war. So können wir nns nicht
damit einverstanden erklären, daß der Referent, der über
die hygienische Ueberwachung der Flnßläufe vortrug,
dieselbe einer Koimnission anvertraut wissen wollte, der
nöben anderen Beamten auch der Gewerbeinspektor ange-
hören sollte. So gut wie dieser die Dampskessel revi-
diere, könne er auch Flußläufe kontrollieren. Bedauer-
licherweise ist dieser Jorderung in der Versammlnng von
keiner Seite widersprochen worden, umsomehr mnß noch
nachträglich dagegen protestiert werden, datz man ver-
suchen will, die Gewerbeaufsichtsbeamten, die ja bekannt-
lich wegen ihrer geringen Zahl nicht einmal znr Kon-
trolle der Gewerbebetriebe ausreichen, mit neuen Aufgaben
zu belasten. Tas so lückenhafte Jnstitut der Fabrikin-
spektion würde noch mehr in die Aschenbrödelstellung
versetzt werden, als es jetzt schon der Fall ist.

Noch bei einer andern Gelegenheit zeigte sich die
Versammlung nicht auf der Höhe der Situation. Der
Geh. Medizinalrat Dr. Roth schilderte sehr eingehend die
Wechselbeziehungen zwischen S-tadt und Land in gesnnd-
heitlicher Hinsicht und unter den Matznahinen zur Sa-
nierung des Landes forderte er, datz auf eine rationelle
Ernährung, insbesondere der Kinder nnd Säuglinge hin-
zuwirken sei. Die Haltung der Versammlnng in der
Frage des Bäckerschutzes und der Arbeiterivohnungen
ist lobend anznerkennen, denn sowohl die bekanntcn Ein-
würse der Jnnungsbäckermeister gegen die verlangte Be-
seistaung der Mtzstände in den Bäckereien, wie diejeni-
gen^der Hausagrarier hinsichtlich der Fordernng der
Wohnungsreformer wurden fast einmütig zurückgewiesen.
Veifallswert war auch die Ankündigung des Vorsttzenden,
daß der Verein in Zukunft sich mehr wie bisher mit den
Fragen der Gewerbehygiene und der sozialen Lage der
Arbeiter beschäftigen werde.

Deutsches Reich.

Berlin, 30. Sept. Zollkommission. Bei der Be-
ratnng des Zolltarifgesetzes, Paragraph 1, enthaltend die
Mindestfätze für Roggen, Weizen, Gerste nnd Hafer, be-
antragt Müller-Sagan folgende Mindestzölle: Roggen
und Weizen 3.50, Gerste 2 und Hafer 2,80 Mk. Hahn
beantragt für alle vier 7.50 Mk. Staatssekretär Graf
Posadowsky erwidert dem Grafen Schwerin, welcher
einen Doppeltarif nach Art des in Frankreich bestehenden
sorderte, der ToPPeltarif könne ein ausgezeichnetes Jn-
strument sein, wenn erstens die Minimalsätze nicht zu
hoch sind nnd zweitens der Regierung Freiheit gewährt
wird hinsichtlich der Anwendung der Minimalsätze. Es
sei aber sehr sragstch, ob ein DoPPeltarif nicht noch niehr
Widerstand in der Kommission finden würde. Bei Ver-
handlungen auf Grund des alten Tarifs, falls der jetzige
salle, wären Verwickelungen nnvermeidlich. Hahn er-
klärt, die Gnmdbedingung für das Zustandekommen gn-
ter Handelsverträge sei, datz Deutschland wirtichaftliche
Känstüe nickit scheue und sich vom Auslande nicht alles
gefallen lasse. Graf Posadowsky erwidert, die Rede
Hahns erinnere an den Zuschauer beim Kartenspiel, der
die kiirzesten Vorschläge gebe, da er nichts Yerlnn nnd
wagt. Wenn Hahn in allem so informiert w>.re, wie

behauptcle, einen bcsseren maitre 'de plaisrer köime man sich
gar nicht wünschen.

Platcn wunderte sich nicht wenig üüer sich selbst. Seit
vierzehn Tagen ging er nun tagtäglich mit den berdeii Damcn
„irgen'dwohin". Es machte ihm ja sslbst Vergnügen, demi die
Professorin war klug und lustig — em fideler Kerl, und
Lisbeth fand er mit jedem Tag reiz-ender.

Aber was sollte daraus werden? — Bah, hatte cr uiebt >
schon oft geflirtet? Man geficl sich, amüsierte sich, ohne daitz
ein bitterer Nachgeschmack zurückblicb, nnr eine angenchme
Erinnerung. Darüber wollte er sich jetzt noch nicht den Kopf
zerbvechen. Und ihr selbst, die bis jetzt so wenig vom Leben ge-
habt, schien der kleine Flirt ja Spatz zu machen.

Immcrhin war es ein gefährliches Spiel, und manchmal
mnszte er gcradezu gegen sich ankämpfen, um sie nicht an sich
zu ziehen nnd die weichen, festgeschlosscuen Lippen zu küssen.

Sie hatte ctwas so Frisches, Natürliches, Nnverbrauchtes,
ohne jede acmachte Naivetät, ohnc Geistveichthuerei und Koket-
terie. Sie war klug und hatte manches gelesen, noch mehr
qedacht; aber sie prunkte nicht vordrinqlich damit und würde
dem oberslächlichen Beobachtcr eher „simpel" erschienen sein.

'Alles an ihr war echt, keine falsche Platiernnq. kcine
Nebertreibung. Sogar ihre Heiterkcit war abgedämvft, nnd
so 'berzlich sic lackien konnte, die grauen Augen blickten doch
mcist ernst, üist wehmütiq in die Welt. Wobl cine Folge ihrer
bäuslickien Verbältnisse, von denen cr durch dic Professorin
so mancbes crfuhr.

stnweilen -dünkte es ibn bcqehrcnswert, ein bellstrahlcndes,
krohes Licht in diesen Annen zu entzünden. Aber er liebte
seine scbwer bewabrie Freibeit — er war ia ein Helratskandidat
comme fant — und Hattc sich schcm einmal sclbst bctrogen
nnd betrüoen lassen.

Wke olübend batte er damals geliebt: imb dock' war es
Nne i>in Windbancb daimnaeflogcn! Aber freilicki nicht obne
Sebwerzen. nicht obne Nnruhc und Wirrnissc, batte er die
Fcsseln abstreifen können, die man ihm angelegt. Damals

div Regivrinig, w würdc er wissen, daß zu Haudelsver-
trügeu große Geschicklichkeit und Politische Klughe:: ge-
hören. Bindewald tritt sür Parität zwischeu Judustrie
uud Laudwirtschaft ein. Das Fleischwuchergeschrei sei
übertrieben. Graf Kanitz bedauert, daß nicht eiu Doppel-
tarif vorgelegt sei, soudern nur der Torso eiues solchen.
Der ^virtschaftliche Ausschuß habe einen ausgearbeitet.
Die Hauptgeguer des Doppeltarifs seien im industriellen
Lager. Frankreich sei ein viel reicheres Land als Dentsch-
land, er sei aber der Ansicht, daß selbst sein hoher Wei-
zenzoll von 7 Franks nicht ausreiche, nm die Landwirt-
schaft zn schützen. Reduer bittet, Alles aufzubieteu, daß
ein Zolltarif zu Stande komme. Je mehr die Notwen-
digkeit der Handelsverträge betont werde, desto mehr er-
schwere man deren Mschluß im Auslande.

Baycrn.

— Znm sozialdemokratischen Parteitag war
anf denr Münchener Zentralbah n h o s eine Aus-
schmückung angebracht worden, bei der neben dentschen,
bayerischen nnd anderen Fahnen auch rote Schleifen ver-
wendet wareu. Der Bahnvorstaud hatte, indem er
dies zuließ, offenbar nach der Ansicht gehandelt, daß
jede Vereinignng, welche in München eiueu Kougreß
halte, die Teilnehmer durch Ilusscymückung der Em-
Pfangsstelle auf dem Bahnhof begrüßen könne, wie sie
wolle. Dies ist indes mehrfach getadelt worden, nnd auch
der Throufülgyr, Prinz Ludwig, soll sich mißbilligend
geäußert haben. Es ist höchst bezeichuend, wie die Auge-
legenheit in der bayerischen klerikalen Presse behandelt
wird. Die „Augsb. Postzeitung" z. B. schreibt:

„Prinz Ludwig soll, wie die (sozialdemokratische)
„Bstmch. Post" wissen will, von der Reise heimkehreulst
feiner Entrüstnng über die vom Mlnisterinm des Aeutzern
und des königlichen Hauses genehmigte (?) seststche Aus-
schmückung des Zentralbahnyofes zum Empfange des
„roten Parteitages" init den Worten Ausdruck gegeben
haben: „Also für die Soziaidemokraten! Da hört sich doch
alles anf!" Die „Mnch. Post" steht auf dem Kopf und
kündigt eine Verminderung der Popularität des Prinzen
Lndwig an, versteigt sich auch zu dem seltsamen Wort:
„Vorläufig regiert ja Prinz Ludwig überhanpt noch
nicht", — als ob mit Grnnd anzunehmen wäre, dem
heinikehrenden Prinzregenteu wäre die ministeriell ge-
iiehmigte Aussckimückuug des Zeiitralbahuhofes znr Be-
grüßung der Sozialdemokraten gleichgiltig gewesen. Wir
von uuserem Standpuukte als Politische.Partei und zu-
mal Oppositionspartei, haben gegen die Paritätische Be-
handlung der Sozialdemokratie auch in diesen Aeußer-
tichkeiten um so weniger etwas einzuwenden, als wir
nur zn leicht in die Lage komnren könnten, uns einem
nngnädigen Ministerinm gegenüber anf diesen Präzedenz-
fall zu bernfen. Wie wir aus der Anschanungsweise des
Grafen Crailsheim heraus, der ja ein Wahlbündnis der
Liberalen und Sozialdemokraten für den einzigen Aus-
weg hält, um das Zentrum im Landtaq „kleiu zu krie-
gen", den Fall Leurteileu, ist Privatsache. Es soll
Leute geben, die einem „roteu Parteitag" nack den Wah-
len von 1899 ein ähuliches Eutgegenkommen dss Mini-
steriums des schöneu Aeutzern (!) nicht garantiert hätten.
Aber ein anderer ist der Standpnnkt des Parteipolitikers,
ein anderer der des Kronerben, der in der Sozialdemo-
kratie immer nnd vor allem die leibhastige Negation
des monarchischen Prinzips, der Existenzberechtigung nnd

hatre er slch geschwürc», dcm crsten Gesühl zu mitztraucii, lange
zu prüfcn uuü zu wägcn, weuu cs sich da innen wicder cinmal
rcgre.

llnd öoch war er cines Tages, ttirz vor Lisbel'hs Abrcise,
nahc üaran, Licsc wcise Vorsichr zu vcrgesscu und ciuc, wie er
es nachträglich namtte, „ricsige" DumM!heit zu macheu.

Er kam avends in der Dammcrftunde zu Böhmamis, um ein
vcrsprochcncs Buch abzugcbcu und bei cincr Tassc Dhee ein
Stundchcn zu plaudern. Lisbeth war alleiu, sie satz im Lehn-
stuhl am Fcnftcr und träumte vvr sich hin. Die Tante sei zu
cincm Kaficcttalsch gegangeu; uud da ste sich bei so etwas
rmmcr l'ang'weittc, sci ye zu Hause gebliebcn.

Sie rcichtc ihm mit frcun'dtichem LLcheln die Han-d, zündete
schnell dic Lampc an, brcitetc cincn rotcn Schirm darüber, nnd
sctztc sich daun ,'cheu nnd vcrlegen in die Ecke ües Sophas.

Sie war noch nie allein mit ihm gewescn und hatte ihn
nrsprünglich abweiscn wollen. Uebcrall, selbst anf der Eis-
bahn, waren doch immer Menschen um sie gewescn und die
Tante als Gardedamc in dcr Nähe.

Platcn war natürlich entzüctt, das liebe Mädchen endlich
cinmal allein zu finden. Da satz er ihr nun gegennber und
plandcrtc. Iiicht scherzhaft ivie^ sonst, mit lnstigcn Neckereicn
und Anspiclnngen, sondern leise wid ernsthasr, wie es die
traulichc Stimmilng mit sich brachte.

Er erzähtte ihr von sich, von sciner Heimat, scincr Jugcnd,
sciner Studiciizcit, von seineii.Ncisen, scinen Plänen nnd Aus-
sichten, gerade als ob sie ein Recht darauf hätte, alles zu
wissen. Sie hörte ihm gespaimt zu. Und -daim fragte er
sic ans.

Ob sie ungern aus Berlin fortgehe?

Sie nickte mit einem grotzen, leeren Blick, als ob sie ihr
ödes, nnlnstiges Heim vor sich erblicke.

Sie sah wunderschön dabei aus. Der rote Schein der
Lampe überflutete ihr zartes Gesicht nnd ihr Haar, so datz
die dlcken Dcfreggerflccht-cn wie eine rote Goldkrone lench-
teten.
 
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