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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Juli bis Dezember)

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Nr. 281 - 305 (01. Dezember 1902 - 31. Dezember 1902)
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SllEi, ü Dczcmbcr liillü. Zweites Blatt.

44. IMWW. — it. 28k.

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Dcutsches Neich.

Bnden.

U arls r u h e, 2. Dezember. In üen letzten Iahren

GngtkNd in Kypern.

IN ' K' a r l S r u h e , 1. Dezember. In der letzten
Nersannnlung ber Karlsruher Ortsgruppe öes Alldeut-
schen Nerbandes machte Privatdozcnt Dr. Freiherr von
Lichtenberip üer sich zum Zwecke archäologischer «tudien
längere Zeit im griechischen Archipel aufgehalten hat,
hochinteressante ällitteilnngen iiber die Zustände aus
Cypern, die geeignet sind, in der politischen Welt Aus-
sehcn zu erregen. Von den 92 0t)0 Pfund Sterling
Pachtschilling, üie Cngland an die Pforte zu zahlen
hat, wird alles von deu Cyprioten eingetrieben. England
selbsr zahlt nichts zu, und verlangt noch besonders für
sich Steuern ans Cypbrn. Diese «teuern bestehen in
Geldabgaben unü in Zehnten aus den Erträgnissen des
Ackerbaues. Kein Bauer dars seine Feldfrüchte in die
Schennen führen, ehe die Steuert'omniission die Ernte
aus dem Felde abgeschätzt unü den zehnten Teil gleich
mitgenommen hat. Kann wegen Türre ein Bauer nach
einer Mitzernte nicht mehr säen, dann leiht ihnr die Re-
gierung ein Kilo letwa ein L>chessel) Korn. Bei der
nächsten Ernte wird von der Steuerkomniission erst dor
zehnte Leil des Ganzen genommen und von dem Reste ist
öas geliehene Kilo anderthalbfach 'zurückzuerstatten.

Fst ein Eypriote mit Geldsteuern iin Rückstande, so
ist nichts, auch tein nötiges Werkzeug, selbst nicht daS
Bett vor der Psändung geschützt. sollte dann iioch ein
zu zahlender Rest bleiben, so wird die Lehmhütte der
armen Bauern weggerissen, damit die Regierung die
darüber liegenden Dachbalkeii verkaufen kann. (!)

Ieder eingeborene Cypriote mutz sedes Jahr se-chs
Tage bei Stratzenbauten arbeiten, oder eine entsprcchende
Ablösiingssumme zahlen. DieseS Geld und Arbeitskraft
werden äber nur zu solchen «tratzenbauten verbraucht,
wo die Engländer selbst viel hinkommen. Alle andern
Stratzen und Wege lätzt die Regierung verfallen.

Tie Bcvölt'erungszahl von Cypern beträgt 230 000
Seelen, darunter nur 260 Engländer. Dennoch wurde
versucht, als einzige Schulsprache daS Englische einzu-
sühren, was aber doch am Widerstande der Bevölkerung
scheiterte.

In Cvpern giebt es englische und eingeborene Be-
amte. Der Anfangsgehalt eines Engländers soll den
höchst erreichbaren Gehalt eines Cyprioten um das Drei-
fache übertrcffen.

England hat die Absicht, die tiosten für einen uur
englischen Jnteressen dienenden Kriegshafen in Fama-
gusta, nebst anschlietzenden Eisenbahnen von F-amagusta
nach Larnaka und Leukosia nur auS cyprischen Geldern
aufzubringen.

Diese Nachrichten hat Redncr völlig gleichlautend von
den verschiedenen Teilen Cyperns, von sehr verschiedeuen
Persönlichkeiten, und zwar von Aebten in Klöstern, Be-
amten, Schullehrern und Bauern erfahren. Einstimmig
wurde ihm versichert, datz wenn Cypern die Wahl zwischen
der türkischen Herrschaft, die schon sehr drückend war, und
dcr englischen hätte. es gern die türkische wieder über
sich ergehen lassen wolle. In den 23 Iahren unter Eng-
land sei der Wohlstand der Insel erschreckend zurückge-
gegangen.


hat die Zahl der evangelischen Theologiestudeiitsn so
stark abgenonimcn, datz sich jetzt schon ein erheblicher
M a ugel an TheoIo g e n in der e v a ngeli -
schen Kirche fühlbar macht. Zur Zeit können 16
Nikarsstellen wegen Personalmangels nicht besetzt wer-
den: dieser Mangel ist um so bedenklicher, alS durch die
Freizügigkeit die evangelische Bevölkerung in den katho-
lischen Gegenden immer mehr zuninimt und die Errich-
tnng von Stellen für PastoratSgeistliche notwendig wird.
Der Oberkirchenrat wird deShalb wohl mi^ einer .stund-
gebung an die Gymnasien herantreten, oder man wird
erwägen müssen, ob sich die Einführung von stipendien
für Theologiestudierende, wozu bis vor einigeii Iahren
die Karfreitagskollekte verwendet wurde, nicht wieder
empfehle. _

Ausland.

Ocstkrreich-Huiuirn.

K. Ii. Die A r b e i t s l o s i g k e i t in O e st e r -
r e i ch mncht besonders im Bergbau und in der Eisen-
iind Metallwareninduftrie Fortschritte. Jm west- und
nordwestböhniischen Brailiikohleiibecken haben die Kohlen-
lieferungen bedeutend nachgelassen, so datz auf den meisten
Werkcn mit vcrminderter Arbeiterzahl, oder auch nur
zu Halbtagsschichten gearbcitet wird. Auch Lohnreduk-
tionen haben vielfäch stattgefunden. Derselbe Uebelstand
herrscht in der Eisenindustrie, wo besonders die Walz-
iind Hüttenwerke und die Waggonfabriken von der Krise
stark betroffen wurden. Da auf den meisten österreichi-
schen Bahnen Mangel an Waggons und Lokomotiven
herrscht, was vielfach zu Vcrkehrshindcrnissen -Anlaß
giebt, hat das Eisenbahnministerium einen Erlatz an
die Bahnverwaltungen gerichtet mit Rücksicht auf dic
Betriebsstockung in der Eisenindustrie ihren Bedarf an
WaggonS und Lokomütiveii jetzt zu decken. Die Auffor-
derung blieb bei den Privatbahnen bis jetzt ohne Wirkung,
da sie mit Rücksicht auf die zu gewärtigende Berstaat-
lichung nichts mehr anschaffeii wollen, so daß die Eisen-
industrie von dieser Notstandsaktion nichts verspürt. Der
inangelnde sozialpolitische Fortschritt, der darin zum
Ausdruck kommt, daß die österreichische Regieriiug die
llebernahme der meist rührigen Privatbahnen fortwäh-
rend hinausschob, rücht sich auf diese Weise nicht nur an
dem Püblikum, das unter der Verkehrsmisere zu leiden
hat, sondern auch an der Jndustrie, der durch die Iln-
lust zu Neuanschaffungen die Aufträge entzogen werden.
Die Zahl der ArbeitSlosen überhaupt wird gegenwärtig
in Oe'sterreich ans annäherud etwa 300 000 geschätzt.

Belgien.

Brüssel, 3. Dcz. Die Verhondlung der Kammer über
den Woeste'schen Gesetzesvorschlag betr. die Bekämpfung
der Unsittlichkeit in Rede und Schrist wurde heute
fortgesetzt. Der Sozialist Demblon führt aus, daß nach
dem Jnkrofttreten des Gesetzes sclbst als moralisch bekannte
und kiichliche Schriftsteller vom Polizeigericht verurteilt
werden könnten. Er beainnt sodann aus dem Handbuche

Lignoris Vorlesungen zu halten. Der Vorsitzende Schollaert
unterbricht den Redner und beantragt den Ausschluß der
Oeffenttichkeit. Abg. Vandervelde (Soz.): Es handelt sich
hier mn die Schrift cines „Heiligen" der katholischen Kirche,
der von Papst Pius IX. unter die Kirchenlehrer aufgenommen
worden ist. Vorsitzender Sckwllaert: Wir werden auf
keinen Fall abermais eine unsittliche Vorlesung über uns
ergehen lassen, nachdem uv? Herr Demblon neulich eine
solche aufgetischt hat. Adg. Vandervelde: Die Päpste
billigen also Schrüien, deren Unsittlichkcit so groß ist, daß
die katholische Rechte der Kammer vor ihrer Vorlesung
zurückichreckt! (Beifall bei den Sozialisten.) Abg. Hoyos
(Klerikaler): Sie vergessen, Herr Vandervelde, das Buch
Bebels über die Fran! Abg. Vandervelde: Lescn Sie, bitte,
Bebels Buch nur, dann weiden Sie sehen, wie sehr man
es verleumdet hat! Der Redner bekämpft dann den Antrag
des Präsidenten, durch den die Freiheit der Rednertribüne
verletzt werde. Abg. Lcmounier (Forischrittler): Die Frage
dis Ausschlusses der Oeffeniltchkeit hat eine große Be-
deutung. Es ist thatsächlich das erste Ma!, daß sie in dieser
Form dem Lande gestellt wird. Vorsitzender Schollaert: Es
ist auch das erste Mal, daß so wichllge Gründe vorliegen
wie hcute. Die Geschäilsordnung gibt mir ein Recht, eine
geheime Sitzung zu beantragen. Jch schlage vor, schon bet
der Beratung über meiiien Antiag die Oeffentlichkeit aus-
zuschließen. Ehe es indessen zu einem Beschluß kam, wurde
die Sitzung vertagt.

Brüssel, 4. Dez. Heute beriet die Kammer in
geheimer Sitzung über die Zulässigkeit des Ausschlusses
dir Oeffentlichkeit fär die Verhandlung über Artikel 1 der
Woesteschen Vorlage, der die öffentliche Vorlesung aus
pornographischen Schriften verbietet. Nach längeren Aus-
führungen Woestes wiid der Ausschluß der Oeffentlichkeit
gebilligt und über den Artikel selbst beraten. Der Sozialist
Demblon weigert sich, nunmehr das Wort zu nehmen»
Nach kurzer Besprechung wird der Arlikel gegen die
Stimmen der Liberalen, Fortschrittler und Sozialisten an-
genommen. Um 4 Uhr werden die Vertretcr der Presse
und das Publikum zu den Verhandlungcn wieder zugelassen.
Demblon nimmt die Moraltheologie Liguoris zur Hand
und will seine Vorlesungen fortsetzen, der Vorsitzende ent-
zieht ihm aber das W.ort. Die Linke erhebt lärmenden
Einspruch. Der Klerikale Hcyois beantragt einen Zusatz
zu Artikel 9, wonach schlüpfrige Reden und Lieder, vor
Minderjährigen vorgetragen, mit doppelter Strafe belegt
werden sollen. Die Regierung billtgt den Zusatzantrag.
Fortsetzung der Beratung morgen.

Rnßland.

P e t e r S L ii r g , 3. Dezember. Der römisch-
kntholische Bischof Zwieiiowicz wurde im Fcbruar dieses
JnhreS wegen Verhetzung seiner Genieiüdc gegen die
russische Stantskirche seines Amtes entsetzt nnd aus
Wilna nach Twer verLnnnt. Der Fall erregte da-
mals grotzes Aufsehen. Zwienowicz ist jetzt zum Bischof
von Sandomir an der Wei-chsel ernannt worden. Man
erblickt in dieser Ernennung ein Entgegenkommen gegen
die Kurie.

^ Gelöste Nätsel.

Kriminalroman von Theo von Blankensee.

(Fortsetzung.)

„Lassen wir das Zeug oben liegen?" fragte Pedro und
Aeigte auf S-chirm nnd Zentrumbohrer.

„Ja, wir brauchen sie doch nicht mehrl"

„Glaubst du?"

„Noch dieser Ausbeute dort unteu auf keinen Fall mehr."

Hans stieg jetzt voran die Leiter hinab. Ms er unten
auf dem Bodcn stand, folgte Pedro nach.

Sie befanden sich jetzt im Garderobenraum. Es war dies
eine kleine, schmale, vollständig leere Kammer. An der Wand
waren cinige Kleiderhaken angcbracht. Die in den Hof gchen-
den Fenster waren vergittert. Hans gmg nun an dte Thür
und öffnetc diese. Sie war nicht verschlosscn. Sie sahen
jetzt in üen hellbeleuchteten Ladenraum.

Hans zog nun aus dcr Taschc schwarzes Heftpflaster, schnitt
es mit dcm Messer in vier Stücke, bedeutete Pedro hicr zu
Ivarten, legte sich sodann platt auf den Bodcn nnd kroch nach
den Schaufenftern vor. Dort angekommen, befenchtete er das
Pflaster und verklebte die Stelle des Glasfensters, durch die
man in den Jnnenraum sehen konnte. Dasselbe Manövcr
wiederholte cr bei den drei übrigen Gucklöchern.

Als er damit fertig war, winkte er Pedro näher zn kom-
men. Dieser trat jetzt auch ein und die beiden machtcn sich
nunmehr an die Plündernng.

„Die Sachen sind alle cigenartig nnd wnndcrbar gear-
beitet", sagte Pedro, Ivährend er einc Schachtel Ringe zu
sich steckte.

„Für uns kein Vorteill" antwortete Hans. „Wir werden
alles Gold einschmclzcn müssen. Die Brillanten bringen wir
übcrall an."

„Wir müssen doch fast für 100 000 Mark Wertsachen in
die Hände bekommen."

„Zn wcnig; zu wcnigl Der Streich ist mehr weri. Nimm
auf alle Fälle nur Sachcn mit Brillanten. Die anderen
Stcine haben nicht so viel Wert."

„Fch möchtc nur, der famosc Braun sähe uns jctzt bei
dcr Arbeit zn", mcintc lachend Pedro.

„Jch bin froh, wcnn wir die Stadt glücklich hinter nns
habcn. Wir haben es hicr doch etwas zu toll getrieben."

„Jn wenigen Stundcn führt uns der Schnellzug nach der
Schweiz, nnd dann holt uns kein Braun mehr ein."

Hans sprengte cben mit der Messerklinge ein Küstchen
auf. das nur nngcfatzte Diamanten enthielt.

„Herrlichl" ricf er halülaut. Der Anblick hatte i'hn derart
überrascht, datz er fast die Umgebung vergatz.

Pedro näherte sich nnd sagte sodann: „Das ift ja allein
schon ein Vermögcn."

Nachdcm sic die vollständigc Plünderung dnrchgeführt hat-
ten, drängte Hans zum baldmöglichen Aufbrnch.

„Auf dcm alten Wcge?" fragte Pedro.

„Es gicbt keine andere Möglichkeitl" war die Antwort.

„Vorwärts dannl"

Bald standcn sie wicder in der Vorratskammer im ersten
Stock.

„Jetzt vorsichtig, damit wir nnbcmerkt in den Abort zu-
rückkommen!" flüsterte Hans.

„Wenn sich aber jcmand darin befindet?"

„Verdammtl" brnmmte Hans. „Daran habc ich nicht
gcdachtl"

„Können wir nicht leise zur Korridorthür und so auf die
Treppe hinausgelangen?"

„Das ist gewagtl"

„Frisch gewagti"

„Jst auch halb vcrloren!" unterbrach Hans.

Hans öffnete eincn nnr geringcn Spalt der Thür imd
horchte. Nls sich nichts regte, traten beide hinans. Da sie

Giimmischnhe trugen, ivar selbstverständlich nicht das leiseste
Gcränsch vernehmbar.

Schvn standcn sie an der Korridorthür. Wenn sie jemand
ans üec Wohnung iömmen sah, waren sie verloren; ebenso,
wcnn die Thür nicht ohnc Geräusch schlotz. Hans wollte zö-
gern. Jedes Zaudern aber tönnte sie verraten.

Er öffnete sehr vorsichtig. Kein Laut. Ailes blieü stilli

Jetzt standen beide auf der Treppe und atmeten erleichtert
anf. Sie waren in Sicherheit. Als sie die Treppe hinunter-
sticgen, hätte wohl niemaiid in ihnen Einbrecher vermutet.
Bald warcn sie auf der Stratze.

„So, jetzt nur noch schnell in die Wohnung, alles gepackt,
dann fortl" sagte Pedro.

„Endgültig i" fügtc Hans bei.

Rasch schritten sie dahin in dcr Richtung nach der Dachauer-
stratze zu.

XIV.

E i n K a mpf anf Leben und Tod .

Als Pedro nnd Hans das Haus verlietzen, hatten sie in dev
Eile Brann uicht bcmerkt, dcr eben die Barerstraße herunter-
gebummelt kam. Dieser aber hatte die beiden schon seit langem
Gesuchtcn sofort erkannt.

„Jetzt odcr nie wiederi" dachte Braun, und beschleunigts
sofort scin Tempo, nm die beiden nicht ans den Augen zrl
verlieren.

Er drückte seinen Hui in die Stirn, damit er eintretenden
Falles von ihnen nicht sofort erkannt würde. Er hieit sich
stets etwa hnndert Schritte hinter ihnen. Ein einzigesmal hatts
sich Pedro iimgesehen, Braun aber hatte sofort eine Wendung
gemacht, als ob er die Stratze überqneren wolle, damit Pedro
sein Gesicht nicht sehen könne.

Als sie sich immer mehr der Dachanerstratzc näherten, wurde
der Verkehr von Passanten stets lcbhafter, so datz Braun jetzt
folgen konnte, ohne fiirchten zu müsscn, datz er erkannt werde.

Dort begegnete er auch cinem ihm bekanntcn Kriminal-
 
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