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Badische Post: Heidelberger Zeitung (gegr. 1858) u. Handelsblatt — 1923 (Januar bis Juni)

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Nr. 1 - 30 (2. Januar 1923 - 31. Januar 1923)
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6S. Zasrrang - Ar. 7 Heidelverger Zeitung Moniag, 8. Zanuar 1S2Z?

(Gegründet 1858)

und

Handelsblatt

Tie .Badische Posp' irscheint tSglich (auch Sonntagr) vzrmittago, also stebcnmal
wöchcntlich nnd lastct frei Inr Hans zugestcllt monatlich 12M Mk, durch die Post
monailich 1Ä« M! ^nzLglich IN.öO M'. Bestsllced. Einzelnummcr bü M?.

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cile LUst Mk. Bei Wiederholunge« und Zeilcnanschiassen tariflicher Nachlak.

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Berlag: Heidelbcrgcr BerlagSaustalt und DruckerciGb. m. H Aeidekberg, HauptstratzeLS. —
Po.ischcctlonto Karlsruhe Nr. Igllvtz. — Druck vo» I. G. Holtzwartr Nachf, G. m. b. H. Frankfurt am Main

Bor der Seschmg des Richrgebiets.

Riesrnaufwand der Aktion. — Die Hoffnnng aus dic Goldmilliarde
Von unferem ll-Korrefpondenten.

Paris, 8. Ianuar.

Die Befetzuugsmatznahmen werden Dienstag oder
Aittwoch erfolgen, ;e nachdem die Neparatiouslomunffion am
^iontag oder Dienstaz aus dic absichtliche Berfehlung Deutfchlands
"egen der Kohlenlieserukgcn erkennt. Am Donnerstag wiid Poin-
^"r4 in der Kammcr eine Erklärung abzeben; La man ihm vor-
»eworsen hat, Lag er so ost nnt Worten statt mit Taten kommt,
wird er wohl das vollzogene Ereignis aN-ukgndigen
^ünschen. Die Besetzung mird mit einem Niesenaufwand er-
'oigen: Tanks, AutoMobr!-Mitrailleuscn, Panzcrauics und Flug-
»euge werden zur VenvrnLung lomnien; serner ein paar Schwa-
?^enen Kavallerie, Lagegen weniger Artillerie. Neun Divifionen
>ollen nach eincr Brüsfeler Meldung des „Journal" ausgcwendet wer-
,?»! sieben soll FiäNkreich und zwei Belgicn stellen, das auch eiAen
^"hrgaAg seiner LanLwehr ausrufcn wird. Allerdings sagt man stch
" Vrüffel, Latz man mit weniger Truppen auskomme» könnte, dvch
neht das belgische Prograckm sest. Was aber weiter geschehen soll,
»riibrr scheint oollkommene Uuklarheit zu herrschen; eine längere
^oratung, die am Camstng zwischen Poincar«, Maginot,
Trocquer und Foch stattsand, schcint, wie die „Daily Mail"
^eldet, die Aktion nicht gefvrdsrt zu haben. Das „Zsurnal" macht
die Schwierigkeitcn Lei Crrichtung dcr Zollinie ausmertsam. Die
^Nwesenheit der englischen Truppen im Gebict von Köln ist den
manzosen unbcquem; Lä England an der Durchführung der beab-
"chtigten Matznahmen nicht teilniMMt, müssen iu gewisser Hinstcht
llan-östsche Soldaten und Zsllbeamte am Rhein und an den Bahn-
^len den englischcn Soldaten und Bcamten gLgenübergestellt wer-
^n und man sucht Maznahme» zu tressen, um Zwischensälle zu vcr-
?>Nden. Ein anderes Problem ist das der Bezahlung der beut-
ichen Arbeiter; die Frankenbezahlung scheint man ausgegeben
s» habcn, weil die Koften hierfür zu groh find. Wahrscheinlich wer-
oen lokale Währungen geschassen werden, die bloh in ge-
w'ssen Grenzcn Kauskraft hsben' sollen. Wie der „New York Herald"
»ntteilt, sollen die deutschen Arbeiter Ladurch gewonnen werdcn, dah
wan ihnen Nahrungsmittcl zu billigcren Preise« znr Ver-
'Ugung stellen will, aber auf Kosten der Bergwerksbesitzer.

Jn Frankreich crwartet man, dah, wenn einmal erst die produk-
>ven PfSnder ergrifse« worden sind, England an deren Ergebnis
?»ch scinen Anteil wird nehmen wollen. Weiterhiu errcchnet «san
>>> Paris nach der „Dailq Mail" ein Ergcbnis von etwa einer
^Üliarde Goldmart; nnd zwar sür die Kohlenlieserungen
»Sg Millionen, für die Stiikstofslieserungen 8V Millionen, siir Aus-
Mhrtaxe 488 Millionen, sür auswärtige Devisen aus der Aussuhrtaxc
Millionen, für die Kohlensteuer 128 Millionen, zusammen etwa
w.e Milliarde Eoldmark. Dcr ganze Plan soll, der „Daily Mail"
^wlge, i» scchs Tagen durchgcsührt werden. Zkalienrsche, sranzö-
Mche und belgische Zngenienre und Zollofsiziere sollen durch die
5*»ppe» geschützt werden. Belgien hat seine Zngenieure angcblich
V°» Mobilisiert, die einstimmig e.klärten, bei dcr Ausbeutung der
^ohlenbergwerke miktun zn wollcn.

Aber wie sehr man sich auch in der Pariser Prcsse dcn Anschcin
°wt, dah all diese Mahnahmen ersolgreich sein wüeden und man nur
»Nzugreisen brauche, um dir eine Goldmilliards aus dcm Ruhrgebiet
Mlauszuholen. so scheint man doch insgcheim besorgt zu scin,
stch wirklich die materiellen Ersolge so lcicht er-
AAen lassen werden, als der ideelle Ersolg, den man mit der
Aesetzung Essens vor der Oefsentlichkeit haben wird. Daraus ist er-
tliirlich. dah der „Matin" den deutschen Jndustriellen die Anregung
NLt, ernstlich die wahren Absichten Frankreichs nachznprüfeu, dle nicht
Laraus hinausliesen, Deutschland zu vernichten lN, sondcrn ihm die
Eelegcnheit zu geben. innerhalb seiner Leistungssähigkeit zu zahlen.
Das zeige, dah PoincarH einen Druck auf jene Deutschen ausüben
wolle. Lie genügend Reichtümer besitzen, um z« bezahlcn, und da'g er
»icht jene tressen wclle, die bereits durch dic Obstrukiionspolitik der
Aeichsregierung (!) litten. — Es Lars diescn Nuslnssrmgen des
»Matin" hinzugesügt werden. dah man cs jetzt in srauMschen Regie-
tunggkreisen nicht ungern sehen würde, wenn von dsutscher
Teite ein Angebot käme, das das vvn der englischen Aegieruug
»»s der Pariser Konserenz vorgelegte übertresscn würde. Aller-
dings will Poincarö a»l bie militärischs Demonstration in Essen
»Nter keiner Bcdiugung verzichten, um, wie schon ein-
Sangs erwähnt, in der Kammer nicht mehr der Schwäche beschuldigt
!» werden.

*

Die Meldung. dah der amcrikanische Senat eine Resolution an-
Uahm. worin Prästdent Har'oing ausgefor!?erL wird,

die amerikanischen Truppen vom Rhein zurückznziehen,

wird >n Paris auherordentlich pcinlich cmmuiiden. zmnal einc
«:itere Mashingioner Meldung bcsagt, cnh verschtedcne Funkiionärc
der Regierung erklärt haben, die amerilaniscyen Triipxen würten
den Pefehl erhalten, Deutschland in dem A u g e u b l, ck zu rä
wen wo Frankreich die w i I i t ä r i s ch e ^esetzung ser
uhr beainne. Dies iei cin Protest gegen Frankreichs Borgehen.
das nach'Ansicht ter amerikanischen Regirrung Len europalschen
Frisden bedrohe. Der „Petit Parisien" erklärt drese Nachricht a!s
dur»a»s unalauhwürdig und meint. Amerika beabstchtige nicht emen
Protelt zu erhebcn. Vielmchr r-chne man in Pari er politiichen
Wn damit dast Präsident Harding von se.mm Vetorech
Eebrauch machen und die Resolutwn zum Scheltern bringen werde. ( .)

Die AnhSrung der deuLMen SachverWndrgen.

Berlin. 7. Ian. (Eig. Drahim.) Die drei Sachoersta i-
digen die von ter Nexara1ionsko.nmission in der Frage -in-r
ängeülichen deutschen Verfehlung bei dcn Kohlenliesg-
1 u n a e n gehört werden sollen, sind am sonnlag nach Paris ao-

gereist. Dis Meldungcn, daß Deutschland um «men AufschuL srr
die Verhandlung dieser Angelegenheit nachgesucht habe, wird amtlich
widerlegt. Die Leutschen Vertretcr werden voraussichjlich noch r-cht-
zeitig in Paris einlreffen, und man nimmt an, M die Sitzunq, -n
d«r sie angehört werden sollen, Montag nachmittaz statt-
sinden wird.

Konstntiette VerWungen.

Die Kohlenlieserungen. — Deutjchlands „böser Wille".

Berlin, 7. Ianuar.

Zu der von der französischen Presse veräffentlichten, anscheinend
in der Pariser Konser nz vorgelegten D.nlschrift der sranzäsischen
Regierung über die deutschen S a ch l i e f e r u n g e n, Lie ott-n-
bar den Nachweis für eine deutsche Verfehlung bei der Lies;-
rung von Kohlen usw. erbringen soll. erfährt das Wolffbüro von
zustündiger Stelle:

Die französische Regierung stelle ein Defrzit von rund 22
Millionen Tonnen gegenüber den Programmzifsecn der
Rexarationskommission fest und hebe hsrvor, daß Deutschland nach
diesem Programm doch nur rund 800 000 Tonnen monatlich w niger
an Francreich und Luxemburg abzuliefern hatt«. als es 19t'Z srei-
willig dorthin ausführte. Fernrr läge ein böser Wille Deutich-
lands darin, datz der Fördersteigerung im Ruhrgebiet seit Septimber
1922 kein; Zunahme der Rexarationslieferungen «ntsprächs. Der
jetzige Bedarf Frankreichs an BrSnnstofsen sei 60 Millionen Tonnen,
der einschließlich der Saarsörderung nur mit 37 bis 38 Millii:ie>l
Tonnen gedeckt sei. Außerdem würde die deutsche Jndustr'e mit Koks
w«it Lesser Leliefert, während in Frankreich wegen Koksmanzek
50 Prozent der Hochöfen kalt stehen müßten.

Dazu erklärt die zuständig« deutsche S'elle, daß es nicht a a -
gängig sei, die katsächlichen deutschen L'ieferungen mit dsn im
Friedensvertrag genannten Zahlen zu vergleichen, da diese nur d-c
Höchstgrenze bezeichnen, die nur erreicht zu werden braucht,
wcnn die deutschen Lebensbedürsnisse es zulafsen. Deshalb i;aüe
auch mit Necht die Reparationskommission diese Zisfern erhebtich
herabgesetzt, wenn auch noch nicht genügend. Es sei als
außerördentliche Leistung Deuiichlands zu bewerten, wenn
es ihm gelungen sei, die Forderungen für Frankreich und Luxemburg
zu 84,4 'Prozent, nach den Leutschen Berechnungen b'S zu 80 Prozcnt
zu erfüllen. Das sei auch nur durch die fllr die deutsche Finanzen
verheerende ungewöhnliche große Einsuhr nusländischer Kohle
nach Deutschland möglich gewesen. Das Defizit sel übr-gcns größten-
teils auf

unbercchtkgte Qualitätsforderunge« Frankreichs

zurückzuführen, das sich nicht an das Wiesbadener Abkommen halte,
sondern bessrre Kohle verlange als die deutschen Verbraucher. Zn-
folge der Abtrennung Oberschlesiens hätte auch in ">r
zweitcn Hälfte dcs Icchres 1923 ke'.ne Ste.gerung. jrndern eine Ver-
minderung der Kohlensörderung gegen früher stattgl'sunden

Die Veschwerds Franlreichs, daß das Liescrprogramm der
Reparat'onslommission g genüLer den Vorkricgsliekerungcn mcm.rtl.ch
um 800 009 Tonnen zurückblcibe, ist unbsrechtigt. Nach Aözug
der Saarzechen und der loihringischen Zechen, über deren Fördecung
hcute Frankreich selbst verfüge, wmcchn vor dem Kriege nur 1S Mil-
lionen Tcnnen jührlich ausgeführt, d. h. uiigefähr oine Menge gleich
der Forderung der Rerarationskomm'.ssion. Wenn nur 50 Prozent
der sranzöiischen Hochösen wegen Koksmangels cmsgenutzt würdsn,
gegcn augeblich 80 Prozent der deutschen Hochöfen. wie die .'can-
zöjische Darstellung behaupte, so werde dadei vergcsssn, daß ein er-
heblicher Teil Ler deutschen Hochösen in Lothringen und Luxem urg
verloren gegangen ist. so daß der zurllckbleibeiüe Teil um so stärker
ausgenutzt werden müffe. Wenn sich die franzö.'ische Jndustr-e dcren
Konkurrenzsähigksit auf dem Eebrauch des bill-gen Reparatio'-s-
ko.'ses beruht, gegen die Umwandlung der Zwangsliefbrungen in
freie Lieferungen'gegen Larzahlunzen sträube, so iei das verstän tich.
Daraus könne man aber keiue Äerfehlung der
deutschen Regierung konstruieren. denn die Forderiing
einer solchen Umwandlung habe die Leutjche Reg'.emng niemals
g e st e I l t.

Akiie Schtttte Amerstas?

Borschkäge sür dis Neuregelung dcr Repnrationssrage.

Von unserem ll-Korrespondenten.

Paris, 6. Januar.

„Exchange Telegraph" meldet aus Washlugton aus autorisierter
Quelle.'daß 'oie amerikanische Rcgierung, um die Ruhrüesetzung zu
verhüten, was leider kaum möglich sein dürste, beaüsichtige, den
Allüerten neuerdings den amerikanischen Standpunkt über dic euro-
päische Lage darzutegcn. Vor allem empsehle die amcrikanische Re-
gierung dis Neuregclung der Reparationszahlnngen
auf p r a k t i s ch e r G r u nd l a g e. und zwar müsse eine Vermin-
derung dieser Zahlungen ersolgen. Amerika schlägt Eeldzahlungen
in Terminen vor, hie durch die Ausgabe e'mer internationalen
Anleihs ermöglicht werden köi.nten. Ferner sordere Amerika, daß
Frantreich seine Armee vermindere, dasür werde sich
Bmerika verpflichten, während 10 Iahren keine Zahlungsn,
wedcr von Kapikal noch von Z'mscn dcr interalliierten Schnlden, zu
sordern. — Hiergegen erklärte Staatssekretär Hughes in Beant-
wortung einer Anjrage Les Senalors Lodge, daß die amerikanisck'e
Regicrünq den Angenblick nicht sür g ii nstig bctrachte, um einen
Vertreter Amerilas für die R e p a r a t i o n s k o m m i s s i o n
zu erncnnen. Präsident Harding giaubt, Laß der Augenb7.ck v e r-
säumt wurde, wo diese Ernenuung eine günstige Wirkung hättc
haben können. ^

Jn einer Unierredung mit einem Verireter des „NewPork
Herald" erklärts Ler englische Schatztanzler Baldwin, die Welt sei
außerordenilich beängstigt wegen der sortschreiienden Entwer-
tung der M ark, die nach dem Abbruch der Pariser Verhandlunoen
die Entwertung des Frankens einbeziehe. Nach Aeußernngen osfi-
zisller'amerikanischer SLellen sei der beste Weg zur Klärung cer
internationalen Lage eine osfene Erklärung der sranzo-
sischcn Regierung dem fran'ösischsn Volk gegcnüber über die
Schwicrigkeiten der Durchführung eincr aggressiven
Politik. Man hoffe in Washington, datz diescr Weg eingeschlagen
werde. (?)

ZUSröffnungdesallrllsflschenÄäe'ongreffeS

Von unserem Rigaer -Korrespondenten.

Es wird bei den Sowjetleuten Tradition, den allgemeinen Kon-
greß der Rcite oder wie er sich zu nennen betiebt, den „Rat der Räte"
zum Iayresschtuß emzuberujen. Zweck Ler Uebung: stch die PotitK
des aoge-au>enen Iapres bejtätigen zu lassen und gleichfalls die Be-
stütiguug sür die Nichtlmien der Potitik fur Las neue Iahr zu holen.
Ich sage mit Absicht nicht „zu eröitten", welcher Ausdruck in der
sowjemussiichen Presse uno wie überyaupt unter den Eowjetrussen
sehr bel>ebt ist, um das Ödium einss gewissen bestehen^en Paria-
meniarismus m Sowje-ruglanü aufrecht zu ertsalten. Die Sowjet-
russen spiegem sich zu gern in ihrem s.artamen>ar-schen System und
versuchen auch immer wieder deu Rat der Räte in Westeuropa als
Parmment e.gencr Art hinzustellen. Es ist bereits wieoerhott ve-
r.chtet worden, wie die Wahten zu den örtlichen Räten und dem aus
diejen yervorgehenden Rat der Räte a. es andere wix srei sino und
Len sowjetrustischen Pr.nzipien der „Dirtatur des Prole-
tariats" n.cht nur aüe Ehre machen, sonüern mit rücksichtsloser
Schärfe durchgesührt werden. Effettiv ist der Rat Ler Räte eigent-
lich nur eine xonzenirierte Agitationsversammlung, welche
die Pflicht und Echntdigleit hat, die TheseN, die ihr von den leiten-
Len Sowjetpolitikecn vorgelegt werdcn, nach Vermögen und Können
zu erfassen unü in der Heimat wiederum agiiaiorjsch uno politisch
herrschend zu verwenden. Es konnie naturgemüß n.cht anders sein,

diesen
leines-

, . . , . . Schtutzwahlen

der örinchen Räte und die Eröf>nung des Rates der Räte jmd zeit-
lich so zusammengedrängt, daß es bei den ungeheuren Ausdehnungen
Rußian.s und Len mcmgethasten Veriehrsmögltchkeiten für viele
Mandatinhaber schwer yätt, Akos.au rechtzeitig zu erreichen. Jm-
meryin hat die Eröfsnung des Rates der Räte mit der anjshnlichen
Zahl von 2000 Mitgliedern staitgefunden, unier dencn diesmal Ler
Prozenisatz der Nichtiommunisten, das heißt Ler sogenannien Partei-
lossn, ger.nger war mit 3 Prozent gegenübsr den 10 Prozent des
Vorjahres. Nichtsdestoweniger tzaäen sich die Sowjetleute dte Mühe
nicht nehmen lassen, am Tage vor Erösfnung des Rates der Räte
noch eine jogenannte „F r a k t i o n s »i tz'u n g" stattfinden zu
laffen, in wetcher der „Fraktion" Direitiven gegeben werden, rsjp.
Wünschs Ler Delegierien angenommen wcrdcn sollen. Es braucht
nicht tange ausgefuhrt zu weroen, daß bei einem so kurzen Zeitraum
zw.schen Ankunft, „Fractionssitzung" und Erosfnung es den wenigsten
Teitnehmern der Tagung möglich ist, sich lennen zu lernen und
irgenowelche Eruppierung unü Stellungnahme zu den Projekten der
Regieiung vorzubereitcn. Diesem oorzubeugen mag auch das
Ziel Ler sührenLen Sowjetleute gewesen jein. Neben Ler j.Fraitions-
jitzung" an diesem Tage liefen allerüings noch eine Reihe orieniie-
render Sitzungen Ler einzelnen Volkslommissar.aie (Ministerien) her,
bei welchen es nicht immer sehr still und ruhig zugegangen ist. Es
jcheint, Latz einzetne Ler örtlichcn Kommunisten aus Ler Provinz einen
ganz gehörigen Sack Wünfche mitgebracht hatten, welcher in verlrau-
tichen Versammlungen mitunter unter heftigem Eerüusch ptatzte. Be-
sonders schwercn Siand hatte L u n a t s ch'a r s k i, ber Kommiffar
sür Volkeaustlärung, in üer Frage einer Lurchgehcnden freien
Schule oder Erhedung eincs Schulgeldes. Jmmerhin wäre es vek-
fehlt, von diesen äußercichen Unstimmigkeiten auf schwere politische
Zerwürsn.ffs innsrhaib Ler Kommunisten zu schließen. Bisher hat
sich die D.sziplin der kommunistischen russijchen Partei noch immer
durchgreifenö erw'.esen, sie hat auch diesmal nicht versagt. Die große
EingangsreLe, die Kamenew in Verireiung Lenins hielt, die
einen Äbriß der inneren und äußeren Politik Sowjeirußlands im
letzten Jahrs gaü, wurLe ohne jede Dsbatte „einstimmig" ge-
brlligt. Es ist in Mos.au sowie im Auslande viel bemcrkt wor-
den, Lag Lenin die Erösfnungsrede nicht setbst gehalten hat sowie
nicht seibst zu der Tagung erschienen ist, um wenigstens ein xaar
Worte zu sprechen. Oyne die Bedeutung dieser Taisache zu über-
treiben, ist sie Loch sehr wessntlich und hat unter deu Teilnehmern
Les Rates Ler Rüte viel Lejorgte Fragen und Deutungen hervorge-
rusen. Auf diese Deutungen nüher eiuzugehen, wäre versehlt. Es
ist Tatsache, daß Lenin nach w.e vor der Üutzersten Schonung bedarf
und jeoer Antag vernüeden wird, um dieses sür die Kommun.sten
und Sowjsirußiand auch nur in seiner blogen Existenz so kostoare
Leben nicht einer Kaiastrophe auszusetzen.

Die große Eröjsnungsrede Kamenews hat der Telegraph bereit»
in atte Welt übergeoen. An besonderen Momenten in ihr wäre nur
noch hervorzuheben die autzenpolitijch hochinteressante Stelle, daß
Sowjeirutzlc.id zwar dcn Frecheitskampf der Türken mit aufrichtig-
ster Sympaihie verfolge, Sowjeirußland tiese Freundschaft sür die
Türkei hege, die treibende Krast ver sowjetrussischen Politik der
DarLanetlens'rage aber Las Bestreben sei, die Türiei wiederum als
Wüchter in den DarLanellen zu sehen, ihr die Möglichkeit zu
geben, die Dardanellen vor der englischen Fiotte zu schließen und
somit Las Schwarze Akeer vor directen Angriffen zu schützen. Sollte
es gelingen, so ware die einzige angreisbare Stelle Sowjetrußlands
zur See Petersburg, und sich hier zu verbeißen, würüe sich Eng-
land wohl überlegen. Es ist dayer nicht unverständlich, Laß in den
Unierhaltungen der sowjelrussischen Politiler die Konserenz von
Lausanne die größre Rolle spielt und in diesen Unterhattungen
jehr ost ein recht staries Mißtrauen Ler Türlei gegenüber laut wird,
ob solche sich nicht etwa mit England einigen würde, ohne den an-
gedeuteten Zielen Ler sowjetrussischen Politik bis zum Schluß die Folg-
schast zu leisten. Es wird daraus hingewiesen, Lasz nach emem
FrieLensschluß der Tiirkei mit üen Mächten sie dennoch gezwungen
jein wsrLef die wirischaftliche Hilse Englands in Anspruch zu neymen
und ihre Politik demgemäß zu früh darauf einstelle. Jm grvßcn und
ganzen aimeie der Bericht Kamenews eine große Zusriedeniunt nicht
nur über die augenpolitisch erreichtcn Ziele, sondern auch h.njichtlich
der inneren Lage Sowjetrußlands. Bemerkenswert hierb-'i ist es.
daß Kamenew sür die sowjetrussische Wirischast im letzten Sahre ein

Zahlen Loch ein gewisses Recht auf Oöjektivitat haben. Die Sawjet-
lsute geben auch gern zu, Laß jie mit ihrer Konzessionspolitik we,iig
Erfolg gehaüt haben, sie machen aber auch ke:n Hehl Laraus. daß ihre
politischcn Prinzipien eineu baldigen Erioig in dieser Hinsicht kaum
voraussehbar machen. D-e abermalige Resolution des Kongresies.
daß ausländisches Kavital durch Konzessionen oder ge-
'schte sowjetrussisch-ausländische Handelsgesellschasten herangezog/n

mi

werden soll/kann an die'ser Talsache nichts 'ändern, dieses um sö mehr.
als an Len Anßenhandelsmonopokrn nichts geändert werden d«irst es
jei denn, daß hisr äuch die Zeit eine Bresche in die Prinzipien schmgt.
 
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