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Badische Post: Heidelberger Zeitung (gegr. 1858) u. Handelsblatt — 1923 (Januar bis Juni)

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Nr. 31 - 58 (1. Februar 1923 - 28. Februar 1923)
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ZOrgang - M. 34

'rfchktnt wöchentltch Nebenmat. Bet'agen: Ltdaökalta
«nterbaltungSblatt lyreitagal — Llteraturblatt Imonatltch).
— ° «ettröge ohne Verantwortung. Rücktendnng nur, wenn Vorto betitegt.

Heidelberger Zeitung

(Gegründet 1858)

und

Handelsblatt

Somtag, 4. Aedriiar 1S2Z

Hanptg-IchL'toft-Ile u. Schrtstl. der.Badtschen Post'L-tdelberg.Sanvtstr W Fernsyu:

Nr 182 (Derlags-rt:flran!furt-.M.> B«rl,n-r Dertretung: B-rlin SV 48. Simme»
ftratzeg,yerntpr.gentr.aiö.MünchnerBertr.- MLnchen,Seokgenstr.1V7,Fern!pr.31887

^estrABezugKvrttA der.Bad. Post'Mk. ISM - lausschl.Lustellgcbühr,. Selbstabhol. Mk-lSÄ.-. AuSland Mk.4000 -

Drel» » bis zum2. jev.Mrs angcnomm:n. Am 1 U.2. noch gelief.Zcitungen sind nach d.Einzciverkausspreir zu be-
— , » d.Einrein,»n>n,»r Mk. 75--. Jst dieZeitung am Erscheinen verhtndert, brstcht kein Ansprnch auf Entschädigung.

Anzcigenvreise: dte 44 mm brette N-npareillezetle kostet: lokale Stellengesuche Mk.30 -, kl. Delcgenheitsanzelgen Mk. 4U.-.

Familienanzeigen Mk 40.-, Wcschästsanzcigen Mk. 00.-,Fin-nz- und Jndustrteanzeigen Mk. 100.-, m,t Plahvorschrtft und
MontagsMk.S.-mehr. Di- 98 mm breite Reklameietle koftct Mk.150—, Anzeigen und Reklamen von auswärts 2ö7» höher.

Der Marsch an die Wupper.

Die Entsührung des Oberpriisidenten Fuchs.

Djg Essen, 3. Februar. (Eig. Drahtm.)

lÄl «?reitag nachmittag erfolgte Vesetzung der Stadt Voh-
de° * Strecke Lssen-Elberfeld ist nur der Auftakt zur Be-
'lchen Lbsamien Muppertals, die vcn einem neu anrollenden
1. > Armeekorxs vorgenommcn werden soll. Für Sonntag,
o- syn/^r soll dis Desstzung von Elberfeld vorgesehen sein.^
?? auch die Städte Barmen, Hagen, Unna und
ss> Djg ^'-ndijchg Bcsatznng erhalien.

lieMosen chrichten aus dem Ruhrgebiet lassen erkennen, dasi die
« all ihren Matznahmen so gut wie keinen Ersolg er-

>,. ^ o- Man scheint iiberhaupt in letzter Zeit innerhalb sranzö-

stli« ^ iich wenig sicher im Ruhrgebiet zu fiihlcn: das geht
E°!is^ emem Aktcnstück hervor. das man bei einem höheren
^>i°, ->ii g Dffizier fand, das dcn Befehlsentwurf für den Fall des

, °!>lgä" Jm befetzien

^'rr Marokkaner auf:

^ ' °°^vsen sollen iiberhaupt versuchen wollen, nach mrd nach

weitzen Franzosen durch farbige zu ersetzeu.

» ^ i.r ^ welgen tiranzoien ourm iaroil-e zu rrmsr».

T»! »»s v ^ Franzofen ihre Propaganda im Ruhrrevier entfalten,
!,»'°»r ?aus heroor, dak dort rund 2000 Franzosenagenten und
li,^i>a Ei.oe grotzzügige feindliche Flugbl a ttvrop a-

i>>ii. en d^rschivemmt aukerdem ähnlich wie in den lctzten Kriegs-
>>i, rchreo Agenten, Soldatcn und Flugzeidge das ganze Land
,r^ugnissen. Die Tendenz läuft natürlich daraus hinaus,
^inheitsfront zu sprengen, indem man zwischen Arbeit-
iiH> ,cht ^rbeitnehmer einen Keil M treiben versucht. Augerdem
üu " t>or allem aus die Frauenwelt zu wirken, indem man dis
»rNest ^f.ner etwaigen Störunq der Lebsnsmittelversorgung den
iü>'ch° Si^ubahnern in die Schuhe zu schieben versucht. Das
sen° im besetzien Eebiet ist Gott sei Dank durch drei surcht-

Fremdherrschast zu gewitzigt qcworden, als datz diese
ikm^ie «,.Aiachinationen noch verfangen könnten.

^sicls.l "iperrung des Ruhrreoiers hat sich durch die neuen Kon-
di- ^erschö.rft. Auch die Linie E lb e r f e ld-K ö l n und
»k, Tchnellzugslinie Köln-Berlin steht unter Kontrolle
Auf den Vaünhösen im Osten des Industriegebiets,
" dj. 7. Eein noch Durchgangsverkehr hcrrscht gehen die Feinds
^utschon Eisenbahner

^ mit wachsender Rückfichtslofigkeit

^ün iest°^-bleil,en die Eisenbahner nach wie oor u ne r s ch i: t t e r -
" Bahnhof Sinsen an der Strecke Recklinghausen—

' E pon einem sranzösischen Kontrollposten besetzt. Das

^rsc-nal hat gegen die Besetzung schärfsten Protcst er-
Aetrieb wird sedoL ausrechterhalten. In Lünen -
""ltten die Franzosen die Stellung von Lokomotiven, um
»e«°» l>ab dorte nrch dem Westen zu fahren. Die deutschen Be-
^eö,?!>te„ u die Etellung von Lotomotivcn verweigert. Ferner
^ ^ Franzosen die Elnführnng in den dentschen Signal-

!°t>. -Iit h? dieses. Ansinnen wurde abgelehnt.

»s» 'N H^fsnahme des Kohlenversands funktioniert der Eüterver-
ore„ * uhlichen Weise: alle Sendungen, auch Lebensmittelziige,
!rien^ ° d ° ^oibunoslos. Auch die E rz l i e s e r u n g e n aus
!e„^.hüt . treffen unbeanstandet ein. Ein Einqrifi in diesen Be-
üi,s.»»Me» ^Üe: nicht stattoefunden. Im Benehmen lassen die Franzo-
k>I.^r b. uoch dieäukerste Vorsicht walten: sie erscheinen
'üip, -er ^ uur in kleinern oder nrötzern Herden und stets mit
ist >„^uffe. Der Kohlenversand in das unbefetzte Deutich-
Ert die erheblichen Norräte, die in lstzter Zeit Mlfge-

knnntan nosilsfprt nirnin


Püp. ">a> n konnten, vorläufia bestimmt gesichert. Zudem nimmt
bsh.^r Mebr" öamburg aus der Versand englischer Kohle
>ij, uiy^>r Intervention des deutschen Delegierten in der

'üz e g asUMmission sst setzt auch wieder die Ausfuhr der itali e -
»ra? ? u t r ^E'uiiskohle Eang gebracht worden. Auch die fllr
^rlgn„„ u l ^ Ausland bestimmten Transportzüge sollen wieder
^ " werden.

°r Kohlenvorsand nach Frankreich liegt dagege«
noch sehr im Argcn.


iUf?/!ert^uuzosen versuchen. vorläufig zwei Eissnbahnstrecken
U>üo. °U. machen, um Kohlen und Koks nach Frankreich —
stjj, U- d„ -oUl gesamten Ruhrgebiet stehen 20 000 beladene Kohlsn
?>U st^. 200 Kilometer Kcleise gesperr 1 werden. Hinzu
Kobr M a n g e I a n M a s ch i n e n. Es soll versucht wer-
!">»or?,u so^-Uwagen bei Betrieben innerhalb des Ruhrgebiets ans-
^ük. hier die Lagerplätzs der Häfen zu befchicken. Da aber
^vz,Uzt ist auch auf den Halden die Ausnahmefähjgkeit sehr eng
NNn ^ördel.„?'Erden in der nächsten Zeit Einschränkungen in der

be-

aus-

Die Arbeiten unter Tage sollcn
beiten und auf Vorarbeiten

!iir^.auf ^uug noiwendig werden.

k ü n- undsetzungsar
»<>„ >rige Förderung ausgedehnt werden. Die Franzossn

oyg uie Anwerbung von Nrbeitern zu einem Tagelohn
öeH^Ue „.^. urk zur Verladung der Kohle von den Halden. Jhre
lü„L°u a„z Men sie jetzt auch scharf auf die Privatbahnen der
uü."Ä.uuch dadurch die Bsförderung der Kohle nach Deutsch
luhÄ srgn,N.>u!>en. Auch die Ruhrbrücke in Werden ist vvi,
6>''!^u Kräften Lesetzt-worden, die alle über die Brücke
^üe ^°Ur« l??meuautos und Magen entladen lassen und die
!ej„s* h e j „«/utsvrechenden Bons und den Magen zurückschicken.

°u°u -r-.' "> e Eiscnbcchnnetz hat noch immer schwer unter den
Üch -wse„ W - s^Usalierungen zu leiden. In Ludwigshafen haben die
hri^utze w.'uu Züge gefehren. was unter dem Personal natür-
?k k,!^ s x e»"ugunjs hervorrief. Der Stationsvorsteher des Jngel-
^ie ^ 'E vor ein Kriegsgericht gestellt. werden. da

^ ueran(^^.!uu>! eines von den Franzosen geführten
üest^cr P"?°rtl,ch c,cmacht wird.

^>v!° ^ !'ch bTelegraphenverl-hr im Ruhrgebiet

üll7„ r>ger. Emwirkung ver fraip.ösischen Besatzung immer

lvg c>Ttädjon ? 'U. der Fernsprechverkehr von Essen aus mit fast
Miungen unlerbrochen. da die Franzoscn mehr als

^inlunn.uMlaisuahmt haben. Auch sämtliche Umschaltestcllen
abels pnd von den Franzosen besetzt. Die Post- und

Tclegraphenbeamten haben es auch weiterhin abgelehnt, unter
französischer Besatzung zu arberten.

Soweit bisher seststaht, ist seit der Abschniirung noch nicht ein

einziger Eijenbahnwaggon nach dem Westen geleitct worden.

Die französische Besatzungsbshörde ist nun Lazu Lbergegangen, auch
die gesamte Ein- und Ausfuhr von Nebenerzeugnissen der
Kohlenzechen, wie Ammoniak. Bcnzol usw., aus dem Ruhrgebiet zu
verbieten. Den Eiscnbahnern im Vczirk Duisburg sind für
ihr Verbleiben in der Arbeit von den Franzosen folgende Bedingnn-
gen gestellt worden: Die Gewerkschastsslihrer und die Vertretcr der
Eisenbahner müssen d:e Oberhoheit der Vesatzungsbehör-
den anerlennen: sie sollen sich weiter verpflichtcn, unoerzüglich allen
Bsfehlen der Besatzungsbehörden zu gehorchen und ferner auf ihrs
Kollegen einwirken, datz auch sie diesen Bcfehlen entsprechen. Natür-
lich haben die Eisenbahner diese Bedingungen glätt abgelehnt.

Die unerhörten Brutalitätcn dcr feindlichen Soldateska gegen
die friedlichen Bewohncr fordern täglich neue Opfer. So berichtet
aus Weitmar ein Avgenzeuge die ungeheuerliche Mikhnnd-
lung einss deutschen Polizeibeamtdn durch einen sran-
wsischen Offizier und französische Soldaten. Ein Schutzpolizeibeamter
ging entsprechcnd dem Erutz.verLot dcs Innsnministers an einem
'ranzösischen Offizier grutzlos vorüber. Darauf sprang der
Osfizier von hinten anf den Beamtcn zu und schlug ihn mit der
umgekehrten Reitpeitsche über den Kopf ins Eesicht
und wohin er iraf. Dsr Polizeibeamte, der nur sine Mütze trug,
taumelte schon nach den ersten Schlägsn und stürzte blutüber-
trömt zusammen. Gleichwohl schlug der Offizier in rohester Weise
weiter und zwar mindestcns dreitzi« bis vierzig Schläqe. Gleichzeitig
rief er einen oorbeikommenden Trupp französischer Soldaten heran,
die stch gleichfalls auf den Polizeibeamten stürzten, ihn das Koppel,
Las Seitengewehr und die Pistole entrissen und ihn mit Fäusten
und Stiefeln bearbciteten.

Nachdem jeder Lag der französischen Herrschaft Hunderte von
treuen deutschen Beamtenfamilien um Haus und Hof gebracht hat,
haben fich die Franzosen nun sogar nicht gescheut, an

den höchsten preutzischen Beamte» der Rheinland«

Hand anzulegen. Am Freitag nachmittag wurde der Oberpräsident
der Rheinprooinz Fuchs zu dem französischen Oberkommandeur
Tirard angebuch zu einer Vesprechung geladen, um dann beim
Verlassen des Eebäudes mit Ler Lei der Dexortation der Zechenver-
treter an der Ruhr bereits erprobten welschen Hinterl st'zum Be-
steigen eines franzüstschen Autos aenötigt und fortgeführt zu weroen,
ohne ihm Gelegenheit zu geben, seine Begleitung, die man wäbrend
der Unterredung mit Tirard ron ihm zu trennen verstanden hatte,
u vsrständigen. Der Obervräsident wurde von Len Franzossn nach
Frankfurt a. M. gebracht, von wo er stch sofort nach Berlin bc-
geben wird. Die Entführung dös Oberprüsidenten, der geborencr
Rheinländer ist, hat vor allem in Koblenz einen Sturm der Lm-
pörujig cntfesselt. Am Samstag mittag von 11 bis 12 Uhr'sand ein
einstündiger geschlossener P r o t e st st r e i k statt, an dem sich sämt-
liche Vehörden, Angestellte und Arbeiter von Koblenz beteiligten.
Jeglicher Verkehrruhte. Alle Geschcifte warcn ohne Aus-
nahme geschlosssn. Eine Deputation aus Vertretern der Be-
amten- und Arbeiterorganisationen begab sich zur i n t e r a I l i i e r-
ten Rheinlandkommission, um gegen die Answeisung
Protest einzulegen, wurds aber von französischem Militär am Be-
treten des Eebäudes verhindert. Die gegen oen neuen Eewaltalt
demonstrierende Menge wurde durch französtsche Trüppen, die mit
g.efälltem Bajonett vorgingen, zeistreut. Innerhalb dcr
preußischen Rsgierung sanden über die Ausweisung des Ober-
präsidenten Beratungen über die zu unternehmenden «chritte statt.
Der vreutzische Jnnenminister Severing hat sich an die Ersnze
des besetzten Esbiets begeüen, wo er eine Zusammcrllunft mit dem
ausgewiesenen Oberpräsidenten haben wird. Man nimmt an, datz
die Rsichsregierung die Angelegenheit zum Geaenstand eines be-
sonderen Protestes machen wird. Die Franzosen begnügcn
stch neuerdings nicht mehr mit -der Ausweisung her^ deutschen Ve-
amten, sondern versuchen eine Neubesetzung. Ler verwaisten Siellcn
zu verhindern. So hat die interalliierte Kommission gegen den neu-
ernannten Regierungspräsidenten von Wiesbaden, Konrad
Hänisch, den srüher»n preuk schcn Kultusminister, ebensalls Ein-
spruch erhoben. Von den elf Wiesbadener Rcgierungsräten, die
kürzlich von der sranzöjischen Behörde darüber besragt wurden„ob sie
ihren Dienst wciter versehen wollten, sind heute sechs Herren aus-
gewiesen worden. Die übrigen Herren wurden vom Amt suspcndicrt,
darunter befindet sich auch der stettvertretende Negierungspräsidcnt,
Regierungsrai Waidschmidt. Trotz ihrer Suspendierung oersshen die
Beamten ihren Dienst ruhig. weiter. Auch der Duisburger Ober-
bürgermeister, Dr. Jarres, dSr von den Franzosen'ins unbesetzte
Gebiet gebracht worden ist, ist am Freitag wieder im Duisburgcr
Rathaus erschienen, um seine Amtsgeschäfte weiterzusühren, La cr
seine Ausweisung nicht anerkennt. Der Proz^tz des Eenerülstaüs der
französischen Rheinarmee gegen den Prcisidenten des Finanzamts
Köln, Hählung von Lanzenau, mutzte auf unbestimmte Zeit
vertagt werden, da die Akten wegen des Eiscnbahngrstreiks n-cht
zur Stelle waren. Auch die übrigen Prozesse gsgen die verhafteten
Deutschen mukten vsrschoben werden. Eine neue Gewalttat ist die
Verhastung oe« Eeneraloberarztes Dr. Krebs vom Landesbad
Aachen, der im Auto weggeschafft wurde.

Die Abwehraktiou im nnbesetzten Deutschland
^ieht erfreulichsrweise immer^ weiters^ Kreise. So hat unter den

stwirten des südlichenSchwarzwaldes eine Be-
wegung eingesetzt, mit Rückstcht auf die Ereignisse im Ruhrgebiet
keine französischen und beIgischen Gäste mehr zu bc-
herbergen und ihncn keinerlei Speisen zu verabreichcn.
Destimmend hiersür war auch das französtsche Vorgehen in Essen, wo
die Kranken aus den Easthäusern ausgew.esen wurden. Derartige
Beschlüsse sind bereits in Triberg, St. Blasien, Konstanz
und zahlreichsn ^nnüeren Ortcn des Bodensesgebiets gefatzt worden.

Auch dic Hilfe >ür unsere Brüder im Kampfgebiet geht rüstig
weiter. Die im Äeichsverband der dciitschsn landwirtschaftlichen Ge-
noffenschaftsn vereinigtcn l a n d w i r t s ch a f t l i ch e n Haupt-
(Zentral-)E e n o s f c n s ch a s t e n erklärten stch einmütig bercit, der
Hilfsaktion dct deutschen Landwirtschaft weitgchendste Unterstützung
zu gewähren. Zugleich übernahmen sie kiir sich selbst eine vorläiifigs
Eesamtleistung von 120Millionen Mark. Aus dem neutralen
Ausland sind besonders die holländischen Spenden bemcrkens-
wert.

Sie AalionalsoziMen.

Die Erregungshochflut, die im Zusammenhang mit dem Pärtei-
iage der Nationalsozialisten München vor acht Tagen heimsuchte, ist
im Verebben begriffen. Der bayerische Ministerpräsident v. Knilling
hat am Donnerstag in dem Ausschutz der Kammer den Standpunkt,
den die Regierung in der Angelegenheit eingenommen hat,. ausführ-
lich dargelegt und hat dabei die Billigung der Mehrheit erlangt,
Nachdem nunmehr auch der bayerische Eesandte in Verlin, Herr Dr.
Preger, die Erklärung abgegeben hat, datz der Ausnahmezustand in
ganz kurzer Zeit wieder aufgehoben werden solle, würde sich das Ganze
als ein Zwischenfall darstellen, der als erledigt gelten kann, wenn
die Lage genau wieder dieselbe wäre wie vorher.

Das ist aber nicht völlig der Fall. Was zunächst die barerische
Regierung anlangt, so geht sie mit nicht ganz ungeschädigter Autori-
tät aus den Ereignisscn der letzten zwe- Wocken hervor. Eewitz sind
es schwerwiegende Eriinde, die ,-ie iede der «^nzelnen Matznahmen
dcr Regierung angeführt worden sind: erst für das L>»rbot der öffent-
lichen Umzüge bei Gelegenheit des Parteitages und für das Perbot
Ler Heerschau unter sreiem Himmel, dann für den Ausnahmezustand,
als Hitler gedroht hatte, die Veranstaltung würde unter alttn Um-
ständen abgehalten, und wenn Widerstand geleistet würd«, Lann
werde „eine rote SUelle über das Land gehen", — die peinliche Tat-
sache Lesteht aber, dah die Negierung, oder wenigstens der Münchener
Polizeipräsident, vor dieser Drohung zurückgewichen ist, datz er
das erst Verbotene dann doch wenigstens teilweise erlaubte, und datz
dann weiter die Nationalsozialisten sich an die Beschränkung des
wieder Erlaubten nicht hielten, sondern den Parteitag schlietzlich
doch genau so verlaufen lietzen wie er ursprünglich geplant war, dah
also äutzerlich gesehen die Staatsautorität eine Niederlage erlitt.

Nun wird darauf hingewiesen, datz die Regierung gerade durch
diese ihre .etwas widerspruchsvolle Haltung dem Staate am meisten
gcnützt häbe: sie habe durch das blotze Zeigen der Entschlietzung,
wenn nötig, Ernst anzuwenden, erreicht, datz Hitler und die Seinen
sich ihrer Verantwortung wieder Lewutzt geworden seien, und batz der
Parteitag dann ohne jeden Zwischensall verlaufen sei, aber recht
überzeugend ist dieser Eedankengang nicht. Man wird sagen dürfen,
dah, um dieses Ergebnis herbeizuführen, auch wenigdr auffällige
Mittel hinreichend gewescn wären, wenn aiich freilich die Regierung
für sich wieder crnführen mag, datz das von ihr gewollte Endergebnis,
eine äutzere Störung der Ruhe durch Ausbrüche der Leidenschaft unter
allen Umständen zu vermeiden, jedensalls erreicht worden sei
und datz dieser Erfolg selbst um den Preis des Scheins der Unsicher-
heit nicht zu teuer erkauft sei.

Dies dürfte auch der Standpunkt der Vertreter der Mebrheits-
parteien gewesen sein, so datz sich an der parlamcntarischen Stellung
der Regierung zunächst nichts geändrrt hat. In der Tat wird man
von der Erwägung aus, datz so, wie die Dinge heute liegen, die Er-
haltung des inneren Friedens eine Staatsnotwendigkeit sei, zu der
Meinung kommen können, datz — bei allem Vorbehalt in Beurtei-
lung der einzelnen Schritte — die Regierung Knilling in der Be-
handlung der nationalsozialistischen Bewegung im ganzen wohl auf
dem rechten Wege ist. Wir berichteten vor einiger Zeit (11. Januar)
von einer vaterländischen Feier, die von dem Verband vaterlcindischer
Bezirksversine Münchens veranstaltet war und die sich als eine über-
wciltigende Kundgebung des nationalen Dedankens darstellte. Neben
dem Ehrenvorsitzenden des Verbandes, dem Regicrungspräsidenten
v. Kahr, satzen als Eäste an dem Tische des Vorstandes der Minister-
präsident Dr. v. Knilling, der Minister des Innern, der Handels-
minister und auch — Adolf Hitler. Unser Münchener Vertreter
schrieb damals in seinem Berichte: „Dr. v. Knilling, der nicht be-
neidenswerte Erbe der Aera Lerchenfeld, ist von dem ernsten Willen
erfüllt, das immer deutlicher werdcnde Problem des Nationalsozia-
lismus, den man nicht parieipolitisch klassifizieren Larf, sondern als
eine vorwärtsdrängende Volksbewegung bezeichnen muh, zu ersassen
und zu lösen. Nichk als Feind, nicht einmal als Eegner, sonder»
durch manche Einzelheit im nationalen Ziel verbunden, will der
bayerische Ministerpräsident, wie es scheint, unter die Träger dieser
Eedanken treten, um sich, vorkommendenfalls, deren beste, gereift«
Köpse dienstbar zu machen. Denn man mag die Gewaltmethoden, di«
als bedauerliche Begleiterscheinungen des Nationalsozialismus auf«
treten, grundfätzlich ablehnen, wer diese Bewegung solcher aus Un-
reife hervorgegangenen Methoden entkleidet, indem er ihre
Vertreter zu verantwortlicher Mitarbeit heranzieht, der stellt Kräfte
in den Dienst des Vaterlandes, die ihm sonst in unüberbrückbarem
Mitzverstehen und Mitztrauen verloren gingen."

Wir glauben, datz die hier geäutzerte Auffasiung der Knilling-
schen Politik auch den Schlüsiel für düs Derhalten der bayerischen
Regierung dem nationalsozialistischcn Parteitage gegenüber bietet.
Die Regierung weitz an sich Wert und Bedeutung der nationalsozia-
listischen Richtung sehr wohl zu schätzen, fie will daher weder ihl
Feind noch auch nur ihr Gegner sein, sie will sie aber gewissermatzen
vor sich selber beschiitzen, indem ste sie davor behütet, — wenn nötig
untsr Anwensung auch kräftiger Mittel — das Opfer ihres Ueber-
schwangs zu werben, sich von Heihspornen zu Ausschreiturgen verleiten
zu lassen, die dann notwendig in ihren Wirkungen sich gegen die
Bewegung selber wenden mützten. Sie will ihr helfen, das Un°
reise von sich abzutun, sie will sie dazu eiziehen, sich politisch ein-
zustellen und dem unssligen romantischen Einschlag in ihrem Ee»
dankengewebe, der unserer deutschen Politik schon viel Unheil zu-
gefügt hat, zu entsagen. ^ ^

Zu diesem romantischen Einschlag rechnen wir vor allcm de»
Rassengedanken. Wenn es in Punkt 4 des nationalsozialistischen
Programms heitzt: „Slaatsbiirger kann nur sein, wer Volksgenosse
ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Vlutes ist ohne Rück-
sichtnahme aus Konfession. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein,"
und in Punkt s: „Wer nicht Staatsbürger ist, soll nur als East
in Deutschland leben können und mntz unter Fremden-Scietzgebung
 
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