66 Zahrgang Vr. 141
' !che Post^ erscheint wöchentl. siebenmal. Beilaoen: Didaökalia 'Sonnt.! —
UnveV, ""uiaSblatt lMontags, - Literatnrblatt-»ochschulbeilage lm o n a t I i ch,.
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Heidelberger Zektung
(Gegründet 1853)
«nd
Landelsblatt
Vonnerstag, den 24. Mai 1923
HauptgelchLft-steܫ u. Cchrtftleitg. der.Badtschcn Post' Aetdelberg. Hauvtstr. 28. Fernspr.
Nr. 182. «erltner.Bertretung: Berltn SV 48. Ztmmerstratze 9, Fernspr. Zentr. 418
Münchner Bertretung: MSnchen, Seorgenftr. 1l>7, Fernspr. »1867._
r Sraukkart a.«. »111»
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,, "'ll. werd. nur bis zum 2. jed. Mts angcnommcn. Am 1 U.L. noch gelief. Zeitungen stnd nach d. Elnzelverkaufspreir ,u be-
"rejxd CinzelnurnmrrMk.lVl,.-. JstdieZeitung amErscheinenverhindert.besteht keinAnspruch anflkntschSdigung
»E»e»«ont»! »rankfnrt a. M. »111»
Anzeigenvreis«: di«44nim breit« Nonpareillezeile kostet: lukalc otellcngcsuche.Nk.8<1.-. kl.<Selegenhcitsan.relgen Mk. 1M
Familienanzeigen Mk. 8l>.—. lSeschLsteanzeigen Mk.178 —.Finanz- und Jndvftrt-anzeigen Mk. L5l1.—,mit Platzvorschrift und
Montag« Mk. 10.— mehr. Die S8 mm breite Rcklamezeile koftet Mk. 8«>.—, Anzeigen und RcNamen von auswärts 25°,» höhe
Me neue Tenenmgswelle.
- gehen einer neuen
wirtschaftlichen Krisc ent-
. Delauerlich« Ler augenblicklichen Lag« ist, datz die
^"8 cmscheinend keine Mittel weih, mn der Eefahr der neuen
Tj^r.^rrgswelle, die bedrohltcher einsetzt als in iruendelncm friiheren
«ntgegenzntreten/Von rechts und von links her wird der
Äüch in gleichem Mag« Ratlosigkeit uNd Ncrnosttät vorgewarfen.
>deix ^rnn man die Krit-ik nicht ohne wciteres unterschreiben will,
iich Leiner Negierung einen Vorwurf tnachsn kann, wenn plötz-
poliijsche Ereigniff« eintreten, die wirtfchaftlich iurHcklvirken
k^rsj» ^ uoch so klnge Berechnungen über >den Haufen werfen, fo
kilbm, > !>och nich-t geschehen setn, dah man z. B. an etnem und dem-
/N eine so anormale Brotpreiserhöhung und aber-
»>äzVerdoppelung der Eisenbahntarise ankiindizt,
-.u d«r Tat Defrsmden erregen musz.
dehlt uns nichi nur autzenpolitisch au der nötigen Regie.
Ü»tiy°^Mch innervoli-tisck'. Man mntz sich fragen, ob es wirklrch
tzr ^biq war, mst der Erhöhung der Eisenbahnsahrpr-slse qerade
n? Moment M kommen, wo Tausende von Familien bereits
d?N«r packen oder doch Reiseplän« machen fiir die kurze Zeit
^edii»-Äbspannens, die unserer nervösen und doppelt erholungs-
diln^"8en Bevölkevnng so nötig tut, nn-d man mutz sich weiter
lTr»b d-ie fetzt veschtoffene Evhöhung des K«trei'deab'.aabepresses
Iuni nicht doch et-ne zu grohe Spanne d-arstellt und ob
s lrj». ?- Zuni nupl oom ei-ne zn groste «panne 'o-avsveiir uno oo
« h» pichttger gewesen wäve, durch etn« allmähltche Herauf-
un _ _
- p höheren Preise KU gewöhnen
gdes Brotpreises das Publtkum un die Notwendig-
z Plötzlsche Verdoppelung des Brotpre-i'ses mntz im höihsten
»Lexe? v«rstlN!m«nd wirken und di« Versti.mmnng mutz jedes Matz
^vstj^igen, wenn die Bäcker die jetzig« Erhöhung zum Nnlatz nehmen
den Brotpreis nicht nnr zn oevdoppeln. sondern zu verdrei-
di ^partige Erwägungem schweben in den Kreistp der Bäcker
- ^Lohnbewegung. d!e gerade jetzt wteder im Bäck « r -
vi-elleicht
hat und man kann diese Mitzstrmmvng verstehen
. pchchickter hätte stch schon aperieren laffen. Gerade im Wirt-
<>e mnffen sprunghast« Steigerungen vermieden wetden,
^ ">ur irgentd vermsiden laffen. bssoniders in Zetten, mo di«
'ktzt twertung so verheerende Formen nnnimmt. wie gerad«
Mz^pder. Schon die polttische Klngheit sollte di« Regiernng davon
dt« Teuerungsmoment« so zu häu-fen, w-ie es in diesen
Kchchehen ist. Den Vortetk von dieser offenbaren
Kitä?'llltchksit hat nur di« Sozialdemokratie, dt« die
d^ikei - wieder parteipoltttsch ausnutzt. Din
Ü4 ipiz. ..Vorwärts" ist Beweks dafür. Der Artikel beschäfttgt
br> Ursachen. die nach seiner Meinu-ng dep Vorfall herbei-
ill^.vaben. Selbstverständliich wivd der besttzenden Klaff« die
daran zugeschrieben. Auch tritt trotz Devls'Lnardnung d!e
M ^ seiner Änficht nach dem Treiben der Spsk-usation mcht
zvkh ckl^Kender Energie entgegen. So beklaat er es besonders, datz
M einziger Fall umfangreicher Devisenkäus« der letzten
Untsrsnchung auf Grund der ueuen Devisenverordnung
A !p>" worden wäre. Die Ausführungen zeigen «ben. datz man
v Kreisen d-es „Vorwärts" über dtc Beständ« an Devisen
Äst ntcht im Klaren tst. So scharf der .Vorwärts"
e>N«n Seit« gegen di« Deviscnspek-'lation nnd d!e Preis-
Z>f d«. Marenmärkten vom Leder zieht. so htndert ihn das
undern Soit« nicht, auch seinerssits eine ganz gehörige
Mepz ' ll t i o n gegen dte Mark in VorW-ag zu b-ringen.
>ur die Arbetterschast kein anderes Schutzmittel gsgen dte
Vorschlag zu Lringen wvttz, als di« Ein -
i o ld l ö h n e n (!) Sollte mtt dieser Forderung
wäre nämlich damit das Schicksal der
igelt, weil damit dte stärkste Hemmung
. ^>ie oisher -d«n St-urz in den Abgrund verhistet
köhne be-dtngen Gol-dl« istungen
hapert es '
tz'i h r^tung in !
Ndst ""6 von G:
!S ja wohl bet uns noch etwas.
aber
Der belgWe «eparationsplan.
Äls erftes Prinzip die Priorität der Sachschädeu.
Paris, 23. Mai.
I^rüffeler Verichterstatter des „Temps" bestätiqt, datz die
iif^dsV-, Regierung demnächst in Paris ihren Repara»
tz"°k h,"'an zu unterdreiten gedenke. Der Berichterstatter mach
n Tti,?,-^"an folgende Angaben: Jn Vriiffel hat man eine Neih-
tz°^hlu vorgenommen, um Hilfsquellen und Earantien für die
."k>p^?Ug der Reparationen ausfindig zu machcn. Die belaische
sgsstn zu lauten: Es sind dauernde Hilfsquellen
> ^ gebührend garantiert sind und gegebenenfalls gestatten
' «ie '^Ule deutschen Zahlungen flüssig zu machen oder die Schulden
a " hgr, iiudeten zu bezahlen. Theunis und seine Sachverstän-
E'Ugg ihrerseits die durchaus natürliche Tendenz, eine Gesamt-
i>kl"Ug Krage anzustreben. llebrigens scheint es, datz ihre Auf-
tz'Sisch»°Er französischcn nahekommt. Das erste Prinzip, das nach
ch i ^ .etnstcht cnzuerkennen wäre, ist das der Priorität der
>N.'U>in^ u d e n. Frankreich und Belgien hätten dann das
>n, Uiinnn? ° ^ u. Frankreich und Delgien hä
M bz hz'u dieier Forderungen festzusetzen und zwar sür Frankr'ich
»k/^rgd »^zent der Schuldverschreibungen L und L, gleich an-
n-?6 Williarden /'ldmark »nd für Belgien acht Prozent
F^bkr°,5^ Milliarden- Dazu kämen für Jtalien 10 Prozent.
>d?^rnn» "nd Jtalien würden stch vorbchalten, den Rest ihrer
'n dem Matze zu beanspruchen. in dem ste verpflichtet
E"tenKriegsschulden bei England und den Vereinigtsn
tz"Nrn , »n bezahlen. England hätte das Minimum der Repara-
»>,° lPan° bestimmen, das es von Deutschland fordern wolle. Zur
sie n>erde man also die Reparation der Sachschäden machen.
wii^iranzösischen Unterhändler in Vcisailles verlangt hätten.
E djx ,rve man die deutsche Schuld in dem Matze herabsetzen, in
Tnteralliterten Schulden annulliert würden. Auf alle Fälle
°ru^»r a n k r e t ch und Velgien dasMinimum ,hrer
»>^!stilles erhalten. die die im Anschlutz an den Vertrag von
»de z, nnterzeichneten Schriftstücke ihnen zuerkennen. Vielleicht
rgten dann die Frage der in Belgien eingeführten
deutschen Markbeträge anführen. Hier habe man es mit
einer llmkehrung deffen zu tun, was im Londoner Zahlungsplan von
1021 festgesetzt tst, und was Bonar Law vorgeschlagen hat.
Saldwms Ernennung.
Zurückhaltung i« der Loudouer Preff«. — Besriedigmrg i« Paris.
Von nnserem -Korrespondenten
London, 23. Ma>.
Die Meldung der gestvigen ALen-dblätter, datz Lord Turzon
sich bereits entschloss« n habe, auch im n « uen Kabinett sein
Amt be i z ub « h a l t« n, wird vorläu'fia nichtbestätigt. Es
schetnen im Gcgeirteil noch Zwe , feI in dieser Hinsicht zu bestehen
und Lord Eurzon macht dem Awschsin nach ke-in Gehcimnts darails,
datz er sich übergangen fühlt Ei-ne endgüttige Tn-tscheidnng über
sein Verbleiben tst aber ofsenbar noch nicht gefallen. Di« „D aily
M a! l" kün-digt allerdings kere-its a«. datz Lord Eurzon gehen wsrd«
und Lord Derby se-tn« Stelle übernehmen werd«,' sie vergitzt dabet
natürltch ntcht beizufügen. datz diese Trnennung in Frankreich grotze
Fren-d« erwecken würd«. Man braucht aber dieser Meldnng des
Franzosenblat'tes vorläuftg ketnen Glauben zn schenken Die „Da'ly
News" rechnet für den Fall, datz di« früheren Kaalitionsmtntster
in d>i« Regierung etntreten, mtt der Mögltchkett, datz Ehamberlain
das Auswärtige Amt übernehmen könne. Auch der Eint'ri'tt S!r
Nobcrt Hornes in das neue Kabinett schelnt vorläuftg n-och nicht
volltomnien gesichert zu sein. obgleich sowohl mit istm w-ie mit
Thamberlain Verhandlungen im Gang stnd.
I,i der englischsn Preffc wird Baldwin mit devtlicher Zurück-
haltnng imfgenommen.
lleberetnstimmend wird betont. dah mir die Zugehörigtett Lovd
Turzons zum Oberhaus deffen Ernenn-ung verhindert habe. Baldwin
wird als geschtcktsr und zuverlässtger Autzenpoli-tiker gescht'ldert, der
cber in der Welt und zum Teil sogar im eigenen Land vö 1 lig
unbekannt set umd stch erst das Vertrauen ver-dienen miifl«, im
Namen Enalands sprechen zu können. Ganz zufrieden ist nnr das
Blatt der Konservattven, di« „Morning Post". „Times" und „Daily
Telegraph" schlagen deutltch recht kühle Töne «m. Dte „Times"
betont, datz der Köntg bei der Ern»nnung streng versastunasmätzlg
gehandelt habe, rvas dt« Welt zu Ler Ernennung say«, set jedoch
eine andere Fvage. „Datly Telegrovh" wird noch deutltcher und
sagt. datz nach ihrer Meinung Lord Turzo-n die grötzeren Ansprüche
aus di« MintstovprLstdentschaft hatte. Es ist offenbar, dah diese
beiden Blätter, di« dte gemätzigt« Gruppe innerhalb der konfervattven
Partei vertreten. stch gegen die Diehards richten. Di« ItHeral« Prest«
äutzert stch in ähnltcher Nich-tung. Di« „Daily News" g-laubt, datz
in Zukunst überhauvt die Ernennuug eines Pe-ars zum Regiernngs-
leitor tn England nicht me-hr möglich sein werde. De; „Dailn Thro-
nicle" betont dag-eqen, datz Lord Turzon weaen setner Zugehövigkett
zu-m Obekhaus iallengelaffen wurde. Aehnlicher Anstcht ist auch die
llnkslt-berale „Westminster Gaiette". di« im übrigen glaubt. >atz -der
llnterschted zwischen Turzon und Baldwin nicht schr grotz set und
datz -der etne ungesähr so reakttonär sei wi« der andere^ Seltsamer-
weise sch-oi'nt dageqen das Arbeiterblatt. der „Daily Herald". mit der
Ernennung ganz e!n-verstan>en zu s-ein: «r schreibt. datz Baldmtn der
Ernennung Turzons vorzuziehen sei.
Der divlomatisch« Mitarbeitsr dss „Darly Telegraph" verstchert,
datz durch den Regi-erungswechsel
keine Aenderung in der englischen äuswärtigen PoMkk
eingetreten sei. Die deutsche Reaierung handl« zweifellos richttq,
wenn st« bei ihren neuen Vorschlägen mit aller Vorstcht zu Werke
ginge. da jeder Frrtum diesmal verhängnisvolle Folaen
haben kännt«. Eine Aenderung der von ibr geplanten Vorschläg«
im Zusammenhang mit dem enaltschen Regterungs-
wechsel sei nicht erforderlich. Im übriqen habe die Berliner
Req-ierung eingesehen, datz ste wetter« Ratschläg« von englischer Seit«
ntcht erwarten könn«, u-nd st« versuche nun, ob st« et-wa damit >n
Rom mehr Erfolg bätte. Italten werd« MögliKevwets« ebenlso wts
Belgien Lei kommenden internationalen Verhandlungsn ein« wich-
tige und nützliche Rolle spielen können. Man erkennt auch wus dieser
Aeutzerimg das stäMye Bestreben der enalischen Polittk. keine
eigene Verantwortung W LLernehmen nnd mögktchst dte
an-deren Alli'terten gegen Franlreich vorzuschtckon.
Die Pariser Preffe
sit-mmt Balidwins Ernennung, wie unser 8-Korrespondent
drahtet, mehr oder wentger befrie-digt zu, wobei auch di« Frage, oÜ
Sir Robert Horne und Lord Turzons ins Kabtnett sintreten
werden. etne grotze Rolle svtelt. Di-ele Zeitungen rühmen Bakdwins
rasch« Karri>ere, einige erbltcken in ihm den Gefchäftsmann, von dem
zu hoffen set, datz er das Reparationsproblem praktisch annacken
werde und ertn-nern dabsi rübmend an seine Verhandl-unqen mtt
Amerika, dte grotz« Hoffnunq aus di« englisch-fran,zö ?usammen-
arbsit zultetz-e. Der „Pettt Parisien" schreiüt, dotz Baldwin
nicht nur ganz genau wisse, was er wolle sondern auch mutig
und geschlckt wäre. sein Ztel zu err-'ichen. Nach dem „Petit
Journal" hat "ouKeur kei seiner kürzlichen Rets« nach London
gera>s von Baldwin den stävksien Eind-ruck bekommen. der etne engs
Zusammenarüeit mtt Frankreich wiinschc. Für das „Iournal" ist
Daldwin der ge«tgnete Mann des vorsichtiqen Abwartens. wobe! das
Blatt im erster Linte an die Ruhrfrage denkt. Nuch das „Iournhs
I ndu str i e l l e" setzt seine Hoffnung aus Baldwtn. Fur den
Gaulots" ist Daldwin noch ein ziemlich unbeschriebenes Blatt;
Fmnkrstch könn« stch ntcht beklagen, wenn er dte Politik Bonar
Laws fortsetze. Das „Echo de Paris" begrützt die Ernennung
hauptsäch'lich unter dem Gestchtspunkt der Reparattonssrazc. Aehn-
lich schretüt die „Action Franyaiss", die dadei di« Hoffnung
ausspricht, datz Baldwin «s geltngen möge dt« Reparattonsfrage der
LZsunq näherzubringen. Nach der R«puülique Franyaise"
bedeutet di« Ernen-nung Baldwins keinen Wechsel in der auswärttgen
Po-littk Englands. Der „Homme Tibre" tzält den Reg>l-svllN>gs-
wechsel für etnen günstigen Augenültck, um mit England Lber n-eu«
deutsche Vorschläge gründltch zu verhandeln Dem ,',E ch o Natio -
n a l" tst der neue Premter namentltch in der Reparationsfrage eia
völltg unbeschr-ebenes Blatt. Das „Oeuvre" hält Baldwin für
1«n Mann, rer durch gemeinsames Vorgehen der Allrierten das
Reparationsproblem lösen werde.
! Llngarn nnd die konünentale polilik.
Die Fahrt des ungarischen Ministerpräsidenten nach den Haupi
städten der alliierten Mächte ist eine politische Tat, die, oirllsicht ab-
gesehen von der Kleinen Eniente und insbesondere der Tschecho-
flowakei, wohl in allen politischen Krsisen des Abendlandes sym-
pathische Beachtung findet. llngarn nimmt offensichtlich einen
starken Anlauf, sich'wirtfchaftlich wieder aufzuüauen und stellt dem-
zufolge an die Reparationskommiffion in Paris das Ansuch-n um
Aufhebung des im Friedensvertrag von Trianon
festgesetzten Ee n e r a l p f a nd r e ch t es, damit e§ imstande
sei, die Garantien für eine ausländische Anleihe zu bieten, ohne
welche die Wiederherstellung des Landes nicht möglich ist. England
und Jtalien stnd charakteristischerweise gcrne üereit, dem An-
suchen Folge zu leisten, denn sie sind der Ansicht, datz es nremandrm
zum Vorteil gereichcn könne, wenn llngarn auch weiterhin wirtschast-
lich geschwächt würde, da sein eventueller Zusammenbruch -lnabseh-
bare Folgen sür die Gesamtheit der Donaustaaten haben mühte, wie
dies Baldwin im englischcn llnterhause mit grotzem Sachverstäadnis
ausführte. Frankreich hingegen macht Schwierigkeiten und der
„Temps" spricht es offen aus, datz dre Franzosen nicht ihre Zustim-
mung zu den von Ungarn gewünschten Matznahmen gebzn können,
wenn diefelben in Velgrad, Bukarest und Prag nicht angenommen
werden. Tatsächlich geht von Prag eine feingespon-
nene diplomatische Aktion aus, die ungarischen
Wiederherstellungspl 8 ne zu vereiteln. Man sucht
Ungarit zu verdächtigen, datz es sich mit dem „neuen Europa der
Friedensverträge" nicht abfinde und „Integritätspolitik" treibe.
Demzufolge müffe jede ihm zu gewährende Hilfeleistung an strenge
Bedingungen geknüpft werden, unter denen an erster Stelle die Ent-
sendung einer Kontrollkommiffion, die auch die Politik des Landes
Lberwachen mützte, in Vetracht käme. Datz dies die llnterordnung
Ungarns unter die Führung der Kleincn Entente, also seine röllige
politisch« Bevormundung bedeuten «iirde, bedarf keiner weiteren
Erläuterung.
Gerade diese tschechisch« Tendenz setzt die Fahrt des ungarischen
Ministerpräsidenten in das richtige Licht. Es war di« Aufgabe drs
Grafen Bethlen, die wirtschaftliche Lage llngarns so wie sie diVck
die Kriegskatastrophe und ihre unabwendbaren Folg« bcstimmt ist
und mit elementarer Notwendigkeit dem finanzicllen Hvsammenbruch
entgegentrekbt, mit restloser Offenheit darzulegen und zugleich den
Weg seiner energischen Konsolidierungspolitik mit eindrutiger und
unmitzverständlicher Klarheit zu kennzeichnen. Wie der Widerhall
seiner Ausfiihrungen in der englischen und italienischen Presse -r-
kennen lätzt, hat er sich dieser schwierigen Auf.zabe korrekt und cin-
wandsrei entledigt, ja es scheint sogar, datz sei'ne Anfklärnngen auch
in Paris auf die Reparationskommiffion einigen Eindruck machten.
Er verdankt dies vielleicht dem llmstande, datz in seinen Darlegungen
auch nicht die leisestc Spur einer aggreffiven Tendenz gegen die
Kleine Entente enthalten war, und datz er stch nicht die Mühe gab,
die düsteren mitteleuropäischen. speziell ungarischen Zustände schwarz
in schwarz zu malen, sondern vielmehr die Lichtscite der zähen Be-
mühungen Ungarns, sich selbst zu helfen, in den Vordergrnnd stellte.
So erschien er nicht im Lichte eines hilflosen und um Hilfe suchenden
Bittstellers, sondern eines Staatsmannes, der nur zur Selbsthilf«
der Nationen ein Vertrauen hat und nichts verlangi, als die Weg-
räumung von Hlnderniffen, die der vernünftigen Wiederherstellungs-
arbeit entgegenstehen. So hob er z. B. hervor. datz das Defizit der
ungarischen AutzenhandelsLilanz, das stch im Jahre 1021 noch auf
306 Millionen Eoldkronen belief, im nächsten Zahre auf 214 Mil-
lionen Goldkronen herabgedrückt werden konnte; auch wies cr auf
die Anftrengungen hin, die gemacht wurden, um die Produktion von
Artikeln der Webe- und Lederindustrie, die vormals in Ungarn her-
gestellt werden konnten, in Rumpfungarn jedoch eingeführt -verdcn
müffen, von neuem zu beleben. Die Zuckerproduktion, die im Jahre
1921 noch di« Einfnhr von 2854 Tonnen Zucker nötig machte, genügt
heute nicht nur zur Deckung dss Jnlandbedarfes, sondern vermag auch
einen Exportüberschutz zu liefern usw. Aber je mehr es fühlbar
wurde, datz Graf Bethlen jeder Uebertreibunz der kritischen Lage
llngarns aus dem Wege gehe, um so mehr gelang es ihm, auf de«
Abgrund hinzuweisen, der nicht nur Ungarn, sondcrn Mittel-
europa zu verschlingen, ja dem ganzen Weltteil zum Verhängnis
zu werden droht. Und dies ist der Prmkt, der der Auslandsfahrt des
Erafen Bethlen eine tiefere Bedeutung verleiht.
Es zeigt sich nämlich mit der gröhten Deutlichkeit, kaß Ungar«
der Kleinen Entente gegenüber sich in einer ana-
logen Lage befindet, wie Deutschland Frankreich
gegenüber. llngarn sucht vergeblich, sich wirtschaftlich und fina.i-
ziell wieder aufzurichten, wenn die Kleine Entente es als ihren
Beruf betrachtet, dies zu verhindern und wenn sie in Frankreich eine»
verständnisvollen Büttel ihrer Absichten findet. Der Reparations-
kommiffion wurden dementsprechend zwei Pläne Sezüglich des ur.gari-
schen Ansuchens vorgelegt: der eine von dem englischen und italie-
nischen Delegierten, der andere hingegen von dem französtschen Mit-
glied und dem Bevollmächtigten der Kleinen Entcnte. Beide stim-
men scheinbar darin überein, datz das Generalpfandrecht auf die
ungarischen staatlichen Einkünfte usw. aufgehobcn werden solle, ober
der französisch-tschechische Vorschlag knüpft ihn an Bedingung.n, wie
datz die Zahlungsfähigkekt Ungarns offiziell geprüst, ferner datz ein
Teil der Anleihe fiir Reparationszahlungen beschlagnahmt wcrde,
und datz die Verwendung der Anleihe einer politischen Kontrolle
bezw. festen Bestimmungen unterliegen solle. Diese Einschränkungen
zielen darauf ab, das Zustandekommen der ungarischcn Anleihe ent-
weder zu verhindern, wie d!es die „Times" in schlagcnder Weise
beleuchtete, oder aber llngarn eben vermittels der Is,«.
leihe in politische Abhängigkeit und Dersklavung
der Kleinen Entente gegenüber zu bringen. Nun
hat aber das heutige Rumpfungarn a-is der Kriegskatastrsphe als
einziges ideales Gut seine Selbständigkeit, seine llnabhängigkett ye-
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«ntgegenzntreten/Von rechts und von links her wird der
Äüch in gleichem Mag« Ratlosigkeit uNd Ncrnosttät vorgewarfen.
>deix ^rnn man die Krit-ik nicht ohne wciteres unterschreiben will,
iich Leiner Negierung einen Vorwurf tnachsn kann, wenn plötz-
poliijsche Ereigniff« eintreten, die wirtfchaftlich iurHcklvirken
k^rsj» ^ uoch so klnge Berechnungen über >den Haufen werfen, fo
kilbm, > !>och nich-t geschehen setn, dah man z. B. an etnem und dem-
/N eine so anormale Brotpreiserhöhung und aber-
»>äzVerdoppelung der Eisenbahntarise ankiindizt,
-.u d«r Tat Defrsmden erregen musz.
dehlt uns nichi nur autzenpolitisch au der nötigen Regie.
Ü»tiy°^Mch innervoli-tisck'. Man mntz sich fragen, ob es wirklrch
tzr ^biq war, mst der Erhöhung der Eisenbahnsahrpr-slse qerade
n? Moment M kommen, wo Tausende von Familien bereits
d?N«r packen oder doch Reiseplän« machen fiir die kurze Zeit
^edii»-Äbspannens, die unserer nervösen und doppelt erholungs-
diln^"8en Bevölkevnng so nötig tut, nn-d man mutz sich weiter
lTr»b d-ie fetzt veschtoffene Evhöhung des K«trei'deab'.aabepresses
Iuni nicht doch et-ne zu grohe Spanne d-arstellt und ob
s lrj». ?- Zuni nupl oom ei-ne zn groste «panne 'o-avsveiir uno oo
« h» pichttger gewesen wäve, durch etn« allmähltche Herauf-
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z Plötzlsche Verdoppelung des Brotpre-i'ses mntz im höihsten
»Lexe? v«rstlN!m«nd wirken und di« Versti.mmnng mutz jedes Matz
^vstj^igen, wenn die Bäcker die jetzig« Erhöhung zum Nnlatz nehmen
den Brotpreis nicht nnr zn oevdoppeln. sondern zu verdrei-
di ^partige Erwägungem schweben in den Kreistp der Bäcker
- ^Lohnbewegung. d!e gerade jetzt wteder im Bäck « r -
vi-elleicht
hat und man kann diese Mitzstrmmvng verstehen
. pchchickter hätte stch schon aperieren laffen. Gerade im Wirt-
<>e mnffen sprunghast« Steigerungen vermieden wetden,
^ ">ur irgentd vermsiden laffen. bssoniders in Zetten, mo di«
'ktzt twertung so verheerende Formen nnnimmt. wie gerad«
Mz^pder. Schon die polttische Klngheit sollte di« Regiernng davon
dt« Teuerungsmoment« so zu häu-fen, w-ie es in diesen
Kchchehen ist. Den Vortetk von dieser offenbaren
Kitä?'llltchksit hat nur di« Sozialdemokratie, dt« die
d^ikei - wieder parteipoltttsch ausnutzt. Din
Ü4 ipiz. ..Vorwärts" ist Beweks dafür. Der Artikel beschäfttgt
br> Ursachen. die nach seiner Meinu-ng dep Vorfall herbei-
ill^.vaben. Selbstverständliich wivd der besttzenden Klaff« die
daran zugeschrieben. Auch tritt trotz Devls'Lnardnung d!e
M ^ seiner Änficht nach dem Treiben der Spsk-usation mcht
zvkh ckl^Kender Energie entgegen. So beklaat er es besonders, datz
M einziger Fall umfangreicher Devisenkäus« der letzten
Untsrsnchung auf Grund der ueuen Devisenverordnung
A !p>" worden wäre. Die Ausführungen zeigen «ben. datz man
v Kreisen d-es „Vorwärts" über dtc Beständ« an Devisen
Äst ntcht im Klaren tst. So scharf der .Vorwärts"
e>N«n Seit« gegen di« Deviscnspek-'lation nnd d!e Preis-
Z>f d«. Marenmärkten vom Leder zieht. so htndert ihn das
undern Soit« nicht, auch seinerssits eine ganz gehörige
Mepz ' ll t i o n gegen dte Mark in VorW-ag zu b-ringen.
>ur die Arbetterschast kein anderes Schutzmittel gsgen dte
Vorschlag zu Lringen wvttz, als di« Ein -
i o ld l ö h n e n (!) Sollte mtt dieser Forderung
wäre nämlich damit das Schicksal der
igelt, weil damit dte stärkste Hemmung
. ^>ie oisher -d«n St-urz in den Abgrund verhistet
köhne be-dtngen Gol-dl« istungen
hapert es '
tz'i h r^tung in !
Ndst ""6 von G:
!S ja wohl bet uns noch etwas.
aber
Der belgWe «eparationsplan.
Äls erftes Prinzip die Priorität der Sachschädeu.
Paris, 23. Mai.
I^rüffeler Verichterstatter des „Temps" bestätiqt, datz die
iif^dsV-, Regierung demnächst in Paris ihren Repara»
tz"°k h,"'an zu unterdreiten gedenke. Der Berichterstatter mach
n Tti,?,-^"an folgende Angaben: Jn Vriiffel hat man eine Neih-
tz°^hlu vorgenommen, um Hilfsquellen und Earantien für die
."k>p^?Ug der Reparationen ausfindig zu machcn. Die belaische
sgsstn zu lauten: Es sind dauernde Hilfsquellen
> ^ gebührend garantiert sind und gegebenenfalls gestatten
' «ie '^Ule deutschen Zahlungen flüssig zu machen oder die Schulden
a " hgr, iiudeten zu bezahlen. Theunis und seine Sachverstän-
E'Ugg ihrerseits die durchaus natürliche Tendenz, eine Gesamt-
i>kl"Ug Krage anzustreben. llebrigens scheint es, datz ihre Auf-
tz'Sisch»°Er französischcn nahekommt. Das erste Prinzip, das nach
ch i ^ .etnstcht cnzuerkennen wäre, ist das der Priorität der
>N.'U>in^ u d e n. Frankreich und Belgien hätten dann das
>n, Uiinnn? ° ^ u. Frankreich und Delgien hä
M bz hz'u dieier Forderungen festzusetzen und zwar sür Frankr'ich
»k/^rgd »^zent der Schuldverschreibungen L und L, gleich an-
n-?6 Williarden /'ldmark »nd für Belgien acht Prozent
F^bkr°,5^ Milliarden- Dazu kämen für Jtalien 10 Prozent.
>d?^rnn» "nd Jtalien würden stch vorbchalten, den Rest ihrer
'n dem Matze zu beanspruchen. in dem ste verpflichtet
E"tenKriegsschulden bei England und den Vereinigtsn
tz"Nrn , »n bezahlen. England hätte das Minimum der Repara-
»>,° lPan° bestimmen, das es von Deutschland fordern wolle. Zur
sie n>erde man also die Reparation der Sachschäden machen.
wii^iranzösischen Unterhändler in Vcisailles verlangt hätten.
E djx ,rve man die deutsche Schuld in dem Matze herabsetzen, in
Tnteralliterten Schulden annulliert würden. Auf alle Fälle
°ru^»r a n k r e t ch und Velgien dasMinimum ,hrer
»>^!stilles erhalten. die die im Anschlutz an den Vertrag von
»de z, nnterzeichneten Schriftstücke ihnen zuerkennen. Vielleicht
rgten dann die Frage der in Belgien eingeführten
deutschen Markbeträge anführen. Hier habe man es mit
einer llmkehrung deffen zu tun, was im Londoner Zahlungsplan von
1021 festgesetzt tst, und was Bonar Law vorgeschlagen hat.
Saldwms Ernennung.
Zurückhaltung i« der Loudouer Preff«. — Besriedigmrg i« Paris.
Von nnserem -Korrespondenten
London, 23. Ma>.
Die Meldung der gestvigen ALen-dblätter, datz Lord Turzon
sich bereits entschloss« n habe, auch im n « uen Kabinett sein
Amt be i z ub « h a l t« n, wird vorläu'fia nichtbestätigt. Es
schetnen im Gcgeirteil noch Zwe , feI in dieser Hinsicht zu bestehen
und Lord Eurzon macht dem Awschsin nach ke-in Gehcimnts darails,
datz er sich übergangen fühlt Ei-ne endgüttige Tn-tscheidnng über
sein Verbleiben tst aber ofsenbar noch nicht gefallen. Di« „D aily
M a! l" kün-digt allerdings kere-its a«. datz Lord Eurzon gehen wsrd«
und Lord Derby se-tn« Stelle übernehmen werd«,' sie vergitzt dabet
natürltch ntcht beizufügen. datz diese Trnennung in Frankreich grotze
Fren-d« erwecken würd«. Man braucht aber dieser Meldnng des
Franzosenblat'tes vorläuftg ketnen Glauben zn schenken Die „Da'ly
News" rechnet für den Fall, datz di« früheren Kaalitionsmtntster
in d>i« Regierung etntreten, mtt der Mögltchkett, datz Ehamberlain
das Auswärtige Amt übernehmen könne. Auch der Eint'ri'tt S!r
Nobcrt Hornes in das neue Kabinett schelnt vorläuftg n-och nicht
volltomnien gesichert zu sein. obgleich sowohl mit istm w-ie mit
Thamberlain Verhandlungen im Gang stnd.
I,i der englischsn Preffc wird Baldwin mit devtlicher Zurück-
haltnng imfgenommen.
lleberetnstimmend wird betont. dah mir die Zugehörigtett Lovd
Turzons zum Oberhaus deffen Ernenn-ung verhindert habe. Baldwin
wird als geschtcktsr und zuverlässtger Autzenpoli-tiker gescht'ldert, der
cber in der Welt und zum Teil sogar im eigenen Land vö 1 lig
unbekannt set umd stch erst das Vertrauen ver-dienen miifl«, im
Namen Enalands sprechen zu können. Ganz zufrieden ist nnr das
Blatt der Konservattven, di« „Morning Post". „Times" und „Daily
Telegraph" schlagen deutltch recht kühle Töne «m. Dte „Times"
betont, datz der Köntg bei der Ern»nnung streng versastunasmätzlg
gehandelt habe, rvas dt« Welt zu Ler Ernennung say«, set jedoch
eine andere Fvage. „Datly Telegrovh" wird noch deutltcher und
sagt. datz nach ihrer Meinung Lord Turzo-n die grötzeren Ansprüche
aus di« MintstovprLstdentschaft hatte. Es ist offenbar, dah diese
beiden Blätter, di« dte gemätzigt« Gruppe innerhalb der konfervattven
Partei vertreten. stch gegen die Diehards richten. Di« ItHeral« Prest«
äutzert stch in ähnltcher Nich-tung. Di« „Daily News" g-laubt, datz
in Zukunst überhauvt die Ernennuug eines Pe-ars zum Regiernngs-
leitor tn England nicht me-hr möglich sein werde. De; „Dailn Thro-
nicle" betont dag-eqen, datz Lord Turzon weaen setner Zugehövigkett
zu-m Obekhaus iallengelaffen wurde. Aehnlicher Anstcht ist auch die
llnkslt-berale „Westminster Gaiette". di« im übrigen glaubt. >atz -der
llnterschted zwischen Turzon und Baldwin nicht schr grotz set und
datz -der etne ungesähr so reakttonär sei wi« der andere^ Seltsamer-
weise sch-oi'nt dageqen das Arbeiterblatt. der „Daily Herald". mit der
Ernennung ganz e!n-verstan>en zu s-ein: «r schreibt. datz Baldmtn der
Ernennung Turzons vorzuziehen sei.
Der divlomatisch« Mitarbeitsr dss „Darly Telegraph" verstchert,
datz durch den Regi-erungswechsel
keine Aenderung in der englischen äuswärtigen PoMkk
eingetreten sei. Die deutsche Reaierung handl« zweifellos richttq,
wenn st« bei ihren neuen Vorschlägen mit aller Vorstcht zu Werke
ginge. da jeder Frrtum diesmal verhängnisvolle Folaen
haben kännt«. Eine Aenderung der von ibr geplanten Vorschläg«
im Zusammenhang mit dem enaltschen Regterungs-
wechsel sei nicht erforderlich. Im übriqen habe die Berliner
Req-ierung eingesehen, datz ste wetter« Ratschläg« von englischer Seit«
ntcht erwarten könn«, u-nd st« versuche nun, ob st« et-wa damit >n
Rom mehr Erfolg bätte. Italten werd« MögliKevwets« ebenlso wts
Belgien Lei kommenden internationalen Verhandlungsn ein« wich-
tige und nützliche Rolle spielen können. Man erkennt auch wus dieser
Aeutzerimg das stäMye Bestreben der enalischen Polittk. keine
eigene Verantwortung W LLernehmen nnd mögktchst dte
an-deren Alli'terten gegen Franlreich vorzuschtckon.
Die Pariser Preffe
sit-mmt Balidwins Ernennung, wie unser 8-Korrespondent
drahtet, mehr oder wentger befrie-digt zu, wobei auch di« Frage, oÜ
Sir Robert Horne und Lord Turzons ins Kabtnett sintreten
werden. etne grotze Rolle svtelt. Di-ele Zeitungen rühmen Bakdwins
rasch« Karri>ere, einige erbltcken in ihm den Gefchäftsmann, von dem
zu hoffen set, datz er das Reparationsproblem praktisch annacken
werde und ertn-nern dabsi rübmend an seine Verhandl-unqen mtt
Amerika, dte grotz« Hoffnunq aus di« englisch-fran,zö ?usammen-
arbsit zultetz-e. Der „Pettt Parisien" schreiüt, dotz Baldwin
nicht nur ganz genau wisse, was er wolle sondern auch mutig
und geschlckt wäre. sein Ztel zu err-'ichen. Nach dem „Petit
Journal" hat "ouKeur kei seiner kürzlichen Rets« nach London
gera>s von Baldwin den stävksien Eind-ruck bekommen. der etne engs
Zusammenarüeit mtt Frankreich wiinschc. Für das „Iournal" ist
Daldwin der ge«tgnete Mann des vorsichtiqen Abwartens. wobe! das
Blatt im erster Linte an die Ruhrfrage denkt. Nuch das „Iournhs
I ndu str i e l l e" setzt seine Hoffnung aus Baldwtn. Fur den
Gaulots" ist Daldwin noch ein ziemlich unbeschriebenes Blatt;
Fmnkrstch könn« stch ntcht beklagen, wenn er dte Politik Bonar
Laws fortsetze. Das „Echo de Paris" begrützt die Ernennung
hauptsäch'lich unter dem Gestchtspunkt der Reparattonssrazc. Aehn-
lich schretüt die „Action Franyaiss", die dadei di« Hoffnung
ausspricht, datz Baldwin «s geltngen möge dt« Reparattonsfrage der
LZsunq näherzubringen. Nach der R«puülique Franyaise"
bedeutet di« Ernen-nung Baldwins keinen Wechsel in der auswärttgen
Po-littk Englands. Der „Homme Tibre" tzält den Reg>l-svllN>gs-
wechsel für etnen günstigen Augenültck, um mit England Lber n-eu«
deutsche Vorschläge gründltch zu verhandeln Dem ,',E ch o Natio -
n a l" tst der neue Premter namentltch in der Reparationsfrage eia
völltg unbeschr-ebenes Blatt. Das „Oeuvre" hält Baldwin für
1«n Mann, rer durch gemeinsames Vorgehen der Allrierten das
Reparationsproblem lösen werde.
! Llngarn nnd die konünentale polilik.
Die Fahrt des ungarischen Ministerpräsidenten nach den Haupi
städten der alliierten Mächte ist eine politische Tat, die, oirllsicht ab-
gesehen von der Kleinen Eniente und insbesondere der Tschecho-
flowakei, wohl in allen politischen Krsisen des Abendlandes sym-
pathische Beachtung findet. llngarn nimmt offensichtlich einen
starken Anlauf, sich'wirtfchaftlich wieder aufzuüauen und stellt dem-
zufolge an die Reparationskommiffion in Paris das Ansuch-n um
Aufhebung des im Friedensvertrag von Trianon
festgesetzten Ee n e r a l p f a nd r e ch t es, damit e§ imstande
sei, die Garantien für eine ausländische Anleihe zu bieten, ohne
welche die Wiederherstellung des Landes nicht möglich ist. England
und Jtalien stnd charakteristischerweise gcrne üereit, dem An-
suchen Folge zu leisten, denn sie sind der Ansicht, datz es nremandrm
zum Vorteil gereichcn könne, wenn llngarn auch weiterhin wirtschast-
lich geschwächt würde, da sein eventueller Zusammenbruch -lnabseh-
bare Folgen sür die Gesamtheit der Donaustaaten haben mühte, wie
dies Baldwin im englischcn llnterhause mit grotzem Sachverstäadnis
ausführte. Frankreich hingegen macht Schwierigkeiten und der
„Temps" spricht es offen aus, datz dre Franzosen nicht ihre Zustim-
mung zu den von Ungarn gewünschten Matznahmen gebzn können,
wenn diefelben in Velgrad, Bukarest und Prag nicht angenommen
werden. Tatsächlich geht von Prag eine feingespon-
nene diplomatische Aktion aus, die ungarischen
Wiederherstellungspl 8 ne zu vereiteln. Man sucht
Ungarit zu verdächtigen, datz es sich mit dem „neuen Europa der
Friedensverträge" nicht abfinde und „Integritätspolitik" treibe.
Demzufolge müffe jede ihm zu gewährende Hilfeleistung an strenge
Bedingungen geknüpft werden, unter denen an erster Stelle die Ent-
sendung einer Kontrollkommiffion, die auch die Politik des Landes
Lberwachen mützte, in Vetracht käme. Datz dies die llnterordnung
Ungarns unter die Führung der Kleincn Entente, also seine röllige
politisch« Bevormundung bedeuten «iirde, bedarf keiner weiteren
Erläuterung.
Gerade diese tschechisch« Tendenz setzt die Fahrt des ungarischen
Ministerpräsidenten in das richtige Licht. Es war di« Aufgabe drs
Grafen Bethlen, die wirtschaftliche Lage llngarns so wie sie diVck
die Kriegskatastrophe und ihre unabwendbaren Folg« bcstimmt ist
und mit elementarer Notwendigkeit dem finanzicllen Hvsammenbruch
entgegentrekbt, mit restloser Offenheit darzulegen und zugleich den
Weg seiner energischen Konsolidierungspolitik mit eindrutiger und
unmitzverständlicher Klarheit zu kennzeichnen. Wie der Widerhall
seiner Ausfiihrungen in der englischen und italienischen Presse -r-
kennen lätzt, hat er sich dieser schwierigen Auf.zabe korrekt und cin-
wandsrei entledigt, ja es scheint sogar, datz sei'ne Anfklärnngen auch
in Paris auf die Reparationskommiffion einigen Eindruck machten.
Er verdankt dies vielleicht dem llmstande, datz in seinen Darlegungen
auch nicht die leisestc Spur einer aggreffiven Tendenz gegen die
Kleine Entente enthalten war, und datz er stch nicht die Mühe gab,
die düsteren mitteleuropäischen. speziell ungarischen Zustände schwarz
in schwarz zu malen, sondern vielmehr die Lichtscite der zähen Be-
mühungen Ungarns, sich selbst zu helfen, in den Vordergrnnd stellte.
So erschien er nicht im Lichte eines hilflosen und um Hilfe suchenden
Bittstellers, sondern eines Staatsmannes, der nur zur Selbsthilf«
der Nationen ein Vertrauen hat und nichts verlangi, als die Weg-
räumung von Hlnderniffen, die der vernünftigen Wiederherstellungs-
arbeit entgegenstehen. So hob er z. B. hervor. datz das Defizit der
ungarischen AutzenhandelsLilanz, das stch im Jahre 1021 noch auf
306 Millionen Eoldkronen belief, im nächsten Zahre auf 214 Mil-
lionen Goldkronen herabgedrückt werden konnte; auch wies cr auf
die Anftrengungen hin, die gemacht wurden, um die Produktion von
Artikeln der Webe- und Lederindustrie, die vormals in Ungarn her-
gestellt werden konnten, in Rumpfungarn jedoch eingeführt -verdcn
müffen, von neuem zu beleben. Die Zuckerproduktion, die im Jahre
1921 noch di« Einfnhr von 2854 Tonnen Zucker nötig machte, genügt
heute nicht nur zur Deckung dss Jnlandbedarfes, sondern vermag auch
einen Exportüberschutz zu liefern usw. Aber je mehr es fühlbar
wurde, datz Graf Bethlen jeder Uebertreibunz der kritischen Lage
llngarns aus dem Wege gehe, um so mehr gelang es ihm, auf de«
Abgrund hinzuweisen, der nicht nur Ungarn, sondcrn Mittel-
europa zu verschlingen, ja dem ganzen Weltteil zum Verhängnis
zu werden droht. Und dies ist der Prmkt, der der Auslandsfahrt des
Erafen Bethlen eine tiefere Bedeutung verleiht.
Es zeigt sich nämlich mit der gröhten Deutlichkeit, kaß Ungar«
der Kleinen Entente gegenüber sich in einer ana-
logen Lage befindet, wie Deutschland Frankreich
gegenüber. llngarn sucht vergeblich, sich wirtschaftlich und fina.i-
ziell wieder aufzurichten, wenn die Kleine Entente es als ihren
Beruf betrachtet, dies zu verhindern und wenn sie in Frankreich eine»
verständnisvollen Büttel ihrer Absichten findet. Der Reparations-
kommiffion wurden dementsprechend zwei Pläne Sezüglich des ur.gari-
schen Ansuchens vorgelegt: der eine von dem englischen und italie-
nischen Delegierten, der andere hingegen von dem französtschen Mit-
glied und dem Bevollmächtigten der Kleinen Entcnte. Beide stim-
men scheinbar darin überein, datz das Generalpfandrecht auf die
ungarischen staatlichen Einkünfte usw. aufgehobcn werden solle, ober
der französisch-tschechische Vorschlag knüpft ihn an Bedingung.n, wie
datz die Zahlungsfähigkekt Ungarns offiziell geprüst, ferner datz ein
Teil der Anleihe fiir Reparationszahlungen beschlagnahmt wcrde,
und datz die Verwendung der Anleihe einer politischen Kontrolle
bezw. festen Bestimmungen unterliegen solle. Diese Einschränkungen
zielen darauf ab, das Zustandekommen der ungarischcn Anleihe ent-
weder zu verhindern, wie d!es die „Times" in schlagcnder Weise
beleuchtete, oder aber llngarn eben vermittels der Is,«.
leihe in politische Abhängigkeit und Dersklavung
der Kleinen Entente gegenüber zu bringen. Nun
hat aber das heutige Rumpfungarn a-is der Kriegskatastrsphe als
einziges ideales Gut seine Selbständigkeit, seine llnabhängigkett ye-