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Badische Post: Heidelberger Zeitung (gegr. 1858) u. Handelsblatt — 1923 (Januar bis Juni)

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Nr. 90 - 118 (1. April 1923 - 30. April 1923)
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https://doi.org/10.11588/diglit.15611#0599

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^ Zayrgang - «r. SS

I »rlckieint wöchentl ltibenmal. Vei'a'en: LtvaSkallalSonnt.) — I

I ^' "Salt«nnsb,aitMre>«na»i - ritrratnrLIott-KoibsibuIbellagr -monatU»).
"onate Nel»r»ae obne Terantworinng. Rücklendnna nur, «enn Porto detilegt. >

HeldelVerger Zettung

(Gegründet 1868)

»nd

Aandelsblatt

Slen-lag, de» 10. Aprll 1S2Z

tzouvtaelchä toftelle o. Echrtstlettg. ber.U'adilchen Poft" Hcidelbera, tzauvtstr. SS. Fernspr.:
Mr 182. tDerlaarort: Franlsurt a. M > Berliner Bertretung: Derlin 8V,' 48, Zimmer-
slratzeS, Fernlpr.Zentr.4l8, MllnchnerDertret. München,Beorgenstr.U>7, Fernlpr.81887

W»stsLeck.iro»t«: Franttnrt a.». »141»

^.^'«»ingSvreiS der .Bad.Poft' !

»«bl->> n»r bt» »um2. sed.Ml» «

. —- <äu»schl. Zllstellnebühr,. Eelbstabhol, Ltl. 8V0».—. Augland Mk 8000 -
»L^n.Ar.ükk'L'.'s.^/E.?- ' «.8. noch gelief.Zeituniie»ftii,d nach d. Tinzelvcrraufrpret- ,u b«.

°.«in„l»ummerMI. 170.-. 2»d «Zettun, am Trschctnenverhtndert,b.steh: ketnAnspruch ausLntichädigung

«ost'check.aouto: Frankfurt a. M. »141»

«„zeigeuvrei,,- die4» mw b-ett. Stonparetll-zeil- kostet:tokaleöt-lle-g-sllch- AIk 8U... kl E°lcg°nh-itr°n,°tge:-^ 100.
F-m"rnanze>g°n Mk 8».-. lS-schSN.-nzeig-n M«.175.-.Ftn°nj> und Industrte-nzetgenMk. S50.-. mit Mahvorlchrilt und
MontagrMk. 10.—mehr. Di» 88 wm brelte Reklame .etle kostet Mk-Sllll.—, Anzeizen un» Reklamen «on au»wärtr SS /» hoher

Äneuemng der Slilenie?

^ptimiswus iu Paris. — Reserviertheit t« Loudo«.
Po« unserem U-Korrespondenten.

^ Di. r. Paris. g. April.

Fllktei ^nzösische Prssie außert sich heute je nach Stelluna ihrer
der Reparationsfraae und zu den Plänen
«sür deren Lösunq. Dor allem erwähnenswert ist eine
tzenr^ Chefredakteurs des „Matin", des bekannten «cna-
Iouvenel, der im Eegensatz zu PoincarS die An-
v >» sli» d? ?? iei eine Pflicht der Sieaer, die Bedingun-
d:. ? Lösung des Reparationsproblems bekanntzugeben. und
Mrs m,„ver Besiegten. Iouvenel entwickelt folgenden Plan:
!>"^krei» zcchlt seine eigenen Kriegskosten undPensionen.

sÜer^ s?"ne darauf oerzichten, von Deutschland die Bezahlung
^llla^tzNtionen zu verlangen, wenn die Vereinigten Staaten und
!sN zir,n,?^uf verzichteten, die Rückzahlung der alliicrten Schul-
> "sschlan^rn. Die beiden Staaten balancierten stch ungefähr aus.
?' h. e§ bezahlt d!e Reparation der verwüsteten Gebiete.
Ms. D, «öch Ruinen auf und verwischt die Svuren seines Ein-
Me h.". Pelgier Varnich vom Colvay--Jnstitut habe in seinem
»,s?'osen, dast Deutschland dazu imstande sei. de Iouvenel
<8 g? nach diesem Volkswirtschaftler, dast Deutschland fünf-
!!2»>lkr . illiarden bezahlen könnte und datz der Anteil
?vrd,/^elchs hieran 28 Milliarden Eoldmark betragen
^VIon ^ s^s realisierbar, gerecht und milde. Um diefen Zah-
od,, . nuszufiihren, würde es genügen, dafi Deutschland nach
8, ver s,„^s Iahren Summen leihe, die kaum Höher seien als die,
^stsche Staat seit Deendignng des Krieges bei seinen
^uern geliehen habe. Dies würde Deutschland, das seine
N fein„ t? durch den Marksturz losgeworden sei. gestatten. nur
N aixautzeren Schuld gerecht zu werden. Dieses System
Metx^ o'Ufts voraus, datz die Anqelsachsen einerseits darauf ver-
z?d Dezahlung der interalliierten Schulden zu verlangen

ib? Nicht von Deutschland keine Nenstonen forderten. Wenn
oilil-.^s'vehen würde, wurde di« Höh« der Pensionen und der
ehx^°n Fchulden notwendigerwerse zu den fforderungen an
nngen Feind hinzuzuschlagen sein. In diesem ssalle würde

llcht «veins yrnzuzu, .

,!'»id ^,;?onkre!ch sein. das fich der Herabsetzung der deutschen,
d>.2sftt»>."s«tze. sondern Grotzbritannien und die Ver-
^vde s?*n Staaten. Das sei die nackte Wahrheit. fsrankreich
y» Ds, ^brgebiet so lange bleiben, bis man dies begrisfen habe.

"Nero Pork Herald" und die „Thicago Tribune" stnd der
d>»stei'k„ b Man in Paris jetzt lebhaft mit einer Wieder-
Ii,?de, Ng dx, interalliierten Einheitsfront
v>L,>.^nr binnen der nächsten 14 Tage. Dies« Wiederherstel-
»e, i>U ^ Ergebnis der Londoner Reise Loucheurs sein. der
"gey d?" bevorstehenden französtsch-belgischen Verhandlungen zu-
ri« solle, auf denen man

^>sg,^,^>neins,m,g französtsch-belgische» Reparatiousprogramm

!?»te.'"^?. werde, das auch die Zustimmung Englands finden
d, ^ ssrage der Entmilitaiisierung der Rhein-
,-d fran^, ,dle Schaffung eines unabhängigen Rheinlandes werdcn

?>!t°n


^n^stfchen offlziellen Kreisen ie'tzt als nebensachlich L
«t. 5a..ptf°che ^Lr rhe^N.ch-n Nepublik h-lte

z?:^Ntsache sei
' i°ht Errichtung -

d«. tn Paris für ausgefchlossen.

t,? „Cchg ^l^nsatze zu dkesen Darlegungen stehen die Ausführungen
a^bev»^ ?.e Paris". tms immer einen nationaliltilcksn und über-

Nilft'b Nach"« »?°lliil uno oeyauprei ,ogar, Pomcaro yaoe
ersoy.^ostel telegraphiert, datz Loucheur in London keine
»NfNlreichg .^V babe, und dah die bisherige Reparationspolitik

»kLi^r keiner Weife geändert habe. Frankreich beharre

ftli V Nlert,» seiner Lisherigen Forderungen, und auch das Nuhr-

k- rve n.4. --..„1 —^en. als bis der letzte Pfen"--

erwarte deutschc Vorschläge.

ttkcinx, ? nicht eher geläumt werden. äls bis der letzte Pfennig
h-.De, ^ bezahlt fei. Poincar« erwarte deutschc Vorschläge.
Mei'bi Paristen" spricht stch in ähnlicher Weise Mut zu

kv!» de'vNeise nach London laffe viel Tinte flietzen.
sisch^sssche N?. 'sssche« Presse scheine zu glauben, datz der ehemalige
tz.U" Eta^-"1"er nach England gekommen sei, um an
chki Erg:,?so>nanner eincn Hilferuf zu richten und

die eng-
um die
würde,

CrjssUs d,^ssnniens zu verlangen. die Frankreich gestattcn
dr«?? ab-, „ b?8ebiet zurückzuziehen, wohin esstch verirrt habc.
liik>»-sson ii, notwendig. zu wiederholen, datz eine derartige Inter-
^ta"»>Piein„«sss" Weise den Tatsachen entspreche? In der öffent-
ftkvk Frankreichs fei keine Müdinkcit f?) zu entdecken.

i>Ue°?U Bealn» den Erfolg des Nuhrunternehmenc- sei ebenso
d>ll^ d«, - nn des vierten Monais. wie es im Augenblick des Ein-
Ni^EIchen Truppen in Esten gewefen sei. (?) Die Näu-
litzv,' lej «!n M?biet«s. bevor Reichskanzler Euno nachgegeben
Aar/U wertz- /„?nks. der in keinem franzSsiichen Kovfe Eingang
ay tz:' l^t Mehr und mehr halte stch die Mehrheit des
«e, der Poincaräs, datz das Nuhrgebiet nur im Dcr-

!sfol. ssschev „/Ichen Zahlungcn geräumt wcrde. D!e Annäherung
?sfen«?.ss- E« bes französisch-belgifchen Standpunktes werde auch
Me!«' ssnwöglich. datz ste nicht erfokge. aber es hietze die
Ichen^suube» sNung jn Erotzbritannien mitzbrauchen, wenn man ihr
'Uia«; ^kistz ,lle>br,ngen wolle, die Wiederhcrstellung der so wün-
on Frc»„,1..°?s^n Einheitssront laste stch nur durch eine Kapi-
"eichs nnd Belaiens in der Rubrfraae erzielen.

erfolge, aber es hietze die

^ und Belgiens in der Ruhrfrage erzielen.

sd'itz^- trvtz^^utische Berichterstatter des „Daily Telegraph"
Üetz-;? Nach n.?.-"Uckkehr Vonar Laws und Stanley Bald-
ira°-.?sseon seien die britiicke

kriiitl: ; ---- ly»> u,uy.-»u ,-l»-S -----

ein^^n. Vonar Law und seine Kollegen hätten die Ee«
^kitii^Uden 7-umormellen Meinungsaustausches nrit eincm so her-
!!>cht ch?ksrit» ,?ss^l.en wie Louchcur bcgrützt. Aber man fühle stch
so,-?u keiner matzgebenden Erklärung berechtigt, beoor
d?r s?urZ „.oller Plan. der alle oder doch «inige der Anstchten
sveri ^ötif»,!."^' der britischen Regierung offiziell namens
^sscheue- »ss-?!^eitet wer^e. Man wille in Vondon n-ck'> m e
k» -llnstchten di« Anstchten darstellten, die augenblicklich

von PoincarS und dem französifchen Kabinett vertreten wurden.
Den Jnformationen des Berichterstatters zufolge ist die Politik
Poincarös von der Loucheurs in zahlreichen einzelnen
Punkten, wenn nicht in einigen grundsätzlichen Punkten, verschie-
den. Der sranzösische Ministerpräsident werde dies vielleicht bald
klar machon. Es brauche jedoch nicht unbedingt daraus geschlofsen zu
werden, datz es so bleiben werds. Ebenfo übereilt würde es sein,
anzunehmen, datz die Cedankcn von den sranzöstscherr Eemöhigten von
den britischen Kreisen vorbehaltlos angenommen werden. Es gebe
mindestens zwei grötzere Fragen, in denen mangels eines vollen
klaren Planes die sranzösischen Gemätzigten auf den ersten Vlick
Vorschläg« wiederzugeben scheinen. deren einer finanzieller, dsr
andere politischer Natur sei, die cin gutes Stück weitergehen, als
irgendeine britische Regierung Lereit sein könne zuzulassen. Bei-
spielsweise werde darin indirekt gefordert, datz Erotzbritannien sich
bemühen sollte, von Deutschland statt von den Allüerten, wie das
in Bonar Laws Ianuar-Vorschlägen niedergelegt war, die Beträge
zu fordern, die notwendig sind, um Erotzvritanniens Verpflichtungen
gegenüker dcn Bereinigten Staaten zu erfüllen. jedoch nicht für
Reparationsrechnung. Desgleichen werde der Vorschlag der
Schaffung eines westrheinischen Staates in Lon-
don mit gewissen Befürchtungen entgegengenom-
men, da er einen Eingriff in das inncre Eefüge Deutschlands
darstelle. Es sei jedoch möglich, datz, wenn diese dornigen Probleme
gründlich durchgesprochen seien, ein Plan entstehen könne, der diess
und andere britische Einwände beseitigen würde. Loucheurs Vor-
schläge seien natürlich nicht in der Eestalt eines endgültigen Planes
erfolgt, den nur die französtfche Regierunq unkerbreiten könne,
sondern in einer Art von versuchsweisen Vorschlägen,
die die Erörterungsgrundlage bildeten. Der stattgehabte nicht
formelle Meinungsaustausch, der möglicherweise auf einer mehr osfi-
ziellen Erundlage fortgeseht werden könne. sei natürlich ziemlich
heikler Art. Daher werde es für wesentlich und drinqend notwendig
gehalten, datz auf beiden Seiten des Kanals gewijse Üebertreibungen
und Jrrtümer vermieden werden.

Sie Terronflenmg ber Arbeilerschast.

Fraukreich« Borgehe« gege« Arbeiter a»d Beamte.

Berll«, S. April.

Wie die Blatter melden, haben die Franzosen am Eonntag die
alte Emschertalbahn von Dortmund nach Herne beschlag-
nahmt. Den Eifenbahncrn wurde ein Ultimatum bis Montag
gestellt, wo ste zu erklärcn haben, ob sie in sranzökische Dienste tretsn
wollen, widrigenfalls sie des Dienstes verwiesen und auch ihre
Dienstwohnungen zu räumen hätten. Anscheinend kommt es den
Franzosen bei dieser Aktion darauf an, eine Linie, die durch die
Mitte des Ruhrgebiets geht Md an der zahlreicke Zechen liegen,
zur Verfügung zu haben, um von bier aus eine lleberleitung zur
militarisierten Strecke nach Recklinghausen zu haben. — Einer Dort-
munder Meldung zufolge haben die Franzosen am Sonntag morgen
die sZeche „Bonisazius" des Essener Bergwerksvereins besetzt. Am
Kokslager stellten sie ein M a s ch i n e n g e w ch r mit Schutzrichtung
auf die Kokerei auf. Darauf legte die Arbeiterfchast sofort
die Arbeit nieder. Man rechnet Lamit, datz auch die Beleg-
schaft der Crube in den Streik treten wird. — Auf der Zeche
„Bergmannsglück" stnd zurzeit etwa 108 bis 150 französische
Zivrlarbeiter mit oem Aufladen der Koksvorräte beschästigt.
Jn dcn ersten drei Tagen haben st« etwa 080 Tonnen Koks auf-
geladen und zum Teil auf die militarisierte Nordstrecke übergelsitet.
Trotz der geringen Menge sind aber die Eisenbahnen der Regie schon
in solche Berwirrung und Verstopfung geraten, datz das

Au

krä

laden auf der „Bergmannsglück"-Ze!

mukte. Angeblich sollen Anfang der nä

te kommen.

e eingestellt werden
sten Wochc neue Arbeits«

Am Sonntag vormittag Lesetzten die Franzosen die Zcche Io-
hann Deimelsberg (Adlcr A.-E. für Dcrglau). Die Beleg-
schaft fuhr nicht ein. Gleichzeitig mit der Zeche Bonifazius ist auch
noch die Zeche Joachim (Mannesmann) besetzt worden.

v

Auf der Zeche Waltrop sind autzer dem Direktor, Oberberg-
rat Stinn. der Maschinensteiger Barthel. der Vermessungs-
techniker Sturm und sein Sohn, sowie zwei Maschinisten
verhastet worden.

Nach der „Kölnischcn Ieitung" aus Honnef ist die Ver-
baftung des hiesigen Oberbürgermeiflers durch dessen standhafte
Wcigerung veranlatzt worden, die jZustöndigkeit Lcr Nheinland-
lommisston für den nichtbesetzten Teil des Nheinlandes, zu dem
Honnef gehört, anzuerkennen und der genannten Stclle die von ihr
verlangten Verzeichnisse auszuhändigen. — D!e „Kölnijche Zeiting"
meldet: Jn Dortmund-Ärakel ist der Polizeikommiss-ir
Wutle von den Franzosen verhaslet worden, anscheinend weil in
der Nachbarschaft des Polizeigebäudes die französtsche Fernsprcch-
leitung unlerbrochen ist. Wutke ist nach Castrov geführt wiirdcn,
wo er kiirzlich wegen Eehorsamsvcrweigerung bereits zu einem
Monat Eefängnis verurteitt war. Er hat diese Strafe bereits ab-
geseffen.

Anspach nachweislich franzöfischer Splon.

Berlin, 9. April. (Eig. Drahtm.) Die llntersuchung gegen den
Fälscher Anspach tst jetzt abgeschloffen. Sie hat ergebeu, dotz
Ansxach im Dienste der französischen Spionage ge-
standen hat, und datz er dem französischen Eeneral Lefevre
eino Ncihe von Dokumentcn ausgeliefert hat. Ansxach wird sich in
allerlürzcster Zeit vor dem Landgsricht Berlin III wegen
Spionage zn verantworten haben. Die Meldungen, datz Anspach
sich auf frciem Futz Lefindc, sind durchaus unwahr.

„8! bis iäem."

Jn Watt« nscheid ist von der Desatzungsbehörd« vor efnigen
Tagen ein Wcgweiser auf blauem Ernnde mit weitzer Schrift an-
gebracht wordcn. Vergangene Nacht war der Wegws ser mit dunkler
Farbe überstrichen und dadurch unkenntlich gemacht. Die sranzö-
sifche Besatzungsbehörde drohte aus diesem Grunde sowohl gcgcn dcn
Bürgcrmeister als gegen die Stadt Sanktionen an. Die Fran-
zosen überstreichen in Vochum jetzt die deutscherseits angekleblen
Flugblätter mit Teer.

Moralische LeistungsfähiM.

Eerade jetzt, wo das Rexarationsproblem wieder einmal end-
gültig gelöst werden soll und die politischen Medizinmänner des Au»-
landes darüber streiten, wieviel man noch an Vlutetropfen aus dem
kranken deutschen Volkskörper herauspreffen könnte, um ihn gerad«
noch „lebensscihig" zu erhalten, verösfentlicht das statistische Reichs-
amt eine Schrift, die so zeitgemätz wie nur möglich ist. „Deutsch-
lands Wirtschaftslage unter den Nachwirkungen
des Weltkridges" heitzt die kleine Schrift, die sich vorteilhaft
abhebt von den sonstigen amtlichen Dokumenten. Sie ist kurz, iiber-
sichtlich, erdrückt nicht durch ein wirres Zahlenmaterial und durch
bürokratisches Deiwerk, sie gibt ein knappes und in dieser schlichte«
Knappheit erschütterndes Bild der wirtschaftlichen Nöte, in die
Deutschland durch den Eewaltakt von Versailles hineingeratcn ist.

Wir wiffen ja in Deutschland noch immer nicht, was uns Lc.H
Diktat von Versailles an Verpslichtungen auferlegt hat, wiffen viel
zu wenig von den Opfern, die wir bereits gebracht haben und die noch
in Zukunft verlangt werden, und selbst unter den politisch Interessicr-
ten herrscht eine beschämende Unwiffenheit über Dinge, die eigentlich
jedem Deutschen Eemeingut sein sollten. Denn nur, wenn wir wiffe«,
wie es um uns steht, wenn wir zu beurteilen in der Lage sind, uias
wir leisten können, was nicht, vermögen wir die innere Krast des
Widerstandes zu finden gegenüber Forderungen, die in so geradezu
groteslen Uebertreibungen nur Leshalb aufgestellt werden, weil das
Ausland von der wirtschaftlichen Lage Deutjchlands ein noch pkel
schieferes Vild hat als wir selber. Es gibt gewiffe Tatsachen, ge-
wiffe Zahlen, die dem Hirn eines jeden Deutschen eingehämmert wer-
den mützten, die er immer gegenwärtig haben sollte, da ste das un^
umgänglich notwendige Rüstzeug bilden für den Kampf. den wir für
den Fortbestand unserer wirtschaftlichen und nationalen Selbständcg-
keit noch durchzukämpfen haben.

Das Ausland betrachtet Deutschland noch immer mit den
Augen von 1018. Es hat von Deutschlands Widerstandskraft und
Leistungsfähigkeit die lächerlichsten Vorstellungen. Man hat, wi«
das ganze Eeschrei um die sogenannten „Sicherheiten" Frankreich»
Leweist, militärisch zu uns immer noch ein Zutrauen, das — leiderl
— sogar nicht gerechtfertigt ist, sonst würden wir den Drutalititen
an der Ruhr wohl nicht mit so ohnmächtigem Zähneknirschen zusehen.
Und man hat rein wirtschaftlich zu uns ein Zutrauen, das ebenfalls
jedes Matz überschreitet, wie wir immer von neuem sehen können,
wenn vom Ausland her Summen Lber die angebliche Leistungssäyig-
keit Deutschlands genannt werden, die bei jeder nüchterneti Prüfung
stch- als wirre Phantastereien herausstellen. Nein, Deutfchland ist
heute nicht mehr das Land von 1913. Heute ist Deutschland ein Land,
das stch von der Erschöpfung nach einem vierjährigen Kriege noch
bei weitem nicht erholt hat, ein Land, das eine Staatsumwälzung
mit allen ihren wirtschaftlichen Störungen noch überwinden mutz,
ein Land, das dem Diktat eines vernichtenden Friedensvertrages aus-
gesetzt ist. Es wird immer noch zu wenig beachtet, dah Deutschland
nach den Derlustposten, die ihm Versailles auferlegt hat, eigentlich
nur noch einTorso von dem Deutschland vor dem Kriege ist.

Es wird immer noch zu wenig berücksichtigt, datz Deutschland
mit den Ländcrn, die es auf Erund des Bertrages von Versailles ab«
treten mutzte, ein volles Achtel seiner Fläche (über siebcn
Millionen Hektar) und rund ein Zehntel seiner Bevölke-
rung (sechseinhalb Millionen Einwohner) verloren hat. Mit die-
sen Abtretungen ist die Basis, auf der stch die deutsche Volkswirtschaft
vor dem Krieg entwickelt hat, zerstört worden. Deutschland hat die
besten landwirtschaftlichsn Ueberschutzgebiete abtreten müffen, es hat,
obwoyl als Jndustrieland auf Nohstoffe angewiesen, ein Viertel bis
drei Viertel der wichtigsten Rohstoffe verloren, und es hat nahezu
seinen ganzen Autzenhandelsapparat einschlietzlich Flotte und Kolo-
nien umsonst hergeben müffen. Zu diesen Verlusten durch Abtretun«
gen kommen die Verluste in den besetzten Eebieten und dem Ein-
bruchsgebiet. Jnsgesamt ist auf Erund des Versailler Vertrages
ein Eebiet von dreieinviertel Millionen Hektar mit einer Bevölkerung
von sieben Millionen Einwohnern Lesetzt. Wenn man Lazu noch das
Ruhrgebiet und das Saargebiet rechnet, so ergibt sich die unae-
heuerliche Tatsache, d!e sich jederDeutschc gerade jetzt
jeden Augenblick vorAugen halten sollte, dah heute, vier
Iahre nach Kriegsschlutz, etwa zwölf Millionen Deutsche,
also rund der fünfte Teil der gesamten Reichsbevölkerung, das Ioch
fremder Befatzung zu ertragen haben.

M!t diesem Verlust an abgetretenen Eebieten, mit dieser Faust
im Nacken in den besetzten und Lberfallenen LanLstrich>.n nerden
Deutschland Entschädigungen zugemutet, die die Kraft des unver-
sehrten und innerlich gesunden Volkskörpers kaum wllrde ertragcn
können. D!e Eebietsabtretungen haben eine Schmälcrung uns'rer
Ernährungsbasis zur Folge gehabt, über die man sich auch
zillneist nicht klar ist. Man mutz bedenken, datz schon vor dem Kriege
Deutschland für ein Fünftel'seiner Bevölkerung Lebensmittel aus
dem Ausland beziehen mutzte. Da wir jetzt gerade eine Reihe der
landwirischaftlich ertragreichsten Eebiete abtreten mutzten, ist Deutsrh-
land in noch stärkerem Matze als vordem auf die Nahrungsmittel-
einfuhr angewiesen. Weit verhängnisvoller aber für die Leistungs-
fähigkeit ist Dcutschlands Schmülerung der R o h st o f s ba s i s durch
das Versailler Diktat. Elsatz-Lothringen ist uns verloren gegangen
und damit elne Produktion an Eiscnerzen, die volls zwanzig Prizent
der Erzproduktion von ganz Europa ausmachte. Das östliche Oüer-
schlesten ist uns verloren gegangen und damit eine Produktion an
Zink- und Bleierzen. die sogar 31 Prozent der gesamteuropäischrn
Produktion betrug. Auch das sind zwei Zahlen. die man stch immer
wieder ins Eedächtnis zurückrufen mutz, um zu erkennen, was d»r
Verlust dieser Länder sllr uns und unsere -Leistungs,.„,.g?eit be-
deutet. Was es mit der Kohlennot auf stch hat, die durch d'.n
Derlust Oberschlesiens, die Entziehung der Saarlohle und die Nepa-
ri^tionslieferungen verjchuldet ist, können wir täglich am eigcncn
 
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