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Badische Post: Heidelberger Zeitung (gegr. 1858) u. Handelsblatt — 1923 (Januar bis Juni)

DOI Kapitel:
Nr. 1 - 30 (2. Januar 1923 - 31. Januar 1923)
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https://doi.org/10.11588/diglit.15611#0045

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i, Zahrgang - Sr. s

Die .Dadische Poft* rrscheint täglich sauch Conntags) vorniittage, also stebenmal
«öchenilich und lostct srei In, Hau» zugcstellt monatlich 1LN0 Ml, durch die Post
monatlich 1N« MI^,u,IigItch Istga Mk, «estell ed, Etnzelnummcr 80 M!.

Heidelberger Zettung

(Gegründet 1858)

und

Handelsblatt

A.'er-sW, s, Zamar isrs

Anzetgenprets: di« LS wm bieito NonparetllezeUe 4U Mt, Famtlicn-, Vrreins-
und Kletne Anzeigen nach bcsondsrem Tarif, Neklamc»: dte 88 nlm breite Nonparcille-
eile LVÜ Mk. Bet Wiederholungen und Leilenanschlüssen tariflicher Nachlag.

Bcrantworuich für den gesamten tcxtlichen Teil Adols Kimmtg tn Aeidc bcrg. üernruf drr ReLaktion: Keidelicrg 8S,
dprechstunde der Schrtsllcitung vorm. Il-IL Nhr, Berltuer Bertretung: Berlin LVV 48, Zimmerstiatzs Nr, S.
^ernrus Amt Zenlrum Nr. 418. Münchencr Bertretuug: MLnchen, S-orgenstrase Nr, 107. Fernruf Nr. S1SS7.

Fiir Anz-igen, Nellame.t und geschäftlich» Beilagen vcrantwortlich Aifreo Schmitz tn Hcidetberg. Fernrus 88

Berlag: Aeidelberger V-rlags-nstalt und Druaeret S, b. «. H, Heidelberg. K a upt» ra 8 e 28. -
P-srsch-aionto Karlsruhe Nr, 18808. - Drull von I. G. S-ltzwart, Nachf, T. m. b.H„ Franlsur« am Mak«

st Der Vesatzllngswchnsinn.

» Die im besetzien Rheinland liegende Entcniearmee hai eine
L'Srke von vngesähr 14Ü00» Mann, die sich auf 228 Oitc verteilcn.
j^Mgegenüber berrug die Eesamtstärle der vor dem Kricge in dcn-
^ben Eebieten liegendcn deutschen Earnisonen rund 70V6Ü Köpfe,
in 28 Orten parnisonierten. Zu Ler eigentlichen BesatzUngs-
?r>Nee kommen noch die sehr zahlreichen Aamilienange-
?,°rigen (mit teilweise recht weitläufiger Berwandtschaft) und
i'? Mitglieder der svgenannten R h« i n l a n d ko m m i ss i o n, di«
M 1800 Köpft umfatzt, trotzdem sie auf Grund des Rheinlands-
Mmnmens nur vier Mitglieder Khlen dürfte. Nach Anaabe der
Mtjchrjft „Wirtschaft uno Statistil" betrugen die ron den Bs-
?Mngsmachten aus Kosten Deutfchlands gemachten Nettoausgaben
zum 80. April 1822 3.4 Eoldmilliarden: bis En-de 1922 werden
!'Her noch 400—500 Eoldmillioncn dazu gekommen sein: autzerdem
N? noch die sehr erhcblichen Beträge zu bcrücksichtigen. die das
??lch in Eestalt von Vorschüklen. Dauten, Verpflcgung, Transporten
zur Verfüflung zu stellen hat. Insgeiamt können die Aus-
Wen für die Rhein-Tesatzung bis Ende 1922 auf rund 4,5 Eold-
^»liarden geschätzt werden. d. h. aus einen höheren Betraa als
^ französische KrieflsentschLdlgung von 1870/71. Zu der sichtbaren
^lasiunfl kommt noch-eine unsichtbare. Diese Lrückt sich vor allcm in
,^r Entwicklung der Wohnunasnot im besetzten Eebiete aus
!?wig jn der Lort herrschenden Teuerung. Wie sebr diesc die
^anziellen Mittel des Reiches, des Eewerbes und der einheimischen
^vöikerung belastet, maq zeigen, dag allein der Aufwand an den
Reich und Len Ländern an die Staatsbeamten und Arüeiter
^währten Besatzunqszulagen für 1922 mindestens 10 Pa-

'erinilliarden ausmacht.

Jm unbefetzten Ecbiete sind di« Kontrollkommif-
vnen und die Reparationskommisiion. Letztere erfordert zurzeit
Men Aufwand von 5 Millioncn Franken monatlich. Auf das Iahc
^gerechnet eraibt stch eine Summe von 85—40 Milliarden, d. b.
^llefähr üie Hälfte des Detrages, d«n Las Reich nach d«m Stand
jvn Ende Novcmber 1922 für die Vesolüuna seincr 90 000 Beamten
allgemeinen Reichsverwaltung aufwendet. Bei der Bezahlung
^r KontrollkotnmisiionsmitflUeder ist zu unterfcheiden zwischen
°rren «igentlichem Solo, der in Heimatswährung ausgezahlt
^'rd, und zwischen den von Deutscsiland aufzubringenden Verpfle-
^Ugszulagen, den Unterbringungskosten, Fretfahrten usw. Abge-'
st.hen von dem eiflcntlichen Sold, machten allein die Zulagen,
^ in den letzten Rtonaien auf Las Sfache erhöht worden sind, nach
?rin Stand vom November aus das ganze Jahr umgerechnet

Deutfchland aufzubringen
und an Zulagen nach dem Siand von Anfang Dezember ein
-^r Kontrollkommission angehörender General einen baren Iahres-
"etrag von rund 80 Millionen Mark, während sich ein einfacher
Tklifcher Soldat mit 5 Millionen „begnügen" mußt«. In derselben
«eit bezog der Reichskanzler 8,5 Millionen und ein Reichs-

Mtzister 2,9 Millionen Mark. " - ' - - - -

,^2lt also nicht einnml dcn
("Nlmens,

Der höchste Keutsche Reichsbeamte
zwanziflsten Teil des Eeneralsein-
währcnd ein deutscher Minister ungefähr die Hälfte
einfachen «nglischen Soldaten bezieht. — Und da
LUndert sich dte Entente, wo die von Deutschland gezahlten
^evarationsl«istungen bleiben.

>>

Ser Mrsch an die Ruhr.

Poiucar^s Kriegsoorbereituugeu.

Do» unserer Verliner Redaktion.

Berlin, 8. Januar.

». Aus DLsseldorf wird berichtet, datz dort die ersten zur
LUrchführung der Sanktion bestimmten Truppen eingerückt sind.
'vs sind bis ietzt allerdings erst 1400 Mann, die als Quartiermacher
«edacht sind, und zunächst alle in der Stadt befindlichen Earagen für
militärische Zwecke requiriert haben. Auch eine ganze Reihc von
jmatlichen EebäuLen wurde beschlagnahmt, um bort militärische
«ureaus einzurichten. Es ist serner sür über 800 Offiziers Quartier
Elngefordert worden.

Eleichzeitig wird aus Köln berichtet, datz das Oberkommando
der französischen Besatzungsarmee in Ma. u dem englischen Ober-
kommando osfiziell mitgeteilt har, dah am 15. Ianuar
sranzösische und belgische Besatzungstruppen unter Führung eines
französtlchen Oberbefehlshabers von Düffeldorf in das Ruhrgebiet
einrücken werden und die Städte Essen und Bochum nnt einer
Sicherungslinie besetzen wcrden. Die hierzu ersorüerlichen Truppen
werven zunächst besteyen aus einem französischen und einem belgischen
Infanterie-Regftnent zusammen mit der notwendigen Artillerie und
Kavallerie, die den in den Rlchrhäfen stchenden französischen und
belgischen Kontingenten entnommen werden. Ferner sollen noch
Teile der französischen Rheinarmee aus der Gegend von Mainz und
Wiesbaden vom 15. Ianuar ast gleichfalls für den Abtransport nach
dem Ruhrgebiet bereitgestellt werden, füi den Fall, datz eine wei-
1 ere Ausoehnung der Vesetzung oder eine Verstärkung dcr im
Ruhraebiet eingerückten Truppen sich als notwendig erweifen follte.
Eleichzeitig mit der militärischen Besetzung der Städte Esien und
Bochum wird auch etne Abteilung französtfchcr Eendarmerie dort
einrücken. Das französische Oberlommando hat das englische Ober-
kommando für den Fall, datz eine Verstärkung der französischen und
belgischen Truppen im Nuhrgebiete sich als notwendig erweisen sollte,
schon jetzt gebeten, alle Matznabmen zu trefsen, um einen ungchindcr-
ten und schnellen Transport dieser Truppen auf den durch die eng-

"" -».7.-.- -» --... r-und

> f e g

ziere follen schon' jetzt in den Bezirken um Solinaen die entsprechen-
den vorbereitenden Matznahmen treffen dürfen. Das cnglifche Ober-
kommando hat auf diese franzostsche Bitte geantwortet, daß es zu-
erst die Eenehmigung derbritischen Regierung em-
holen müsse, und das französische Oberkommando vor dem Einaang
dieser Eenehmigung aufkeine n F a l l mit einer Erfüllung seiner
Ditte rechnen dürfe. Es hat gleichzeitig oe^ten. um alle möglich-n
Zwischenfalle zu vermeiden, auch von einer Bes-tzunq der den engi^
stze» Besatzungsorten vorgelagcrten Eebietcn Abstand zu nehmen.

Die sranzösische Arnieeleitunz will jetzt im Verein mit der belgischen
alle Matznaymen treffen, um einen Transport von französifchen Ver-
stärkungstrnppen von Mainz äus auf dem Wege durch die Eifel
über Düren—Rheydt nach Duisburg vornehmen zu können. Zn
Duisburg selbst machte sich Lie bevorstehende Ruhrbesetzung bereits
bemerkbar. Auf Grund emes Befehles der dort besindlichen Be-
satzungsbehörde müssen auf dem Bahnhofe in Duisburg grotze Ver -
laderampen hergestellt werden.

lleber den Umfang der geplanten Besetzung liegen aus Paris
Nachrichten vor, denen zufolge der französtfche Generalstab bekannt-
gegeben har, datz alle Vorbereitungen für den Einmarsch schon jetzt
getrosfen seien, eine grotze Anzahl von Panzerautos sei nach Düssel-
dorf unterwegs, um von dort aus eine schnelle Besetzung von Effen
und Vochum vornehmen zu können. Frankreich weroe für die Aktion
7 Divisionen zur Verfügung stellen, Belgien 2 Divisionen, so daß also
insgesamt 9 Divisionen zur Verfügung stehen würden.

»

Sorge scheint den Pariser Eewaltpolitikern einzig und allein
die Haltuug Eugland»

zu machen. Die blohen Vermutungen der französischekt Presse übcr
die Haltung des engnschen Kabinetts für ven Augenblick, da die
französischen Zwangsmatznahmen im Ruhrgebiet verwirklicht werden,
basieren vorläufig noch auf leeren Eerüchten. Man glaubt, datz das
britische Kabinett erst dann Beschlüsse fassen wird, wenn es die An-
wendung und dcn Charakter der franzosischon Matznahmen genau
kennt. Die englischen Truppen, sowie die englischen Ver.reter in der
Rexarationskommission und der Botschaftertonferenz wcrden nach
einer Meldung des „Matin" auf ihren Posten verbleiben. lln-
schlüssig scheint stch die englische Regierung abor noch darüber zu sein,
was geschehen soll, wenn die Franzosen vas neue Zollregime
in den Nheinlanden einführen und aufdiese Weise in den enalischen
Verwaltungsüereich eingreifen. Die Situation ist sehr heikel. Die
Engländer glauben, datz Frankreich stch nichi scheuen wird, sich in
Angelegenheiten einzumischen, deren Regclung bisher englischen und
amerikanischen Zollojfizieren oblag.

Nach dem „Temps" glaubt die englische Regierung, die Lage
werde sich allein durch cin Eingreifon der Vereinigten Staaten oder
einer neutralen Macht ändern können. Diefe mützte den Vorschlag
machen, das Reparationsproblem vor den Völkervund zu bringen.
Einstweile» wolle England, in Erwartung eincs Verartiaen Schrittes,
seine Delegierten in der Rexarationskommission und auch feine Trup-
pen am Rheine noch nicht zurllckziehen. Die „Daily News" drückt
die Hofmung aus, datz Frankreich seine Matznahmen gegen Deutsch-
land erst ttach dem 15. Ianuar ergreift. Dann sei ja noch genügend

hmen gegen Deutsch-

^ -^ .—-sei ja noch aenügend

Zeit, um zu üborlegen. Das Blatt ist der Ansicht, datz alle Beschlusse,
die sich auf eine Lorwärtsbewegung von Truppen beziehen, nur im
Einvernehmen mit England und den Vereiniaten Staaten aefaßt
würden. England und die Vereinigten Staaten seten durchaus berelt,
Frankreich ihre Dienste zur Verfugung zu stellen, wenn Frankreich
in letzter Stunde den Entschlutz fassen würde, einen Ausgang zu
suchen aus der Politik des Selbstmordes, die man in Paris
i» der ketzten Zeit getrieben haüe.

Ser Vruch des Versalller Lertrages.

Di« Folge der drohende« Ruhrbesetzung.

Von unserer Verliner Redaktion.

verli». 8. Ia»»ar.

Die Lereits erSrterte Notwendigkeit. lm Falle eines Vorrückens
der Franzosen in das Ruhrgebiet die bishrrigeu deutschen Leistungcn
aus dem Versailler Vertrag eiuzustelle«, gründet sich, wie 'u
Berliner politischen Kreisen verlautct, aus die Lrwägung, datz der
durch die Ruhrbesetzung geschasfeu« Rechtsbruch der Fra»zo,en
den Versailler Vertrag hiusöllig macheu wllrde uud uus darnach
weitere Leistungen uicht zugemutet werden 'önvteu, sodanu vor alle.v
daraus, datz eine Lahmlegung der Zndustrtr im Ruhrgcbiet uns ich
praktisch jede Möglichleit nehmeu würde, den Rahmen «nserer
bisherigen Leistungsfähigkeit Wnftig aufrecht zu erhaltc». Die zv-
ständigen Berlincr Stellen stud gegeuwärtig Lamit üeschästigt, aie
Rechtclage mit alleu Konsequenze» eiues Vormarsches zu prüsen. Die
Auffassung. datz cine sranzöstfche Sonderaktiou als ein schwcrer Rechis-
bruch angcsehen werden mutz, bestätigt stch dabei uach jeder Richtuug.
Die Reichsrcgicrung ist fest entschlossen, aa dem bisher elugenom-
menen Standpunkt, die von Paris angeregteu deutsch-sranzöstschcn
Souderverhandlungen abzulehneu. sestzuhalten. Sie
sindet in dieser Ablehnung in der gesamten Berliner Presse oolle Zu«
stimmung. Ju allen Blättern kommt zum Ausdrnck, dah die Be«
setzung Essens das ungeeignetste Borwort sllr die Erösfuuug
einer direlten Aussprache sein wllrde. Sonderverhandlungeu mit
Frankreich Lber die Reparationssragcu seicu sür die dcutsche Regie-
ruug eine Unmöglichkeit, da laut Friedensoertrag nur die Eesamt,
heit der Entente als Verhaudlungssaktor iu Frage komme. Eegcn
die Bcsetzung Essens, die eiue Bergewaltigung des Versaillcr Ber-
trags sein würde, habe das entwassnete Deutschland kein anderea
Mittel als das des Protestes, wooon es auch Eebrauch wachen
werde. Uebrigens hosse man, datz Frankreich selbst sehr bald zu der
Einsicht gelange, dah de.artige Ecwaltmittel am allerwenigsten ge«
eignet seien, um Rcparationen zu crhalten uud die zerstörte« sran-
zöfischen Eebiete wieder auszubauen.

Zn der Mittwoch-Sitzung des Auswärtige» Ausschusie»
des Neichstages dürste fich der Reichskauzler cingehend llber
den Stand dcr Reparationsfragr, Lber die Pariser Konserenz und die
drohendcn französtschen Zwangsmatznahmen äutzern. Man nimmt an,
dah die Aussührunge» des Kanzlcrs aühen- und inncrpolitisch von
brsonderer Vedeutung sein werden, da der Kanzler bei dicser Eclegen«
heit deu Inhalt der deutschen Vorschliige erläutern und die
Erundzllge sciner Politil darstcllcn wird, an d e er di > Weitersiihrung
der Reichsgpschäste durch sein Kabiuett knüpseu wird. Jn politischen
und wirtschaftlichen Krcise« beurtcilt ma» Kie Lage als durchaus
crnst. aber, Las mutz betont werde», mit kcmerkeuswerter N u he.
Besouders von deu der Rcichsregierung nahestehenden Partei«
führern wird erklärt, datz das Versahren des Kabinctts Cuno gegen-
über der Pariser Konferenz und die drutsche« Vor,^läge in unsercr
Lage das einzig wögliche geweseu sei.

Sik Kugeln gegen Raschm.

Jn dem Augenblick, da der tschechoslowakische Finanzminister
Raschin in der Zitnagasse zu Prag seinen Kraftwagen besteigen
wollte, krachten zwei Schüsie. Eine Kugel drang bis ins Rllckenmark.
Sollte Raschin mit dem Leben davonkommen, so dürfte er wohl ein
Krüppel bleiben. Täter ist ein gewisser Soupal, ein Tscheche, noch
kaum 20 Jahre alt. Was ihn zu der Bluttat veranlatzt haben könnte,
liegt noch nicht klar zutage: nur in allgemeinen Umrisien sagt der
Täter, er sei mit der politischen Haltung Raschins nicht einverstan-
den gewesen. Man ist im Augenblick noch auf Mutmaßungen ange-
wiesen.. Vielleicht datz Raschins Politik, wie über so viele, so auch
Lber Anverwandte des jungen Täters Not und Elend gebracht hat.
Es könnten ja seine Verwandten unglückliche Besitzer von Kriegs-
anleihe oder vom Beamtenabbau betroffen worden sein. Es besteht
also die Lstöglichkeit, datz die Verzweiflung, die heute wie ein graues
Eespenst durch dieses sonst von dcr Natur so begünstigte Land schreitet,
dem Täer den Browning in die Hand gedtückt hat. Absr noch eine
andere Möglichkeit besteht. Raschin hat sich mit den Legionären
überworsen. Jn Legionarsversammlungen wurde der Stab iiber ihn
gebrochen und ihm die Fehde angekündigt. Möglich nun, datz der
Attentäter, wenn auch nicht selbst Angehöriger einer Legionärs-
gemeinde, im Einverständnis mit einer solchen gehandelt hat oder
aber auch ohne dieses Einverständnis zum Rächer der beleidigten
Legionäre wurde, in denen er, wenn auch fälschlich, die Retter seines
Vaterlandes steht. Es ist auf jeden Fall bezeichnend, datz der Täter
aus der Staatsnation hervorgegangen ist und nicht etwa von
einem der Minderheitsvölker gestellt wurde. Unter der Raschin-
schen Politik hat, wie wir so oft dargelegt haben, vor allem das
deutsche Volk gelitten. Seine Vertreter haben daher mit aller
Schärfe diese Politik bekämpft. Aber niemand aus ihren Reihen hat
glücklicherweise zur Wasfe gegriffen und ein Gewaltsystem mit Ee-
walt bekämpft. Sie haben sich immer auf den StanVpunkt gestellt,
datz der Browning nicht in das Arsenal der politischen Waffen ge-
hört. Mag auch in Raschins Person das Eewaltsystem des tschechi«
schen Staates seine schärfsten Konturen gefunden haben, so ist doch
dieses System mit der Existenz des tschechischen Staates ursüchlich
verknüpft und keine Tat gegen einen einzelnen kann an diefer Tat-
fache etwas ändern.

Selbst der ärgste politische Eegner Raschins wird ihm zu dem
Unheil, das ihn betroffen hat, menschliches Mitgefühl nicht verwei«
gern. Raschin war unzweifelhaft einer der bedeutendsten Köpfe im
tschechifchen Lagor. Jn ihm und Kramarsch hat der tschechische Natio«
nalstaat seine gcwaltigsten Anwälte gefunden. Brutale Rücksichts-
losigkeit hat Herrn Raschin sowohl als Finanzminister als auch als
Parlamentarier' ausgezeichnet. Er war ein Mann, der den Mut
besatz, über Leichen zu gehen. Tränen von Witwen und Waisen, di«
Dernichtung Hunderter von Existenzen, die Verzwciflung der Staats»
angestellten, aber auch die trotzige Drohung der Legionäre lietzen ihn
kalt. Durch keinerlei Stimmungen wurde di« Magnetnadel seine»
Wollens von ihrem Ziel.abgelenkt. Er ging unbeirrt seinen Weg,
sei es, datz er diesen Weg als im Jnteresse des Staatswohles für
geboten erachtete oder nur im Jnteresie des mächtigen Zivnokonzerns,
desien Repräsentant er war. Die Zeitungen meldeten mit einer ge-
wissen Eleichmätzigkeit da und dort von Selbstmorden wegen Nicht«
einlösung der Kriegsanleihe., Raschin zuckte nicht mit einer
Wimper und blieb starr auf seinem Erundsatz, die Kriegsanleihe
wird nicht eingelöst. Gleich zur Begründung des Staates wagt»
er ein finanzpolitisches Husarenstllckchen. Er führte die Noten«
abstempelung mit einer Mprozentigen Vermögensabgabe durch.
Er kümmerte sich nicht darum, datz dsn Bewohnern dieses Staate»
die Hälfte ihrer Sparpfennige mit «inom Federstrich entzogen wurde.
Tausende von Beamten und Staatsangestellten werden abge»
baut, Flüche sallen wie blutige Rosen aus den Weg Raschins. Doch
er geht ihn weiter. Die künstlich emporgetriebene Tschechenkrone be-
gann vor kurzem zu stnken, da zieht Raschin das Netz der Devisen-
verordnungenan. Er xariert den Schlag durch einen Eegcn-
schlag. Drei Menschenleben hängen daran, Raschin aber triumphiert.
Die Staatsangestelltenverbände, auch die tfchechischen, die Legionär-
geineinden, die Kriegsanleihebesitzor, die Kleinrentner, die Minder-
heiten, sie alle waren voll Empörung gegsn seine Politik. Ihnen
allen trotzte er. Vei den letzten parlamentarischen Abstimmunae»
löckten tschechische Sozialdemolraten, tschechischs Nationalsozialiste*
und Leutsche Sozialdemokraten wider die Raschinsche Diktatm. Der
Herr Finanzminrster, in Wirklichkeit der Diktator in diesem
Staat, schlug jeder Oppofition den Kopf ab. Er blieb Sicger. Sein
hochfahrender Eeist, der ihn alle Eegner verachien lietz, bewog ihn
füin?rzeit, in einer Parlamentsaussprache den parlamentarischen An-
stand aus das gröblichste zu verletzen und den Deutschen die.Zunge
entgegcnzubleäcn.

Das ist das Vild der Raschin'schen Tätigkeit. Es weist nur
schroffe, kantige Linien auf, ist an keiner Stelle auch nur durch einen
Hauch vvn Äntimentalität gemildert. Das Staatswohl ging
nach Raschin über alles. Diesem Erundsatz gegenüber hatten
Einzel- wie Derufsinteresien zurllckzutreten. Aklerdings behauvtet
man, Laß Labei Raschin das Jnteresie des tschechischen Finanz-
kapitals mit dem Staatswohl gleichgesetzt hat. Die Schüsie von
Prag cbii.so wie die Schüsse von Warschau und auch die oon Berlin
beweisen, datz sich Mitteleuropa noch immer in einem gärenden Zu-
stand besindei. Eines aber haben die Prager Schüsie vor allenz
widcrlcgt: Die Fabel von der Konsolidierung des tschechoslowakischen
Staatswesens. Eine gewitterschwüle Luft lastet über der „Eesko-
slowenska republika". Sie mutzte zur Entladung fiihren. Jn einer
Weihnachtsbetrachtung schrieb der „Slovak", „dann würden auch in
der Slowakei Niewiadomstis (sg heitzjj der Mörder.des pplnlschß»'
 
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