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Badische Post: Heidelberger Zeitung (gegr. 1858) u. Handelsblatt — 1923 (Januar bis Juni)

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Nr. 90 - 118 (1. April 1923 - 30. April 1923)
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https://doi.org/10.11588/diglit.15611#0651

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Mrgang - Ar. ioa

Post- lrscheint wLchentl. siebenmal. ikel a en: DtvaskaNa Nsonnt-s —

^nverlan^. "«^latt<?kreitag,> - Lltrratnrblatt — votbschuibrilagr<mon-tIichl.
^ nore Beitrüae okne Verantworlnng. Rüchiendnna nnr. wenn Porto beilieqt.

Heidelberger Zsitung

(Gegründet 1858)

und

Handelsblatt

Mtwoch. den 18. April 1S2Z

Hailptgeschältr telle u. Schristleitg. der.Badischen Post'Heidelberg.Hauotstr. 23. Fernspr.:

Nr. 18L Berliner Verlrelung: Berlin 8VV 48. Zimm-rstr-z- g, Fernlpr. Zentr. 41S.

Münchner Vertrctung' München, Keorqen tr. 1»7, Fernspr. 3lOS7._

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Abü^.^ElUgsoreis der .Bad. Post' Mk. 4l»V — iausschl. ZustcUgcbühr» Sewstabhol. Vtl. 3330.—. Llusland Mk. 8ÜU0 — I 'lngetaenvreise: die41 wm bleits No:>paretllslcile kostet: lolale StellenzesuH: Mk.83.-, ll-Gelcgenheitsanzeigen Mt 1Ü3

«ahlen m "erü, nur bir zum L. jed.Mir angenomm n. Am l «.S.noch gelief, Z-itnngen stnd nach d.Einzelverkaufrprei, ,n be> ! Familicnanzeigen Mk 80.—. Veschästsanzeigen Mk.175.-,Fin»nz- und Industrisanzeigen Mk. Söil.-.mit Plahvorschrist und
^^^Ein»lnumm«rMk^7i»-^ftdsrZeltung^nErsch^in-n^rhinLert^-steht^ke>n^lnspr!lch^nfEn^ MontagrMk. lst.—mehr. Dle 98 mm breite Reklame;cl!ekostet Mk.6stst.—, Anzeiren und Reklamen von aurwärts 25°/» höher

Die einseitige Rheinlandkommission.

deutsche Oberkommissar wtrd nicht mehr zugclasse«.
Vdn unserem 8 - K o r r e sp o n d e n t e n
- Parks, 17. Aprll.

* ° «r iü*r, °?"Eur Havas berichtet aus Koblenz: Die Rheinland-
-eq » 'lion hat anter dem Vorfitze »on Tirard beschlofie«,
lli-.^"^kchen Oberkommissar in dicser Kommissio»
terux, zuzulassen, da seine Tätigkeit nicht zur Erleich«

>>l,r Anordnnngen dieser Kommisfion diene, sondern dah er

Olch .'""oliche tne, um de« Widerstand dcr dcutschen Beamten
?°Ulm!ik Eer anzustacheln, und nm die TSti^keit der aenannten
«iyts» W crschweren «nd zu verhindern. Diesen Ausschluh der
Aertreter hatte Tirard schon vor drei Iahre« beantragt,
«iz . kderholt wurde er auch angedroht, insbesondere im Mai 1921,
" Reichskommifiar v. Starck davon verständigt worden war,
Zv«e werden wiirdc, wenn er fich in der französtschen

Fjj, ,. liehe. Daraus reichte dieser seine Drmisfion ein und
ltiinlh. Hatzfeld wurde sein Nachsolger. Aber dieser Erncnnung
lchieh.^" ^'e belgischen nnd franzöfischen Delegierten nur unter ver-
^edingungen zn. So muhten die gcheimcn Kesellschaften
Ü^Pste welche oegen den Einfluh der Besatzungsbehörden

ltih die vor den Militiirgerichten angeklagtcn Personen, dke
^deg ""besctzte Dcutschland geflüchtet hatten, muhten ausgelicfert
' "te Eeldstrafcn, welche von den alliierten Militärgerichten
»lehx ^ °worden find, durften oon da ab den Berurtcilten nicht
dlissgE "^ch die Rcichsregierung ersetzt werden, und der neue Kom«
!°tavlin "^te fich vcrpslichtcn, die Arbeiten der alliierten Ober-
r de erleichter«. Tirard beschwert« fich wiederholt, dah

^ltrn ^ E» Vedingunge» vo» der deutschen Reichsregierung einge-
*«gjr» lei, ""d seit dret Monaten habe die Reichs-
laaar offen alles getan. um dte Beam-
^^te, ^rbetter der Rheinlande und des Ruhrge»
R^chen di« Befatznngsmächte anffäfsig ,«

^^"«dnu Entgegen alleu bisherigen Eepslogeuheiten wnrden die
""8eu der Reichsregierung der Rheinlandkommisston «icht
At ^7,.' Eh« ste in de« Rheinlanden angeschlagen nnd veröffent-
s iN k "> infolg« dieser Berfehlungen befchlotz di«

taadkommlssion mit den belgische» uud de«
'Entzb . ^chen Stimmen. die Bertretung Dentsch-
"'«it,.^ der genanten Kommissioa nicht mehr
'»«zulassen.

Aie Ruhmöte Zrankreichs.

sranzöfisch-belglschen Beratungen im Ruhrgebiet.
unserem U-Korrespondenten.

Paris, 17. April.

^ b-s.!??'t°ralstabschef Buat. dem Eeneral Degoutte und
d."tira Eeneral Rouquoz sine Besprechung statl, die bis

Es hanLelte stch insbesondere darum. die Frage
h»^ia-u orkung der Truppen sowie deren Aufteilung zu
L, beioir^^ichtige Beschlüfie wurden gefatzt. die der französischen
N»'chzeiiRegierung zur Ratifizierung vorgelcgt werden sollen.
^^vlin'n and eine Besprechung zwischen dem franzofischen

MhssjE'aister Delasteyrie, dem Kabinettsches des belgischen
Mv^t.'^astdentcn Eutt. den französtschen und belgischen Finanz-

dl'^choMlilen in ver Nbeinlanük-'MmN'ian nnld den N-rirei--''

dj°s„ ^'"richtung der RechnuwgsführuNg im besetzten Eebiet.
stn'Niste.'E Konferenz dauerte bis Mittag. Darauf fuhren alle
. kank ""A Essen. wo eine Zusammenkunft mit Le Trocquer
"rys Minister speisten in der Villa Hügel Loi Eeneral

zv!!,'»rr zj'"'.- winsinoen wird siü) avch der belgische Eisenbahn-
v»s"«n u.ian. Die französischen Ipurnalisten, die die sran-
»l-i, der '"^,u°r. besonders den Arbeitsminister Le Trocquer
^..^nspektionsreise im Ruhrgebiet be-
?ta» 6>aftir!s. liEN trotz aller Schönfärberei zugeben, dah die
^k,»ervinn" . Verhältnisse vielsach unzureichend sind.
8 r n ^ "^rdings vicl Kohle und Koks, aber es müsiten noch
Nian m Anstrengungen gemacht werden. BielleiM
whb^ilanb » "''E des Monats die Menge erreicht haben, welche
an ^ Ruhrbesetzung erreicht habe. Aber es fehle be-
?M»?lle iv "m die Kolile zu schaufeln >>nb sortzuschasfen,

«is'-'lft w-rd Hinsicht das Notwendige aus Frankreich herbei-

d,l. U- tzeli,«»um wenigstens dem dringcndsten Mangel abzu-
^»v"ufanas ^ beklagt sich der Korrespondent des „Intranstgeant".

da d-, "lcht geniigend Soldaten zur Versügung stehen
v°ctd,^ann ui ^l^rgang 1921 nach Haus geschafft werden solle. Man
L zur sranzösische Soldaten. 8000 belqische und 500 Zoll-
trq^^lan d°« ru ll""0 haben. Das sei vielleicht nicht genug, um
* e i "»egnt« Degoutte zu verwirklichen. Der „In-

"dd V. Kob r. ' Eestänldnis, dah man darauf gefatzt se'n müfie,
§be/"K danv sf." d Koksvorräte mehr vorzufinden
^"SU biau» <^rage entstehe, ob man selbst Kohle fördern solle.
"lye man 700 Jngenieure und 100 000 weitze Soldaten.

a ^ ^erlin^ gegen die Kruppdirektoren.

uh 'r il' ^uril. Nach einer Blättermeldung aus Werden
^riid?Uke ^"ern Dr. KruppvonBohlen undHalbach
lchen Ailgclegenheit der verhafteten Direktoren der

rre von dem französischen Unterluchungsrichter ver-

Inommen worden. Die Anklage richtet sich nur gegen drei Direk-
torcn ker Krupp'schen Werle, nämlich gegen Hartwig, Oesterle
und Bruhn, während der vierte Direktor Ritter aus der Haft
entlafien worden ist. Die Liste der Verteidiger wird durch den
Schweizer Anwalt Morteaux, Mitglied der juristischen Fakultät
der Universität Eenf, erweitert. Die Verhandlung soll in der über-
nächsten Woche stattfinden.

Air- -em SmbruMebiet.

Reue Gewalttätigkeiten «nd Willkürakt«.

Eigene Drahtmeldung.

Besetztes Eebiet, 17. April.

Der französifche Frühpersonenzug von Wiesbaden nach
Höchst a. M. LLerfuhr Montag früh 8 Uhr an einem Bahnllbergang
das Einspännerfuhrwerk des Philipp Felte aus Hochheim a. M.
Der Fuhrmann wurde lebensgefährlich verletzt, der
Wagen völlig zertrümmert, das Pferd getötet. Der Fuhrmann
wurde von der Lokomotive noch 150 Meter weit qeschleift und dsinn
von der deutschen Zivilbevölkerunq geborgen. Der Zug setzte uach
Beseitigung der Magentriimmer seine Fahrt fort. Die Franzofen
kümmerten sich nicht im mindesten um den Schwer-
verletzten, sie verlanaten im Eegenteil von den Deutfchen die
sofortige Beseitigung der Wagentrümmer von den Schienen, ein An-
sinnen, das glatt abgelehnt wurde. — Montag vormittag holten fran-
zösische Soldaten aus den Kleiderfpinden der Eisenbahner der
Station Mainz-Kastel sämtliche Kleider und Schuhe,
schleppten sie auf einen Haufen und verbrannten fie. Auch
Aktenstücke wurden auf die gleiche Weise vernichtet. — Aus den
Diensträumen des Hauptbahnhofs wurden Dienstag früh zahlreiche
Akten durch die Franzosen entfernt und auf Lastkraftwaaen fortge-
führt. — Am Dienstag ist durch die Vesetzung der Bahnhöfe Diez,
Nassau und Ems die Lahntalstrecke militarisiert
worden. Vom Bahnhof Diez wurden die deutschen Eisenbahner
verjagt. Der Diezer Vahnhofsvorsteher darf die Wohnung nicht
verlaffen. Die Nachrichtenverbindung von Limburg abwärts ist
unterbrochen.

Die Mllionenräuver.

Franzöfische ,Mahnah>n-n' zur „Deckung der vesatznngskosten''.

Recklinghausen, 17. April.

Am 11. Apri-l drangen gegen 10 Uhr zwei französtsche Zivi-
listen (Kriminalbeamten) in Vegleitung einer bewaffneten Mann-
schaft in die Diensträume der S ta d tf pa rk a ss e und Stadt-
bank und legten den Vetricb still. Im Arbeitsraum der Spar-
kaffe Leinächtigten fich die Franzosen der Arbeitsbllcher der im Be-
trieb Lefindlicken Konten und der Sparbllcher, wobei nach der Lohn-
zahlungsliste sür Eisenkahnbeamte gesucht wurde. Bei der Durch-
suchung der Räume wurden dann auch in Vearbeitung bsfindliche
Ueberweisunaslisten iiber einen Betrag pon 157 356193 Mark ge-
funden. Während ein Franzose den inzwifchen befchlagnahmten
Eeldbetrag in Höhe von 12!s Millionen Mark fortschaffte, blieb der
andere mit der Mache zurück. Vis zur Nückkehr des ersten Fran-
zosen durften die Eelder der Stadtbank nicht berührt
werden. Es wurden dann auf der Stadtbank 30>s Millionen Mark
„beschlagnahm t". Am nächsten Tage erfchienen die Franzosen
zu erneuter Befchlagnahme, die aber wegen Ler geringen an d esem
Tage vorgefundenen Menge an barem Geld untebblieb. Am 13. April
mittags wurden dann noch 108 Millionen Mark aus den Bar-
lbeständen der Stadtbank requiriert, so datz eine Eesamtsumme
von 157 Millionen Mark beschlagnahmt wurde.

Köln, 17. April. Kurze Zeit, nachdem gestern vormittag eine
gröhere Summe Eeldes in di« Räum« der Arbeitslosen-
fürsorge im Kunstgewerbemuseum in Düsseldorf gebracht
worden war, drangen die Franzosen dort ein und nahmen
2M Millionen Mark fort. Der KaMrer und der Listen-
führer wurden mitgenommen. Man suchte sie zu Aussagen zu be-
wegen, lietz si« dann aber wieder srei. Dem Kafsierer legte man
eine französisch geschriebene Erllärung vor, wonach es sich nicht um
Geld der Erwerbslosensürsorge, sondern der Rhein- und Ruhrhilf«
handelp was «r aber nicht gewutzt habe. Der Kassierer, der zufällig
Franzöfisch verstand, verweigerte sei-ne Unterschrift unter dem Hin-
weis, dag es sich tatskichlich um Erwerbslosenunterstlltzungen handele.
Die Franzosen uahmen auch di« Listen der Erwerbslosen und di«
Kartei mit.

Das englische Vudgel lm Anlerhaus.

London, 16. April. Schatzkanzler Valdwin brachte vot dicht
besetztem Unterhaus das erste Budget ein. Er sagte u. a„ das
verfloffene Jahr habe eine dauernde Befferung ergeben. Sowohl der
Innen- als auch der Auhenhandel habe zugenommen.
Die Arbeitslosjgkeit sei zwar immer noch schlimm, sie sei
jedoch zurückgegangen. Die Staatspapiere seien allmählich
gestiegen und ein Ueherschutz von 101 Millionen Pfund ssi zur
Verminderung der Schuld verwandt worden. Die Eesamteinkünfte
hätten die Voranschläge um 3bt Millionen übertroffen. Die
vom Neuarationcgesctz und anderen deutschen Einnahmen
erzielte Summe betraoe 6 800 000 Pfund. In den letzten Jahren fei
die öffentliche Schuld um 209 Millionen Pfund herab-
gefetzt worden. Was die innere Schuld betreffe, so hab« in der
schwebenden Schuld eine Verminderung von 1029 Millionen auf
810 Millionen stattgefunden. Abgesehen von 61 Millionen Dollar
im Zusammenhang mit den Silberversendungen betraoe die enalische
Schuld an die amerikanische Negierung insqesamt 4600 Millionen
Dollar. Für die Amortisation würde er diefss Jahr 40 Millionen,
nächstes Jahr 45 und danach die Höchstsumme von 60 Millionsn
vorsehen. Der Schatzkanzler schlug eine Herabfetzung der
A u s l a n d s p o st a e b ü h r e n ab 14. April vor, ferneic eine Vcr-
Lilliauna fllr Nah- und Ferngespräche ab 1. Iuli und s
eine Herabsetzung des Bierpreijes um 1 Penny fllr das
Print, '

Llm den cheimschen -nfferstaat.

Auf den ersten Blick fcheint der Reisende in ein Paradies zu
kommen, wenn er auf der Fahrt mit Postkutfche uud Strahenbahn i«
der Eifcl und an der Mosel immer häufiger in Dörfer und Städte
einkehrt, die feit Tagen und Wochen keine Zeitungen mehr
erhalten. Der ganze Aerger, den der deutsche Philister dort driiben
überm Rhein empfindet, wenn sein Leib- und Magenblatt nur vo»
ewigen Händeln und allenfalls von neuen Billioncnausgaben des
Reiches zu Lerichten weitz, scheint hier verwunden, und doch bleibt
ein schaler Nest auch bei diesen Bierbankpolitikern zurllck. Was di«
deutsche Preffe uns in ihrer Eesamtheit gerade in tziesen schweren
Iahren geworden ist und heute noch bietet, das wird jedem einzelnen
eben erst dann klar, wenn er den immerhin manchmal zweifelhaften
Eenutz der täglichen Nachrichten entbehren muf;. Doppelt und
dreifach fühlt diesen Mangel selbstverständlich der Schriftsteller und
Politiker, der in diesem Chaos ebenso stark nach Nachrichtsn hungert,
wie während der ersten Kriegstage — nur dasi Zweifel und Herzcns-
not ärger als damals das Lesen verbittern. Auf deutsche Nach»
richtcn und auf Mitteilungen aus der Neichshauptstadt vor allem
muß er also verzichten und neben den allzu üblen „Nachrichten-
blättcrn" der französischen Behörden und Truppenverbände ebcn ein«
fach zu den einzigen Blüttern greifen, die die französijchen
Heeresbuchhandlungen und eifrige Straffenverkaufer seilbieten.
Gcrade dieser Vcrzicht auf deutschc Nachrichten und das' stürkere Ein-
fiihlen in Pariser Denkweise aber mag für die richtige Einstellung
und Beurteilung der ganzen Weltlage um so anregcnder und wich-
tiger sein, und gar bald wünfcht man diefen oder jencn Verliner
Tagesschriftsteller in gleiche Zwangslage, um aus der Eebundenheit
der deutschen „Mentalität" «ndlich herauszukommen.

Erst in dieser Einseitigkeit der französischen Lektüre sieht man so
rccht, wie fest der Elaube und die Forderung der „Sicherungen" vor
neuen „Ueberfällen" Deutschlands in den Köpfen dort cingewurzclt
ist. Bezeichnend vor allem, datz französische Provinzzeitunqen, di«
im allgemeinen di« „öffentliche" Meinung weit beffer zum Ausdruck
bringen, gerade diefes Cchlagwort immer aufs neue aufbringen und
von seiner Verwirklichung ganz selbstverständlich die Begründung ber
rhelnischen Republik in allerkürzester Frist schon erwarren,
Mit vollster Begeisterung wcrden sie die Erklärungen der .Actio«
franyaise" lesen, die die Idee „dieses neuen aus der grotzen Kata-
flrophe geborenen Staates äls einfach und zugleich herrlicb" be-
zeichnet: „Cr wäre Damm und Wall der Zivilisation und der Haupt-
stützpunkt Europas, deffen tausendjährige Kriege dem Rheinlande rie
Rolle des Friedensstifters zuweisen."

Nüchterner schreibt der „Jntranstgeant" von Ende März, daf',
Gegensatz zum Ruhrgebiet im Rheinland doch wenigstens keine vssene
Feindschaft gegcn Frankreich gezeigt werde. Die Hauptsache jetzt und
künftig sei eben, die Stimmung dort durch materielle Vergiinstigungen
zu gewinnen, „damit die Rheinländer einsehen, datz es in ihre'm
eigensten Intereffe liege, mit Frankreich und seinen Kolonien Handel
zu treiben, nachdem Preutzen sämtliche Verbindungen zwischen ihnsn
und dem Rheinlande unterbunden hat. Wir müffen den Nheinlän-
dern entscheidende Vorteile gewähren und ihnen ein gerechtes, cnt-
fchloffenes, aber wohltätitzes (!) Frankreich zeigen". Annektio-
nistische Ziele sinddas beileibe nicht, das hat ja schon
Meister Poincar^ feierlich genug erklärt, wohl aber der vorsich-
tige Beginn einer „Marokkanisierung" des besetzten
Eeblets, Las nur langsam und vorsichtig — ohne Schädigung ins-
besondere der französtschen Wirtschaftsintereffen — zur „Tunifizie-
rung" und schlietzlich nach Iahrzehnten oder Jahrhundcrten wicder
zur Einverleibung sühren soll!

Wieder ist es die Provinzpreffe, die einen schärseren Ton wiinscht,
und, wie etwa der „Eclair de Montpellier", glattweg die Wieder-
herstellung der Lage Deutschlands vor 1866 vcrlangt.
„Warum sollen Dayern, Sachsen, Württcmberg, das Ruhrgebiet -und
das Rheinland," so schreibt hier Herr I. de Morgan, „nicht unter
ihren eigenen Eesetzen blühen können? Allerdings sehen die Eng-
länder dummerweise in der Zerstückelung Deutschlands ein Anwachssn
der Macht Frankreichs . . . Vertrauen wir daher nur auf uns selbst,
aber handeln wir!"

Dies Handeln aber soll, wie «s scheint, die Massenaus-
weisung der Eisenbahnbeamten und Vahnarbeiter aus
dem linken Rheinufer in der Tat nun einleiten, da sonst die brutale
Vertreibung von Hunderten und Tausenden von Familien von Haus
und Hos, wie sie selbst in der tollsten Kriegszeit nicht erhört war,
unverständlich wäre. Als Kern der sranzösischen Ober- oder Schutz-
herrschaft Lber den neuzubildendcn Rheinstaat tritt eben immer
stärker der Eedanke an di« Jnternationalisierung der Bahnen dort
hervor, die durch die Verwaltung einer belgisch-französischen Eesell»
schaft die Kolonisation dieses mitteleuropäischen Marokko iibernehmen
mützte, wie das die Berwaltung der Saarkohlengruben scit mehr
als vier Iahren vorbildlich im Saargebiet besorgte. „Zur
Earantie der Sicherheit, die Frankreich und Belgien verkangen
miissen," so schlietzt daher der „Pe 1 it Parisien" seine Betrach-
tungen, .„gewinnt die Jdee Ecstalt, aus dem cntmilitarisierten linken
Rheinuser und dem gegenüberliegenden rechten Ufer einen rheinischen
Staat zu bilden, qinschlietzlich des Ruhrgebiets, der so grotz wie Bel-
tzien wäre und etwa zehn Millionen Einwohner zählcn würde."
Autonomie, Neutralität und Stelluntz unter den Völkerbund wäre«
dann die Morgengaben der hohen Alliierten siir die befreiten Lande,
„während das republikanische und sozialistische Deutschkand gern zu-
stimmen würde, wcnn dleses Rheinland trotz der militärischen Neu-
tralisierung als Bundesstaat wirtschaftlich und politisch Deutschland
angehörte". — So malt sich in französischcn Köpfen bereits die
LLsung des grotzen Problems, das auch uns im ganzen grotzen Deutsch-
 
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