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Badische Post: Heidelberger Zeitung (gegr. 1858) u. Handelsblatt — 1923 (Januar bis Juni)

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Nr. 1 - 30 (2. Januar 1923 - 31. Januar 1923)
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https://doi.org/10.11588/diglit.15611#0165

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66. Zadrgan- - Nr. 2S

wz»'^d>l4e Vost- crscheint täglich (auch Eonntags) vormittag», also siebenmai

blv» , 6> nnd lostit frei ins Hanr zngestellt monatlich 12VÜ Mt. durch die Post
->>-I!?"ich 1200 Mk. »müalich I0.SU Ml. Bestell-e d. Einzelnummer S0 Mk.

Heidelberger Aeitung

(Gegründet 1858)

u«d

Handelsblatt

LleaStag, Zv. Zamiar isrz

Lnzeigenpreis: die LS mw breite Nonv-reillezeile M Ml . i'°n. Derein»
«nd Kleine «n,eigen nach besonderem Tartf. Rellamen: die g8mn> breIte N°npareille
»il» roo Ml. «ei Wirderholungen und Zeil-nanschlüssen t-rlsticher NachlaS.

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°k>iich fnr den gesamten tcxtlichen Tcil Adols Kimmig in 8-iLe.berg. _

^rn« i>rr Schrisilcitung vorm. 1l-l3 Uhr. Berliner Bertrctung: Berlin
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Fnr Anzeigen. Rettamen und geschLftltche Beilagen v-rantwortlich Atfreo Schmitz t» Hcidetberg. Fernruf SS
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Postsch-alvnt- Karlrruhe Nr.lS90S. - Druck vonJ. (S. S«ldwart,Nachf.. (8. m. b.S., Frantsurt am Main

2

"este

pariser Railosigkeii.

Erruudungsrelse. — Einschüchtetungsversuche der Pariser Presse.

Von unserem H-Korrespondenten.

^ Paris. 29. Januar.

^ °. kranzösische Arbeitsminffter Le Trocquer und Eeneral Wey-

: ">it m^^ten Sonntag abend erneut nach Düsseldorf zu Besprechungen
Degoutte und dem EeneralLergmerksinspektor Toste.
>l>ld ^ Vegleitung befinden sich der Grukendirektor Vuilleaume
, ^Üei, Er Benoist des Eisenbahnerrats. Auch eine Reise nach
vorgesehen. Der Aufenthalt soll bis Dienstag dauern,
L ^Sie», ^ Trocquer nach Brüssel reisen wird, um mit der belgischen

^anzL _,__ ...

d^isfx °?*aph werden kontrolliert, auch Ersatz für die streiksnden
i>ih d!.?, >>t nach Havas schon gekommen. Sollte der Widerstand

"»S zu konferieren.

chis Ausführungen der franZösischen Presse sind im allgemeinen
^rf ^ " pessimistischen Ton gestimmt. Havas lätzt sich aus Düffel-
Hey sp s". daß di« fortgesetzten osfenen Feindseligkeiten der deut-
i<tp.^6ierung «ine neue Taktik notwendig machen, die auf eine
Besetzung des Ruhrgebietos hinauslaufe. Man hält
vi» ^ 'sh weiter an dem Plan fest, durch eine Reihe von Zollschranken
>ih j,^.?°nzusuhr nach Deuischland ganz zu unterbinden. Man ist
d>it j", »o«r klar, Latz dies einige Zeit erfordert, glaubt jedoch stch
Tage mehr dem Ziele zu nähsrn. Havas kündigt an, daff
"'NcarH beabflchtigt, sämtkiche deutsche Eisenbahncr aus dem
Ruhrgebiet auszuweise».

i ^.^»Zösisch« Eisenbahner seien schon im Ruhrgebiet, Telephon

4 diese Matznahmen nicht brechen, so will man die Besetzung
" iZsif- r ausdehnen, da die augenblickliche Stellung der fran-
-^^Uppen eino vollkommene Kontroll« des Ruhrgebietes noch
^ ^ast- Wie die Havasagentur «rfahren haben will, soll man
^ld ^.dsUett an die Besetzung von Welbel, Hamm, Hagen
Ar ^.^rseld-Barmen denken, insbesondere deshalb, um den Ver-
KelrtsL? Lolland zu überwachen. Jn heftigen Drohungen gegen
l r ^ ^rgeht stch auch weiter ganz besonders der Düffeldorfer
-. atter des „Echo de Parie". Die Einkreisung der Rhein-
^it Donnerstag vollendete Tatsache. Wenn man die Ab-
76g ^ T vom Lbrigen Deutschland nicht sofort vornehm«, so geschehe
^»d s,' man «rst die Verwaltung der Rheinlande ganz in die
-" z ^tisra s^">en und die preutzischen Beamten in grotzen Maffen aus-
»L ^stj^-^vlle. Deutschland werde erklärt werden, datz man von ihm
1 sfl yy . Zusicherungen erhalten wolle. Man werde ihm eine Liste
zu leistenden Natural- und Eeldlieferungen übergeben,

^rf u. a. feinen Landsleuten, di« P 0 stbea »
d**che» beschloffen, alle Eespräche in Französff
» ^irdir» Leutschen Beamten hätten an mehr«

?>>tk^ >ichen Kabel. zerschnitten und viele französische Linien
d Als Antwort darauf hätten die Franzosen 165 Linien

-n '^andkabels beschlagnahmt und Matznahmen zur Ver-

s.^°ri:^Ng des Drahtverkehrs mit Hamburg und
, ' Setroffen. Auch im Eisenbahn

l« Di^^^ Sabotageakte Ler deutschen Eisenbahner.

^e», ^ ^anzöfffchen Entstellungen sind natllrlich dahin zu berich-
^§6!isK ° bie vielfachen Störungen auf die unkundigen fran -
Eingriffe zurückzuführen sind und Latz dk« dadurch
, ^tellun Derkehrsunflcherheit vielfach aut 0 matisch Arbeits-
!wte» ^ 3en ausgelöst habe. Die Derbindungen nach dem unbe-
^stört ^^tschiand stnv intakt, dagegen tst Paris—Köln, Paris—Metz
^ve» . E>n Beweis, aus welcher Seite die Ursache der Stö-
in5h*Lak>„r^chen ist. Wer den komplizierten Mechanismus des
kennt, dem leuchtet ohne weiteres ein, datz die Ver-


werden mützten. Ferner soll die Uebergabe der Staats-
Ard^ ^ und eine Beteiligung an der Leutschen Jndustrie verlangt
der Vermögenssubstanz des Reiches mützten Lestimmte
nbgegeben werden. Würde dieser Forderung nicht statt-
» D°, ^rden, so würde das Ruhrgebiet fest eingeschloffen werden

, hnite^ '^nnd wllrde kein Eisen und kein« Kohle mehr
Nritz^ - Diese plumpen Einschüchterungsversuche stnd durchaus un-
das deutsche Volk in seinem Widerstand wankend zu machen.
^ Sehj - Er, Arbeiter und Beamte sie alle wissen genau, worum
^ d«m Kamps an der Ruhr.

Korrespondent des „Matin" in Düffeldorf beschreibt
*r „.- ^^Sanisation dvs deutsche« Widerstands im Ruhrgebiet;

mten in Düffel-

^... Französffch zu unter-
"tei-i^."' die Leutschen Beamten hätten an mehreren Stellen di«

hnbetrieb verzeichnet

ArsstNAtems

^ve» nicht durch Sabotageakte, sondern durch dis unkun-

^8 dr« der Franzosen verursacht werden. Bezeichnend ist,

*>!e» ^>elfach elektrisch bedienten Weichen usw.'mit Brech-
"b anderen Eewaltmitteln bearboitet wurden,

Ein Abwehrgesetz.

Vorbereitende Besprechunge».

^on unserer Berliner Redaktioa.

letzten Tageu habe« wkchttge Berhandkunqen zwischen
, 'Unh^ 'kegierung nnd den Vertreter» der deutfchen Industrie ftatt-
"Udenen vorallenDingcn auch dieBertreter derRuhr-
d« vou^""^ der Ruhrinduftri« teilnahmen. Man beriet
,'Ue tzs-E g»dcr Neichsregierung ausgearbeiteten Eesetzentwnrs, der
t."schlie>,t uutelgesetz darstellt und die oesamten Matznahmen in
, °sse» umlche zur Abwehr der Vesetzung des Ruhrgebietes ge»
sind. oder noch getrossen werden müffen. Man hatte
^^^Nuu^ Absicht, diefen Matznahmen aus dem Wege einer Ver-
L durch de» Reichspriifldenteu gesetzgeüerische Krast zu

Verlin, 2S. Zanuar.

verleihen. doch ist man von diesem Gedanken wieder abgekomme».
Das »euc Eesetz wird bereits am Mittwoch de« Reichswirtschaftsrat
beschäftigen.

Sie Lage im Kampfgebiet.

Der Velagerongsznstand im gefamteu Ruhrrevier.

Eigene Drahtmeldung.

Effen, 29. Ianuar.

General Degoutte hat in «iner neuen Verordnung den ver-
schärften Belagerungszustand über das ganze Ruhr-
gebiet verhängt. Der Verlehr von 10 Uhr abends bis 5 Uhr früh
ist verboten. Eegen jede Agitation der Post-, Telegraxhen- und
EisenkahnLeainteil soll mit Waffengewalt vorgegangen wer-
den. Alle Versammlungen ohne besondere Eenehmigung stnd ver-
boten, «Lenso alls Zeitungen, Zeitschviften, Flugblätter, Theater
oder Kinovorstellungen, die die Sicherheit der Besatzungsbehörden
gefährten. Als Strafen sind vorgesehen 5 Iahre Eefängnis oder
10 Millionen Mark Eeldstrase oder beides. Die Verordnung
ist noch nicht veröffentlicht. Die Veröffentlichung soll durch den
Polizeiprästdenten erfolgen. Die Verhängung des verfchärften Be-
lagerungszusiandes wird von der Besatzungsbehörde mit dem Wider-
stand Legründet, der Ler Angenieur- und Kontro.kommisston durch die
deutschen Beamten entgegengesetzt wird.

Jnzwischen werden woitere Zwischenfälle aus dem alten und
neubesetzten Eebiet gemeldet.

Am Samstag wurde kn Trier ein ans einer Wirtfchast heraus,
treteuder Arbetter vo« einem Marokkaner erfchoffen.

Die Erregung in der Devölkerung über diesen Vorfall ist autzer-
ordentlich grotz. Die Franzosen selbst verschärfen durch ihr Dorgehen
die Erregung der Bevölkerung immer mehr. Jn Essen haben sie
den dritten Teil der dortigen Krankenhäuser LesHlagnahmt. Ls ist
infolgedeffen kaum noch möglich, Kranke unterzubringen. Allein
von den 1000 Betten des Städtischon Krankenhauses haben die Fran-
zosen 220 Betten Besatzungszwecke Leansprucht und weitere 70 Betten
für Votenpersonal gefordert. Trotz des Protestes der Verwaltung
wurd« der Diphteriepavillon requiriert. Weiter verlangen d>ie
Franzosen auch die Hautklinik. Es ist Nicht möglich. all« Kranken
zu entlaffen. Ebenso verlangen die Franzofen, datz die Pavillons sür
Kcharlach, Masern und Typhus geräumt werden. Die Aerzte haben
erklärt, datz durch Lreses Vorgehen schwere Epidemien auf-
treten können und datz die Aerztefchaft döe Derantwortung fllr ein
solches Vorgehen Len Franzosen überlaffen müffe.

Die Stillegung des Eisenbahnverkehrs im alten
und neuen besetzten Eebiet greift immer weiter um sich. Der ge-
samte westdeutsche Eisenbahnverkehr ist nach und nach ins Stocken
geraten, es werden nur noch einzelne Züge auf Umwegen nach
dem Ruhrgebiet geleitet. Es ist sogar gelungen, fast alle Lokomo-
tiven und auch den grötzten Teil der Kohlenwagen aus dem neu-
bcfetzten Ruhrgebist wegzuholen, so tatz die Franzosen auch

in der Fortführung der Transporte grotze Schwierigkeite» vor fich
sehen werden.

Aus Effen wird gemeldet, datz die Franzosen ihre Drohung
wahr gemacht haben und bei Steelen und Düffeldorf das Rhein-
landkabel durchfchnitten haben. Der Regierungspräsident
wird sofort bei den Franzosen die Wiederherstellung verlangen. Die
Reparatur kann aber nur von deutschen Beamten vorgenommen wsr-
den, die jedoch zunächst die Räumung sämtlicher llmschaltestationen
von der französischen Besetzung verlangen. Am Samsiag fand in
Effen einö Versammlung der Gewerkschaftsvertreter aller
Richtungen statt; es wurde beschlossen, angesichts der nötigen Einig-
keit dem autzenpolitischen Kampf gegenüber alle Meinungs-
verschiedenheiten zurückzustellen. Jm Anschlutz daran
fand eine Eisenbahnerkonferenz für das besetzte Eebiet
statt; es wurden genaue Mitteilungen über das von dsn Franzojen
geübte Enteignungssystem gemacht. Das Material wird vom Reichs-
verkehrsministerium zusammengestellt und der deuischen und aus»
ländischen Oeffentlichkeit unterbreitet. Die Zahl der von den Be-
satzungstruppen bisher mit Eewalt aus dem Dienst entfernten De-
amten beträgt bereits mehrere Hundert. Jm Laufe des
Sonntags ist die militärische Einkreisung des Jndustrie-
gebiets vollendet worden. Eine Absperrung ist allerdings noch
nicht vollzogen, auch ist eine Zollgrenze nicht errichtet worden. Die
Franzosen lassen die nach dem Osten gehenden Kohlenwagen zwar
die Sperre passieren, kontrollieren aber Ort und Herkunft der
Kohlen, die Kohlensorte und die Kohlenmcnge. Mit der Einrichtung
eines Zugverlehrs mit französischem Personal haben die Franzosen
auch weiterhin keinen Erfolg erzielt. Vis gestern tzattsn ste
sieben Zugentgleisungen zu verzeichnen. Vei Heistingen
wurde durch eine von französischen Eisenlo' n rn geführte Lokomotive
ein Mädchen übersahren und geiötet.

Die Ausweisungen uud Berhastungen
nehmen einen immer grötzeren Umfang an. So wurde nun auch der
Präsident der zweiten Abteilung des Landesfinanzamts DLffeldorf,
Dr. Finger, von der Besatzungsbehörde in seiner Wohnung ver-
haftet. Der Aufenthaltsort Fingers ist unbe'annt. Landrat Dr.
Iosten in Simmern ist ausgewiesen worden. Er wurde
gestern von französischen Truppen festgenommen und in das unbe-
setzte Eebiet geschafft. Am Tage vorher fanden grotze Kundgebungen
vor dem Kreishause statt. Oberzollinspektor Votz vom Hauptzoll-
amt Trier - NLmerbrücke wurde festgenommen und nach Mainz ge-
schafft. Jn Ehrang wurden der Eisenbahnamtmann Elfen, der
Eisenbahnsekretär Tenes und der Weichenstelleranwärter Lierer
verhaftet, weil sie stch gewei'gert hatten, mit Franzosen zusammen
Dienst zu tun. Jn Wiesbaden hat man weitere 13 Regierungs-
räte der Regierung vor das französische Forum zitiert, um sich ihrer
Mitarbeit an der Durchführung der französischen Ordonnanzen zu
versichern. Sämtliche Herre» lehnten jelbstverstäudlich jed« Teil-
nahme ah

Rchrgei'fl aiif dem Marsche.

Aus Mainz schreibt man uns:

.Es geschehen Zeichen und Wunderl Wie eine Vefreiung «0»
Druck und Drang wirkt die „glorreiche Eroüerung" des Ruhrgebietes
durch die „Grotze Nation" auch auf die seit langen vier Jahren
unter feindlicher Besetzung schmachtenden rheinischen Eebiete. Vo«
Herzen muh man wieder einmal dem Erz- und Erbseind dankbar
sein sür seinen Mangel an Augenmah, den er bei der Ruhraktio«
im allgcmcinen wie in zahlreichen Einzelheiten bewiesen hat. Nichts
bcfferes konnte uns Deutschen zugesügt werden, als die schmähliche
lmd hinterlistige Verhaftung der Führer der Jndustrie, die auch
dcm letzten Volksgenossen die Augen geössnet hat. Der Festnahme
dcr Fiihrer nicht zuletzt ist die Einigkeit aller Schichte«
und Kreije im Ruhrgebiet zu danken. Nicht törichter
konnte der verblendete Feind verfahren, als die Führer, die zu
nahren Volkshelden geworden waren, in das in sicherer Hand
gewähnte altbesetzte Gebiet und in die Zentrale gleichsam ihrer
Macht, nach Mainz, dem Sitze des Oberbefehlshabers der „Rhein-
armee", zu schasfen.

Der Eeist der Ruhr war es, der mit den Thyffen, Wiistenhöfer,
Tengelmann, Olse, Kesten und Spindler über Düffeldorf, Köln.
Kcblenz den Nhein hinauffuhr, nicht eingepfercht wie die Herre«
selbst im engen Raum eines ängstlich verhängten Eisenbahnwagens,
bldrobt von den Bajonetten der „Sieger", sondern srei stch ver-
breitend weithin iiber die Lande. Die Vehandlung im Mainzer
Eeiängnis — Strohsäcke, Wanzen, schlechte Nahrung —, das Theater
am sogenannten Kriegsgericht — Absperrungen, Bajonette, Ma«
schin.ngewehre —, all das hat stark beigetragen zu der wundervollen
explofiven Entladung des in vier Iahren schmählicher und drücken-
der Kncchtung und Sklaverei angesammelten Zündstofss der Ee»
stnnung, die am Mittwoch in Mainz in einer iiber jedes Matz grotz»
artigen Weise erfolgt ist. Ohne jede Regie — die iibertietz man
den Franzojen — war das Eerichtsgebäude am Nachmittag der
Verhandlung, als die Welt den Atem anhielt und aufhorchte auf
dcn Spruch, das Ziel Tausender und Abertaufender. Der weite
Schlotzplatz war bnchstäblich schwarz von Menschen, die trotz strömen-
den Regens stuirdenlang ausharrten. Streng verboten und mit
rücksichtslofer Härte unterdrückt ist, so weit der Franzofe herrscht,
schon seit vier Iahren jede vaterländische Kundgebung. Jeder, der
es gewagt hätte, auch nur die Lippen zü einem VaterlanLslied zu
öfsnen, wäre sofort verhaftet und schmachvoll ins Eesängnis geworsen
wcrden, der Deutsche im deutschen Land! Heute und
hier bricht und zerschmilzt das Eis unter dem gewaltigen Druck
einer alles mit sich reitzenden seelischen Entspannung, wie sie zu
den höchstcn Erlebniffen im Dasein der Menschen und Völker ge-
hören: vrn einigen angestimmt, von Tausenden ausgenommen, laut
und lauicr anschwellend, brausen die alten deutschen Lieder „Deutsch-
land, Deutschland Lber alles", „O Deutschland hoch in Ehren" über
den Platz. Gewaltige Steigerung: Die „Wacht am Rhein". Wirk»
lich und wahrhaftig: Der Ruf braust wie Donnerhall in den Ohren
der ganzcn Welt, in den Ohren besonders dcr armseligen Werk»
zcuge verblendeter gallischer Anmatzung, die oben sttzen im deut»
schen Schwurgerichtssaal und sich herausnehmen, ein kleiner Leut»
nant und Unterleutnant, LLer die ersten Männer der deutschen Wirt»
schaft und Arbeit zu richten. Ein Symbol ist es, ein Wahrzeiche»
zu Lefferer Zukunft für deutsches Land und Volk- Von Vajonetten
flankiert, oben im Saal die „Richter", davor die „Angeklagten",
devtscheste Männer echtester Art, in Wahrheit furchtbare Ankläger,
als die sie sich in ihrer ausgezeichneten Haltung auch durchaus
fühlcn. Die französtschen Verhandlungen, begleitet von dem ge-
naltigen Sturm deutschen Eesanges, der elementar und mit nicht
zu überbietcnder Eindringlichkeit auch die Verkündigung des „Ur-
teils" Lbcrtönt, die, Lezeichnend für französtsches Wesen, nicht frank
und frei und Auge in Auge den Angeklagten gegenüber erfolgt,
scndern in deren Abwesenheit. Keine Seele im Saal, die nicht bis
ins Innerste erschüttert wird, als das infame Urteil ergeht unter
den wuchtigen Klöngen der Wacht am Rhein, die laut und lauter
anschn-ellcnd in den Saal dringen, kaum ein deutsches Auge, in das
sich nicht eine Träne der Ergriffenheit stiehlt in diesem wahrhaft
grchen geschichtlichen Augenblick!

Ein Triumphzug ohnegleichen — die Fahrt der
unter dem Zwang der Nerhältniffe Frcigelaffencn zum Gasthof.
Taufcnde folgen, andere Tausende strömen herbei, Ereise, Männer,
Fraucn, Kinder ohne llnierschied des Standes und Altcrs, alle nur
Deutsche in diesem Augenblick und gewillt, es ganz zu sein. Eixie
genaltige Menge crfüllt den weiten Platz am Bahnhof. Begeiste»
rung fpricht aus allen Miencn, aus jeder Bewegung. Die alten,
so lange schmerzlich entbehrten Lieder auch hier als freudiges Be-
kenntnis zu deutschem Wefen. Farbige Kavallerie, getreu seinem
System dcr schwarzen Schmach, führt der Fcind heran, Spahis, die
mit der blanken Waffe Raum schaffen sollen. Einziges Ergebnis:
Es bilden sich lange Zuge deuischer Männer, Frauen und Kinder,
die „im gleichen Schritt und Tritt" ernst uud gemeffen, wie die einst
hier lieocnden unvergetzlichen deutschcn Truppen, nicht tändelnd-
spiclerisch, wie der weitze oder sarüige Franzose, die Siratzen der
Stadt durchziehen, die alten und ewig jungen deutschen Lieder
singend. Kein Fenster, das sich nicht öffnete, an dem nicht begeistert
Dcutscher den Deutschsn grützte. Bis ties in die Nacht dauern diese
Züge, unvergetzlich jedem, der dabei sein durste.

Am nächsten Morgen die Abfahrt der Industrkeherren. Eleiche
Hochstimmung. Die Fahrt des Triumphes beginnt in Mainz, ste
geht iiber Koblenz, Köln, Düffeldorf, Duisburg und endet in Effen,
an jedem Halt des Zuges gleiche Begeisterung sür die opsermutigen
Männcr. Kein Zwcifel: Der Deutsche amdeutschenNhein
dars sein deutsches Wesen wieder bekennen. So
schlimm er's erdacht und gemeint, der altböse Feind, wir danken ihm
von Herzen, Mit de» Herre» der Ruhr hat er uns den G e ijt der
 
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