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Badische Post: Heidelberger Zeitung (gegr. 1858) u. Handelsblatt — 1923 (Januar bis Juni)

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Nr. 119 - 148 (1. Mai 1923 - 31. Mai 1923)
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https://doi.org/10.11588/diglit.15611#0885

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Zahrgang Rr. 143

I ' ichePost. ericheint wöchcntl- siebenmal. Beilaacn: DivaSkali a lSonnt.) —

i "^"ngsblatt IMontagr! - Literaturblatt —Dochlchn'.beilage <m onatl ich>.

>»>»—riangte Beiträae ohnc Berantworlnng. Rücksendnng 7mr, wcnn Porto beiliegt.

Heidelberger Zeitung

(Gegründer i8ü3)

«nd

Landelsblatt

SamStag, den 2S. Mai 1S2Z

HaovtgeschS trftelle o. Echriftleitg- ber »Badischen Poft^Heidelberg, Hanvtstr. S8, Fernfpr. s
Rr. 18» Berliner Nertretung: Berlin 8IV 48. Ztmmerftrake S, Fernkpr Aentr. 418 Ä
MSnchner Bertretrmg: München. Seorgenstr. 107, Fernspr. »1S«7.

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MontagrMk. sl>.—mehr. Die 88 mm breite Reklamezeile «ostet Mk.gM.—, Anzeigen und Neklamen oon auswSrtr 28", HSHe

Roter Tmor nnd ÄepMtionen.

Don unserer Berliner Redakiion.

ungemein le
>»ri.?krati

hrreich zu LeoLachten, wis fich die SoziaI,
lri« ' > ra11e zu Len Vorgangen im Ruhrgebiet stellt. Man sollte
die Sozialdemokratie alle Ursache hätie, von den Kom-
^ E-r!. "Lznrücken schon aus Parteiinteresie, und aus Eründen
I»>,y7I?Merhaltung. Der „Vorwäris" meint zwar, dasi „die be-
"erg Arbeiterschaft, die im Ruhrgebiet die Mehrheit haüen soll,
Lkg^fumunistischen Terror entgegcnwirke", aber von dicsem Ent-
">iz.;?lrken merkt man nichts, im Gegenteil, es liegen immer neue
ky, Lafür vor, datz stch der Streik ausdehnt, der Ter -
«?lp°Unimmt, die Kommunisten fich immer mehr zu .Herren
machen. Wie gesagt, der ,LZorwärts" hätts «lle Urfache,
^ ^ . »chakt

djs»'^ Kommunlstcn abzurücken. Dic enicr

Fn Sozialdemokraten und Kommunisten, die nun cinmal trotz
Ni VSlichen Handgreiflichkeiten im prevfiifchen Landtage unleug-
gsstattet aber nicht dcrlsi politische Konfequen.zcn fiir die

^lhlEliren herbeigeführt" seien (!!). Statt gegen die Kom-
?t^'"en Front zu machen, läuft der „Vorwärts"
b gegen vermerntliche ,,F a s ch i st e n", obgleich für
Mn' ?dr sehen kann. die Dinge doch üngemei« klar liegen. Da ist
me „Rote Fahne" weit ehrlicher. Sie svcht 'war auch die
!k nh ^ortung für den Putsch von den Komml'nistsn abzuwälzen.
durchans nicht der Anficht deg „Vorwärts", dast es stch L-i
gD^ichen um „planlose und sinnlose Vorgänge" handle, sondern
Nz ,fkht. dag die Vewegung „nicht vom Zar-ne gebrochen ist", und
kommunistische Partei geschlosien hinier den Kämpfen der
. Krschaft steht.

.Msj ^ zuständige preustische Stclle — das ist also Herr Seoerina
"T sucht immer noch beruhigend zu wirken, aüer auch fie ielbst
.Mzr.T'le aus ihrem heutigen, durch das Wolfsbüro vsrbreitlten Fsld-
A, y hervorgeht, zugeben, dast die Lage nach wie vor ernst
Fdkz datz die Streikgefahr weiter besteht. Jn der Tat, die Gefahr

uno nauven eine vouenoete u.al>akye geworoen ,,r, rann
^iiü^.oder ubermorgcn in andcren Eegenden Deutschlands zum
7>> ^"chs kommen. Es ist jetzt d:e letz t e Stunde, um durch

Mlosienes Zugreifen den.Brand zu löschen, ehe seine Funken

aber nicht nur

>.>>s,'"nerpoliti;ches, .sondern auch ein eminent wichtiges
?>r 2 si pol i t i s ch e s Jntercsse, ste sallen gerade hinsin in
'» wo die Rcparationsfrage einer Lösung entgegengeht. Es

P broncy, wenn man yler in uzeriin oen Lungen u
A tz.^^iger Interesie und Aufmerksamkeit entgegenbringen würde,
LitfiA Reparationsproblem. Das ist, wie dic Dinge lisgen,
illso.ch. nicht ' ' ' " "" " '' ' ^

heute

nicht so dringlich. Man känn wiederum der „Deutschen
^ !-°>tuug" beipflichien. wenn ste in diesem Zusammenhange sagt:
Pr , me deutsche Regierung erhebt stch aus bem bsdrohlichen Stande
Ne ^NlMunIst'schcn Vewegung eins andere zwingendr Folgerung:

jetzt alle Wachsamkeit und alle Kraft darauf richten, das
- ^ eigrnen Hause zu löschen, Io lang « diese Arbeit nicht ge-
b»r,-."-inLssen Fragen, wie die Reparationssrage
^ ° ten. Schon all ' ...

allein sachlich wäre es doch vollkimmen

o.'ein Alenuy uverseycn la
Hllfe entfesieltcn Kämpfen

Pleibt. Politisch aber stsht das deutsche Volk setzt vor
Phg?Euesten und wichtigsten Pflicht: der Pflicht der Selbst-
Kg^-ltung, der Sicherung der Ordnung im eigenen
"tllBci den auswärtigen Mächten, ausgsnommen natürlich
». > ch, wird man es gewitz selbstveistiindl^ch ^finden, wenn

deutschen Volke
twor -

Nas Seuischland wirklich gezahlt hat.

Di« »nwahre Aufstellung der Reparationskümmisfion.

«» BerNn. 25. Mai.

Hrem letzten Halkjahresbcrlcht gab die Reparations-
! Iion die deutschcn Reparationsleistungen
N.vj»? 2l. Dezember 1922 mit rund acht Milliarden Goldmark an.
I»! Surnme stnd nur die Lcistungen enthalten, die Deutschland
h-ie i.."llralionskonto gutgeschrieben werden- Für diese Leistungen
, Reparationskommission zum Teil Summcn ein. die weit
Vli°r?em wirklichen Werte liegen, so vor allem sur die
deutschen Handelsschiffe. Denn schon die au, Repara-
d/h?.anrechnungssähigen deutschen Leistungen stellen viel
Werte dar, als die von der Reparationskommisston an-
ist^ Tr,.^ acht Milliarden. Daneben aber bewirkte Deutschland
Sev des Vertrages von Versailles zahlreiche weitere Lei-
So wird beispielsweise das der Liquldation unterliegendc
Privateigentum imAuslande, das allein
li^llo^ »on 11,749 Milliarden Eoldmark darstrllt, in der Aus-
d>iA t > „Reparationskommiksion überhaupt nicht beruck-
tkIey Soll die deutsche Gesamtleistung fsstgestellt werdsn, so
kyAlstj yj, Leistungen, die nicht auf Reparationskonto ange-
P-'llftg "lerden. mit aufgeführt werden. Eine solche Zusammen-
ölll-llte» deutschen Gesamtleistungen ist in der vor einigen

2.8e» ryr pnd dte anrc
die Cegenseite

,-ist^niber mit rund 42,78 !

! illiarden und die Eesamt -
lei«' l> e v nr' -<-eti>iu:ruitds mit weit über 50 M il -
Hs-Aoldma rk angegeben ohne Deriicksichtigung dss
"v Staatseigsntuins in Llsab-Lothringe« und deu deutschen

Kolonien, sowie des rein militärischen Riicklafses in sämtlichen
RöumungsgeSieten. Werden auch diese Zahlen in Rechnung gestellt,
so belaufcn sich dis Eesamileistungen Deutschlands aus dem Vertrage
von Versailles auf weit über 100 Milliarden.

Das Ksbinett poincare bkM im Amt.

ZurLcknahme der Demisston auf Wunsch Millerand«.

Von unserem 8-Korrespondenten.

ParIs. 28. Mat.

Der gestrige Beschluh des Senats, der stch gegen die innerr
Politik Poincäres richtet, hat blitzartig die grohe« iuner»
politischen Schwierigleite» seine» Kabinetta beleuchtet.
Aeutzerlich zwar ist der Fall zuncichst erledigt, aber er wird noch
Fslge» haben, die sich erst nachste Woche zeigen werde«. Es ist tar«
sii-hlich dem Ecschick Millerands zu danken, dah die Demisfion dc«
Kabinctts PoincarL, die geradc irN gegenwärtigen Angenblick sür
Frankreich nnabsehbare Folgen HStte haben müsien, ver«
mieden wurde. Alle politische» Kreise sind fich aber auch Sber '»ie
ganz anhcrordentliche politisch« Tragweite dcr
gestrigen Vorgänge klar. In mehreren ahnlichen Fällen hatte sich
friiher der Senat geschlosiea hinter die Regiernng gestellt: di«
bckannteften davon find dsr Fall des Generals Boulanger,
Caillaux' und des Ministers Malvy. Der „Rappel" be.
tont auch, dah dicsmal die Rcgicrnng sehr schlecht beraten gewesen
sei. Man lann sich die Stimmung in der französtschen Presse von
Frektag morgen kanm vorstellen. Die regierungssrenndlichen Zei»
tungen lönnen ihren Zorn ond ihre Mihbilligung kaum verbergen.
So schreibt z. V. der „Figaro": Zur Freude Deutschlands hat der
Senat, der zwischeu PoincarL und Lachin zn wählen hatte, fich sür
Cachin entschieden. Der „Ea « lois" sagt i« seinem Artikel, «s
sei «nter den gegenwärtigen Umständen unmöglich, ei« Land wie
Frankreich mit einem Parkament z» regieren, das sich lediglich seiuem
Instinkt und seiner Phantaste hingebe. Das „Jour««e Jndn-
striellc" mahnt die Regi«r«ng, jetzt fest zuzupacken gege»
alle Flaumächerei. Die linksstehenden Blätter fpenden dem Senat
natürlich «neingeschrSnkt Lob. Di« »Er« Nouoelle" rühmt, dah
der Seaat das Eesrtz geachtet habe, PoincarL hab« stch Lber daa
Eesetz stellen nwllen. Auffallend mähig ist heute die „H n m'a ni 1 e",
in der Cächin selbst anf die «nabsehbaren Folgen des gestrigen Tag»
hinweist. Däs „Oenvre" faht sein Urteil dahtn zusammen: Poin-
car« wollt« Justiz und Politik miteknander vermengen.

Der Ministerrat tritt beote zn einer neuen Beratnug znsammen.
Im Elysäe betrachtet man den Fall als. erledigt. Millerand tritt
scine grohe Propagandarcise nach Elsah-Lothringen proqrammähig
an, wenigstens ist Lis zur Stnnde nicht-> anderes entschieden. Aer
Kommanistenprozeh selLft wird vor das Schwurgericht kommen. In
der nächsten Woche «ird der Scnat Eeleoenheit haben, fich mit der
Jnnenyolitik der Regiernng zu befasien. Poinearü wird, wie
das „Echo de Paris" meldet, dann ein Bertranensvotnm
wegen seiner yolitik gegen dks Kommnnistcn verlangen.

Zm einzelnen spielten stch die Borgstnge äm Donuerstag solgen-
dermahcn ab: Als Poincar^ a«s der Kaurmer zurückkehrte, wo er,
wi« die trenergebene „Chicago Tribnnc" berichtet, cine „glän.
zende" Rede hielt, erfuhr er vereits im Quai d'Orsäy gerüchtweise
van de« Dekchlüsien -es Senats. Es muh betont werden, dah die
Negierung stch voll und ganz dafür eingesebi hatte, di» Annelcgenft'.it
Cachin nubedingt vor de« Staatsgerichtshos zu bringen. desien
Eencralstäatsanwalt als Morttrager der Regiernng handelt. Als
die Entscheidnng bekannt wurde, lietz Poincars kn Suherster Häst
sofort den Ministerrat zusammcnrufen. Dis meisten Minister waren
bcreits für den Empfanq angezogen, der abends im Elysäe statt-
finden sollte, wie ste Lbcrbanvt gar nicht im mindesten wnhlen,
weshalb der Ministerrat stattsinden solle, Poincar« teilte sofort
seinen festen Entschluh mit, dah er dem Präfidenten der Repnblkk
scine Demifsion änbieten würde. Dem widersprach Znstizministcr
Colrät, derstch alle'in als «erantwortlich erklärte. Nkcht
das Kabknett, sondern e r habe stch entschleden, dah der Fall Cachin
oor den StKatsgcrkchtshof kommen müsie Aber Poincarö lieh diesen
Einwand nicht zn. Um 9 Uhr tras Poincare mit den Lbrigen
Ministern im Elnsöe ein. Dort fuhren bereits dke ESste par, «s
erregte daher «ngeheures Aufsehen, als plötzlich die 13 Autos der
Minister erschienen. Kekn Mensch wnhte. wäs eigentlich los war
«nd als die Esrüchte von einer Demisston PoincarKs läut wnrden,
glnyvte niemand daran. Poincarö betont« Millerand gegenüber,
dah der Spruch des Senats schlkmmer sei als ein Mkh-
träuensvotum «nd dah iede ReaiernnostStiokeit dnrch den
Konilikt mit dem Senat paralvstert sein müsi«. Der Senat könne
unmöglich stch därüber im nnklären gewesen seln, was die Folg« des
Besis-lusies scin müsie, denn Poincarö hnbe noch am Borabend
wissen lasien, dah er demissionieren würdc. wenn ver
Staatsgerichtsbof stch wekqern wiirde, den Kommunistenprozeh z«
verhandeln- Millsrand zeigte stch auherordentlich entschlosien und
sagtc, cs bandclr stch nicht nm e'«e politisrb-, iondern «m eine i« ri -
stische Frage, die kein Mihtrauensvotnm bedeuten soll«. Gr gab
Poinear« z« bedenken. däh am Worabend drr wichtigen Beratunge«
mit Belgien eine Eeschlosienbeit «nd Kwtinnität der sranzöfischen
Regierung drrngend erforderlich sci. Millerand sprach «it anher-
ordentlicher Wärme. Poi«carS gab denu avch schliehlich »ach ond
zsg seine Demisfion znrück.

Weitere Äoten an die Schweiz.

Bern, 24. Mai. Schweizerische Dspeschenaqentvr Dsr Bundes-
rat crhielt vom Vorfitzenden des Rates der Bolkskommissare
der Ukraine und vom Vorfitzenden der Volkskommisiare Ee-
orgiens je eine Depesche, die fich auf das Nttentat auf Wo-
rowski beziehen. Die Teleqramme sind ähnlich abgesaht wie das
Telegramm von Moskau, das am 18. Mai eingegaugen und bereits
veröffentlicht worden ifi.

Was will werden?

Das Fragezeichen beherrscht mehr wi« je die äußerr wie di«
mnere Lage.

Auf den Ministerwechsel in England. der durch den Rücktrirt
Bonar Laws hervorgerufen, abcr „och nicht beendet worden ifi
kommt istzt d,e uberraschende Kunde von dem R>icktrittsges"ch'
Poincares das allerdings von dem Prüsidenten der Republik abgc-
lehnt worden Ist, das indesien damit in seiner politischen Dedeut'niq
vielleicht noch nlcht völlig erledigt ist. Die Politik Poincarh-. bat -
unzwenelhaft auch in Frankreich Dedenken hervorqerusen. a b'e r
wir wurden uns sehr täuschen, wcnn wir diese Bedenlen üler-!
schatzten: ,ie betrefjen auf keinen Fall den Kern dieser V.'ütik:

i-V nachträqlich an Siegesbeutc dem geschlaqenen und i
schon halb verbluteten Deutschland abzujagen, was im Iahre 1919
mcht durchzusetzen war. In der Billigung dieses Versuches Neht die
uberwaltigende Mehrheit des franzöfischen Volkes hinter Poincurs.
Das legendare Wort das Eallierführers Brennus. das dieser einfi'
Abwagung des Lösegoldes den Nömern zurief: „Vne vie.ii«!"
„Wehe dcn Desiegten! geht als Leitwort durch die aanze Eeschirbie
Frankrmchs. Das Keltenwort ist auch aus dem Herzen der hel'iiq n
Franzosen gesprochen, das wie einfi Drennns sein Siblycr! lo ictz-
den Dcgen Fochs !n die Wagschale wirft. Wir halten deshalk, die
Stellung Poincarss, der wie kein anderer den Raub- »n> Eröne-
Eeli'sten der Franzosen entgegenkommt, der mit scincr M 'ficrscha't
m der Entstellung und Derdrehung der Taisachen die öffcn 'iche
Meinung vollig beherrscht. vorläufig für unerschütterlich. glg-^-ii
aber auch nicht, daf? es für uns eine irqend in Bciracht kon "cnde
Erleichterlinq Ledeutete, wenn Poincard tatsächlich fiir den A' - n-
bllck vom Schauplatze abtreten müfite. Sein Nachfoloer möyt m
Wefentlichen was das Aeufiere anbelangt, dieselbe Politik mach.'n.

W,r musien deshalb mit dieser Politik und diesen Zielcn al«
emer ganz feststehenden Tatsache rechnen. und dürfen. wenn wir
mcht anch noch den letzten Refi der Wsltachtunq verlieren w->llsn,
durchaus nicht von dem Satze abweichen, den unsere Reichsreglcrung
vom ersten Tage des Ruhreinbruchs unter der Billigung des
g a nz e n deutfihen Volkes — von den deutschen Moskowitern scben
wir dabei ab — geprägt hat: dak der Ruhreinbruch ein Friedcns-
druch ist und dak wir zur weiteren Erfüllung der Friedsnsvertracc-
Verpflichtungen, zu der wir an sich Lereit find, nur zuriickk'-hr-n
konnen, wenn dieser FriedensbrüK rückgängig gemacht wird. D'ejer
Satz stellt wohl bereits das Si'kerste Mak von Selbstverlcngi'nng dar.
das ein grokes Dolk aufzubringen vermaq, trotzdem ak>cr find Ds-
strebungen im Eange, ihn nicht mehr in dem Umfanac und dcm
sinne, wie er anfängl'ch gemeint war, gelten zu lasien, uno kie
Reichsregierung hat fich bcreits auf den Weg drängen lasicn ^er
,u dem Tore der „Verhandlungen" führen soll,

Noch ist dieses Tor verschlosien und die Regiernna steht harrcnd
davor. Man hat ste wisien lasien, dak sich das Tor öf'ncn w.-rde,
wenn ste eine bestimmte Formel ausspreche. man verräk aber nicht,
welches diese Formel sei, und immer stärker wird bei dcnen, di«
diesem unwürdigen Sck'auspiel zusehen. der Argwohn, dasi dis ge-
wünschte Formel die Un t e rw e r fu n g s erklärung sei, die oas
Schicksal von Rhein- und Ruhrland für immer entscbeiden mürde.
Es ist ein unheimlicher Zustand. dak von drüben allerlei vcrstol l me-
Winke zu uns herüber gegeben werden, dasz aber auch avs den
Reihen d«r Unseren Stimmen laut werden, die auf der Eeqsnseite
als willkommenes Zeichen zunehmender Unficherheit angesehen
werden können. Die Reichsregierung aber zaudert. Sie hoccht
hierhin und dabin, sie berät untcr sich und mit den Parteicn, fie
hat gerne den Kabinettswechsel in England benutzt, um noch wc'ter
cinige Tage zu gewinncn. Sie macht nicht mchr den Eindrmk, dak
fie eine wirklich führende Rcgierunq sei, wie es in der erfien
Zeit nach dem Ruhreinbruch doch der Fall war,

Freilich: kann es bei den bei uns heute herrschenden Verbält-
nisien eine führende Regieruna auf die Dauer geben? Lloyd b'.!-ärgc
hatt« gewik Recht, wenn er kürzlich sagte, unser grokcs llnglück sei,
gewescn, dak Deutschland seit Vismarck kcinen groqen Staatsmann
hervorgebracht habe. aber wir sehen leider, dak dieser groke Staats-
mann uns anch wohl weiter versagt bleiben werde und dak Dcuisch-
land erst noch durch eine harte Schule dcr Leiden werde hindurch-
gehen müsien, ehe fich wieder auch nur die Möglichkeit für das Hcr-
vortreten groker Staatsmannschaft herausbildet, denn wenn wi«
bei uns alles „aus dem Volke hera»s" entstehen soll, muk erst das
VedLrfnis nach einem Führer fich wieder einstellen. ehe ein
solcher Führcr kommen kann, es muk erst wieder zum allgemei-
nen Empfinden gebracht werden, dak starke Staatskraft
allein uns noch retten kann. ehe die Perjon kommt. die es unter-
nimmt, diesem Empfinden Wirklichkeit zu leibcn. Wir habcn eine
Menge kleiner FLHrer, aber keinen groken, Diese kleinen Führer, -
es sind die Spitzen der Parteien und Wirtschaftsgruppen, d!e abcr
selten über den Partei- und Eruppenstandpunkt hinwcgkommen, d:e
sich eifersfichtig untereinander beobachten und in Schach halten, sich
in der Presie befehden, die Gegensätze so vertiefen und die öffentliche
Meinung immer wester von dem wegführen, was wirklich Not
tut- Diesc kleinen Führer stellen mit ihrem grökeren oder gerinaeren
Anbang eine grökere oder geringere Macht dar, aber diese Macht
befähigt ste HLchstens dazu, zu verhindern, zum Schaffen reicht
ste nicht hin: wo aber ist sonst Macht im Reiche? Es hat keine
Zeit rn der deutschen Eeschichte gegeben, in der die Reichsoberhaupt-
chaft so ohnmächtig gcwesen wäre, wie heute unter der Eeltung der
Weimarer Vcrsassung, deren Herrlichkeit man soeben am 18. Mai
wieder jm Festreden-BLnkelsang hat verkiinden hören, Ueberhaupt
die Festreden-Begei'sterung! Wer erlöst Deutschland wenigstens oon
dieser Seuche? D?e Festrede Lringt immer die Gefahr mit stch, datz
der historischen Wahrheit oder der politischen Zweckmätzigkeit in
irgendeiner Weise Eewalt angetan wird, — das hat man in Frank-
furt in der letzten Woche wieder erfahren: es hat stch der Eindruck
erneut eingestellt. datz unsere Republik vor allem eine Rede-Republik
ist, und dieser Eindruck ist um so begreiflicher, als dem unendlich
vielen Gerede so uncndlich wenig Tun gegenübersteht. Es soll
das Letztere kein Vorwurf sein. Die Ohnmacht ist im Wesen der
Derfasiung und in den Verträgen, die für uns wenigstens bindend
ind, begründet, aber sie ist L a.

Das schier Einzige, was bei dieser uns auferlegren
Schwäche noch zu tun möglich ist, ist das Nein gegenüber den Ver-
uchen des Auslandes, uns von den Verträgen abzudrängen nnd
>ie ungeheuerlichen Eewalttaten nachträglich gutzuheitzen, die eine
reche Verletzung dieser Verträge darstellen und gegen die wir r«
ungezählten Protesten vor aller Wclt Tinspruch erhoben haben
 
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