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Badische Post: Heidelberger Zeitung (gegr. 1858) u. Handelsblatt — 1923 (Januar bis Juni)

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Nr. 149 - 178 (1. Juni 1923 - 30. Juni 1923)
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§s. Zahrgang Ar. l7ö

I ,Badi schc Poft' erfcheint wSchenil. siebenmal. Bellagen: Didaskali a lSonnt.)—

I UnterbaltungSblattlMontag»! -Literatnrblatt-SochsKnlbeilage lmonatlich).
zllnverlangte Betträge ohn« Berantwortung. Rückiendnng nnr, wenn Porto betltegt

d»ftscheck.«onto r g-ra«kfnrt a.

Hei-elberger Zeitung

(Gegründet 1858)

und

HandelsblaLt

Donnerstag, den 28. Zuni 1923

Hanptgeschäftsstelle u. Schriftlettg. der.Badischen Poft"Heid«lderg,Hanvtktr. 23, Fernsgr.
Nr. 18L Berlinrr Vertretnng: Berli» SV 48. Zimmerftrake g, Fernspr. Zeatr. 4tS
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Schuldig am Aiedergang Suwpas.

Siduey Webd aus dcr Zahresverjammlung der Ladour Party.

Bou uuserem -Korrespondentcn

London, 27. Juni.

> Bei der am Dienstag ersolgtcn Eröfsnung der Jahresver-
iftmmlung der englischen Arbeiterpartei streifte der
Borsitzende, Sidney Webb, in seiner Begrühungsrede auch die
^llswärtige Frage. Sidney Webb betonte, dag vtelleicht niemals in
der ganzen lüejchichte Staatslenker sich so unsähig gezeigt haben,
ftneu Frieden zu schaffen, wie die Männer von 1919 in Paris.
^uropa könnte aus dieser Erundlage des Hasjes und der Furcht
^icht wieder ausgebaut wevden und es jei deshalb höchste Zeit,
Alh die auswärtige Politik aller Staaten von den Eefühlen der
«riiderlichkeit und dei gemeinsamen Jnterejjen
Mer Wlker getragen werde. Frankreich sollte seine Forderungen
Segenüber Deutschland auf die Kosten des tatsächli ch e n Wieder-
Mbaus der zerstörten Gebiete, sowie auf die Entschädlgung fur
üivilpersonen beschränken. Abgesehen von diesen Forderungen, zu
<>eren Lrsüllung sich Deutschland bereiterklärt habe, sollte es auf
Me Ansf'rüche verzichten und zugleich aus eine allgemeine strelchung
<>er jnteralliierten Kriegsschulden hindrängen. Wenn die Arbeiter-
^artei an der Regierung würe, so würde sie klar zu erkenuen geben,
sie eine Politik freundlicherKameradschastlichkeit
!>>it Deurschland zu führen wünsche in der Erkenninis der Wahrheit,
Nß kein Fortschritt müglich sei, wenn sich nicht alle
«ölker als Mitglieder derselben großen Familie sühlen.

Jm Laufe der Verhandluugen kam auch die vor einigen Monaten
^folgte Entsendung einer Delegation der Partei ins Ruhrge-
h - " ... ..

Wunjch, die deutjche Arbeiterschast
:iterschaft verlangte »or allem,
ihre Propaganda für die Zurück

, iet zur Sprache und es wurde in dem Sinne Kritik geübt, dah die
«eutsche Arbeiterschaft in ihreni Ruhrkampfe von den englischen
^ewerkschaften nicht aenllgend uvterstützt worden jei. Der Vor-
ützende oetonte gegenuber diesen Angrifsen, datz diese Frage sehr
jwierig sei und mit grötzter Vorsicht zu behandeln sei. Die Aktion
' " ' " ' sei im engsten Einvernehmen mit der

gt. Der Aogeordnete Thomas sührte
-.-. den

>>» Stich zu lassen.

M die englische Arbeiterpartei , , „

der englischen Truppen einstelle, weil die Franzosen nach
zug der Enaländer ihre Wünsche sofort durchsetzen könnten.
iste deutsche Gewerkschaftsbewegung habe nicht den Vorwurf erhoben,
sie von den englischen Eewerkschaften verraten worden sei,
!»ndern sie habe voll anerkannt, was von dieser Seite getan worden
'st. Thomas fügte hinzu, die deutschen Arbeiter hätten nicht nur
Segen die fianzösischen Jmperialisten und die deutschen Militaristen
A kämpfen, sondern auch gegen einsn dritten <>eiud, nämlich gegen
!<>ie Kommunisten. ^

, Der Antrag der kommunistischen Partei um Aufnahme m
Arbeiterpartei wurde erneut verworfen und zwar mit
i880 000 gegen 366 000 Stimmen.

»

. London, 27. Zuni. Das Arbeiterblatt „Daily HeralV" fiihrt aus,
^Lldwin werde der Wunsch zugeschrieben. die Stellung Erostbritan-
^ens auf vernünstige kaufmännische Erundlage W

sine

Mnge Deutlschland, dessen Wohlsahrt für das Eedei-Hen Europas als
^llnzes notwendig sei, an den Rand eines vielleicht nicht wieder

^anzes notlvenoig sei, an oen mano
^ltzumachenden Unglücks; das ruft t
bitteren, entschlossenen Wunsch her>
^N. Es herrsche heute allgemein der
^tzte Ziel der Franzosen die Aufli

tn Millionen deutscher Herzen
rvor, den Rachetrieg vorzuberei-
Es herrsche heüte allgemein der sehr starke Verdächt, datz das
Ziel der Franzosen die Auslösung Deutschlands set.
Spender schreibt der „Westininster Eazette", die Aeit verstreiche
K»d EnglanL sei immer noch ohne bestimmte Antwort auf den
?ragebogen,den die britische Rcoierung der französtschen unter-
?reitet habe. Es sei doch wahl wahr, das; jed« klare Antwort auf
^ln britischen Fragebogen Befch-lüsse evfordere, die dic französische
^Fier-ung nicht fassen wolle. Frankrcich weroe vielleicht tatsächlich
^NZusammenbruch Deutschlands herbeiführen Jn der-
Men Stunde werde es jedoch die Schlacht der Reparationen ver-
^ren haben. .

^ Zu den französischerr Rheinlandplänen fchreibt
edender, wenn Aahlungen Deutschland nicht vor der Zevstückelung
^wahrten, könne man als ficher anuehmen, dag Deutschland nicht
?>hlen werde. Der Zusanmienbruch Deutschlands würde die Nie-
-fr lage alIer mrd das Ende jeder Hofsnung auf Reparationen
^beuken.

Theunis' lehie Semühungen.

3weifel über das Zustandekommen elnee Kabinetts Theunis.
Lon unserem L-Korrespondenten.

Paris, 27. Juni.

i- Richl nm in dcn sranzösisch-englischen, sondern auch
K, d«n französisch - belgischen Verhandlungen über die
tznüng des Ruhrkonfliktes ist jetzt ein vollkommener Still-
H.?Nd eingetreten. Jn einer aus Brüssel stammenden Meldung, die
^ von der dortigen sranzösischen Botschaft herrühren kann, wenn
sk.Nicht überhaupt in Paris gemacht wurde, wird als Schuld für
sk.le Verzögerung der Verhandlungen angeführt, datz die belaischen
' '"ister, die sich noch immer im Zustande der Demission befinden,
sie nicht diese Besprechungen fortführen könnten,

iz?.Ansicht seien, daß
h,!' es ihnen vielleicht nicht gelingen werde, ein neues Kabinett zu
>°en.

!j- Rach einer Vrüsieler Havasmeldung besteht zwar nach dem plötz-
Umschwung der Stimmung unter der liberalen und katholischen
i^ei die sehr ernste Hoffnung, datz Theunis im Laufe
heutigen Tages das neue Ministermm bilden wird. Die beiden
»Nnten Parteien würden heute eine Beratung abhalten. — Nach
,,M atin" steht man/wenn nicht neue Verwicklungen eintreten,
Uung der Krise im Laufe des heutiaen Nachmittags voraus.
, Brüsseler Verichterstatter des „Petit -Parisie n" dagegen ist
K.'limistisch. Nach seiner Nnsicht bleibe Theunis wenig
^tfnung, bie Ministerkrise W lösen. Er habe einen letzten
^p«ll au di« beiden Parteien erlasien, mit denen er das Koa-

litionsministerrum zu Lilden gedenke. Wenn Thennis Schiffbrnch
erleide, spreche man davon, datz der König entweder den ehemaligen
Ministerpräsidenten Larton de Wiart oder den ehemaligen
Minister Renkin in Legers mit der Kabinettsbildung betrauen
werde. Der Verichterstatter des „Petit Parisien" schreibt, wenn
Theunis und Jaspar erjetzt würden, lönnten die Nachsolger nicht
die VerhaltungsUnie in der Außenpolitik ändern, die das abgetretene
Ministerium seit Januar voraezsubnet habe. — Der „Figaro"
meint, datz die belgische Ministerkrise, wenn fie schcintar auch nur
innerpolitisch sei, doch von grötzterBedeutung fürdieaus-
wärtige Politik wäre. B aldwin hätte dies genau begriffen
und Theunis wissen lassen, datz er mit der Fortsetzung der inter-
alliierten Berhandlungen bis zur Beilegung der belgischen Krisis
warten würd«.

Engllsch-stanzöMes Wetirüstcn.

Valdwm über die Verftärkuug der englischen Luftslotte.

London, 27. Juni.

Jm Unterhause machte Valdwin eine wichtige Mitteilung
über die Verstärkung der Luftstreitmacht zur Verteidi-
gung des Mutterlandes um 34 Geschwader. Er erklärte. d!e Regie-
rung sei zu der Schlutzfolgerung gelangt. datz, abgesehen von Ler
Befriedigung der Vedürfnisse der Marine und des Heeres und den
Verpslichtungen in Jndien und anderen überseeischen Ländern, die
britische Luftstreitmacht eine Verteidigungsluftflotte zum Schutze der
Heimat einjchlietzen müsse, Lie genügend stark sei, um England aus-
reichend gegen Luftangriffe der stärksten Luftstreitmacht innerhalb
von Schlagweite zu schützen. Eine solche Streitmacht mützte orga-
nisiert werden. Zunächst sollte die Streitmacht zur Deckunz der
Heimat aus S3 Geschwadern bestehen, die so schnell wie irgend
möglich gebildet werden mützten. Das Ergebnis dieses Vorschlages
bedeute eine Vermehrung der bisher bewilligten Luftmacht
um 34 Eeschwader. Die Einzelhetten der Organisation
würden geregelt werden im Hinbltck auf eine eventuelle jpätere
Ausdehnung. 'Aber bevor weilere Matznahmen getroffen
würden, rvllrde die Frage nochmals geprüfi werden im Lichte der
gegenavärtigen Luftstärken frenrder Müchte. Entsprechend der Ver-
pslichtung Erotzbritanniens, wie sie aus der Vötkerbundssatzung sich
ergebe, werde Erotzbritannien hierin mit anderen Regierungen zu-
sammenwirken, run die Stärke oer Luftrüstungen zu vermindern nach
Erundsätzen, die denen des Washingtoner Vertrags ähn-
tich seien. Jedes derartige Ablommen würüe die Politik der Ver-
stärlung der Lnftstreitnrachl die in seiner (Valdwins) Erklärung dar-
gelegt rverde, matzgebend beeinflnssen. — Ponsonby fvagte, ob dieser
neue Mstungswettbewerb zn Lenselben Ergebmssen führen werde
wie der vorig« Rüstungswettbewerb. — BalLwin erwiderte: „Nein,
ich hoffe nicht. Zch hofse, datz, lange bevor Liese Eefahr entsteht,
ein Abkommen Lber die Rüstungseinschränkungen geschtossen sein
wird. — Hoare erklärte, das neue Programm schlietze eine weitere
Ausgabe von S60 00Ü Pfund Sterling in diesem Zahr ein, die eno-
güttigen Eejamtkosten würden SlL Millionen Pfund mehr betragen.



Paris, 27. Juni. (Eig. Drahtm.) Die Luftrüstungen, die Eng °
land in grotzem Umfang in Angriff nimmt, erregen in Frank-
reich lebhafte Bennruhigung, weicher der „Temps" heute Ausdruck
gibt. Das Blatt sordett Len Abschlutz eines Luftverfassungsvertrags
zwischen Frankreich und Eng-land, der d-en Wünlschen und Jnteressen
beider Länder besser entspreche als ein Wettrüsten. Sogar zu
Besprechungen mit England fordert das Blatt auf, obwohl sich be-
lanntlich das franzüsische Kabi-nett einer solchen mit allen Kräften
widersetzt.

Zur Verstärkung der englischen Luftflotte schreibt das «Echo
de Paris": Weit davon entfernt, die vom englischen Kaüinett
getroffene Entscheidung kritisieren zu wollen. weigern wir uns,
Hypothesen ins Auge zu fasien wie die, dic England gegen uns an-
fllhrt. Zede Nation hat das Recht, ihr Verteidigungsproblem zu
lösen, ohne die mehr oder weniger interessierte Zensur der Nachbarn
zu dulden. Wir sins auch übrigens der Ansicht, datz währenü des
Verlaufs einer Eeneration die in Versailles aufgestellte Orünung
durch Eewalt aufrechterhalten werüen muh. Das Blatt sieht
aber doch Klagen voraus. Es werde Engländer geben, die erklär-
ten, die 28 Millionen Pfund Sterling Militärausgaben sielen auf
die französische Regierung zurück, die vok der Rü stun g s t o l l h e i t
befallen sei. Ein wenig mehr Nachdenken würde vielleicht zu cr-
kennen geben. datz die französischen Vorbereitungen nur im Verhält-
nis zur deutschen Eefahr stllnden (!), und schlietzlich wurve
man auch nach weiterem Nachdenken begreifen, dah eine soliüe
Earantie gegen ein eventuelles Wiederaufleben dieser Eefahr not-
wendig sei, um das französische Militärsystem aufgeben zu lassen,
durch das die Engländer sich jo lebhaft getroffen fühlten. Zweifels-
ohne werde man denn auch in England dazu gelangen, die ge-
fährlichen Folgen (!) zu Lberprüfen, die die Veibehaltung
einer deutschen Luftfahrt trotz ihres Handelscharakters, den der
Friedensvertrag ihr aufgezwungen habe, mit sich bringen könne.
Das werde dann die Aera der Klugheit sein.

Ministerkrise Im ttalienischen Kabtnett.

Der Vatikau sür die Untrrstiitzung der Politik Musiolinis.

Vonunserem 8-Korrespondenten.

Paris, 27. Juni.

Hiestgen Vlättern, besondeis dem „Matin" und ^dem „Eclair"
zufolge, kann das neue von der italienischen Negierung vorge-
sehene Wahlgesetz nunmehr als angenommen gelten. Seine
Hauptgegner, Turrati und Bonomi, treten aus der betreffen-
den Koinmission zurllck, nachdem sie die Erfolglosigkeit ihrer Oppo-
sition eingesehen haben. Autzerdem veröffentlichte gestern der
„Corriere della Sera" von einer dem Vatikan sehr nahestehenLen
Seite einen Artikel, in dem der Eeneralsekretär der Volkspartei,
Sturzo, aufgefordert wird, seinen Widerstand gegen Musso-
lini auszugeben. Da Mussolini die Wiederaufnahme des
Religionsunterrichts sin den staatlichen Schulen bestimmt hätte,
rvünsche der Vatikan nicht, dah die italienischen Katholiken gegen
die italienische Regierung auftreten.

Rache oder Gerechtigkeii?

Die innerpolitische Situation in Deutschland treibt
der Siedehitze zu. Während die Parlamentarier in akademischer AL-
seitigkeit mehr oder weniger jchöne Reden halten, die in ihrem Partei«
doktrinarismus bis heute noch vüllig unberührt geblieben sind von
allem, was das Volk bewegt, während die führenden Männer Ler
Regierung dem drohenden Schicksal entgegengehen, das über die Eren-
zen unseres Landes von allen Seiten hereinzubrechen stch anjchickt,
ohne datz einzelne ihm wehren könnten, gehen im Jnnern des Reichs
Ereignisse vor, die ein erschütterndes Zeugnis ablegen von der Rer-
vojität eines durch Jahre hindurch bis aufs Vlut gepeinigteu wehr-
losen Volkes. Die Sabotageakte im besetzten Eebiet mehren sich und
es darf nicht verkannt werüen, datz, so unantastbar die vaterländische«
Motive sein mögen, die sie veranlassen, doch die Art und Weise, wie
ste ins Werk gesetzt roerden, geeignet ist, nicht nur den Feind W
schädigen, sondern — was bei weitem schlimmer — auch die innere
Front zu erschüttern. Die politische Einigkeit ist ja bekanntlich bei
uns eine sehr empfindliche Sache, die durchaus keiue festen Stötze ver-
trägt. Der Doktrinarismus, zu dem sich das parlamentarische System
im Laufe weniger Jahre Lei uns herankristallisiert hat, zeigt sich jeder
Duldsamkeit abholü und sieht in noch so gutgemeinten Taten nur
eine persönliche Verunglimpfung des Parteigedankens. Der Fall
Schlageter ist hierfür geradezu symptomatisch. Die Ansbrüche
des Hasses, die stch iu den mahlosen Anwürfen gegen dieses Opfer
reiner Vaterlandsliebc bekundeten, gaben ein jolches Bild seelischer
Derrohung und politischer Verworfenheit, dah wohl Zweifel darüber
berechtigt scheinen konnten, ob denn ein innerlich so zerrisienes Voll
stch je wieder zu einer festen politisch wittscuneu Einheit konsolidieren
könnte. Von diesem schwerwiegenden Gestchtspurrkte aus betrachtet ist
die Mahnung zur Mätzigung auf allen Seiten gewitz ein
unbedingtes Gebot politischer Klugheit. Wir dürfen gewitz nicht zu-
lafsen, datz man den Mann begeifert, der für uns das Sinnbild oater-
ländischer Opferbereitschaft geworden ist, zu einer Zeit, wo so viele
den lebendigen Sinn für Volk und Heimat verloren zu haben scheinen.
Aber wir müsien im selben Jnteresse und mit demjelben Nachdruck
auf der rückjichtslosen Ahndung solcher llngeheuerlichkeiten
bestehen, wie sie Las Dynamitattentat auf das Münsterer sozialdemo-
kratische Parteiblatt oder die Lestialische Ermordung des Roßbach-
agenten Ladow darstellen. Das sind Scheutzlichkeiten, die eine bei-
spiellose innerpolitische und seelische Verrohung an den Tag legen
und an deren Sllhne jede-r deutsche Volksgenosje von der äutzersten
Rechten Lis zur Lutzersten Livken ein dringendes politisches Jnteresie
haben mutz. Hier mutz mit unnachsichtiger Eerechtigkeit geftraft wer-
den. Hier liegen offenbar Verbrechen vor, die sich gegen das eigene
Volk richten, und die man nur zu nachsichtig behandeln würde, wollte
man hier politische Motive als Milderungsgründe gelten lassen. Z»
erner Zeit, wo das Vaterland von autzen aufs schwerste bedroht wird,
ist ein politischer Ausnahmezustand geschaffen, der schon übererlte Un-
klugheit als ein Verbrechen gegen das eigene Land erscheinen lassen
kann, um wieviel mehr noch das sinnlose Wüten von Heitzspvrnen,
die allein schon deshalb nicht zu Taten berufen sein dürfen, wetl
ihnen aus ihrer Stellung heraus der lleberblick über die unge-
heurepolitischeTragweite ihrer unüberlegten Handlungen
versagt Lleiben mutz. Zm verantwortungsvollen Tat gehört Ruhe
und völlige Klarheit über alle Fotgen, die, wie sie auch immer
sein mögen, entschlossen getragen werden mllssen. Aber es gehött
auch und vor allem dazu, die Reinheit des Eewissens, die vor
den Eesetzen des Landes bestehen kann, für das der Täter sich hin-
gibt un-d alles, was dem entgegen das Licht des Tages zu scheuen
hat, nur aus dem Erunde, weil es vor dem forschenden Auge der
Eerechtigkeit erbleichen mutz, alles das mutz ohne Schonung
gerichtet und gesühnt werden als ein Verbrechen gegen das
eigene Votk. Die Frage einer Schuld steht und fällt mit der
Frage der V e r a n t w o r t u n g, und wenn aus diesen stichhaltt-
gen Eründen heraus der „Vorwärts" die Frage nach dem Verant-
wortlichen aufwirft» dann können wir uns dem nur voll und ganz
anschlietzen.

Aber das Problem liegk doch nicht so einfach, wie es nach den
Ausführungen des „Vorwätts" zunächst scheincn künnte. Es ist jedem
Richter betannt, datz nur in verhältnismätzig wenigen Fällen die
Tat im StaLium ruhiger, übettegener Klarheit erwogen und aus-
geführt wird, uud datz weitaus am häufigsten ein Assettzustand vor-
liegt, eine Ueberhitzung des Eemüts, die das Aufkommen sicherer,
alles überschauender Eedankengänge zu Zeiten völlig ausjchaltet.
Wenn dies letztere schon nicht die jeweitige Tat entschuldigt, ge-
schweige denn ungeschehen machen kann, so bceinflutzt es doch das
Urteil, -das der gesunde Menschenverstand immer noch am sichersten
über den Verbrecher fällt, auf Kosten desjenigen, der ihn dazn ge-
tricben hat. llnd hier dürfte denn Loch eine ernste Mahnung an die-
jenigen angebracht jein, die feit den Tagen der „glorreichen" Revo-
lution keinen Augenblick haben vorübergehen lassen, ohne gewisse
Kreise des Volkes und gerade diejenigen, die sozial am meiften zu
leiden haben, in einer unsäglich aufpeitschenden und nervenzerrütten-
den Weise zu peinigcn und innerlich zu zermürben. Die
Herren zur Linken setzen sich bei solchen Eelegenheiten, wie bei
den letzten innerpolitischen Vorkommnissen, aufs hohe Rotz, schlagen
sich pharisäisch-selbstgefällig an die Brust und sprechen grundsätzlich
von allen denen, die zufällig nicht Handarbeiter sind, als von
Verbrechergesindel. Aber wir möchten es ihnen doch, ohne
im geringsten die verabscheuungswürdigen Machenjchaften poli-
tischer Desperados beschönigen zu wollen, anheimgeben, sich
„wenn sie überhaupt noch ein Empfinden für die Eeistesver-
fassung Andersdenkender haben, doch einmal in den Eemütszustand
derjenigen hineinzuüenken, die nun seit den Novembertagen 1918
ständig den wüstesten Veschimpfungen und persünlichsten Angriffen
ausgesetzt sind, nur aus dem Erunde, weil sie nichr die geiftige
„Elastizität" besatzen, ohne innere Reibung zu der Partei des
Klasienkampfes überzuschwenken. Die ehrlosen Pöbeleien, denen sich
altc verdiente Soldaten m den Novembertagen 1918 von feiten un-
 
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