reifer Burschen ausgesetzt sahen, find letdsr nicht auf jene Spanne
Zeit beschränkt geblieben und die Hetzmethoden, die die Sozial-
demokratie heute mit zynischer Offenheit als ihr alleiniges Privi-
leg beansprucht, haben bis in die jüngste Zett Früchte gezeitigt, die
noch zu frisch in aller Erinncrung sind, als datz nicht gerad« die
Sozialisten mit ihrer Entrüstung jetzt etwas zurückhaltender
sein sollten- Die Eemeinheiten, mit denen die sozialdemokratische
Prcsie nicht erst heute, sondern auch schon in ruhigeren Zeiten alle
Andersdenkenden tn zügelloser Weise schmäht und begeifert, mögen
in den Rahmen des Klassenkampfprogramms fich würdig einfügen.
Zur sicheren und organischsn Ausgsstaltung eines von allen sei-
nen Bürgern zum eigenen Wohl und Wehe getragenen und geför-
Lerten Sthates tragen sie gewih nicht bei, und auf ihr Konto ist
es im wesentlichen zu buchen, wenn die Ruhe im Jnnern, die wir
so nötig brauchten, immer wicder so herben Erschütterungen aus-
gesetzt fein mutz. Jeder Nuchterne, der die Auslassungen des „Vor-
wärts" vom 26. Juni liest, wird sich sagen müssen, datz auch hier
mehr als nur die berechtigte Sorge um das Wohl des Staates, mehr
als nur das beletdigte Rechtsempfinden, mehr als nur der ver-
ftändliche Wunsch nach gerechter Strafe spricht. Hier redst nicht der
im Jnnern seines Eewissens betroffene Mensch, hier hetzt mit
Len skrupellosen Agitationsmitteln, die wir leider schon zu lange
von ihr gewohnt sind, eine Partei, die die Eelegenheit wittert,
alte und neue Anhänger um ihre Fahne zu scharen. Hier foll nicht
der Eerechtigkeit Eenüge gefchehen, hier wird nicht objek-
t i v verlangt nach der unnachsichtigen, aber klar und unbestechlich
abgewogenen Sühne für ein Verorechen. Hier wirü aus niederen
Jnstinkten heraus Profit gesucht für die eigene Partei, und der
heisere Schrei nach Rache nur schlecht bemäntelt durch die plumpe
Entrüstung rarüber, datz dte Flamme, die man seit Zahren uner-
müdlich selber geschllrt, nun das eigene Haus zu umzingeln droyt.
Wir halten es für unter unferer Würde, aus dem ruchlosen Ver-
brechen eigener Volksgenossen. die jedem anständigen Deutschen die
Röte der Scham tns Antlitz treiben müssen, eine Parteisuppe zu
kochen. Wir betonen noch einmal: Rücksichtslos mit aller nur
irgend anwendbaren Schärfe müssen die Verbrechen gesühnt werden,
die uns einen fürchterlichen Blick haben tun lassen in den mora-
lisch cn Abgru nd, in den unser ganzes Volk zu taumeln droht.
Die Strafen, die hier ahnden sollen, müssen in ihrer drakonifchsn
Schärfe etne Warnung an alle fein. Sie müssen zeigen, datz keiner
von uns heute die Rerven verlieren darf, daß jedes Sichgehen-
laflen, jedes Sichausliefern an unkontrollierbare, zügellose Vsrstim-
mnngen und deren Auswüchse schon ein Verbrechen ist am inneren
Bestand unseres Volkes. Sie müssen tn ihrer Härte abschreckend
wirken und jeden drohend darauf hinweisen, datz nur straffeste
Selbstdisziplin des einzelnen und willige Unterordnung unter das
Wohl der Eesamtheit uns alle heute vor dem drohenden Unter-
gang bewahren kann. Drakonische Strenge verlangt die
autzerordentlich schwierige politische Lage, in der sich unser Volk
heute Lefindet. Vor Verbrechen gegeu die eigenen Volksgenossen,
welcher Partei immer sie angehören mögen, ist in Stunden der Not
jede nachsichtltche Milde unangebrachk. Wer das Wohl aller ge-
fährdet, darf für seine Person nichts erwarten. Der Gsrechtigkeit
mutz Genüge werden. Aber auch nur der Gerechtigkett, die
das Wohl aller betraut, nicht einer parteipolitischen Recht-
sprechung, die auf einem Gesetze futzt, das einer ausgesprochen ein-
seitigen politischen Tendenz seine Entstehung verdankt, und auch
diesmal offensichtlich nur dazu herhalten soll, auf dem Wege der
Jurisdiktion einer bestimmten Partei im Staate schrankenlose Macht
einzuräumen. 0.0.
I Sie sranzöflsche Sungerbkockade.
Vergebliche Berschleierungsoersuche der sranzöstschen Pressestellx.
Eigene Drahtmeldung-
Düfleldorf, 27. Juni.
Die französische Pr e stze st e l le in Düsseldorf meldet,
die deutschen Behörden seien Lenachrichtigt worden, datz die Lebens-
mittelversorgung aus dem unbesetzten Deutschland nach dem
besetzten Erüiet laut ihnen bereits früher gemachter Mitteilung von
der französischen Eisenbahnregie nach dem Bestimmungsorte weiter-
geleitet werüe, vorausgesetzt, datz die deutschen Behörden die Lebens-
mittelsendungen nach dem von den Franzosen verwalteten Bahnhofe
wsiterleiten, und datz die Empfänger die von der Regie berechneten
Frachten dafür erlegen.
Durch die Formulierung dieser Meldung, die von der fran-
zösischen Pressestelle insbesondere an alle ausländischen Jour-
naliften gegeben wurde, soll augenscheinlich der Eindruck erweckt wer-
den, als ob Frankreich der Lebensmitteletnsuhr ins besetzte Gebiet
keinerlei Hindernisse in den Weg lege. Jn Wirklichkeit bestätigt
diese Mitteilung aber, datz Frankreich die Durch-
führung der Hungerblockade in vollem Umfang auf-
rechterhalten will, denn alle Bedingungen, die die Franzosen
für die Transporte aufstellen, können weder von der deutschen Be-
völkerung noch von den deutschen Behörden ersüllt werden, und das
wissen die Franzosen auch sehr genau. Wenn sie trotzdem ihre An-
ordnungen aufrecht erhalten, und wenn sie gerade jetzt eine solche
Mitteilung in die Welt schicken, so kann man darin nur einen Ver-
such erblicken, die Berichte der englischen Kontrolloffiziere über die
Wirkung der französischen Hungerblockads auf die Bevölkerung im
Ruhrgebiet zu entkräften. Die Herausgabe einer solchen Mitteilung
unmittelbar im Anschlutz an den Besuch der englischen Kontroll-
offiziere im Ruhrgebiet lätzt deutlich crkennen, welches llnbehagen
diese englische Zntervention den Franzosen verursacht hat.
Kranzösische SrntalM.
Weitere Greueltaten der entfesselten Soldateska.
Völkerbundskriliker.
Parrs, 27. Juni. (Eig. Drahtm.j Nach einer Meldung des
,Fkew York Herald" ist Senator Zohnson, del Führer der lln-
versöhnlichen im amerikanischen Senat und Hauptgegner des
Eintritts Amerikas in denVölkerbun'o, im Haag
eingetroffen, um an Ort und Stelle die Vcrhandlungsmethode des
gegenwärtig dort tagenden internationalen Eerichtshofes aus
eigener Anschauung kennen zu lernen. .
Professor Einstein, der, wie bekannt, nach der Rückkehr aus
Japan seinen Austritt aus der Völkerbundskommission für
intellektuelle Zusammenarbeit erklärt hat, schreibt in der „Friedens-
warte" über seinen Austritt: „Zch tat es, weil das bisherige Wirken
des Völkerbundes mich davon überzeugt hat, datz es keine noch so
brutale Handlung der gegenwärtig mächtigen Staatengruppe zu
gebsn scheint, gegsn welche der Völkerbund aufftehen würde. Jch
tat es, weil der Völkerbund, so wie er heüte seines Amtes waltet,
Vas Jdeal einer internationalen Organisation nicht nur nicht ver-
körpert, sondern geradezu diskreditier t." Einsteins Nachfolger
im Völkerbund ift Professor H. A. Lorentz in Harlem.
Besetztes Eebiet, 27. Juni.
Am Samstag, den 23. ds. Mts., abends 10.30 llhr, wurde die
Ehefrau eines Bergmanns aus Schonnebeck, als sie sich auf dem
Wege von Krey nach Schonnebeck befand, von franzüsischm Eisen-
bahnern in Zivil und zehn Soldaten überfallen, mitzhandelt und
vergewaltigt. Ein in ihrer Beglsitung befindlicher junger
Mann wurde unter Mitzhandlungen davongejagt. Der erst 17jährigen
Frau wurde das Eepäck mit Lebensmitteln und Bekleidungsstllcken
im Werte von einer Million und ferner 88 000 Mark in Lar weg -
genommen. — Jn Brakel nahmen die Franzosen oon einem
Güterzug sieben Wagen mit Lebensmitteln und anderen Gütern wsg.
— Die Zechen Ewald-Fortsetzung in Erkenschwik, die Zeche Brassirt
in Marl und die Zeche Augusta Viktoria in Huels sind Les'izt
worden. — In Frintrop sprengten fünf französische Kriminal-
beamte eine dienstliche Versammlung der Eisenbahner. — Landrat
Dr. K l a u s e n e r - Recklinghausen ist nach Verbützung seiner zwei-
monatigen Eesängnisstrafe ausgewiesen worden. — Jn Ober-
hausen sind die französischen Truppen durch belgische abgelöst
worden.
Wegen der Bomben-Explosion auf dem Wiesbadener
Hauptbahnhof ist jedeEin-undAusreise gesperrt. Ueber
die Stadt ist ferner eine Stratzensperre von 8.30 llhr abends
ab verhängt worden.
Dämmernde Erkenntnis?
Paris, 27. Zuni. Unter Äer lleberfchrift: „Vier Deutsche ge-
tütet, drei verletzt! Genug der Toten! Räumt das Ruhrgebiet!"
schreibt die „Humanitö": „Das Ruhrzebiet ist fiir PoincarL ein
Pfand, ein Gut, ein unperföulicher Wert, ein' Gegenstand. Man
nbt den schärfsten Druck auf das Ruhrgebiet aus, damit es irgend-
einen Ertrag liefere, wie man eine gefühllofe Frucht pressen
würde, um ihren Saft anszudrücken. Man behandelt eine am dich-
testen bevölkerte Eegend der Welt wie eine träge Masse, in der
kein« Seele lebt. Das ist das Versahren des Eroberers." Die
.^umanite" fchreibt weiter: Man kann nicht zngeben, datz zu all-
gemeinen politifchen Zwecken eine sriedliche Bevölke-
rung mißhandelt werde und datz es einer sorglosen Soldateska
freistehe, wuf sie zu fchietzen, wie auf Freiwild. Am Sonntag hatten
sich in Buer furchibare Vorgänge abgefpielt. Deutlfche seien nachts
in der Stadt fpazieren gegangen trotz ües Verbots der Militär-
Lehörden. Belgifche Soldaten hätten auf sie geschossen und dabei
drei D-eutfche getütet und Lrei schwer verletzt. Die „Liberts" habe
diefen Mord unter der lleberschrift: „Die Belgier werden böse" be-
richtet und das beweife, datz die „Liberts" die Anficht vertrete, je
wenrger Deutfche Lbrig blieben, umfo besser. Aber diese abstoßende
Barbarei werde auch gemätzigteren Lenten als den Kommnnisten
der „Hnmanits" znwider sein. An diese richtet das Blatt die Frage,
ob fie dieses wüste und lLcherliche Treiben wünschten. Der „Huma-
nits" erschienen die Toten der letzten Tage, ob ste sranzöfische oüer
belgifche Soldaten oder deutsche Bnrger seien, alle nnr als Opfer.
Aus der Jnzenieurmifsion und der nnsichtLaren Vefetzung fei jetzt
der wirkliche Kriegszustand gekommen. Vor fiinf Monaten
hätten die französifchen Kommunisten, die dies vorausgeleyen
ausgesprochen hätten, ihre Ansicht mit Gefängnisstrafen
müssen. Werde denn auch jetzt noch die öffentliche Meinung stufnm
ble iben, werde sie noch lünger dulden, Latz Lie Menfchen getoleu
bis die Herren der Diplomatie, der Jndlustrie und der Bankwe
ihre Eefchäfte arrangisrt hätten? .
Wie der „Kölnifchen Zeitung" wus Buer berichtet wirch wur
außer Len bereits genannten Personen auch der Sühn des Steigeis
Werner vorgestern von den Soldaten der Befatzungstruppen «i-
'jchossen. Die Zahl Ler Erschoflenen stelle stch viel höher als
sprünglich angegeben worden ist. U. a. fei auch eine Frau durw
einen Brustschutz schwerverletzt wovden. ,
Nach einer weiteren Meldnng aus Buei wurde gestern mitias
im alten Amtshaufe aus der Treppe zur Sparkasse dei Zechenvoi
Prinzen von einem belgifchen Offizier erfchofsen. Prinze
war zuerst von dem Offizier gestotzen worden und soll sich dies
energifcher Weife verbeten haben. Prinzen ist SchwerkriegÄ>e><YUf
digier und Vater von fünf Kindern. Bor dem Rathaus in Horp-
Emscher wurde gestern nachmittag ein Mann, Ler in das avge-
schlossene Gebäude wollie, erfchoffen. — Ha-vas meldet . aus
Düfleldorf: Die llnterfuchung des Vers-uchs, dvn Zng Pari s
Mainz zur Entgleijung zu briugen, hat ergeben, datz es llw
in keiner Welse um ein vorbedachtes Aitentat gegen Äen Sonderzuz
des Marschalls Petain handeln kann, da der Anfchlag auf Ler Stt«ae
Paris—Mainz—WieSbaüen erfolgte und der Zug des Marschau
die Strecke Koblenz—Mainz benntzt hat. — Nach einer Havas-
nieldung aus Düsseldors haben die 'belgischen Behörden eine Anzays-
Deutfcher verhaftet, vle, als belgifche Soldaten verkleidot, zE.
reiche Attentate begangen haben sollen. (!!!?) — Aus W o r m ,
haben Eymnasialdirektor Lauteschläger und Amtsgerich-ts^
Trautwein von dsr Rheinlandkommisston Ausweifungs -
befehl erhalten.
Das französische Suöget.
Beendigung der Beratmrgen im Senät.
Von unserem L-Korrespondenten.
Paris. 27. Zum-
Nachtzem dsr Senat gestern mit der V udgetbe ratuNS
fertig geworden war und einen lleberfchutz der Einnahmen über di
Llusgaoen m Höhe von 781 Mill. Francs festgestellt hat, befchäftig^
sich hent« die Finanzkommifsion der Kammer mit diefem abgeänder
ten Budgei. Sie mutzte aber neuerdings Umstellungen vornelnien
n>irk> keQntLaaLn. dis nri^en-ilickpn (^snnns>m-ssn niit 2Z.45
und wird beantragen, die ordentlichen Einnahmen mit 23,15 k
liarden, die Ausgaben mit 22,85 Milliarden anzunehmen, so
sich ein lleüerschutz von 600 Millionen Francs ergebe. Die Kamw-
wird das abgeänderte Budget morgen beraten. Bezüglich der
Deutschland zu deckenden Aiisgaben erklärte die Finanzkommislwm
datz diefe Ausgaben 13,5 Milliarden betragen einjchl. Ler 2,5 M"
liavden, di« von dem ordentlichen Budger auf das von Teutfchlano
zu deckende Budget übertragen waren. Die Einnahmen erreichttff
nur 3,5 Milliard-en, fo dah alfo Deutfchland 10 Milliarden zu
zahlen hatte. Falls dies nicht gefchehe, mützten sie Lnrch AnleiG'
aufgebrachi werden.
Der optlmistische pomcare.
de S >
Paris, 27. Juni. (Eig. Drahtm.) Unter dem Vorsist des Senatitt»
ielve tagte Dienstag die Lenatskommission für auswärt
niit
Angelegenheiten^ De Selve berichtste über feine Besprechung.'^
Poincars. Danach zeigte sich dieser durchaus optim-,- „
und hätte festgestellt, dao die französisch-amerikanischen Beziehung-^
niemals so herzlich gewesen wäre wie zetzt. (?) Ueber die Lage
Ruhrgebiet konnte sich Poincars nur äutzern, datz sie von
Aranzösischer Rohallfienproze-.
du Roi statt, die beschuldigt sind, vor vier Wochen die bei-T
Abgeordneicn Sangu-ier und Moutet sowie >den früheren A
geordneten Violette verprügelt zu haben, die in einer Vytt
verfammlung gegen die Treibereien der französifchen Royalist
sprechen wollten. Maurras, der -der Anstiftung zu diel.
Schlägerei befchuldigt ist, verteidigi sich damit, datz feine Handtu^
im Jnteresse Frankreichs gelegen sei. Es steht noch nicht stst
der Prozetz heuie zu Ende gehen wird. "
Eme hochßerzige Spende des papstes.
Köln, 27. Juni. Der päpftliche Legat Ms-gr. Testa überveiE
nach dcr „Köln. Ztg." dem Kaplan Dr. Blank in Hattingen
Spende von 500 000 Lire für Wohl-tätigksitszwecke. Nach dem gog^
e-in«
im
Tag
zu Tag für Frankreich günstiger (?) werde. Die Derhandlunge
mit England würden nach der Neubildung des belgischen Kabine»
mit grötzter Beschleunigung wieder aufgenommen.
Paris, 27. Juni. (Eig. Drahtm.) Vor einem Pavifer Slrn^
gericht f-indet heute der Prozetz g-egeu den Herausgeber der „Act>u
Frantzaife", Charles Maurras, sawie gegen drei Lamel o i
Zsa.
Roman von Jeunq Freisrau Schilling o. Canstatt.
23. Fortsetzung. Nachdruck verboten.
Aber er war ein müder Ereis geworden, das Fieber hatte seine
Kraft aufgezehrt. Auf seinen Knotenstock gestützt, schleppte er stch
-durch feine Zi-mmer, oüer er fatz in Decken gehüllt am Kaminfeuer,
Las nie erlöfchen dnrfte, trotz Sonnenfchein und Vogelgezwitscher.
Er fror jetzt immer, und er war immer müd«.
Zufammengekauert in feiuem Lehnstuhl konnte er stundenlang
sitzen und dem Spiel der Flämmen zufchauen.
Mit seinen Stu-dien befchäftigte er sich nicht mehr, und fiir seine
Sam-mlungen hatte er kaum noch einen Blick. Auch sein Geist war
stumpf uud müde geworden.
An Tagen, da ihm wohler war, trug Elvira wohl das Schach-
brett au den Kaminplatz uud wartete geduldig, bis die zitternden
Greisenhände die Figuren ordn-eten, wartet« gednldig, wenn er
e'men Zug überlegte. Sie fatz ihm daun gegenüber in Lem hoch-
lehnigen Sefsel, den Kopf in die Polsterung gefchmiegt, die schmalen,
wunderschünen Hänüe im Schotz verfchränkt.
Auf dem Kaminsims brannten auf hohen Leuchtern gelbe, dicke
Wachskerzen, das einzige Licht, das deu alten Augen des Hausherrn
wohltuenü war.
Der flackernde Feuersche-in mischte sich mit dem goldfarbenen
^rzenlicht und fiel weit in Las düstere Zimmsr.
Er funkelte auf den Elaswänden der hohen Vitrine, wo auf
grünem Samt Jndiens Schätze sich aufbauten. Es s-unkelre und
gleitzte d-er Schuppenleib üer Schlange, die einst Nadinas schönen
Arm umwanü, es flimmerte und strahlte das Halsband aus.Ru-
binen, das einst eine franzö-sifche Köntgin gefchmückt. Starr hafieten
Elviras Llicke an der Elaswand der Vitrinc.
Da, ganz nahc, stanL der Elefant aus Eold mit den weiß-en,
spitzen Siotzzähnen, mit den zierlichen Türmen aus Elfenbein auf
dem Rücken.
Schien er nicht mit dem Kopfe zu nicken. . . . ihr zu? Blickte
er sie nicht an mit feinen schläfri-gen Schlitzangen, in Lenen fooie!
Bosheit und List zu lauern >chien?" —
Ja, er nickte ihr )u, er blickte sie an, es war kein Zweiiel. Ein
Frösteln glitt über sie hin. Sie dachte jener Nachi, da sie dem
Kmistweri fsin Eeheimnis abgerungen hatte, da sie das Jnnere der
beid-en Türme geschaut hatte.
,T>u List am Zug, Elvira!" Es war immer die gleiche, müde
Siimme, die sie der Wirklichkeit wiedergab. Drautzen bliihte und
dufteie der Mai!
Der alte Park stand im Frühlingskleid, Veilchen dufteten, und
»bends fchlug die Amsel ihr fützes Lied.
Es war jen-e wundersam-e Ze-it, wo in allen Herzen eine grotze
Sehnsucht aufsteht, wo alte Menschen verzeihend lächeln und junge
Menfchen holde Torheiten bege-hen.
Da kam in das stille Hatzlingshaus e!n Klana von der Welt
drautzen, die Theobald von Hatzlingen längst vergeflen hatte, die er
sich rüstete zu verlassen.
Ein Brie-f wuröe ihm gebracht, eingefchrieben uud mit dem
Wappen der Hatzliugs gesie-gelt. De-r alte Mann Lrehte ihn ver-
wund-ert in d-en zitternden Händen, viel zu lang für Elv-iras lln-
gedulv-
„Es ist mein Wappen!" Die beiden geballten FLuste im Eisen-
handfchuh uno darüber die Worte „Sturm und Fehde!" sagte er
langiam. Und dann las er Helmut von Hatzlingens Bri-ef, jeneu
Vrief, den L-i-efer in seiner grotzen Notlag-e an sei-nen einzigen nvch
lebenoen Verwandten geschrieben.
Theobald von Hatzlingen las den Brief oiele Male, dann legte
er den Briefumf-chlag, d-er die g-enaue Adresse des Absend-ers trug,
forgsam in fein-e Bri-eftafche, ,das Schreiben selbst aber watf er in
die prasselnde Elut des Kamins, uno fah grimmig lächelnd zu, wie
Las Papier in fchwarze Afche sich waud-elte.
Ein böfes Licht glom-m in Elv-iras dunklen Augen anf, ab-er sie
schwieg.
Auch Theobald von Hatzlingen schwieg.
Verjonnen fah er dem Flammenfpiel zu, und in feinem alien,
müden Herzen klangen die Worte d-es Brief-es wider, eindringlich-
und immer gebieterifcher:
Ein Hatzlingen in Nol.
Der Letzte feiner Sippe, der Letzte seines Namens! — llnd dann
fchrieb er in einfamer Nacht an feinen Rechtsanwalt und legte eine
Anweisung von 3000 Mark bei, auszuzahleii dem Oberleutnant a. D.
von Hatzlingen.
Und mit zitternder Hand fchrieb er wenige Zeilen an diefen
Neffen, von defsen Daf-ein ihn eine ferne, ferne Erinnerung überkam,
und bat ihn so bald als müglich ihn aufzns-uchen, da er ihn kennen
zu leruen wünfche.
Und erst als Helmut von Hatzlingens stürmifch-er Dankbrief in
seinen Hänüen lag mit der Meldung s-einer nahen Ankmrft, erst da
sprach er zu Eloira von dem jungen Verw-andten und feinem beoor-
stehenden Befuch.
Helmut von Haßlingen kam, und seine Gegenwart, feine Zugend
wivkten wie feuriger Wein auf den gesmilenen Lebensmnt des
alten Herrn. De-r Juli zog ins Land.
Auf Helmuts und des Dieners Arm gestützt, wagte sich Theobald
in di« Sommerwärme feines herrlich-en Eartens. Die Rofen blühten
fo üppig, so düfteschwer wie fei-t Jahren nicht mehr, verträu-mt plau-
derte das Wasserspiel.
Der alte Herr bekam wieder App-etit, hatje mehr Znterefle am
Leben, und frsute siH an feinem Neffen. Lesfen srohsinnige La-une
ihm die Erillen vertieb. Babetie und Frie-drich taien ihr möglich!^'
dem jungen Herrn den Aufenthalt in Hatzlingshaus fo sckiön, "
in ihrsr Macht lag, zu geftalten, sie vergötrerten ihn zeradezu-
Babette entfaltete Koch-künste, die Hclmuts tieffte Bewunüefu s
erregten, und Friedrich -brachte den teuersten Wein aus den Tttl
dcs Kellers.
Es waren Sonnentage. von denen das alte Dienerpaar nock,
Jahrzehnten -sprach, Sonnentage, >L-ie dann einen fo jähen Abjcyj
hatien. Erst kam das llnglück mit dem Sch-laganfall, Lsr -dein al^.
Hervn die linke Körperseite lähmte und -ihn der Sprache berau^
ihm folgte wenige Tage später dcr plötzliche, unfaßliche Tod
jungen Herrn von Hatzlingen. Man sand ihn eines Ätorgens -
im Bett, nnd der Arzt stellie einen Herzschlag als Todesurfache l l
Der alte Herr von Hatzlingen hatte -die Sprache nich-t
erlangt, noch die Bewezungsfteiheit sein«-r Elieder. Ein fanftel u-
erlöste ihn nach wenigen Wochen von seinem qualvollen Zusiauo-
Schonend hatte ihm der Ärzt den Tod Helmut von Hatzlnige
beigebracht, und nie vergatz Doktor Steinert den Ausdruck
Au-geu des Sterbend-en, den qualvollen, flehcnden Blick eines
fch-en, der der Sprache beraubt ist. ^
Elvira von Hatzliugcn war laut Testameutsbestimmung ^
alleinige Erbin eines Bermögens von vier Millionen, Besitzerin
Hatzlingshaus und alleu feinen Kost-barkeiten. -.„j.
Anfehnliche Legate waren an Friedrüh und Babette ausgeiM^
Eine Vestimmung hatte der Tote autzerdem noch getroff«n
Lrbin durst« Haus uud Grundstück nicht veräuhern oder vermie^^.
sondern mutzte es zum Wohnfitz behalten, falls sie nicht des
verlustig gehen wollt«. meflen
Di« Bestimmung darüber nach ihrem Tod blisb ihrem Srmeii ^
freigestellt, m-it der Beding-ung, üatz ei-ne Million zum Woyi«
Armen d-e-r Stadt Hanuover oerwend-et werden solle. . ,jj«.
Elvira vvn Hatzlingen war an dem Ziel, das sie sich 6^^ ( d«r
Datz ihr Onkel so reich war, hatte si« nie geaHnt, und i>e
Verlesuiig des Testaments war ihr farbloses Gesicht gleichl.aw^^^
graut, und sie hatte mit einer Ohnmachtsanroandlung
müssen, sie, d!e so gleichmütig, fo gelassen war, die nie aus
Gleichgewicht kam.
War es die Bestimmung des Verstorbenen, die fie un
lingshaus feflelte für immer, für ihr g-anzes L-ben, fallr
des grotzen Erbes verliustig gchen wollte, ooer die enorme
Vermögens, die ihren Nerven so zusetzte? Sie hat^
Pläne gehabt. Sie hatte ihren Wohnsitz an den Rhem od'er
Bodenfee verlegen wollen, we-it, weit von hirr- ^jjhe
Von einer Lehaglichen Villa hatte si« geträumi in r
eine-r grotzen Siadt, -die ihr Kunstgenüsse hätte bieten i
Ein Heim wollte ste sich aufbauen, schön wie ein u.
allsm Komfort der Neuzei-t ausgestattet! (Fortsttzung solgt->
-tt
-m!
stlsi
Zeit beschränkt geblieben und die Hetzmethoden, die die Sozial-
demokratie heute mit zynischer Offenheit als ihr alleiniges Privi-
leg beansprucht, haben bis in die jüngste Zett Früchte gezeitigt, die
noch zu frisch in aller Erinncrung sind, als datz nicht gerad« die
Sozialisten mit ihrer Entrüstung jetzt etwas zurückhaltender
sein sollten- Die Eemeinheiten, mit denen die sozialdemokratische
Prcsie nicht erst heute, sondern auch schon in ruhigeren Zeiten alle
Andersdenkenden tn zügelloser Weise schmäht und begeifert, mögen
in den Rahmen des Klassenkampfprogramms fich würdig einfügen.
Zur sicheren und organischsn Ausgsstaltung eines von allen sei-
nen Bürgern zum eigenen Wohl und Wehe getragenen und geför-
Lerten Sthates tragen sie gewih nicht bei, und auf ihr Konto ist
es im wesentlichen zu buchen, wenn die Ruhe im Jnnern, die wir
so nötig brauchten, immer wicder so herben Erschütterungen aus-
gesetzt fein mutz. Jeder Nuchterne, der die Auslassungen des „Vor-
wärts" vom 26. Juni liest, wird sich sagen müssen, datz auch hier
mehr als nur die berechtigte Sorge um das Wohl des Staates, mehr
als nur das beletdigte Rechtsempfinden, mehr als nur der ver-
ftändliche Wunsch nach gerechter Strafe spricht. Hier redst nicht der
im Jnnern seines Eewissens betroffene Mensch, hier hetzt mit
Len skrupellosen Agitationsmitteln, die wir leider schon zu lange
von ihr gewohnt sind, eine Partei, die die Eelegenheit wittert,
alte und neue Anhänger um ihre Fahne zu scharen. Hier foll nicht
der Eerechtigkeit Eenüge gefchehen, hier wird nicht objek-
t i v verlangt nach der unnachsichtigen, aber klar und unbestechlich
abgewogenen Sühne für ein Verorechen. Hier wirü aus niederen
Jnstinkten heraus Profit gesucht für die eigene Partei, und der
heisere Schrei nach Rache nur schlecht bemäntelt durch die plumpe
Entrüstung rarüber, datz dte Flamme, die man seit Zahren uner-
müdlich selber geschllrt, nun das eigene Haus zu umzingeln droyt.
Wir halten es für unter unferer Würde, aus dem ruchlosen Ver-
brechen eigener Volksgenossen. die jedem anständigen Deutschen die
Röte der Scham tns Antlitz treiben müssen, eine Parteisuppe zu
kochen. Wir betonen noch einmal: Rücksichtslos mit aller nur
irgend anwendbaren Schärfe müssen die Verbrechen gesühnt werden,
die uns einen fürchterlichen Blick haben tun lassen in den mora-
lisch cn Abgru nd, in den unser ganzes Volk zu taumeln droht.
Die Strafen, die hier ahnden sollen, müssen in ihrer drakonifchsn
Schärfe etne Warnung an alle fein. Sie müssen zeigen, datz keiner
von uns heute die Rerven verlieren darf, daß jedes Sichgehen-
laflen, jedes Sichausliefern an unkontrollierbare, zügellose Vsrstim-
mnngen und deren Auswüchse schon ein Verbrechen ist am inneren
Bestand unseres Volkes. Sie müssen tn ihrer Härte abschreckend
wirken und jeden drohend darauf hinweisen, datz nur straffeste
Selbstdisziplin des einzelnen und willige Unterordnung unter das
Wohl der Eesamtheit uns alle heute vor dem drohenden Unter-
gang bewahren kann. Drakonische Strenge verlangt die
autzerordentlich schwierige politische Lage, in der sich unser Volk
heute Lefindet. Vor Verbrechen gegeu die eigenen Volksgenossen,
welcher Partei immer sie angehören mögen, ist in Stunden der Not
jede nachsichtltche Milde unangebrachk. Wer das Wohl aller ge-
fährdet, darf für seine Person nichts erwarten. Der Gsrechtigkeit
mutz Genüge werden. Aber auch nur der Gerechtigkett, die
das Wohl aller betraut, nicht einer parteipolitischen Recht-
sprechung, die auf einem Gesetze futzt, das einer ausgesprochen ein-
seitigen politischen Tendenz seine Entstehung verdankt, und auch
diesmal offensichtlich nur dazu herhalten soll, auf dem Wege der
Jurisdiktion einer bestimmten Partei im Staate schrankenlose Macht
einzuräumen. 0.0.
I Sie sranzöflsche Sungerbkockade.
Vergebliche Berschleierungsoersuche der sranzöstschen Pressestellx.
Eigene Drahtmeldung-
Düfleldorf, 27. Juni.
Die französische Pr e stze st e l le in Düsseldorf meldet,
die deutschen Behörden seien Lenachrichtigt worden, datz die Lebens-
mittelversorgung aus dem unbesetzten Deutschland nach dem
besetzten Erüiet laut ihnen bereits früher gemachter Mitteilung von
der französischen Eisenbahnregie nach dem Bestimmungsorte weiter-
geleitet werüe, vorausgesetzt, datz die deutschen Behörden die Lebens-
mittelsendungen nach dem von den Franzosen verwalteten Bahnhofe
wsiterleiten, und datz die Empfänger die von der Regie berechneten
Frachten dafür erlegen.
Durch die Formulierung dieser Meldung, die von der fran-
zösischen Pressestelle insbesondere an alle ausländischen Jour-
naliften gegeben wurde, soll augenscheinlich der Eindruck erweckt wer-
den, als ob Frankreich der Lebensmitteletnsuhr ins besetzte Gebiet
keinerlei Hindernisse in den Weg lege. Jn Wirklichkeit bestätigt
diese Mitteilung aber, datz Frankreich die Durch-
führung der Hungerblockade in vollem Umfang auf-
rechterhalten will, denn alle Bedingungen, die die Franzosen
für die Transporte aufstellen, können weder von der deutschen Be-
völkerung noch von den deutschen Behörden ersüllt werden, und das
wissen die Franzosen auch sehr genau. Wenn sie trotzdem ihre An-
ordnungen aufrecht erhalten, und wenn sie gerade jetzt eine solche
Mitteilung in die Welt schicken, so kann man darin nur einen Ver-
such erblicken, die Berichte der englischen Kontrolloffiziere über die
Wirkung der französischen Hungerblockads auf die Bevölkerung im
Ruhrgebiet zu entkräften. Die Herausgabe einer solchen Mitteilung
unmittelbar im Anschlutz an den Besuch der englischen Kontroll-
offiziere im Ruhrgebiet lätzt deutlich crkennen, welches llnbehagen
diese englische Zntervention den Franzosen verursacht hat.
Kranzösische SrntalM.
Weitere Greueltaten der entfesselten Soldateska.
Völkerbundskriliker.
Parrs, 27. Juni. (Eig. Drahtm.j Nach einer Meldung des
,Fkew York Herald" ist Senator Zohnson, del Führer der lln-
versöhnlichen im amerikanischen Senat und Hauptgegner des
Eintritts Amerikas in denVölkerbun'o, im Haag
eingetroffen, um an Ort und Stelle die Vcrhandlungsmethode des
gegenwärtig dort tagenden internationalen Eerichtshofes aus
eigener Anschauung kennen zu lernen. .
Professor Einstein, der, wie bekannt, nach der Rückkehr aus
Japan seinen Austritt aus der Völkerbundskommission für
intellektuelle Zusammenarbeit erklärt hat, schreibt in der „Friedens-
warte" über seinen Austritt: „Zch tat es, weil das bisherige Wirken
des Völkerbundes mich davon überzeugt hat, datz es keine noch so
brutale Handlung der gegenwärtig mächtigen Staatengruppe zu
gebsn scheint, gegsn welche der Völkerbund aufftehen würde. Jch
tat es, weil der Völkerbund, so wie er heüte seines Amtes waltet,
Vas Jdeal einer internationalen Organisation nicht nur nicht ver-
körpert, sondern geradezu diskreditier t." Einsteins Nachfolger
im Völkerbund ift Professor H. A. Lorentz in Harlem.
Besetztes Eebiet, 27. Juni.
Am Samstag, den 23. ds. Mts., abends 10.30 llhr, wurde die
Ehefrau eines Bergmanns aus Schonnebeck, als sie sich auf dem
Wege von Krey nach Schonnebeck befand, von franzüsischm Eisen-
bahnern in Zivil und zehn Soldaten überfallen, mitzhandelt und
vergewaltigt. Ein in ihrer Beglsitung befindlicher junger
Mann wurde unter Mitzhandlungen davongejagt. Der erst 17jährigen
Frau wurde das Eepäck mit Lebensmitteln und Bekleidungsstllcken
im Werte von einer Million und ferner 88 000 Mark in Lar weg -
genommen. — Jn Brakel nahmen die Franzosen oon einem
Güterzug sieben Wagen mit Lebensmitteln und anderen Gütern wsg.
— Die Zechen Ewald-Fortsetzung in Erkenschwik, die Zeche Brassirt
in Marl und die Zeche Augusta Viktoria in Huels sind Les'izt
worden. — In Frintrop sprengten fünf französische Kriminal-
beamte eine dienstliche Versammlung der Eisenbahner. — Landrat
Dr. K l a u s e n e r - Recklinghausen ist nach Verbützung seiner zwei-
monatigen Eesängnisstrafe ausgewiesen worden. — Jn Ober-
hausen sind die französischen Truppen durch belgische abgelöst
worden.
Wegen der Bomben-Explosion auf dem Wiesbadener
Hauptbahnhof ist jedeEin-undAusreise gesperrt. Ueber
die Stadt ist ferner eine Stratzensperre von 8.30 llhr abends
ab verhängt worden.
Dämmernde Erkenntnis?
Paris, 27. Zuni. Unter Äer lleberfchrift: „Vier Deutsche ge-
tütet, drei verletzt! Genug der Toten! Räumt das Ruhrgebiet!"
schreibt die „Humanitö": „Das Ruhrzebiet ist fiir PoincarL ein
Pfand, ein Gut, ein unperföulicher Wert, ein' Gegenstand. Man
nbt den schärfsten Druck auf das Ruhrgebiet aus, damit es irgend-
einen Ertrag liefere, wie man eine gefühllofe Frucht pressen
würde, um ihren Saft anszudrücken. Man behandelt eine am dich-
testen bevölkerte Eegend der Welt wie eine träge Masse, in der
kein« Seele lebt. Das ist das Versahren des Eroberers." Die
.^umanite" fchreibt weiter: Man kann nicht zngeben, datz zu all-
gemeinen politifchen Zwecken eine sriedliche Bevölke-
rung mißhandelt werde und datz es einer sorglosen Soldateska
freistehe, wuf sie zu fchietzen, wie auf Freiwild. Am Sonntag hatten
sich in Buer furchibare Vorgänge abgefpielt. Deutlfche seien nachts
in der Stadt fpazieren gegangen trotz ües Verbots der Militär-
Lehörden. Belgifche Soldaten hätten auf sie geschossen und dabei
drei D-eutfche getütet und Lrei schwer verletzt. Die „Liberts" habe
diefen Mord unter der lleberschrift: „Die Belgier werden böse" be-
richtet und das beweife, datz die „Liberts" die Anficht vertrete, je
wenrger Deutfche Lbrig blieben, umfo besser. Aber diese abstoßende
Barbarei werde auch gemätzigteren Lenten als den Kommnnisten
der „Hnmanits" znwider sein. An diese richtet das Blatt die Frage,
ob fie dieses wüste und lLcherliche Treiben wünschten. Der „Huma-
nits" erschienen die Toten der letzten Tage, ob ste sranzöfische oüer
belgifche Soldaten oder deutsche Bnrger seien, alle nnr als Opfer.
Aus der Jnzenieurmifsion und der nnsichtLaren Vefetzung fei jetzt
der wirkliche Kriegszustand gekommen. Vor fiinf Monaten
hätten die französifchen Kommunisten, die dies vorausgeleyen
ausgesprochen hätten, ihre Ansicht mit Gefängnisstrafen
müssen. Werde denn auch jetzt noch die öffentliche Meinung stufnm
ble iben, werde sie noch lünger dulden, Latz Lie Menfchen getoleu
bis die Herren der Diplomatie, der Jndlustrie und der Bankwe
ihre Eefchäfte arrangisrt hätten? .
Wie der „Kölnifchen Zeitung" wus Buer berichtet wirch wur
außer Len bereits genannten Personen auch der Sühn des Steigeis
Werner vorgestern von den Soldaten der Befatzungstruppen «i-
'jchossen. Die Zahl Ler Erschoflenen stelle stch viel höher als
sprünglich angegeben worden ist. U. a. fei auch eine Frau durw
einen Brustschutz schwerverletzt wovden. ,
Nach einer weiteren Meldnng aus Buei wurde gestern mitias
im alten Amtshaufe aus der Treppe zur Sparkasse dei Zechenvoi
Prinzen von einem belgifchen Offizier erfchofsen. Prinze
war zuerst von dem Offizier gestotzen worden und soll sich dies
energifcher Weife verbeten haben. Prinzen ist SchwerkriegÄ>e><YUf
digier und Vater von fünf Kindern. Bor dem Rathaus in Horp-
Emscher wurde gestern nachmittag ein Mann, Ler in das avge-
schlossene Gebäude wollie, erfchoffen. — Ha-vas meldet . aus
Düfleldorf: Die llnterfuchung des Vers-uchs, dvn Zng Pari s
Mainz zur Entgleijung zu briugen, hat ergeben, datz es llw
in keiner Welse um ein vorbedachtes Aitentat gegen Äen Sonderzuz
des Marschalls Petain handeln kann, da der Anfchlag auf Ler Stt«ae
Paris—Mainz—WieSbaüen erfolgte und der Zug des Marschau
die Strecke Koblenz—Mainz benntzt hat. — Nach einer Havas-
nieldung aus Düsseldors haben die 'belgischen Behörden eine Anzays-
Deutfcher verhaftet, vle, als belgifche Soldaten verkleidot, zE.
reiche Attentate begangen haben sollen. (!!!?) — Aus W o r m ,
haben Eymnasialdirektor Lauteschläger und Amtsgerich-ts^
Trautwein von dsr Rheinlandkommisston Ausweifungs -
befehl erhalten.
Das französische Suöget.
Beendigung der Beratmrgen im Senät.
Von unserem L-Korrespondenten.
Paris. 27. Zum-
Nachtzem dsr Senat gestern mit der V udgetbe ratuNS
fertig geworden war und einen lleberfchutz der Einnahmen über di
Llusgaoen m Höhe von 781 Mill. Francs festgestellt hat, befchäftig^
sich hent« die Finanzkommifsion der Kammer mit diefem abgeänder
ten Budgei. Sie mutzte aber neuerdings Umstellungen vornelnien
n>irk> keQntLaaLn. dis nri^en-ilickpn (^snnns>m-ssn niit 2Z.45
und wird beantragen, die ordentlichen Einnahmen mit 23,15 k
liarden, die Ausgaben mit 22,85 Milliarden anzunehmen, so
sich ein lleüerschutz von 600 Millionen Francs ergebe. Die Kamw-
wird das abgeänderte Budget morgen beraten. Bezüglich der
Deutschland zu deckenden Aiisgaben erklärte die Finanzkommislwm
datz diefe Ausgaben 13,5 Milliarden betragen einjchl. Ler 2,5 M"
liavden, di« von dem ordentlichen Budger auf das von Teutfchlano
zu deckende Budget übertragen waren. Die Einnahmen erreichttff
nur 3,5 Milliard-en, fo dah alfo Deutfchland 10 Milliarden zu
zahlen hatte. Falls dies nicht gefchehe, mützten sie Lnrch AnleiG'
aufgebrachi werden.
Der optlmistische pomcare.
de S >
Paris, 27. Juni. (Eig. Drahtm.) Unter dem Vorsist des Senatitt»
ielve tagte Dienstag die Lenatskommission für auswärt
niit
Angelegenheiten^ De Selve berichtste über feine Besprechung.'^
Poincars. Danach zeigte sich dieser durchaus optim-,- „
und hätte festgestellt, dao die französisch-amerikanischen Beziehung-^
niemals so herzlich gewesen wäre wie zetzt. (?) Ueber die Lage
Ruhrgebiet konnte sich Poincars nur äutzern, datz sie von
Aranzösischer Rohallfienproze-.
du Roi statt, die beschuldigt sind, vor vier Wochen die bei-T
Abgeordneicn Sangu-ier und Moutet sowie >den früheren A
geordneten Violette verprügelt zu haben, die in einer Vytt
verfammlung gegen die Treibereien der französifchen Royalist
sprechen wollten. Maurras, der -der Anstiftung zu diel.
Schlägerei befchuldigt ist, verteidigi sich damit, datz feine Handtu^
im Jnteresse Frankreichs gelegen sei. Es steht noch nicht stst
der Prozetz heuie zu Ende gehen wird. "
Eme hochßerzige Spende des papstes.
Köln, 27. Juni. Der päpftliche Legat Ms-gr. Testa überveiE
nach dcr „Köln. Ztg." dem Kaplan Dr. Blank in Hattingen
Spende von 500 000 Lire für Wohl-tätigksitszwecke. Nach dem gog^
e-in«
im
Tag
zu Tag für Frankreich günstiger (?) werde. Die Derhandlunge
mit England würden nach der Neubildung des belgischen Kabine»
mit grötzter Beschleunigung wieder aufgenommen.
Paris, 27. Juni. (Eig. Drahtm.) Vor einem Pavifer Slrn^
gericht f-indet heute der Prozetz g-egeu den Herausgeber der „Act>u
Frantzaife", Charles Maurras, sawie gegen drei Lamel o i
Zsa.
Roman von Jeunq Freisrau Schilling o. Canstatt.
23. Fortsetzung. Nachdruck verboten.
Aber er war ein müder Ereis geworden, das Fieber hatte seine
Kraft aufgezehrt. Auf seinen Knotenstock gestützt, schleppte er stch
-durch feine Zi-mmer, oüer er fatz in Decken gehüllt am Kaminfeuer,
Las nie erlöfchen dnrfte, trotz Sonnenfchein und Vogelgezwitscher.
Er fror jetzt immer, und er war immer müd«.
Zufammengekauert in feiuem Lehnstuhl konnte er stundenlang
sitzen und dem Spiel der Flämmen zufchauen.
Mit seinen Stu-dien befchäftigte er sich nicht mehr, und fiir seine
Sam-mlungen hatte er kaum noch einen Blick. Auch sein Geist war
stumpf uud müde geworden.
An Tagen, da ihm wohler war, trug Elvira wohl das Schach-
brett au den Kaminplatz uud wartete geduldig, bis die zitternden
Greisenhände die Figuren ordn-eten, wartet« gednldig, wenn er
e'men Zug überlegte. Sie fatz ihm daun gegenüber in Lem hoch-
lehnigen Sefsel, den Kopf in die Polsterung gefchmiegt, die schmalen,
wunderschünen Hänüe im Schotz verfchränkt.
Auf dem Kaminsims brannten auf hohen Leuchtern gelbe, dicke
Wachskerzen, das einzige Licht, das deu alten Augen des Hausherrn
wohltuenü war.
Der flackernde Feuersche-in mischte sich mit dem goldfarbenen
^rzenlicht und fiel weit in Las düstere Zimmsr.
Er funkelte auf den Elaswänden der hohen Vitrine, wo auf
grünem Samt Jndiens Schätze sich aufbauten. Es s-unkelre und
gleitzte d-er Schuppenleib üer Schlange, die einst Nadinas schönen
Arm umwanü, es flimmerte und strahlte das Halsband aus.Ru-
binen, das einst eine franzö-sifche Köntgin gefchmückt. Starr hafieten
Elviras Llicke an der Elaswand der Vitrinc.
Da, ganz nahc, stanL der Elefant aus Eold mit den weiß-en,
spitzen Siotzzähnen, mit den zierlichen Türmen aus Elfenbein auf
dem Rücken.
Schien er nicht mit dem Kopfe zu nicken. . . . ihr zu? Blickte
er sie nicht an mit feinen schläfri-gen Schlitzangen, in Lenen fooie!
Bosheit und List zu lauern >chien?" —
Ja, er nickte ihr )u, er blickte sie an, es war kein Zweiiel. Ein
Frösteln glitt über sie hin. Sie dachte jener Nachi, da sie dem
Kmistweri fsin Eeheimnis abgerungen hatte, da sie das Jnnere der
beid-en Türme geschaut hatte.
,T>u List am Zug, Elvira!" Es war immer die gleiche, müde
Siimme, die sie der Wirklichkeit wiedergab. Drautzen bliihte und
dufteie der Mai!
Der alte Park stand im Frühlingskleid, Veilchen dufteten, und
»bends fchlug die Amsel ihr fützes Lied.
Es war jen-e wundersam-e Ze-it, wo in allen Herzen eine grotze
Sehnsucht aufsteht, wo alte Menschen verzeihend lächeln und junge
Menfchen holde Torheiten bege-hen.
Da kam in das stille Hatzlingshaus e!n Klana von der Welt
drautzen, die Theobald von Hatzlingen längst vergeflen hatte, die er
sich rüstete zu verlassen.
Ein Brie-f wuröe ihm gebracht, eingefchrieben uud mit dem
Wappen der Hatzliugs gesie-gelt. De-r alte Mann Lrehte ihn ver-
wund-ert in d-en zitternden Händen, viel zu lang für Elv-iras lln-
gedulv-
„Es ist mein Wappen!" Die beiden geballten FLuste im Eisen-
handfchuh uno darüber die Worte „Sturm und Fehde!" sagte er
langiam. Und dann las er Helmut von Hatzlingens Bri-ef, jeneu
Vrief, den L-i-efer in seiner grotzen Notlag-e an sei-nen einzigen nvch
lebenoen Verwandten geschrieben.
Theobald von Hatzlingen las den Brief oiele Male, dann legte
er den Briefumf-chlag, d-er die g-enaue Adresse des Absend-ers trug,
forgsam in fein-e Bri-eftafche, ,das Schreiben selbst aber watf er in
die prasselnde Elut des Kamins, uno fah grimmig lächelnd zu, wie
Las Papier in fchwarze Afche sich waud-elte.
Ein böfes Licht glom-m in Elv-iras dunklen Augen anf, ab-er sie
schwieg.
Auch Theobald von Hatzlingen schwieg.
Verjonnen fah er dem Flammenfpiel zu, und in feinem alien,
müden Herzen klangen die Worte d-es Brief-es wider, eindringlich-
und immer gebieterifcher:
Ein Hatzlingen in Nol.
Der Letzte feiner Sippe, der Letzte seines Namens! — llnd dann
fchrieb er in einfamer Nacht an feinen Rechtsanwalt und legte eine
Anweisung von 3000 Mark bei, auszuzahleii dem Oberleutnant a. D.
von Hatzlingen.
Und mit zitternder Hand fchrieb er wenige Zeilen an diefen
Neffen, von defsen Daf-ein ihn eine ferne, ferne Erinnerung überkam,
und bat ihn so bald als müglich ihn aufzns-uchen, da er ihn kennen
zu leruen wünfche.
Und erst als Helmut von Hatzlingens stürmifch-er Dankbrief in
seinen Hänüen lag mit der Meldung s-einer nahen Ankmrft, erst da
sprach er zu Eloira von dem jungen Verw-andten und feinem beoor-
stehenden Befuch.
Helmut von Haßlingen kam, und seine Gegenwart, feine Zugend
wivkten wie feuriger Wein auf den gesmilenen Lebensmnt des
alten Herrn. De-r Juli zog ins Land.
Auf Helmuts und des Dieners Arm gestützt, wagte sich Theobald
in di« Sommerwärme feines herrlich-en Eartens. Die Rofen blühten
fo üppig, so düfteschwer wie fei-t Jahren nicht mehr, verträu-mt plau-
derte das Wasserspiel.
Der alte Herr bekam wieder App-etit, hatje mehr Znterefle am
Leben, und frsute siH an feinem Neffen. Lesfen srohsinnige La-une
ihm die Erillen vertieb. Babetie und Frie-drich taien ihr möglich!^'
dem jungen Herrn den Aufenthalt in Hatzlingshaus fo sckiön, "
in ihrsr Macht lag, zu geftalten, sie vergötrerten ihn zeradezu-
Babette entfaltete Koch-künste, die Hclmuts tieffte Bewunüefu s
erregten, und Friedrich -brachte den teuersten Wein aus den Tttl
dcs Kellers.
Es waren Sonnentage. von denen das alte Dienerpaar nock,
Jahrzehnten -sprach, Sonnentage, >L-ie dann einen fo jähen Abjcyj
hatien. Erst kam das llnglück mit dem Sch-laganfall, Lsr -dein al^.
Hervn die linke Körperseite lähmte und -ihn der Sprache berau^
ihm folgte wenige Tage später dcr plötzliche, unfaßliche Tod
jungen Herrn von Hatzlingen. Man sand ihn eines Ätorgens -
im Bett, nnd der Arzt stellie einen Herzschlag als Todesurfache l l
Der alte Herr von Hatzlingen hatte -die Sprache nich-t
erlangt, noch die Bewezungsfteiheit sein«-r Elieder. Ein fanftel u-
erlöste ihn nach wenigen Wochen von seinem qualvollen Zusiauo-
Schonend hatte ihm der Ärzt den Tod Helmut von Hatzlnige
beigebracht, und nie vergatz Doktor Steinert den Ausdruck
Au-geu des Sterbend-en, den qualvollen, flehcnden Blick eines
fch-en, der der Sprache beraubt ist. ^
Elvira von Hatzliugcn war laut Testameutsbestimmung ^
alleinige Erbin eines Bermögens von vier Millionen, Besitzerin
Hatzlingshaus und alleu feinen Kost-barkeiten. -.„j.
Anfehnliche Legate waren an Friedrüh und Babette ausgeiM^
Eine Vestimmung hatte der Tote autzerdem noch getroff«n
Lrbin durst« Haus uud Grundstück nicht veräuhern oder vermie^^.
sondern mutzte es zum Wohnfitz behalten, falls sie nicht des
verlustig gehen wollt«. meflen
Di« Bestimmung darüber nach ihrem Tod blisb ihrem Srmeii ^
freigestellt, m-it der Beding-ung, üatz ei-ne Million zum Woyi«
Armen d-e-r Stadt Hanuover oerwend-et werden solle. . ,jj«.
Elvira vvn Hatzlingen war an dem Ziel, das sie sich 6^^ ( d«r
Datz ihr Onkel so reich war, hatte si« nie geaHnt, und i>e
Verlesuiig des Testaments war ihr farbloses Gesicht gleichl.aw^^^
graut, und sie hatte mit einer Ohnmachtsanroandlung
müssen, sie, d!e so gleichmütig, fo gelassen war, die nie aus
Gleichgewicht kam.
War es die Bestimmung des Verstorbenen, die fie un
lingshaus feflelte für immer, für ihr g-anzes L-ben, fallr
des grotzen Erbes verliustig gchen wollte, ooer die enorme
Vermögens, die ihren Nerven so zusetzte? Sie hat^
Pläne gehabt. Sie hatte ihren Wohnsitz an den Rhem od'er
Bodenfee verlegen wollen, we-it, weit von hirr- ^jjhe
Von einer Lehaglichen Villa hatte si« geträumi in r
eine-r grotzen Siadt, -die ihr Kunstgenüsse hätte bieten i
Ein Heim wollte ste sich aufbauen, schön wie ein u.
allsm Komfort der Neuzei-t ausgestattet! (Fortsttzung solgt->
-tt
-m!
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