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Badische Post: Heidelberger Zeitung (gegr. 1858) u. Handelsblatt — 1923 (Januar bis Juni)

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Nr. 119 - 148 (1. Mai 1923 - 31. Mai 1923)
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66. Zahrgang

N.140

schc Post^ erscheint wöchentl. siebenmal. Dcilaeen: DidaSkali a lSonnt.) —
» ""rhaltnngsblatt lMontags) - Literaturblatt —Sochschulbeilage <monatl! ch>.
— ""trlanot. Beiträge ohne Verantivorlun«. Rürksendung nur, wenn Porto beiliegt.


Heidelberger Zeitmrg

(Gegründet 1858)

u«d

Landelsblatt

MMoch, -en 23. Mal 1923

Sauptg-schD'trstelle u. Schristleitg. der.Badischen Post'Heidelberg, Hauvtstr. 2g, Fernspr.
Nr. 182. Berliner Bertretung: B-rlin 8V 48. Zinnnerstrake 9, Fernspr. Zentr. 415
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Sie evgHsche Regjernngskise.

Hat Lord Curzon Aussicht auf die Nachfolgerfchast?

Von linserem -Korrespondenten.

London, 22. Mai.

tzz^rotzdem Bonar Laws Demission allgemein schon seit einigen
erwartet war, so kam doch seine Plötzlichkeit überraschentz.
Bonar Law nach se>ner Rückkehr nech London das ungünstige
^i/^.der Aer.zte erfahrsn hatte, lieh er ohna weiteres dnrch seinen
sts» Vtekretär sein Demiffionsschreiben d-em Köni-g überreichen. S-elbst
^r ^'aen MitalM-er d-es Kabinetts maren nicht unjerricht-et. In
. ^effentlichkeit kommt allgem-ein eäne starke und ansrichti-ge
i-sia hme zu-m Ausdruck, da sich Ban-ar Law auch bei Len
I i "dstt-ionsparte-icn einschll-ctzlich d-er Anbeiterxarte-' arosie persön-
9 Cympathie erworben batte. Jn noli-tischer Bezi-ehnn-g ist
^u^e a-utzeropd-entlich verworren. Die Schwieriplkeit l-iegt dar-in,
ih^ sich nicht n»,r um eine Regi-erun-.islrise handelt. son-d-ern auch
^a/I^e Krise innerhalb der reaier-'Nlden konservativen
ddafH.. ^ infolae des Aussch-eidens ^anar Laws gegenwärtiq

^abl? «beirfalls ohne Führer ist. Menn auch ei-aentlich die
s« r?de«? neuen Reai-erunasle'ters in >den chämden des KLni-as liegt,
^unidelt gch in Wirklickikeit um'e-inen Kampi iwiscken den

^'e N " ketden iu «r-ste-r L'N-ie in Fraae ka'nm-enld-en
Igh''k>ck>solMH-gft Bonar Laws isi Lord Turzon
i-v'ts'k h§i weit-em öltera währle-n>d Bal-dwin

"1 >,

^hlt

_... _.... ..

ki^^eben-en lZr'.-npen der kan-sermitiven Partei. iusbelondere um
-siov ^ ^amof zwifiben dem Diehard- unb dem gem-'tziat'en Flüael.

Kan>d>i-daken für
der an Dien-st-

,______ . . n erst leit s-eibs Fahreu

Reaievuna ist. Es ist anii'nehman. dast salls Baldmin ge-
. 't wsp>.7a wiirde, der sehr ehrgeizige Lockd Turzon demissio-
würde.

d^.'Din« wei-tere Schwi-erigkeit li-egt. wi-e hereits idarav-i htn-gewiesen,
s«il si- ^atz Lord Turzon dew Unterhaus nicht anlgehört, wöhren-d
htz.si^hr als 2» Johren kein Mitalied des Oberhai'ses Reg-ierungs-
^g^Newesen ist. Das Kahi-n-ett müfste also im Unt-erhaus durch
vertreieck sein, aber gerade hie Kon-servat-iven mützten in
f^sr. iolchen Stellvtitietluna eiiie (steiahr erhlicken. In der hreiteren
Tp^ll'ckikeit sind welder Lmtd Curzon noch Baldwiu vovulör. Lord
si p sich soaa-r einer ausgesprochen persönlichen

kl i e ht he i t. d-e merkw'"vdi,aerwl'-i-se ous d-er Reckit-cn ebsnso
bp „ 'st- wie anf der Linken. Man stötzt stch überall an seinem
^iirl^ hbaren o ck m u t und saqt. w-ie eine Zeüuna sich aus-
^bsvp ^i>! er keiuen chauch von dem -d-emoklvat-ischen Geist der Zeit
hs^"^t babe. Die Wahl des Köni>gs ist -dennoch. wie aesagt. prak-
">e Lord Curzon Balbwin Lssch-rä-nkt. wohet Lord Curzon
Üp 'N.ere Wahrscheinlichksit sür sick, hat. In heid-en Fällen ist
> e d e re i n t r e t e n der fr"bsren k o n s e r v a t i v e n
>n die Rea'ernng a n s g e s ch l o s s e n. Die Cha-mhcr-
biit^^vp-c würde siche-rhch eine Crnen-nung Derbys begrützen. der
^blio Eruppen d-er Partsi Freuudsckiaft »nterhnlt. C>n Kahinett
^rfg^ hat unter -den geg-enwärti-gen Umstän-den keine Aussicht auf

bi, die heuti'gen englischen Morgenblätter neigen der Ansicht
-^ard Curzon zum Ministcrvrösilent-en ernannt w-erde.
^hali ^ hat erklärt, in einem Kahi-nett Cur-on das Schatzamt bei-
wollen. Die Freund-e De-rbys crkläreu. einem Kabinett
^Mr- angehören zu wollen. Die Konservat-iven machen alle
hij^^'lungen. die autzerhalb d-er Partei verbli-ebenen Narlamenis-
Oh^^^der wieder in diese hineinzuzi-ehen. Cfamberlain scheini
nicht gleneiq.t -u s-ein, eine-m konleri'ativcn Kabinett an-
drich Er ist auch nicht ans Anlatz der Kriie aus Südiran-kreich
>>oi,k^"^don zurückgekommen. Die Konservati-re Partei bereiiei für
a-^taa od-er Froi-t-ag eine Pa-rtei-versammlung vor. Die Lösung
^v i , ^ a»ch au tze n v o I i t! s ch "vn arotzer Beldeutnna. Dcr

^er» si. Ierald" betonch datz ei-n Kahinett Curzon nicht nur
Rlch."'Uliscki den Weg der Regktion ben»hen würde. sondern auch
hfn ei-ne grotze Cefahr für Enaland und ganz Europa
würde.

^Ne Aenderung des englifch-italicnifchen Kurses.

22. Mai. sEig. Drahtm.) Dcr ..Matin" meldet aus
^hiy»t, ^atz, wer auch tmmer die Nach-folgesck>aft Bonar Laws über-
f^rsjfjI! werde, -dieenqlisch-italienischenBczieh-ungen,
"^ur-ch den kürz-lick>-eln Besncki des en-glischen Königspaares,
^ Aenderung erfahr-en würde-n.

Eachsen-e Mißstimmung in Frankreich.

hrutige Kammersitzung unter dem Zcichcn des Wtderspruchs.
Von unserem F.-Korrespondenten.

. Paris. 22. Mai.

- " den Treigniffen der Pf-ingsttlag-e tritt d-cr Rücktritt Bonar

^heyv ntcht unerwartet kam, zugunsten Ler Frankreich näher-

^ Umschwung in -der Haltnng Belgiens bereitet
jeülyl^^ge. Velgien lätzt nicht nach. einen verstärkten Druck auf
^rioi^ wegen -deffen Siegerraroxismus auszuüben und zeigt
prNe't. die " " . ' ' " " ' "

deffen

deutschcn

Vorschlage gemeinsam, mii Englaüd

Lk Das die französische Regierung über diese Entwicklung

"> nicht son-d-erlich erbaut tst. g-eht besondcrs deutltch aus

»I-

>1^ ttz^/Pen Leüartikel des ..Eclair" hervor, deffen Thefredakteur
Ü-^en . uter Poi-ncaräs galt und Ler heut« vou Belgien als dem

ti^N d«-"^feuen B»n>desienossen Frankreichs von den 26 Ilnierzeich-
b?e>i K .PersaiNer Vertrags" spricht, das unter dem dnrch die n-oga-
R lej^lge der Ruhrbesetzuug en-tstandencn grotzen Kohlenniangel

Man rechnet in Päris mii dem beuorstehenden

en Umschwung dcr Politik vom 11. Zanuar.

stlk-en Bankkreisen ist nran weiter m i tz g e st i m m t

tz^issj^ anh-altende Schwäche -der Pariscr Börse und "die grotzen
»r i Hin für Rohmaterialien, wi« z. V- Kupfer. Daumwolle

bfu kommt noch, datz man die Lösung des Neparations-
stz^Nley noch weitere Fcrne gerllckt steht als nach dem Ab-
Spna. umd die tiefe KIuft zmischen den woit voraus-
^tzerj e^-rlscha>tlern und Len verbissenen Politikern ver-
" »zM«> -1 ruseheirds. Jedenfalls kann man der heutigen
^ Lung übcr die Ruhrbefetzung, die vielleicht Ueber-

raschungen bringen kann. mit Spannung en-tgegensehen, da sie
unter dem Zeichen des Widerspruchs steht. Poincarö rechnete
aus der Ruhrbesetzung 9 Mill. Gervinn, der Berichterstatter der
Finanzkommi-ssion aber 43 Mill. Defizit. Beide fovdern aller-
dings 232 Mill. neuen Kredit. Das „Echo National" macht
die Feststellung, datz vom 10. Ianuar 1926 Lis Ende Mai 1923 sich
der Kurs der an Frankreich geleisteten durchschnittlichen Reparations-
zahlungen von plus 208 auf — 66 Mill. Franken gessnkt habe. Der
heutigen Sitzung wohnen außer dem srühersn Vorsitzenden der Repa-
rationskommission. Dubois, auch mehrere Mitalieder der äutzeren
Rechten und der Linken bei, z. B. der Sozialist Blum, der Radi-
kale Herriot usw.

Das sinnlose Mten der Soldateska.

Amtlicher Bcricht über die französische Schietzerci in Mannhci,«.

Mannheim, 22. Mai.

Die Polizeidirektion veröffentlicht das Ergebnis
der amtlichen Untersuchung llber die Schietzerei der
französischen Wache an dcr Neckarbrllcke am 19. Mai und in
der Nacht vom 18. zum 19. Mai. Aus dem Berickt über die Er-
schictzung des Polizeiwachtmeistcrs Traubam 18. Mai geht hervor,
datz der tödliche Schutz von einem französischen Sol-
daten, der Traub nachgelaufen war, aus einer Entfernung von
nur 16 bis 12 Mctern auf dicsen abaegeben wurde. Darauf stürzte
der Schutzmann, durch den Kopf getrofsen, zusammen.

Der zwette Vericht beweist, datz die Franzosen in der daraus-
folgcnden Nacht zu wiederholten Malen das bereits eingestellte
Feuer auf die friedliche Bevölkeruua aufs nene
eröffneten- Die amtliche Darstellung lautet: Kurz vor 12 Uhr
uachts eröffnete die französische Wache auf der nördlichen Seite dcr
Fri edrichsbrücke auf die Umgebung der Wache auf das
linke Neckarufer und insbesondere auf dis Friedrichsbrllcke ein regel-
rechtes Infanteriefeuer. Auf der Vrücke herrschte um diese Zeit noch
reger Verkehr. Die gerade auf der Drücke befindlichen Paffrnten
flüchteten, nachdem ste zunächst hinter den eisernen Pfeilcrn Schutz
gesucht hatten, auf die linke Neckarscite zurllck. Als einige Minuten
Nuhe eingetreten war, versuchten die Futzgängcr ernent übcr die
Brücke zu kommcn. Als ste in der Mitte der Brücke anlangten, wur-
den sie wieder mit lebhaftem Eewehrfeuer empfangen. Wieder 'lüch-
tete die Menge zurück und suchte Deckung auf dem linken Ufer.
Eegen 12.16 Uhr kam dann ein Stratzenbahnwagen der Linie 16. dcr
nach dem Devot in der Neckarstadt fahren sollte, an der Haltestelle
Friedrichsbrücke an. Dre Paffanten drängten stch nun in grotzer Zahl
in den Wagen, in der Meinung. auf diese Weise stcher über die
Vrücke gelangcn zu können. Das Schietzen hatte inzwischen vollkom-
mcn aufgehört. Auf Dränacn der Jnsassen fuhr der FLHrer mit dcm
vollbesctzten Magen ab. Etwa am anderen Ende der Drücke ange-
kommen, setzte das wilde Schietzen wieder ein. Ein franzö-
sischer Soldat lief nach einwandsreier Zeugenaussaae dem
Wagen nach und feuerte von hinten iii den Wagsn
hinein. Die Jnsaffcn warfen stch auf den Boden. Zwei Fahr -
gäste wurden schwer verletzt, ein Futzgänger, der zu Bc-
ginn der Schietzereien ans dem andcren Neckarufer weilte, wurde
leiLt verletzt. lleber die Veranlaffung und den Beginn der Schietze-
reien lauten die Aussagen verschieden. Ein Zeuge Lehauptet. kurz vor
12 Uhr sei in der Breiteüratze vor K. 1, etwa einen halben Kilometer
von der französtschen Wache entfernt, ein Revolverschutz gefallcn.
Daraufhin hätten die Franzosen mit dcr Scküetzcrei angefangen. Ein
andercr Zeugc, der gegenüber der französischen Wache stand und
leicht verletzt wurde, gibt an, die FranzoIen hätten ohne er -
sichtlichen Erund das Feuer eröffnet. Ein dritter
Zeuge behauptet, die sranzösischen Posten seien von einem Vassanten
bedroht worden. Der amtliche Bcricht zieht aus obigen Tatsachen
folgendcn Schlutz: Wie bei dcr Erschietzung dcs Polizeiwachtmeisters
Traub wurdc aucb hicr in geradezu verbrecherischer Woise
auf wehrlose Menschen gefeuert. Kein Wort ist Icharf
genug, um dieses Treibcn zu verurtcilen und auch von dieser Stelle
mutz gegen das sinnlose Wüten gegcnüber der friedlichen
Bürgcrschaft schärfstcr Protest eingelegt wcrdcn.

i-

Die Verordnuna betrefsend die Rheinbrückensperre wird
vorerst, bis d:e Päffe ausgestellt sind, uoch nicht gehandhabt.
Währcnd der Felcrtagc wurde auf der Nheinbrllcke zwischcn
Mannheim und Ludwigshafen keine Konirolle ausgeübt.

Das Leure Ruhruniernehmev.

Paris, 22. Mai. Die heute nachmittag beginnende K ämme r-
debatte wird sich mit dem Kommissionsbericht über die Ruhr-
kredite beschäftigen. Der Berlcht Leziffert die Ausgaben für die
Zivilmission auf 8 656 066 Franken, die Vorfchüffe an die Eisenbahn-
regie anf 82 Millionen, die militärifck'en Desatzungskosten auf
61 Millionen Frankcn. Die Eesamtausgaben stellcn sich also
anf 145 650 600 Franke n. Jhnen stehen Einnahmen in Höhe v»n
162 Millionen gegenüber. Ministerpräfident Poincarö wird nach
dcm „Matin" seine vor den vcreinigien Kammerausschüffen abge-
gcbenen Erklärungen erneuern nnd sie präzisiercn, wenn sich ein An-
latz dazu crgibt. Die Debatte wird sich jedoch nicht auf die Kr-dite
beschränken, sondern die- gesamte Ruhrfrage in den Kreis dcr Er-
örterungen ziehen.

Berzögerung des deutschen AugeboLs.

Bcrlin, 22. Mäi. (Eig. Drahtm.) Reichskanzler Tuno und
Rcichsaußenminister Dr. Äosenberg sind heute Mittag nach
Devlin zulrllckgekehrt. Währcwd Ler Felertage sind von d-cn zuständigen
Stell-en die Beratungen weitevgeführt wordcn. In einzelnen Blät-
tern finden fich allerlei Andeutungen über d'e Gru-n-dlagen des nenen
Leutschen Angebots, d:e zu Lietenden Eava-ntien und den Modus der Er-
faffung der Sachwerte. Diese Mitteilungen ietreffen zum Teil d'e äuch
schon bei der Vorbereitung Ler letzten deutscheuNole erwogeneuMöglich-
kett-sn. Eine Entscheid-ung für besti-mmte Mo-dali!ä!en ist noch
nichtgetrofsen. Dnrch den Rücktritt Bonar Laws wlrd
natürlich eme Verzögerung in Ler Uelerreich>u-nq der Leutschen
Note herhcigeführt. Ueber den Empfang der Parteiführer d-urch den
Reichskanzler steht bishcr noch a-ichts festz

England und tvir.

Der Rücktritt Bonar Laws hat für Deuischland nnr ein
seknndäres Jntercffe. Man mag in Frankreich sich begierig aller-
hand Erwartungen hingeben, über seine N-ichfolgsrschaft, man mag
in der übrigcn Welt den englischen Kabinettswechssl mit gespanntcr
Aufmerksamkeit verfolgen, Deutschland hat, wir die Dinzr lisgsn,
keine Neranlaffung, stch an der erregten'Diskusston zu bsteiligen,
die im Al'.slande nach der Dcmission des englischen Premiers ein-
sehte. Es muß das betont werden, angesichts der bei nns nun ein-
mal herrschenden Gepflogenheit, jede Veränderung in der auswär-
tigen Politik unter Lem Eesichtswinkel des unverbesserlichen deut-
schen Optimismus zu Leurieilen. und auch da noch die Fahns
der Hossnung aufzupflanzen, wo sür jeden nüchtern Wägenden dis
Hoffnung doch nur zu einem trüger ischen Phantom n erden
mutz. Eerade die Erfahrungsn, die wir mit Lord Lnrzon gemacht
haben, miitzten auch dem vertrauensseligsten Optimisten zu dcnkcn
geben. Datz Lord Curzon im englischen Oberhaus im April ctns
Rede hielt, die Deutschland zur Absassung eincr ncuen Note acradc-
zu ermunterte, und datz cr dann wenigs Wochcn darauf auf unscre
Note eine Antwort erteilte, die wie ein kalter Wafferstrahl auf alls
unsere Hofsnungen wirkte, weil sie da; Eegenteil eincr Aufmunte-
rung war, weil er tn ihr Frankreich zuliebe dcn Red-ncr Turzon
geradezu desavouierte, das zeigt deutlich die R ü ck s i ch t s I o s i g -
k'e i t und Starrheit einer Politik, von laetcher Deutsch -
lands nichts zu erhoffen hat, darübcr uiüffcn wir »ns klar
sein. Wcr der kiinftige englische Premier sein wird.' ob Lord Cstr-
zon, dcr bishcnge englische Autzenminister, oder Hcrr Baldwin
der Schatzkanzler. oder auch eiii Driiter, d-er K-rn der enz-
lischen Politrk mird der glsiche dleiben, es ist dcr
Kurs dcr „platonischen Jnteressiertheit an der Cntwicklunz dcr
Dinge" in Deutschland, -der Kurs kühler Zurückhaltuna, dcr in dcr
Ruhraktion untcr dem Motto der „wohlwollendcn Neutralitäl" cincn
für allcs Kulturempfinden so beschämenden Ausdruck fand. Cs ist
der Kurs, von dem Deutschland nichts erwarten darf, weil cr trotz
allcr in Einzelheiten noch ss sehr auseinandcrgehendcn pslitlschcn
Zwischenfälle doch immer das eine Hauptzlel zur Richtlinie bat.
„Aufrechterhaltung derEntente, insbesondcre Aufrecht-
erhaltung etnes guten Einvernehmens zwischcn Sondsn und
Paris". Frankreich ist augenbltcklich in der internationrlcn
Politik der Machtfaktor, Frankreich hat die Trümpfe tn dcr Hand,
und es ist nicht gewillt, dtese Trümpfe gutwillig aus d-er Hand zu
geben. Diese Erkenntnis mag den Engländern i'nangenehm seln,"
als kluge Realpolitiker suchen fie fich damit ab^ufinden und wir
köynen mtchts andercs tun, als unsere Politik danach einzustellcn.
und unabänderliche Tatsachcn ebcnsalls als solckie hinzunehmen.

Von p-olitischem Jntereffe ist für uns dcr cnglische Rcgtcrvn^-
wechscl nur insofern, als er gcrade hlneinfällt in dte Zeit dcr Vor-
bereitung der neuen deutschen Note. Ibre Absmdnng -
wird durch den Rücktritt Bonar Laws selbstvcrsiänd'lich vcrzö^crt.
Dte neue deutsche Note wtrd auf dte Tn'wort Lord Curzons vähcr-
eingchcn miiffen: es kommt hier schr vtel, kommt sozusaecn ollcs auf-
den Ton und auf die sormale Eeschicklich'clt dcr deutschcn Ro'e on,
bei dcr Form wiedcrmn höngt schr vicl davon ab, ob wir in Lorv
Curzon dcn künftigcn englischen Premicr zu scchcn habcn, >>/r
nach rv'e vor den cnglischen Auhenmlnistcr, odcr ob die Pcrssn LorVi
Curzons aus der zuki-nftigen cnglischcn Reqicrungskombinat'on übcr-
haupt ausgeschaltet sein wird. Auch mit dicscr MLglichkc-It mutz oc-
rcchnct wcrdcn: wenn beispielswcise Baldwin und nicht Lord
Curzon englischer Premicr wird, so ist cs fraglich, ob Lord Turz m
auch unter einem Kabinett Baldwin den Posten dcs Autzenministcrs
wird beibebalten wollcn. Aus alledcm crgibt sich, datz etne end-
gültige Formulierung der deutschen Note vor
einer endgültigen Lösung der englischen Regie-
rungskrise nicht gut erwartet werden kann.

Die Verzögerung der deutschcn Antwort ist aber schlietzlich N'-r
eine Frage von nntergeordneter Bedeutung. Dcr noch vor ackk
Tagcn in Aussicht gcnommcne Termin, Mitte dtcscr Moche, wöre
anch ohne den englischcn Regierungswechsel kauni tunegehalten wor-
den. Anfänglich hietz es, datz das Reichskabinett während der Pfinost-
tage in Berlin tagen würde, nm die dcntsckie Note fcrtigzustcllcn, und:
datz aus diescin Erunde alle Reichsministcr, tnsbcsondere dcr
Reichskanzler u.nd Hcrr von Rosenberg, auf Ihrcn Vr-
laub vcrzichtct hätten. Nun ist abcr dcr Reichskanzler Dr. Cuno
in Hamburg und dcr Reichsautzcnminister in Bayern gewcsen, und
beide Hcrren sind erst am Montag mittag von ihrem Pfingsturlaub
nach Derlin zurückgekehrt: allzueilig hat man es also mit dcr Fertig-
lellung dcr deutschcn Note nicht, bci dcr Ecwichtrgkert des Schrittes
wäre eine solche Hast auch gar nicht angebracht.

Politisch vicl wichtigcr iür uns ist cs, datz das Intereffe der
cnglischen Ocffcntlichkeit durch den Regterungswechsel tn einem
Matze absorbicrt ist, d-atz die ohnehin schon geringe Tcilnahme, dte
man dcm deutschen Rcparationsprohlcm cntgegenbringt, noch cine
weitere Mindernng crfahrcn mutz. Es ist ebcn immcr zu bedenkcn,
datz es ffch tür England ja nicht nur um eincn Personenwechscl an
leitcndcr Regierungsstelle handelt, sondern anch nm die Lösung weit-
gehender inncrcr Schwicrigkeiten- Jn dcr konservativcn Partei, wie
auch bei dcn Liberalcn herrscht Uneinigkcit, und es fchlt nicht an
Stimmcn, d-atz man aus dcn Wirren im Inncrn nnr herai'.skommen
könne durch Ausschreibung von Neuwahlcn. So wenig v ahr-
scheinlich das Eintretcn dieses Fallcs auch ist, man braucht nnr
jeine Möglichkeit ins Ange zu fasscn, um zu crkcnncn, datz das, was
uns Hauptsorge und Lebcnsfrage Ist, das Rcpe.rationsproblem, nnter
Umständen für England zu eincr F'age von recht nebensächlicher De-
deutung wird, weil es von seinen eigenen hänslichen Angelegrn-
heiten zu stark tn Anspruch gcnommen ist.

Dies ist auch das einzige Moment, wcshalb vom deutschen
Standpunkte aus der RLcktritt Bonar Laws bedauert werden kann,
nicht wegen der Person dcs englischen Premiers, denn der hnt sür
 
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