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Badische Post: Heidelberger Zeitung (gegr. 1858) u. Handelsblatt — 1923 (Januar bis Juni)

DOI Kapitel:
Nr. 149 - 178 (1. Juni 1923 - 30. Juni 1923)
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https://doi.org/10.11588/diglit.15611#0975

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Zchrgang Ar. 157

I »^adi ich, Post» «rlcheint wöchentl. liebenmal. Veilaqen: DidaSkalta lEonnt.) —

l e,baltungrbIatt<Mont-g»> - Llteratnrblatt —vochschnibeilage lmonatlichl.

^ noerlanate Beiträge ohne Derantwortnng. Rücklendnna nnr, wenn Porto beilieat.

Heldelberger Zettung

(Gegründet l858)

«nd

Landelsblatt

Samstag, ben 9. Z«mi 1923

Hanptqeschäitsstelle u. Echriftleitg. der.Badischen Poft» Aeidclberg, Haaotstr. 33, Fernspu
Sir. 18L Berliner Vertretung. Berlin sv 48. Zimmerstraße s, Fernspr- Zentr. 418
Münchner Vertretung: München, Seoraenstr. 1l»7, Fernspr. 81667.

»oM««S.»»»to r »ranNurl «. M. V1L1»

««McheS-Oout»» Sraukfttr« a. M. V181V

dnni.Beiuprvreis der.Bad. Post' Mk. 561« - lanrschl. Suftellgcbilhrl. Selbltabhol Mk. 5506.-. NuSland Mk. 18060 -

^dbestell. werd. nur bi» rum 8. jed. Mrs. angenommkn. Am 1 u.S. noch gelief. Zeitungen stnd nach d. Einzelvcrlanfrpreir z» be-
^dhien. Preis d. Einzelnuurmer MI.SOO.—. Jft dieZcitnng am lkrscheinen verhindcrt, besteht lein Bnsprnch allfEntlchLdignng

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Sas Echo im Auslaudr.

!skr Ablehnung in Paris. — ELnstigere Aufnalim« in London.

Lon unserem 8-Korrespondenten.

Paris, 8. Iuni.

du» ^ Lektüre der heutigen Morstendlätter bestäiigt vollinhaltlich
^iers bereits gestern an dieser TteNe veröfsentlichte Jnformation
c°Nd«rHaltunst der franzöfiscden Regierungzu
«m deutschen Memorandum. Die gesamte Regie-
Ungspresse lehnt anf Weisung vom Qua! d'Orsay auch das
e?u e deutsche Anerbieten glatt aü und zwar verschie-
Mstlich soaar in den oleicbcn Ausdrücken. Hiervon nur ein vaar
?t>chproben. „Petit Parisien"> „Das nene deutsche Anerbioten
»"t mehr einen Rückschriit als einen s?orischritt dar." — „Eclair":
^ie Dsuischen macben stch über uns lnsti». Mer zulehi lacht, lacht
,el Lesten." — . Ecbo d« Parls": ..Der Rruch des VersaiNer Ver-
Mes wird noch viel deutlicher aus»etrückt als am 2. Mai." —
id-onrnal": ..Da die Vorbedinoun» (Aufoabe des vasüven Wlder-
nicht erfü.Nt ist, merden ssrontreich imd Vclaien die deut-
,.e N»ig niL-.s chninal vrüken." — . Iournge "-nd'.str'-lle"' . LstN-or-
'che Vorschläpe." — ..Ficiaro": .Der Reichssanzler bat beute Ee-
b-°nheit, üch in Münster ognansr iu erklären." — .Matin": „Das
r'^stebot überraicht dnrch se!ne Tchwöche selbst d!e. d!e von vorn-
^tein gewisto Zweifel in seine Vemsrinna »esebt haiien." usw
^oilver nnd immer w!»der ist d?e Reds von der Notwsndigkeit^der
>2foabe des passiven Widerstandes. sonst würds

j. -Oifchland nicht einmal die Ebre einer Vesiätiouna de» Emvianoes
! ^ Mcmorondums zute?l". Austerdem betont man am Oua! d'Orlay
z,f0.entzes: D!« Earantien des Nciches seien länast Im Versailler
r ^ktraa voroesehen und bedeuteten aar nichts Neues. Allsterdem be-
Me st« De'üschsand selbst, statt ste den ANüerten z» überliefern.

unmäglich ssi die beabstchtiate Ersehuna der Nepa-

^tionskommission durch internationaleSach-
».E»st ä n d i ge. Ansterdsm fehle in dem Memorandum e?ne End-
Aine für das deutsche Anaebot. und das angestchts des geforderten
^Oen Moratoriums von v!er Iahren.

i, Vemerkenswert ist der Kommentar des bekanntlich Loucheur
Aendsrs nahestehenden „Pctrt Iournal". Das Blatt schrsibt u. a :
ü»I?? Memorandum. kurz und nicht uncieschickt redlgrert. stellt einsn
Ll^isten l?ortschritt dar deroestalt. dast der Kanzler stch entschlosten

den Allüerten gewists Earcmtien anmbieten. deren Wert selbst-
E'Eandlich »evrstft werden must. Der Plan zur Einscüuna elner
;^chverst8nd!oenkommisston entspricht dem englischen Plan oom
' yanuar. Aber

^«utschland sollte stcb keine Hoffnima auf eine Spaltung der
. Alliierten machen.

>as Mcmorandum anch keine befriedigenden Vorschläge kür
Eesamtheit der Reyarationen mache. so weise es doch eine
s,?.-e des gvten Willens !n der Earantiesraa« a"f. Deutschland
^l-e nscht boffen. anf einer internaü'onalen Konseren, etwa im

k, ^ >'en sischen sill können w!e die Rusten in Eenua oder die T»r-
^,?n Lausanne. All«s hänae setzt von der Haltung der Kabi-

'« !n London und Rom ab. ,

h,, Eincn »ain andcren Standpunkt als d?e Reaierunasblatter neb-
die linksstehenden Zeitungen e!n. Das ..Oeuvre" hat viele
»,?wendllnoen aegen das Memorandum zu erheben, aber weniaer
das oerkanate Moratorinm. das sa von der englüchen
ih^'ernna selbft im Iam'nr voraeschlagen worden sei. Zum crsten-
: beistt es dann weiter, und das sei etwas Neues, machs
L- Utschland nicht mebr leere Zablungsvers"rechun»en. kondern

j. ^egenaue realrsierbareVfänder Alleshänqe
tz--Zt vag den Allrierten ab. Ans die nenen Vorschläae
ü,Ven Sondon nnd Nom bestimmt antworten müsten. ebenso

Vrüssel. Menn nnwabrscbe'nlicherweise Trankreich stch
tzj"erh!n avsslbweigen werde. so w'ü'e dies HZchst unklug lein. Die
st^s-de der Konfereni wstrde bald schlagen. — D'e . Ere Nouvelle"
aig wichtige Tatsache der nenen deutschen Note d?e Bürg-
l>^--ft der Tndustrie und die moralische Anerken-
g d er Sch u ld d e s N e i ch e s fest. E " no avpelliere an das
kh»ulett von St. Iames. London müste stch ?eht en>aülti»
h^Miden. — Dte „HnmanitL" meint. dast die n«"e Note nsch viel
stz^hnlicher als di« erste sei nnd bezeichnet die Karantien als
weitgebende, sagt dann aber »am einseitig. dast dis
ev», eine yeue Dedrohung dcr deutschen Arbeiterschaft darstelle. dis
A alle Lasten zu tragen hätte. s!!7?)

AtzNyser Londoner Derichterstatter meldet nns: Das deutsche
N-'"orundum wird in der englischen Vreste üstereinstimmend
bedeutender stsortschritt gegenüber allen
e^.beren deutschen Vorschlägen betrachtet. s?ast iiber-
i>j, !>nmend werden die Hoffnung und der Wnnsch ausgedrückt. dast
^kllltierten e!ne gemeinsame Antwort entsenden
etner Konferem znsammentreten möoen. Auf der anderen
üch d!e Blätter gegenüber der in
-belgischen Torderung in nicht
j»«i,'»ger Beriegenyeir oefind-en. Man kann deshalb, so-
Ihy,'«nakand in Frage kommt. das Ergebnis vorläusig dahin zn-
dh^nfasten. dast die Note unter wtrtschaftlichen Eestchts-
"l* befriedtqrnd angefehen wird. dast aber d!e be-
«e^«n Schwierigkeiten in volitlfcher Hinstcht fort-
'lrn Ehen. okme dast dte Möqlichkeit eines Answeoes zu erken-
Aäre.

Die


.Times" führen ans, dast

L? ^ote MeifeNos die Meinunq der ganzen Welt cinschrtestlich
Alkreichs giinstiger beeinflusten werde als alle früheren
tze deutschen BorfchlSge.

frsilich die wirtschaftlich Eingestellten beftiedigen werde, sei
«r, andere sfrags. Die Note stelle tatsächlich das Letzte
Pilst ^ e utfch e n Regierung dar in dem Sinne. dast ihre
si-ch«. "blehnung zur Aufgabe sedes weiteren derartigen Ver-
l-s s» '^ren und inDeutfchlandeinsoiiales undpoli-
Thaos hervorbringen müstie. Elücklicherweise
ein leichier Umschwung in der ftanzöstschen Ruhrpolitik
machcn, und wenn die deutsch« Regicrung ihrerseits
flhx^lll Sabotaaeakten an der Ruhr abrstcken wollte. so dürfe man
n. dast England die Anwesenheit Deutscher anf der Kon-
' -?ur endgültigen Regelung des Problems warm befürworten

werde. — Jm „Daily Telegraph" wird d!e ssrage erwogen, ob an-
gefiibis des befriedlgenden Charakters der Note eine sofortige und
endgültige Antwort der einzclnen Allüerten notwcndiq fei. bevor
ste nicht Eelegenheit zu einsr gcmeinsamen Aussprache gefunden
haben. Es sei ernsthaft zu hoffen, dast der Weg zu einer solchen
Aussvrache und zu einer Wiederherstellung der interalliierten Em-
heitsfront nicht durch einseitig aufgestellte Vedingungen einer e!n-
zslnen Macht versvcrrt werden würde. Enaland sei bereit. den An-
schauungen der Allüerten d!e denkbar gröstte Rückstcht entqegenzu-
bringen, aber man könne nicht erwarten. dgst es das einqelne Pro-
gramm einer fremden Macht ohne Einschränkung unterschreibe.
Lcider aber müste man mit der Tatsache rechnen. dast einige
Alliierte die Lösungder europäischen Krists nicht so
dringend empfinden wie England. Die englische Regie-
rung werde nnn entscbeiden müsten. ob ste hinsichtlich der deuischen
Note die Initiative ergreüen und ibren Standvunkt den Allüerten
vorlsgen wolle, oder ob ste die Anstcht der übrigen Verbündeten,
wie dies bei der vorigen Note geschah. abwarken wolle. Wenn ste
lestteren Weg einschlage, so werde dies m der Erwartung geschehen,
dast kemer der übrigen Allüerten l-andeln werde. bevor die eng-
lische Aufassung nicht vollständkoe Beachtimg geflinden habe.

Beachtenswert ist, dast selbst die „Morning Post", die den
äustersten sflügsl der Konservativen vertritt,

die Note als gecignete Dasts für eine Diskusfion betrachtet

und eine oemeiniame Antwort der ANüerten vorschlä»t, dnrch die
der vasstve Widerstand am besten beendet w'"rde. — D'e liberalen
Blätter vcrkreten vatürüch die »leichen Gedanken»än»e in wesenilich
schqrlerer Iorm. Die „Daily News" sagt, wenn Trankrelch auf ssi-
nor Vrüsteler I-orderung belleht. dann se! sede Hoünuna>auf eine
gemeinsame Aktion der Allüerten vergebens. Es sei kindisch, iiu
erwarten. dast e?ne deutsche Regierung den vasstven Widerstand ab-
sa»en könnte. ohne stch dadurch selber ;su stürzen. — Der „Daily
Ehronicle" stellt fest. dast die Note den englischen s?orde-
rungen entspreche und bofit. dast stch di« von Frankreich aus-
gehenden Schwserigkeiten überwinden lasten würden. — Die links-
liberale „Wektw!nNer Gazette" betont. dast e!ne Zustrmmnng
zur Ruhrbesetzung, wie sie von stsrankreich aefordert wird,
für Enaland ganz unwöolich sei. Wenn e!ne gemeinsame
allücrte Volkük nur auf dieser Erundlaqe zu erre-chen wäre. dann
müste Enqlond verücbten und eine eiqene enalücbs Polittk ent-
wickeln. — Der saüalütüche Daklv Herald" fchüestlüb befürchtet im
Eegeniab »" V''-r!»en Bläftern. dast di« neue Note die Lösun»

der N-"»r»t?ov»lra»e "vb d>e Räumunq des Ruhrgebietes nicht
einen Schritt näher brinqen werd«.

8 Paris, 8. Inn?. sE!g. Drahtm.) A„s Brüssel üegen heute
morgen nvei Dkättersümmon vor. die stcb völlia widersprechen.
Während der „Veüt Par'stsn" den dortigen Eindruck knrz äbnlich
dcm !n Varis scbüdert. nlso d?e neuen Varsibläge als »änzlich un-
annehmbar be-eichnet. lästt stch das „Oeuvre" a»s Brüffel melden,
dast man nicbt verkennen könnte, dast d!e deutsche Recnerunq end-
l'ch »enaue Karantien böle. Namentl'ch das Anoebot weqen dsr
Eisenbahn sei höchst intercstant. Man täte llnr-cht. diese An-
strenqunq zu verkennen. Dre deutsche Not» könnte Eeleqenheit zur
gemeinsamen interallüerten Prüfunq der Lage bieten.

Sas Arteil der Verliner preffe.

Allgemeine Zustimmung znm deutschen Memorandam.

Berlin. 8. Iunk.

Das deutsch« Memorandum findet, abgesehcn von einigen Be-
denken, die die deutschnationalen Zeitungen zum Ausdruck brinaen,
die Zustimmung der gesamten Berliner Presse. Die
„Deutsche Tageszeitung" hebt hervor, dah es stch üsi dem Memoran-
dum nur um eine Erweitcrung und Erqänzung der am 2. Mai den
gleichen Mächten zugestellten Note handele. Es werde also auch auf-
recht erhalten, was in jener Note über den deutschen Abwehrwillen
gegenüber den französischen Gewalttaten und Rcchtsbrüchen an-
gedeutet war. Das Memorandum biete also auch jetzt noch letzte
nationale Hoffnungen. Der „Lokal-Anzeiqer" bsiont: Die
deutsche Regierung hat mit dem gestrigen Memorandum das Men-
schenmögliche getan, um selbst auf die Eefahr neuer schrverer
Erschütterungen im Jnnern hin der gegen Deutschland angewandten
Eewaltvolitik endlich den Boden zu entziehen. Sollts auch die>er
Dersuch'scheitern, so wird die Verantwortung für alle 'oann unaus-
bleiblichen Folqen jedensalls nicht auf Deutschland zu wälzen sein.
Die „Deutsche Ällqemeine Zeitung" sagt. das deutschs Volk werde dem
Kabinett Euno Dank wisten, dast es in entschewender Stunde zu
seinem in der Mainote ausgesprochcnen Wort gestanden hat. Das
,B. T." unterstreicht dienüchterne und geschaftsmatzlg
klare Formulierung des deutschen Memorandums. das
zweifellos eine geeignete Erundlage für die ndgultige Ne-
gelung der Reparationsfraqe bilde. Mit den in dem Memorandum
anqebotenen Opfern nehme das deutsche Volk cme sast uber-
schwere Bürde aus stch. da über den Friedensveriraq h,naus jetzt
auch die gesamte deutsche Privatwirtfchaft den Neoarat,onsvervfllch-
tungen untergeordnet werden sollc. Der „Vorwcirts hebt hervor,
datz das, was das Memorandum zu Punkt 4 erklare, so vernunftlg
und unanfechtbar fei, datz nur fchlimmste Loswilllgkeit hier
widersprechen könne. Wer jetzt nicht verhandeln wolle, jetze stch ms
Unrecht. Die Eegensätze seien jetzt nicht mehr unuberbruckbar.

Ser 1. Ä!a! leln Seiertag!

Berlt«. 8. Jimi. (Eig. Drahtm.) Der R-rchsa«slchuh
de« Landtages lehnte bei Beratung des Er,etzenrwur,es Lber
dieFerertageondGedenktage einen Abfatz des Paragraph 4.
in dem den Ländern sür die Festsetzung des 1. Mai als Feiertag frere
Hand gegeben wird, ab. Nach dem Beschluffe des Aus«
fchusfes gilt alfo der 1. Mai nicht mehr als Feier-
tag, nnd er kann auch durch Landesrecht nicht mchr zum Feiertag
gemacht werden. fobald das Reichsgesetz verabfchiedet fein wird. Ein
fozialdemolratischer Antrag, den Ländern auch sür den 8. November
freie Hand zu lasten, wurde oon der Mehrheit des Ausschustes
abgelehot. Darans vertagte stch der Ausjchutz.

„Erst Vrot, dann Reparationen."

Jn einer seiner letzten grotzen Reichstagsreden hat der Vor-
gänger des Reichskanzlers Tuno die Zwangslage Deutschlands mit -
dem Wort charaktcrisiert: „Erst Vrot, dann Revarationen!" Das>i
war weder ein taktisches Schlagwort, noch der billige Versuch, sich der-.
Erfüllung wenn auch einfeitig diktierter Dertragsbestimmungcn ,n!
entziehen, sondern in ihm wurde der gequälte Notschrei «incs
verarmten und unter den Nahrungssorgen schw.-r leidendcn
Volkes laut, das furchtbare Hungerjahre hinter stch hat vnd
auch heute noch lange nicht hinreichcnd ernährt werden kann, denn
der Dersailler Vertrag mit all setnen Wirkungen und Folgen macht
das einfach unmöglich.

Schon vor dem Kriege war es so, dast di« heimische landwirt.
schaftliche Erzeugung in Deutschland zur Befriedigunq des Nahrnngs«
bedarfs bei weitem nicht ausreichte? für etwa ein Fünfiel der dent«
schen Bevölkerung mußten die LsLensmittel aus vem Ausland ein-
gefuhrt werden. Die Kriegsjahre mit ihrer HLchst mangelhgsten
-'o^cnbcstellung, die die Aecker auf weite Streckon verkommen lietz,
noch mehr aber die Kriegsfolgen habcn diesen Zustand katastrophal
verschlimmert. Durch das Vcrsailler Diktat hat Deutschland inlolqe
der Eebletsabtretungen ein Zehntel seiner Einwohner. aber e-ni
Srebentel seiner gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche und sogar'
em Sechstel seiner Eesamt-Ackerländercien verloren: denn cerade
Eebiete des deutschen Nordostens war-n landwirt--
schaftliche lleberschußgebiete und die eigentlichen Kornkammern-
des Deutschen Reichcs. Konnte also der deutsche Boden berüts vor
dem Weltkrieg nicht die genügende Nahrung liefern. so ist heute dit'
Lage schon lnsofern bedeutend schlimmer, als die gus dem Vers-r-ller
deutschen Verluste an landwirt'i
Ichaftllchen LSndereien prozentual noch weikl
grotzer alg an ko nfumi -rend en Einwohnern sind.^
Zu dem Weniger an Erzeugung kommt aber wsiter noch .in «rhcb.
I-ches Weniger an ErzeugungLinitieln sür die landwirtschaftliche Dro-/
duk.wn: wlt Ausnahme von Kali ist dte Vrrsorgung der deutschcn j
Landwirtschaft mit den notwendiqsten Düngemitteln Lbrrall stark'
slnaeschränkt; stand doch einem Bedarf von 700 000-800 000 To.!
Neinstickstoff nur eine (schon erhöhte) tatsächliche Beliefernng mrt nuri
300 000 To. im Jahre 1821/22 gegenüber, also ein Manko von weik^
mehr als der Halfte, von der Minderbelieferung der varhergehenden j
Iahre ganz zu schwekgen. Auch die Dslieftrung der Landwirts.haft'
nnt Diingemitteln aus Nein-Phosphorsäurs (Thomasmehl, Suver«!
phosphat, Knochenmehl und Peru-Euano) hat sich infolge der Ver-i
luste an Erzgruben und des Sinkens der deutschen Währnng oeqen?
das Düngejahr 1913/14 fast auf die Hälfte vermindert.

Entsprechend dem Derlust an Ackerbaufläche hat Deutschland durch'
ftemde Eebietsannexion bei einem Zehntel Volkseinbntzr 13,4 v. H.
oder fast ein Skebentel seiner landwirtschaftlichen Arbeitskräfte
hergeben mLssen. Wag dieser Derlust für die dcutsche Land-
wirtschaft bedeutet. wird sofort klar mit der Feststellung, datz diese
Personalverminderung dem Eesamtbestand der landwirtschastllchen
Arbeitskräfte in England und Wales oder in Schweden
und Norwegen zusammen entspricht. Die Folge all dieser un-
günstigen Vcrhältniste ist eine fortschreltende Ertensivierung dcs
landwirtschaftlichen Betriebs, ein starker Nückgang der intensiven
Dodennutzung und damit eine sehr fühlbare Äbnahme der Bodcn-
erträge. Dieses folgenschwcre Mißverhältnis zwischen Nahrungs«?
bedarf und Bodenertrag wiederholt sich auf dem Eebiet der-
deutschen Viehzucht. Auch hier Lbersteigt insolge des Versaillcrj
Diktats d!e Verlustsumme an Arbeits- und Schlachttieren den Ver-'
lust an Einwohnern und schmälert so die Crnährungsbasis des devt»!
schen Volkes von neuem in drückender Wei'se. wobei die NeuaufzuHt!
von Vieh durch das Fehlen genügender Futtermittel sehr gehemmt,
vielfach sogar unmöglich gemacht w!rd. Der infolge der Kriegs- nnD j
Reparationslasten tief gcsunkene Wert der deutschen Mark erlau-t!
schon lange nur noch eine ganz geringfügige Einsuhr notwendigster
Futtermittel, was am schlagendsten dargetan wird durch die Taisache,!
datz der Import von Futtergerste von 3 100 000 To. im Jahre 1913'
auf 170 000 To., also um 94,5 v. H. oder beinahe auf ein Nichts
zurückging. Kein Wunder, datz die zur Verfügung stehende
Fletschnahrung ebensowenig wie die Brotnah-
rung nicht nur ntcht ausreicht, sondern dazu noch beide auch wegen
des Mangels an Futter- und Düngemitteln in ibrem Nähr-
wert bedenklich gesunken sind, wodurch die Folgen der
bestehenden llnterernährung des deutschen Volkes für die Zukunft
noch gefährlicher werden. Von dieser erschreckenden Notlage hat der
Derliner Oberbürgermeistcr Does kürzlich in einer knappen Bro-
schüre ein aus Zahlen imd Tatsachen komponiertes, wahrhafk erschüt-
terndes Bild entworfen, von dem man wirklich sagen kann, datz aus
ihm nicht nur die Not in Berlin, sondern dre Not in ganz
Deutschland spricht.

So also steht die Sache: die Reparationskommistion, das aus-
führende Organ des Versailler Eewaltfriedens, verlangt von Deutsch-
land alljährlich ungeheure Zahlungen in Eoldwerten: dicse Zahlun-
gen könnsn nur durch aufs intensivste gesteigerte Arbeitsleistungen
aufgebracht werden. Das deutsche Volk, Arbeiter wie llnternehmer,
sind bereit — daran kann sür den Unvoreingenommenen kein Zweifel
bestehen —. das Aeutzerste zu tun, um gerechtfertigte Ansgrüche seiner
Eläubiger zu befriedigen und auch die schwersten Bedingungen des
Versailler Eewaltfriedens nach Möglichkeit zu erfüllen: Voraus-
setzung zur Erzielung solcher Arbeitsleistungen sind aber Menschen-
kräfte, die hinreichend ernährt sind und auf die Dauer ernähri wer-
den können. Das aber haben die Dersailler Vestimmungen noch auf
lange Iahre hinaus unmöglich gemacht, woraus stch mit zwingcnder
Logik ergibt, datz, so lange der jetzige Zustand bestehen bleibt, das
deutsche Dolk schon rein körperlich niHt in der
Lage ist. d i e von seinen Reparationsgläubigern geforderten
Leistungen in dem bisher festgesetzten Umfang
Lberhaupt durchzusühren.
 
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