66. Wrgang Ar. 168
> Die .Badi sche Post' erschrint wöchentl. siebenmau Bel'.a-ien' DidaSkaU a sSonnt.) —
1^rhaltungSblattlMontag«) - Literatnrblatt—vochschuibeilagelmo natltch).
^unverkanate BeitrLge ohne Berantroortnng. Rü<tsendnnn nnr. wenn Porto betiiegt.
Hsidelherger ZektuÄg
(Gsgründet 1858)
und
Sandelsblatt
Mittwoch. den 20. Znni 1S2Z
HauptgeschLst-stelle n. Schristleitg. ber.Badtschen Post'Hsidelberg.Hanvtstr. 23. Frrnsvr.
Nr. 182. Berliner Bertretung! B-rlin 8V «8. ZinrmerstraS- g, Fernspr. Zentr.
Münchn-r Nertr-tnng. MLnchen, «eorgenstr. 1t)7, Frrnspr. »1607.
«oftschech.Monto r Srankfurt a. M. »ichi»
»oktkchet>-»on«»r Srankfnr» a. M. »1«»»
Tuui-Bezugsvreis Ler.Bad. Post' Ml. L8t«.- tausschl. Zuftellgobtihr). SelbstabhoI.Mr.SSV».-. Ausland Mk. 1S0VV.-
"bbestell.werd.nnr bis rnm L. jed.M>s.angcnomm>n. Slm 1 u.L. noch gelief.Zeitnngen stnd nach d.Einzelverkanfspreis zu be-
bhlen. Prcis d. Einzeinummer Mk. 80V.-. Jst die Zeitung an, Erscheinen vcrhindcrt, bcstehr lein Anspruch aufEntschädigung
An»«igenvreise:die44mm breite Nonpareillezeile kost°t:tokale Stellcngesuche Ml.SS,«.G-s-genheitsanzmgenMk. SÜV.-.
Familienanzeigen M1400.—.Deschästsanzeigen Mk. S00.—, Ftnanz- und Jndustrteanzeigen Mk. «00.-, mit Platzvorschrist und
Montags Mk. St).- mchr. Die 98 mm breitc Reklamezetle kostet Mk. 2000.-, Anzcigen und Reklamen von ausmürts 2ö°/» höh-r
Sas unenWoffene Sngland.
Die Londoner Presse vermeidet jede Lchiirsc gegen Frankreich.
Vou unjerem ^-Korrespondenien.
London. 19. Jnni.
At Äb'erhaupt nicht mehr die Äiede unü die ivachs.'nden
Nwierigketten -es Reiches fiuLen in der. ena.li,kL«n Vreiu>. kein
tN» sich auf englescher Sefte urieder ziemlich stext-sch. weil schon
Kt sestzteht, Lasz die französi-sche Aniworr auf d-ie cnglischen Fragen
!«cht den geringsien Fortschritt im engltjchen Sinn briNgen weroen.
A^hrscheinlich wird Baldwin oder Lord Curzon nach dem
^Psang der Antwort nach Parie sachren. mn die DerhandmngLN
^lrolich sorlzujötzen. Die Regierungsdlatter oermeiden sorgfä.t'g
^es scharfe Wort gegen Franlreich nno betonten dle freund-
Zaftliche Almosphäre, in der sich Lie Verchan.Äang«n ab-
i^len. Natürlich fehlt es auch nicht an sanften Vechuchen, auf die
^lzosische Oefsentlichleit einen Drmk anszuüben. Lo sagt ein Leit-
Mkel der „Times". Ler wachsende Wunsch nach Vcrständigung auf
^>ben Seiten Les Kanals sei ein s:hr ernruligendes Zeichen, aber
„ beweife noch nicht norwendigcrweise, Lasi eine solche Verständigung
tatsächlich zustande lommc. Auch der „Daily Telegraph" warnt
übertriebenem Optimismus. Es werde nberaus schwie-
tz!8 sein, sich über di« zioile und wirtschaftliche Derwa'tung zu ver-
Nstbigen, die die Franzosen einfähren wolten, sodald der imssive
.^.L«rstan.d aufhöre uirs bie Besetzung unfichibar gemacht werden
Insbefonder« sei geaen das vorgefchlagene EisenLahnregime
M,englischer Seit« ernsthaster Widerstand zu bemerken. Weiterhin
'zfsiunden auch Schwierigreiten in finanziellen Fragen, fo in bezug
die soanzosifchen Mindestanspruch« in der Reparation sowie in
Allo auf die -französische Forderung, gewisse Staatseinkünfte während
^ Dauer des Movatormms einzuziehen
>, Nach einer weiteren Drahtmeldung uuseres Pariser
k'Korrejpondenten wurde durch „Reuter" der franzäsischen
^llierung mitgeteilt, daß man ihre Antwort noch für Disnstag er-
?8rte, weil der englische Ministerrat am Freitag zusam-
^»treten werde und Frankreichs Standpunkt in der Frage der Ein-
^sillng des passiven Widerstandes vorher kennen lernen wolle. Das
Slische Verlangen, sich an der Antwort an Deutschland zn beteili-
scheint inzwischen in Paris eine Wirkung gehabt zu haben und
heißt. daß Belgien sich zu dem sranzöstschen Antrag« noch am
o^Nstag äußern werve, worauf dann die Note nach London abge«
«hbt werden könnte. Die bisherige Ausrede, daß das belgische
^bin«tt wegen seiner Demisston die Noie PoincarSs nicht studieren
o?>lte, wurde fallen gelassen. Man erklärt jetzt, daß Jaspar trotz
>der Dsmisston die Antwort, die Poincarö nach London übersenden
überprüft habe und stch mit ihr mit Ausnahme eines
^ nktes einverstanden erklärte, so datz also, wenn in diesem
Punkte ein Einvernehmen zwischen Paris und Brüstel erzielt
wird — woran ubrigens nicht gezweifelt werden braucht —, das
s^SIische Kabinett am Dienstag nachmittag die Anschauungen der
^züstschen und der belgischen Regierung kennen lernen wird. Auch
^Mcn stellt sich auf den Standpunkt, daß der Einstellung des
'iiven Widerstands im Ruhrgebiet die Zurück-
^hung aller Verordnungcn voranzugehen haüe.
tzdAe die Reichsregierung erließ. um det deutschen Bevölkerung zu
^bieten, unter der französisch-belglschen Kontrolle zu arbeiten.
^^Unis und Jaspar sinü der Ansicht, daß sie sich trotz ihrer Demistion
sieser wichtigen Angelegenheit äußern könnten, weil sie nicht über
außenpolitische Frage gefallen waren und die belgische Kammer
^ am Tage Ler Amtsniederlegung des Kabinetts das Budget für
stuswürtigen Angelegenheiten bewilligt hatte.
Eine Annäherung Amerilas?
iiLse Mitarbeit Haroeys an der Lösung der Reparationssrage.
Von unjerem U.Korresponöenten.
P-ri», 1g. Zuni.
^ ^in« merkwüvdrge, im Augenblick nicht leicht verstänüliche Mel-
dyL verüffentlicht der „Exchange Telegraph" aus Washington.
hätte der Botschaster Ler Vereinjgten Staaten in London,
or ^ »ey, der im Monat Juli seinen Posten wieder antreten soll,
Auftrag erhalten, ohne offjzielle Eigenschaft
oer englischen Rczierung zu sa m m e n z u a rbei,
.ist.Und ihr bei d«r Lösungdes Reparationspro-
stss,s behilflich zu sein. Vielleicht ist diese Meldung das
iv^Uzeichen, Latz Amerika sich wenigstens ln affiziöscr Weise fur
'^^paralionsproblem zu inieressreren Leginnt, und möglichcrweise
"thz, uran diesen Auftrag. o«n der Botjchasier Eeorges Harveq
wit der Reise des amerLanischcn Schatzsekretärs, Lie Lieser
.^kh^uchsten Sa-mstag antritt, in diesen ZujaÄlmenhang bringen.
>»^8sekrctär Malone begibt stch betanmlich runüchst nach Eng-
s>>ck d. um mit Baldwin zu konserieren. Ossrziell ist dieser Be-
>>l englischen Kabinett nicht dekanntgegeben worden und auch
^ Ihington behauptet man, datz Malone eine Vergnüzungs-
N >n Vegleitung seiner Tochter antrete. Malone ist bekannt-
'std Ler reichsten Männer der Vereinigten Staaten. Akan schätzt
' ^'Lkrmögen auf 499 Millionen Dollar. Bei seiner Rei'se wird er
^ Ms nicht dte Gelegenheit versäumen, stch über die Finanz-
B>rtschaftslage der verschiedenen europäischen Staaten, in dre
will, zu unterrichten. Wenn er auch osfiziell Lag Repa-
?itj>nsproblem und Las der interalliierten Schulden nicht behandeln
- aL, >o wird der Aufenthalt in Len verschiedenen europäischen
^ jhm dennoch Eclegcnheit gcben, ber den Besprechungen
mitden verschiedenen Siaatsmännern und Finan-
ziers dieser Länder diese Leiden Themata zu strsisen, und auf diese
Weise wird seine Neise oielleicht auch wichtige politische Folgen
haLen.
Ner -istteditiette Wlkerdund.
Wne Lihiveizer Stimme sLr den Austritt aus dem Bölkerbuad.
Eigene Drahtmeldung.
Basel, 19. Juni.
In der gestrigen Deüatte im Schweizer Nationalrat
krrtisterte Ler katholisch-kanservatMe Luzerner Obergerichtspräsident
Müller schars die Untätigkeit des Völkerbundes
gegcnüber der französischen Ruhrbejetzung. Er
sagte u. a.: Die Zustände im Ruhrgebiet, wo llrteile gesprochen
roerden. die zurüclcrinnern an die Barbarei, Urteile, die uns
erbeben machen, empören uilser Rechtsgefühl, und
wenn der Völkerbund dem FrieLen dienen will, sollte er hier nichl
untätig zusehen. Man mutet uns heute zu, zu schweigen; heute
scheint das Rechtsgefühl eingeschlasen zu jein. Der
Völkerburrd handelr nach dsm Wort im Eleichnis vom barmhcrzigen
Samariter: Er jah ihn uno ging oorüber. Bis jetzt ift ber Böiker-
bund nicht gegen die Gewalttätigkeiten eines jeiner Mitglieder
vorgegangen, ;a man dars nicht einmal kavon spreche -, Unser
Volk i st getanlscht worden. Wenn die Dinge so bleiben, wie
sie siivd, wirö sicher eine Lnitiatioe sür den Austritt oer
Schwcizausdem Vülkerbund tommen. Wir wollen sür ren
Vöbkerbund tun, was wir lönnen, erzeigt sich aber hierbei die Arbeit
sür unnütz, so woll-en wir lieber austreten. — Lin freisinniger Redner
widersprach dem Nationalrat Müller, indem er aus die Erfolge (?)
Les Wlkcrüundes Lei der Wiederaufrichtung Oesterreichs hinwies,
die äutzerst wichtig sür di« schweizeriischeu Osüantone jei. Man lebe
heute nicht mehr im Jdsal des europäischen Eleichgewichts.
Sranzöflsche Slutsauger.
llnerhört« Ausbeutllng devtscher Arbeiter im Wiederaosbaugebiet.
Vou uuserem L-Korrejpoude nte n.
Paris, 19. Juni.
Dor einiger Zeit vcröffentlichte der „Matin" eine Bkeldung aus
dem Wiederaufbaugebiet, nach der die dortige Bevölierunz
gegen ernige dort bejchästigte Arbeiter jehr aufgebracht und deren
Äusweisung betrieüen haben joll. Erkundigungen an matz-
gebeuder sranzösischer und deutscher Stelle haoen nicht nur
aenau üas Eegenteil von dieser ,,Matin"-Metdung ergeben,
jondern auch weiterhin Lewiesen, daß diese deutschen Arbeitcr das
Opfer eines höchst o e rabsche u ensw Lrd igen Ausbeu-
tungsmanövers «iner Pariser WieLeraufbau-
firma geworden sind. Es handelt sich um 33 Leutsch« Arbeiier, Lie
sämtlich aus dem hessischen Kreis Grotz-Eerau stammen und
durch Vermittlung eines Trierer Agenien im Wiederaufbaugebiet
Arbeit annahmen und zwar zu oen oentbar ungünstigsten Beoing-
ungen; neben freier Belöftigung erhielten sie nur drei Franken
aegenüber dem ortsüblichen Lohn von 45 Franken.
Hierzu kommen noch einige taujend Mark llnterstützung fiir ihre
Familien. die ihnen natürllch auch noch nicht ausbezahlt wuvden.
Zwischen ihne-n und Ler eingeborencn Beoölkerung besteht entgegen
der „Maiin"-Meldung das denkbar best« Einvernehmen. Jedenfalls
aber seien deutjche ArLeiter vor der Annahme jolcher Engage-
ments gewarnt, über die ste vorher nichl eingehende Erkun-
digungen an zuftändiger Stelle eingezogen haben.
Die „konsequenten" Radikalsozjalisten.
Parrs, 19. Juni. (Eig. Drahtm.) Die Mitgliedcr des Kaüinetts,
die der raüiialsozialiftischen Linken angchören, -lämkich
die Unterstaatsjetretüre Riot, Lafsonr, Vidal unb Eynac,
erschienev wie das „Oeuvre" mitzuteilen weig, bej Poincarö, um
ihm darzulegen. üatz nach Ler Abstimmung der Raditaljozialisten,
die am retzten Frenag gegen die Regierung gerichtet war, sie incht
mehr im Kabinett verbleiüen könnten. Poincarö crwiderte ihnen,
datz er, falls sie demissionieren, eüenjalls jeinen
Rucktritt anmelden würde. Daraufhin verzichteten (!)
die Unterstaatssetretäre der radikalsoziallstijchen Partei ruf ihre
Rücktrlttsabsichten und verblieben im Kadinett. Nun aber bleibt
abzumarlen, wie sich die radikalsozialistische Partei zu diesem Ver-
haltei ftellen wird.
Eine Wiederholung der Kammerdebatte.
8 Paris, 19. Juni. (Eig. Drahtm.) Die französische
Jnnenpolitik wird in Ler heutigen Kammersitzung noch einmal
zur Debatte stehen. Am Schlutz Ler Freitagssitzung joll der öffent-
liche Anschlaz der Rede Poincarss angeregi werden;
hierüber hat die Kammersitzung zu entscheiden. Linksstehende Kreise
des Senats wünschen auch im Senat eine Ausfprach« über die
Jnnenpolitik. Der Vorsitzende der Senatsgrupv« der demo-
kratischen Linken und Vizepräsident des Senats Bienvenu-
Martin wurd« von seinen Freunden beaustragt, eine Verein-
barung mit dem Ministerprästdenten zu trejfen. Eine solche inner-
pol-itischc Debatte im Denat ift aber jedenfalls erst nach der Budget-
beratung zu crioarten.
Theunis vel der Kabmettsbildung.
Parts, 19. Juni. (Eig. Drahtm.) Di« nunmehr erfolgte Ve-
trauungvon Theunis mit der Neubildung des belgi-
schen Kabinetts sührte dazu, datz er Montag abend mit den
Führern der Liberalen und der Katholiken eine eingehende Bc-
sprechung hatte. Die Bemühung Theunis' ist vor allen Dingen
darauf gerichtet, sestzustellen, ob er in der Lage sein wird, eine feste
Majorität zu bilden. Jm Lause des Dienstags dürste möglicherweise
die Kabinettsbildung vollzogen sei«.
Der LandesverrSter a!s Mriyrer.
Die Mark stürzt ins llserlose, die Wellen Ler Tei.erung schlagen
bedrohlicher und bedrohlicher über das Deck des Staatsschifses. Tod-
seindschaft lauert auf der einen Seiie, um das Vernichtungswerk zu
vollenden, auf -der anderen schlägt kühl« selbstifch« Berechnung jede
Hoffnung auf Unterstützung. Ünd zu alledem erhebt unter l em Schutze
des äutzeren Feindes der Kommunismus die Haird zum tödlichen
Schlage. So ist die Lage. Noch hält die Front an der Ruhr. Noch
sind Millionen bereit, den Kamps durchzufechten. llno geht es nicht
ganz desonders für alle diejenigen, die den Kampf allein m,t geistigsn
Mitteln gepredigt haben, jetzt um die grotze Entfchevdung? Haven
nicht vor allem Pazifisten und Sozialisten bei dem Zusammenbruch
des pafstven Widerstandes das Schkimmste sür die Durchführung
ihrer Jdeen zu befürchten? Jn ihnen mützte doch der Proteft gegen
rohe Vergcwaltigung Len leidenjchaftlichften Widerhall finden, si«
mützten am schärfsten die ALwehr gegen die Veugung des Rechtes
wollen. Tun sie das? Aber wollen sie nicht sekbst Recht beugen,
wenn ste den wegen Landesverrates im vorigen Herbst verurteilten
Fechcnbach freifordern? Wenn sie nicht etwa ihr« Stimme «rheoen
für eine Milderung der Sirase, für eine spätere Begnadigung,
sondern wenn sie einen Märtyrer der Republik schaffen wollen?
Fcchenbachs llnschuld soll weithin strahlen, währcnd Bayern und
seine Volksgericht« für all« Zeik bloßgedellt sein follen. Das ist der
tiefere Grund. Erinnern wir kurz an d-i« Vorgänze und an di«
Vorgeschichte.
Die Volksgerichte, die jetzt so sehr oon Sozialisten an-
gegrisfen werden, sind von Eisner durch Berordnung vom 16./1S.
November 1918 eingeführt worden. Unter der Werordnung stehen
u. a. auch die Namen der Sozialdemokratrn Äuer, Hoffmann, Rotz-
haupter, Timm.
Vor dem Volksgericht München stand am 3. Oktober 1922
Fechenbach mit zwei anderen Angeklagten. Fechenbach war Les
fortgesetzten Landesoerrats bsschuldigt. Ein Teil der Anklage be-
schästigte sich damit, datz Fechenbach als Pri-vatsekretär Eisners sich
im Ministerium des Aeutzern in den Besitz geheimer Dokumente —
darunter des Ritter-Telegramms — vom September 1914 gesctzt und
diese Dokumente einem Franzosen ausgeliesert hatte. Lin Be»
kanntwerden dieser Eeheimdokumente im Aus.
land war nach Annahm« der Anklage geeignet, den
im Frühjahr 1919 mit der ALfassung des Ver-
sailler Diktates befatzten Feindbund zu Unaun»
>ten Deutfchlands und der einzelne« deutschen
Staaten, besonders Bayerns, zu Leeinflussen. Das
wutzte Fechenbach. Trotzdem händigt« er im April 1919 dem fran»
zösischen Journalisten Payot ein« Absthrift der Gehelmdokumente
aus und sie sind von Payot in Lem «xtrem deutfchfeindlichen „Jour-
nal" als Auftakt zu den Versailler Verhandlungen am 29. Aprrl 1919
veröfsentlicht woroen.
Fechenbach war fich der Strafbarkeit seiner Hondlung be»
wutzt. Denn iin Mai 1919, als auf Veranlassung des damaligen
sozialistischen Ministerpräsidenten Hosfmann ein Versahrsn wegen
Landesverrates gcgen ihn eingeleitet war, leugnet er aufs ent.
schiedenfte, Payot zu kennen nnd das .Mitter-Telegramm" an
irgend semand gegeben zu haben. (Jn diesem aeheimen Telegramm
hatte sich der Gesandt« Ritter sein« Anficht über die Haltung des
Vatikans zu der durch den Mord von Serajewo geschafsenen Lage
niedergelegt.)
Fechenbach wurde im Verlauf des Versahvens freigesprochen.
Auch im Kriegsschuld-Prozetz 1922 leugnete cr die Beziehungen zu
Payot; beim Landesverratsprozeß wurde er überfllhrt und lietz dann
sein Lengnen damit erllären, daß er gesürchtet habe, stch ein Straf-
versahren zuzuziehen, wenn er die Aushändigung von Material an
Payot zugebe.
Jm Oktober 1922 erfolgte die Verurteilung Fechenbachs vor dein
Volksgericht. Die llrteilsbegründung führte wörtlich aus: ,/Oer
Angeklagte hat durch die Hingabe des Rikter-Telegramms das
deutfch« Vaterland, das auch sein Vaterland ist, ehilos verraton in
voller Erkenntnis der schweren Folgen, die dieser Verrat nicht nur
für die Bürgerlichen, sondern äuch für die Sozialisten haben werde,
vor allem auch sür die Lllrgerlich« und für die sozialistische Jugend;
denn damals Lrohte dem Deutschen Reiche — wie der Angeklagte
wutzte — unmittelbar die Hungersnot."
Als Fechenbach Lem Payot das Telegramm gegeben hatte, war
es noch geheim; d-enn es gab nur ein« einzige Uebertragung des
chiffrierten Telegramms, und diefe ist in der Wohnung Fechenbachs
gesunden worden. Ueber die Wirkung der Auslieferung des Tele.
gramms äutzerte sich am 12. November 1922 Justizminister Eürtner
im bayerischen Landtag: ,/Di« Höhe der Straf« rechtfertigt sich aus
dem schweren Nachteil, der dem Deutfchen Reich, der deutfchen Volks-
gesamtheit und der damit auch der deutschen Arbeiterschaft aus der
Bekanutgabe des sogenannten Rittcr-Telegramms erwachsen ist. . . .
Das Telegramm hatt« die Wirkung, datz eine neu-
trale Macht, die in Ler Langen Zeit zwischen
Waffenstillstandund Friedensich fürdenFrieden
zu verwenden geneigt war, in dieser Tatigkeit
lahmgelegt worden ist."
llm weitere Schädigungcn neutraler Bemühungen für Deutsch-
lano hintanzuhalten, ist m der Verhandlung vor dem Volksgericht
das Rittcr-Telegramm unter Ausschlutz der Oeffentlick^eit Lehandelt
worden.
Nu-n wird nach verschiedenen vorhergegangenen Bevsuchen ein
neuer unternommen, Fechenbach reinzuwajchen. Zu diesem Zweck
wird der Wortlaut des Ritter-Telegramms in einer Broschüre des
Kammergerichtsrates Freymuth veröffentlicht. Freymuth be-
Hauptet, die Veröfsentlichung des Telegramms sei nicht mir für
Deutschland nicht schädlich, sondern sögar nützlich gewesen. (!!!)
Freymuth hat seine Untersuchung im Austrage des repnblikani-
schen Richterbundes und im engsten Einvernehmen mit
Eerlach, von L«m fllr die -deutfch« Sach« noch nie etwas Gutes
gekommen ist, und dem Mimchner Rcchtsanwalt Philipp Löwen -
seld veranstaltet. Sie ist gewissermatzen die geistige Frucht einer
Versammlung, die die,L i g a f ü r M e n s che n r e chte'^ im Januar
diefes Jahres sür das Fechenbach-Urteil einberies. Freymuth sagt,
datz im Juli 1914 nicht nur deutscke „Militaristen", soncern auch ganz
andere Leute (üer Vatikan) der Aufsaffung sein konnten, Latz cs sich
für Oesterreich mn eine Schicksalsstunde hanLele. Würden ssine
Freunde Gerlach, Fechenbach usw, sich srüher diese Erlenntnis zu
eigen gemacht haben, unendlicher Schaden hätte verhindert werde»
könncn. Logisch darf man vielleicht auch folgern, datz, wenn Fechen-
bach 1919 ein Dokument kannte. das Deutschland stark entla'ete, er
> Die .Badi sche Post' erschrint wöchentl. siebenmau Bel'.a-ien' DidaSkaU a sSonnt.) —
1^rhaltungSblattlMontag«) - Literatnrblatt—vochschuibeilagelmo natltch).
^unverkanate BeitrLge ohne Berantroortnng. Rü<tsendnnn nnr. wenn Porto betiiegt.
Hsidelherger ZektuÄg
(Gsgründet 1858)
und
Sandelsblatt
Mittwoch. den 20. Znni 1S2Z
HauptgeschLst-stelle n. Schristleitg. ber.Badtschen Post'Hsidelberg.Hanvtstr. 23. Frrnsvr.
Nr. 182. Berliner Bertretung! B-rlin 8V «8. ZinrmerstraS- g, Fernspr. Zentr.
Münchn-r Nertr-tnng. MLnchen, «eorgenstr. 1t)7, Frrnspr. »1607.
«oftschech.Monto r Srankfurt a. M. »ichi»
»oktkchet>-»on«»r Srankfnr» a. M. »1«»»
Tuui-Bezugsvreis Ler.Bad. Post' Ml. L8t«.- tausschl. Zuftellgobtihr). SelbstabhoI.Mr.SSV».-. Ausland Mk. 1S0VV.-
"bbestell.werd.nnr bis rnm L. jed.M>s.angcnomm>n. Slm 1 u.L. noch gelief.Zeitnngen stnd nach d.Einzelverkanfspreis zu be-
bhlen. Prcis d. Einzeinummer Mk. 80V.-. Jst die Zeitung an, Erscheinen vcrhindcrt, bcstehr lein Anspruch aufEntschädigung
An»«igenvreise:die44mm breite Nonpareillezeile kost°t:tokale Stellcngesuche Ml.SS,«.G-s-genheitsanzmgenMk. SÜV.-.
Familienanzeigen M1400.—.Deschästsanzeigen Mk. S00.—, Ftnanz- und Jndustrteanzeigen Mk. «00.-, mit Platzvorschrist und
Montags Mk. St).- mchr. Die 98 mm breitc Reklamezetle kostet Mk. 2000.-, Anzcigen und Reklamen von ausmürts 2ö°/» höh-r
Sas unenWoffene Sngland.
Die Londoner Presse vermeidet jede Lchiirsc gegen Frankreich.
Vou unjerem ^-Korrespondenien.
London. 19. Jnni.
At Äb'erhaupt nicht mehr die Äiede unü die ivachs.'nden
Nwierigketten -es Reiches fiuLen in der. ena.li,kL«n Vreiu>. kein
tN» sich auf englescher Sefte urieder ziemlich stext-sch. weil schon
Kt sestzteht, Lasz die französi-sche Aniworr auf d-ie cnglischen Fragen
!«cht den geringsien Fortschritt im engltjchen Sinn briNgen weroen.
A^hrscheinlich wird Baldwin oder Lord Curzon nach dem
^Psang der Antwort nach Parie sachren. mn die DerhandmngLN
^lrolich sorlzujötzen. Die Regierungsdlatter oermeiden sorgfä.t'g
^es scharfe Wort gegen Franlreich nno betonten dle freund-
Zaftliche Almosphäre, in der sich Lie Verchan.Äang«n ab-
i^len. Natürlich fehlt es auch nicht an sanften Vechuchen, auf die
^lzosische Oefsentlichleit einen Drmk anszuüben. Lo sagt ein Leit-
Mkel der „Times". Ler wachsende Wunsch nach Vcrständigung auf
^>ben Seiten Les Kanals sei ein s:hr ernruligendes Zeichen, aber
„ beweife noch nicht norwendigcrweise, Lasi eine solche Verständigung
tatsächlich zustande lommc. Auch der „Daily Telegraph" warnt
übertriebenem Optimismus. Es werde nberaus schwie-
tz!8 sein, sich über di« zioile und wirtschaftliche Derwa'tung zu ver-
Nstbigen, die die Franzosen einfähren wolten, sodald der imssive
.^.L«rstan.d aufhöre uirs bie Besetzung unfichibar gemacht werden
Insbefonder« sei geaen das vorgefchlagene EisenLahnregime
M,englischer Seit« ernsthaster Widerstand zu bemerken. Weiterhin
'zfsiunden auch Schwierigreiten in finanziellen Fragen, fo in bezug
die soanzosifchen Mindestanspruch« in der Reparation sowie in
Allo auf die -französische Forderung, gewisse Staatseinkünfte während
^ Dauer des Movatormms einzuziehen
>, Nach einer weiteren Drahtmeldung uuseres Pariser
k'Korrejpondenten wurde durch „Reuter" der franzäsischen
^llierung mitgeteilt, daß man ihre Antwort noch für Disnstag er-
?8rte, weil der englische Ministerrat am Freitag zusam-
^»treten werde und Frankreichs Standpunkt in der Frage der Ein-
^sillng des passiven Widerstandes vorher kennen lernen wolle. Das
Slische Verlangen, sich an der Antwort an Deutschland zn beteili-
scheint inzwischen in Paris eine Wirkung gehabt zu haben und
heißt. daß Belgien sich zu dem sranzöstschen Antrag« noch am
o^Nstag äußern werve, worauf dann die Note nach London abge«
«hbt werden könnte. Die bisherige Ausrede, daß das belgische
^bin«tt wegen seiner Demisston die Noie PoincarSs nicht studieren
o?>lte, wurde fallen gelassen. Man erklärt jetzt, daß Jaspar trotz
>der Dsmisston die Antwort, die Poincarö nach London übersenden
überprüft habe und stch mit ihr mit Ausnahme eines
^ nktes einverstanden erklärte, so datz also, wenn in diesem
Punkte ein Einvernehmen zwischen Paris und Brüstel erzielt
wird — woran ubrigens nicht gezweifelt werden braucht —, das
s^SIische Kabinett am Dienstag nachmittag die Anschauungen der
^züstschen und der belgischen Regierung kennen lernen wird. Auch
^Mcn stellt sich auf den Standpunkt, daß der Einstellung des
'iiven Widerstands im Ruhrgebiet die Zurück-
^hung aller Verordnungcn voranzugehen haüe.
tzdAe die Reichsregierung erließ. um det deutschen Bevölkerung zu
^bieten, unter der französisch-belglschen Kontrolle zu arbeiten.
^^Unis und Jaspar sinü der Ansicht, daß sie sich trotz ihrer Demistion
sieser wichtigen Angelegenheit äußern könnten, weil sie nicht über
außenpolitische Frage gefallen waren und die belgische Kammer
^ am Tage Ler Amtsniederlegung des Kabinetts das Budget für
stuswürtigen Angelegenheiten bewilligt hatte.
Eine Annäherung Amerilas?
iiLse Mitarbeit Haroeys an der Lösung der Reparationssrage.
Von unjerem U.Korresponöenten.
P-ri», 1g. Zuni.
^ ^in« merkwüvdrge, im Augenblick nicht leicht verstänüliche Mel-
dyL verüffentlicht der „Exchange Telegraph" aus Washington.
hätte der Botschaster Ler Vereinjgten Staaten in London,
or ^ »ey, der im Monat Juli seinen Posten wieder antreten soll,
Auftrag erhalten, ohne offjzielle Eigenschaft
oer englischen Rczierung zu sa m m e n z u a rbei,
.ist.Und ihr bei d«r Lösungdes Reparationspro-
stss,s behilflich zu sein. Vielleicht ist diese Meldung das
iv^Uzeichen, Latz Amerika sich wenigstens ln affiziöscr Weise fur
'^^paralionsproblem zu inieressreren Leginnt, und möglichcrweise
"thz, uran diesen Auftrag. o«n der Botjchasier Eeorges Harveq
wit der Reise des amerLanischcn Schatzsekretärs, Lie Lieser
.^kh^uchsten Sa-mstag antritt, in diesen ZujaÄlmenhang bringen.
>»^8sekrctär Malone begibt stch betanmlich runüchst nach Eng-
s>>ck d. um mit Baldwin zu konserieren. Ossrziell ist dieser Be-
>>l englischen Kabinett nicht dekanntgegeben worden und auch
^ Ihington behauptet man, datz Malone eine Vergnüzungs-
N >n Vegleitung seiner Tochter antrete. Malone ist bekannt-
'std Ler reichsten Männer der Vereinigten Staaten. Akan schätzt
' ^'Lkrmögen auf 499 Millionen Dollar. Bei seiner Rei'se wird er
^ Ms nicht dte Gelegenheit versäumen, stch über die Finanz-
B>rtschaftslage der verschiedenen europäischen Staaten, in dre
will, zu unterrichten. Wenn er auch osfiziell Lag Repa-
?itj>nsproblem und Las der interalliierten Schulden nicht behandeln
- aL, >o wird der Aufenthalt in Len verschiedenen europäischen
^ jhm dennoch Eclegcnheit gcben, ber den Besprechungen
mitden verschiedenen Siaatsmännern und Finan-
ziers dieser Länder diese Leiden Themata zu strsisen, und auf diese
Weise wird seine Neise oielleicht auch wichtige politische Folgen
haLen.
Ner -istteditiette Wlkerdund.
Wne Lihiveizer Stimme sLr den Austritt aus dem Bölkerbuad.
Eigene Drahtmeldung.
Basel, 19. Juni.
In der gestrigen Deüatte im Schweizer Nationalrat
krrtisterte Ler katholisch-kanservatMe Luzerner Obergerichtspräsident
Müller schars die Untätigkeit des Völkerbundes
gegcnüber der französischen Ruhrbejetzung. Er
sagte u. a.: Die Zustände im Ruhrgebiet, wo llrteile gesprochen
roerden. die zurüclcrinnern an die Barbarei, Urteile, die uns
erbeben machen, empören uilser Rechtsgefühl, und
wenn der Völkerbund dem FrieLen dienen will, sollte er hier nichl
untätig zusehen. Man mutet uns heute zu, zu schweigen; heute
scheint das Rechtsgefühl eingeschlasen zu jein. Der
Völkerburrd handelr nach dsm Wort im Eleichnis vom barmhcrzigen
Samariter: Er jah ihn uno ging oorüber. Bis jetzt ift ber Böiker-
bund nicht gegen die Gewalttätigkeiten eines jeiner Mitglieder
vorgegangen, ;a man dars nicht einmal kavon spreche -, Unser
Volk i st getanlscht worden. Wenn die Dinge so bleiben, wie
sie siivd, wirö sicher eine Lnitiatioe sür den Austritt oer
Schwcizausdem Vülkerbund tommen. Wir wollen sür ren
Vöbkerbund tun, was wir lönnen, erzeigt sich aber hierbei die Arbeit
sür unnütz, so woll-en wir lieber austreten. — Lin freisinniger Redner
widersprach dem Nationalrat Müller, indem er aus die Erfolge (?)
Les Wlkcrüundes Lei der Wiederaufrichtung Oesterreichs hinwies,
die äutzerst wichtig sür di« schweizeriischeu Osüantone jei. Man lebe
heute nicht mehr im Jdsal des europäischen Eleichgewichts.
Sranzöflsche Slutsauger.
llnerhört« Ausbeutllng devtscher Arbeiter im Wiederaosbaugebiet.
Vou uuserem L-Korrejpoude nte n.
Paris, 19. Juni.
Dor einiger Zeit vcröffentlichte der „Matin" eine Bkeldung aus
dem Wiederaufbaugebiet, nach der die dortige Bevölierunz
gegen ernige dort bejchästigte Arbeiter jehr aufgebracht und deren
Äusweisung betrieüen haben joll. Erkundigungen an matz-
gebeuder sranzösischer und deutscher Stelle haoen nicht nur
aenau üas Eegenteil von dieser ,,Matin"-Metdung ergeben,
jondern auch weiterhin Lewiesen, daß diese deutschen Arbeitcr das
Opfer eines höchst o e rabsche u ensw Lrd igen Ausbeu-
tungsmanövers «iner Pariser WieLeraufbau-
firma geworden sind. Es handelt sich um 33 Leutsch« Arbeiier, Lie
sämtlich aus dem hessischen Kreis Grotz-Eerau stammen und
durch Vermittlung eines Trierer Agenien im Wiederaufbaugebiet
Arbeit annahmen und zwar zu oen oentbar ungünstigsten Beoing-
ungen; neben freier Belöftigung erhielten sie nur drei Franken
aegenüber dem ortsüblichen Lohn von 45 Franken.
Hierzu kommen noch einige taujend Mark llnterstützung fiir ihre
Familien. die ihnen natürllch auch noch nicht ausbezahlt wuvden.
Zwischen ihne-n und Ler eingeborencn Beoölkerung besteht entgegen
der „Maiin"-Meldung das denkbar best« Einvernehmen. Jedenfalls
aber seien deutjche ArLeiter vor der Annahme jolcher Engage-
ments gewarnt, über die ste vorher nichl eingehende Erkun-
digungen an zuftändiger Stelle eingezogen haben.
Die „konsequenten" Radikalsozjalisten.
Parrs, 19. Juni. (Eig. Drahtm.) Die Mitgliedcr des Kaüinetts,
die der raüiialsozialiftischen Linken angchören, -lämkich
die Unterstaatsjetretüre Riot, Lafsonr, Vidal unb Eynac,
erschienev wie das „Oeuvre" mitzuteilen weig, bej Poincarö, um
ihm darzulegen. üatz nach Ler Abstimmung der Raditaljozialisten,
die am retzten Frenag gegen die Regierung gerichtet war, sie incht
mehr im Kabinett verbleiüen könnten. Poincarö crwiderte ihnen,
datz er, falls sie demissionieren, eüenjalls jeinen
Rucktritt anmelden würde. Daraufhin verzichteten (!)
die Unterstaatssetretäre der radikalsoziallstijchen Partei ruf ihre
Rücktrlttsabsichten und verblieben im Kadinett. Nun aber bleibt
abzumarlen, wie sich die radikalsozialistische Partei zu diesem Ver-
haltei ftellen wird.
Eine Wiederholung der Kammerdebatte.
8 Paris, 19. Juni. (Eig. Drahtm.) Die französische
Jnnenpolitik wird in Ler heutigen Kammersitzung noch einmal
zur Debatte stehen. Am Schlutz Ler Freitagssitzung joll der öffent-
liche Anschlaz der Rede Poincarss angeregi werden;
hierüber hat die Kammersitzung zu entscheiden. Linksstehende Kreise
des Senats wünschen auch im Senat eine Ausfprach« über die
Jnnenpolitik. Der Vorsitzende der Senatsgrupv« der demo-
kratischen Linken und Vizepräsident des Senats Bienvenu-
Martin wurd« von seinen Freunden beaustragt, eine Verein-
barung mit dem Ministerprästdenten zu trejfen. Eine solche inner-
pol-itischc Debatte im Denat ift aber jedenfalls erst nach der Budget-
beratung zu crioarten.
Theunis vel der Kabmettsbildung.
Parts, 19. Juni. (Eig. Drahtm.) Di« nunmehr erfolgte Ve-
trauungvon Theunis mit der Neubildung des belgi-
schen Kabinetts sührte dazu, datz er Montag abend mit den
Führern der Liberalen und der Katholiken eine eingehende Bc-
sprechung hatte. Die Bemühung Theunis' ist vor allen Dingen
darauf gerichtet, sestzustellen, ob er in der Lage sein wird, eine feste
Majorität zu bilden. Jm Lause des Dienstags dürste möglicherweise
die Kabinettsbildung vollzogen sei«.
Der LandesverrSter a!s Mriyrer.
Die Mark stürzt ins llserlose, die Wellen Ler Tei.erung schlagen
bedrohlicher und bedrohlicher über das Deck des Staatsschifses. Tod-
seindschaft lauert auf der einen Seiie, um das Vernichtungswerk zu
vollenden, auf -der anderen schlägt kühl« selbstifch« Berechnung jede
Hoffnung auf Unterstützung. Ünd zu alledem erhebt unter l em Schutze
des äutzeren Feindes der Kommunismus die Haird zum tödlichen
Schlage. So ist die Lage. Noch hält die Front an der Ruhr. Noch
sind Millionen bereit, den Kamps durchzufechten. llno geht es nicht
ganz desonders für alle diejenigen, die den Kampf allein m,t geistigsn
Mitteln gepredigt haben, jetzt um die grotze Entfchevdung? Haven
nicht vor allem Pazifisten und Sozialisten bei dem Zusammenbruch
des pafstven Widerstandes das Schkimmste sür die Durchführung
ihrer Jdeen zu befürchten? Jn ihnen mützte doch der Proteft gegen
rohe Vergcwaltigung Len leidenjchaftlichften Widerhall finden, si«
mützten am schärfsten die ALwehr gegen die Veugung des Rechtes
wollen. Tun sie das? Aber wollen sie nicht sekbst Recht beugen,
wenn ste den wegen Landesverrates im vorigen Herbst verurteilten
Fechcnbach freifordern? Wenn sie nicht etwa ihr« Stimme «rheoen
für eine Milderung der Sirase, für eine spätere Begnadigung,
sondern wenn sie einen Märtyrer der Republik schaffen wollen?
Fcchenbachs llnschuld soll weithin strahlen, währcnd Bayern und
seine Volksgericht« für all« Zeik bloßgedellt sein follen. Das ist der
tiefere Grund. Erinnern wir kurz an d-i« Vorgänze und an di«
Vorgeschichte.
Die Volksgerichte, die jetzt so sehr oon Sozialisten an-
gegrisfen werden, sind von Eisner durch Berordnung vom 16./1S.
November 1918 eingeführt worden. Unter der Werordnung stehen
u. a. auch die Namen der Sozialdemokratrn Äuer, Hoffmann, Rotz-
haupter, Timm.
Vor dem Volksgericht München stand am 3. Oktober 1922
Fechenbach mit zwei anderen Angeklagten. Fechenbach war Les
fortgesetzten Landesoerrats bsschuldigt. Ein Teil der Anklage be-
schästigte sich damit, datz Fechenbach als Pri-vatsekretär Eisners sich
im Ministerium des Aeutzern in den Besitz geheimer Dokumente —
darunter des Ritter-Telegramms — vom September 1914 gesctzt und
diese Dokumente einem Franzosen ausgeliesert hatte. Lin Be»
kanntwerden dieser Eeheimdokumente im Aus.
land war nach Annahm« der Anklage geeignet, den
im Frühjahr 1919 mit der ALfassung des Ver-
sailler Diktates befatzten Feindbund zu Unaun»
>ten Deutfchlands und der einzelne« deutschen
Staaten, besonders Bayerns, zu Leeinflussen. Das
wutzte Fechenbach. Trotzdem händigt« er im April 1919 dem fran»
zösischen Journalisten Payot ein« Absthrift der Gehelmdokumente
aus und sie sind von Payot in Lem «xtrem deutfchfeindlichen „Jour-
nal" als Auftakt zu den Versailler Verhandlungen am 29. Aprrl 1919
veröfsentlicht woroen.
Fechenbach war fich der Strafbarkeit seiner Hondlung be»
wutzt. Denn iin Mai 1919, als auf Veranlassung des damaligen
sozialistischen Ministerpräsidenten Hosfmann ein Versahrsn wegen
Landesverrates gcgen ihn eingeleitet war, leugnet er aufs ent.
schiedenfte, Payot zu kennen nnd das .Mitter-Telegramm" an
irgend semand gegeben zu haben. (Jn diesem aeheimen Telegramm
hatte sich der Gesandt« Ritter sein« Anficht über die Haltung des
Vatikans zu der durch den Mord von Serajewo geschafsenen Lage
niedergelegt.)
Fechenbach wurde im Verlauf des Versahvens freigesprochen.
Auch im Kriegsschuld-Prozetz 1922 leugnete cr die Beziehungen zu
Payot; beim Landesverratsprozeß wurde er überfllhrt und lietz dann
sein Lengnen damit erllären, daß er gesürchtet habe, stch ein Straf-
versahren zuzuziehen, wenn er die Aushändigung von Material an
Payot zugebe.
Jm Oktober 1922 erfolgte die Verurteilung Fechenbachs vor dein
Volksgericht. Die llrteilsbegründung führte wörtlich aus: ,/Oer
Angeklagte hat durch die Hingabe des Rikter-Telegramms das
deutfch« Vaterland, das auch sein Vaterland ist, ehilos verraton in
voller Erkenntnis der schweren Folgen, die dieser Verrat nicht nur
für die Bürgerlichen, sondern äuch für die Sozialisten haben werde,
vor allem auch sür die Lllrgerlich« und für die sozialistische Jugend;
denn damals Lrohte dem Deutschen Reiche — wie der Angeklagte
wutzte — unmittelbar die Hungersnot."
Als Fechenbach Lem Payot das Telegramm gegeben hatte, war
es noch geheim; d-enn es gab nur ein« einzige Uebertragung des
chiffrierten Telegramms, und diefe ist in der Wohnung Fechenbachs
gesunden worden. Ueber die Wirkung der Auslieferung des Tele.
gramms äutzerte sich am 12. November 1922 Justizminister Eürtner
im bayerischen Landtag: ,/Di« Höhe der Straf« rechtfertigt sich aus
dem schweren Nachteil, der dem Deutfchen Reich, der deutfchen Volks-
gesamtheit und der damit auch der deutschen Arbeiterschaft aus der
Bekanutgabe des sogenannten Rittcr-Telegramms erwachsen ist. . . .
Das Telegramm hatt« die Wirkung, datz eine neu-
trale Macht, die in Ler Langen Zeit zwischen
Waffenstillstandund Friedensich fürdenFrieden
zu verwenden geneigt war, in dieser Tatigkeit
lahmgelegt worden ist."
llm weitere Schädigungcn neutraler Bemühungen für Deutsch-
lano hintanzuhalten, ist m der Verhandlung vor dem Volksgericht
das Rittcr-Telegramm unter Ausschlutz der Oeffentlick^eit Lehandelt
worden.
Nu-n wird nach verschiedenen vorhergegangenen Bevsuchen ein
neuer unternommen, Fechenbach reinzuwajchen. Zu diesem Zweck
wird der Wortlaut des Ritter-Telegramms in einer Broschüre des
Kammergerichtsrates Freymuth veröffentlicht. Freymuth be-
Hauptet, die Veröfsentlichung des Telegramms sei nicht mir für
Deutschland nicht schädlich, sondern sögar nützlich gewesen. (!!!)
Freymuth hat seine Untersuchung im Austrage des repnblikani-
schen Richterbundes und im engsten Einvernehmen mit
Eerlach, von L«m fllr die -deutfch« Sach« noch nie etwas Gutes
gekommen ist, und dem Mimchner Rcchtsanwalt Philipp Löwen -
seld veranstaltet. Sie ist gewissermatzen die geistige Frucht einer
Versammlung, die die,L i g a f ü r M e n s che n r e chte'^ im Januar
diefes Jahres sür das Fechenbach-Urteil einberies. Freymuth sagt,
datz im Juli 1914 nicht nur deutscke „Militaristen", soncern auch ganz
andere Leute (üer Vatikan) der Aufsaffung sein konnten, Latz cs sich
für Oesterreich mn eine Schicksalsstunde hanLele. Würden ssine
Freunde Gerlach, Fechenbach usw, sich srüher diese Erlenntnis zu
eigen gemacht haben, unendlicher Schaden hätte verhindert werde»
könncn. Logisch darf man vielleicht auch folgern, datz, wenn Fechen-
bach 1919 ein Dokument kannte. das Deutschland stark entla'ete, er