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Badische Post: Heidelberger Zeitung (gegr. 1858) u. Handelsblatt — 1923 (Januar bis Juni)

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Nr. 149 - 178 (1. Juni 1923 - 30. Juni 1923)
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https://doi.org/10.11588/diglit.15611#1107

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66. Zahrgang Ar. M

I -BadischePoir' erschoint wöchentl. siekcnmal. Bkllanei,: DidaSkalia tSonnLI —

I «»trrhaltungSblatt lMoirtags» - Lit«rat«rblatt —vochschulbeilag« <monatIichl.
I «nverlangte BcltrSge ohne Derantwortnng. Rücksendnng nvr, wenn Porto beiltegt.

Heidelberger Zeitung

lGegründet 1853)

und

Sandelsblatt

»oltsche«k.»o«to r Sra«ks»rt a. M. V141»

Samstag, den Z». Zuni 1S23

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-oincare zm Aniwort enffchloffen.

«ein schristlicher Meinungsaustausch, nur miindliche Vesprechung.

Vo« unserem 11 -Korre jponde nt en.

Paris, 29. Zuni.

Poincars hat sich heute plötzlich entschlossen,
dieseitzehnTagenunterbrochenenBesprechungen
wit Englanb über die Beantwortung der von Eng-
land gestellten Fragen wieder aufzunehmen. Jn
«inem offiziösen Verichte heißt es, datz die Löfung Ler beigischen
Ministerkrise genügend Anlatz sei, die Vesprechungen mit England
roieder aufzunehmen. Man hrt aber den bestimmten Eindruck, Latz
viel weniger die Beendigung Ler belgifchen Minifterlrife als Ler
päpstliche Brief üer wirtliche Erund üafür war, datz Poincarä
letzt plötzlich wieder Fühlung mit England sucht. Bereits gestern
wurbe der franizösifche Botfchafter in London von Lord Lurzon
«Mpfangen, und auch Ler englijche Botfchafter in Paris hatte eine
lange Besprechung mit üem Direktor für auswärtige Angelegem-eiten
<lnf Lem Quai dDrsay, Peretti della Rocca. Der „Petit
Parisien" führt aus, datz ietzt fofort ein Eeoankenaustaufch zwifchen
England, Frankreich unü Belgien über die Ruhrfrage,
bie Reparationen und andere Dinge wieder beginnen werde. Bisher
hatte fich der französtsche Botschafter in London darauf beschränkt,
her englifchen Regierung die deutschen Verordnungen vorzulegen,
durch welche sie die Bevölkerung Les Ruhrgebiets zum pafsiven
DLiderstand auffordert, und deren Aufhebung Frankreich vor allen
Dingen verlangt. Aber über alle anderen Fragen, namcntlich über
die Frage Englands, was denn Frantreich eigentlich fordere, damit
sin Aufheben des pafflven Widerstandes und eine Zufammenarbeit
»wifchen Ler deutfchen Bevöllerung und den Befatzungstruppen mög-
"ch werde, lehnte der franMfche Botfchafter es ab, sich zu unter-
halten. Heute wird nun bekannt, datz der franzostsche Botschafter
«l London in der Laae sei, mündlich der englifchen Regierung

Vtündlichen Zusicherungen
Di« .^Daily Mail",

begnügen werde.

__ ___, die betanntlich von französtfcher offizieller

beite immer sthr gut unterrichtet wird, hofft, datz die jetzt zwifchen
London und Paris eingeleiteten Besprechungen Lald zur end-
»iUtigen Lösung des Reparations- und des Ruhrpröblems führen
Verden. Datz Frankreich eine solche Lösung selber heftig wünscht,
yeht vor allem auch daraus hervor, datz man den Vrief des Papstes
M Paris sehr milde beurteilt. (?) Wenn der Papst von Ler
Einlsetzung eines Schiedsgerichtes zur Löfung der Reparationsfrage
spricht, fo könne Frankreich einen folchen Vorschlag jedoch nicht
«Nrnehmen, im .^rotzen und ganzen aber decken sich die Ansichten des
öeillgen Vaters mit der Politik des französtschen Kabinetts" (!?),
so wird heute in offiziellen Kreifen versichert. Znfolgedessen wurden
me jetzt einzuleitenden Befprechungen eine neue Eruwdlage fchaffen,
-Nd sobald zwifchen EnglandundFrankreich eine g e m e i n -
1a me Erundlage fur die Löfung Ler Reparationen gefchaffsn
p>ord«n sei, könnte eine grvtze Konferenz einberufen
^ erden» an der dann England, Frankrerch, Belglen
Jtalien teilnehmen würden. Jn den höchsten osftziellen
^reifen von Paris wird anerkannt, datz Lord Tur zo n di« Poli-
lilBonar Laws nicht desavouieren und die franzdsifche Poiltir
^lcht ailerLennen werve, aoer EnglandmüsseaufalteFälle
dlit der Besetzung des Ruhrgebists als mit einer
ßegebenen Tatsache rechnen; aus diejem Erunde wiirden
>ich zunächst auch nur private Befprechuimen zwifchen der fran-
Ivsifchen und der englischen Regierung ermöguchen lasfen, weil man
>>N Paris vor allem erreichen will, datz ein gemeinfamer Druck
^ller Alliierten auf Deutfchland ausgeübt werde, La-
dlff diefes den paffiven Widerstand aufyebe. Wenn dies
ß«fch«hen sei erst dann könnten die Alliierten zu einer Prüfung üer
deuischen Earantieangebote für die Bezahlung der Rexarationen
^fammenkommen.

^ Der Temps" erklärt hierzu noch ergänzend. die französtschen
^esandtenin den verfchiedenen alliierten Hauptstädten hätten em-
>bende Jnstruktionen erhalten. um den Regieiungen, bei benen fie
laubigt stnd, die gesamte franzoslsche Polltik dar-
egen. Jn London würden die Befprechungen grotze Bedeutung
<lben, weil die en^lische Negierung an öie srauzoiische Fragen ge-
Ijchtet habe. Eraf St. Aulaire wird bereits m der nachsten
leit mit Lorv Curzon zufammentreffen und wird ihm mund-
i ch Punkt für Punkt auf jede Frage, die das Auswartige Amt
Mt, eine Antwort erteilen und sich ferner über die allge-
^«inen Absichten Frankreichs ausfprechen. U. a. wird
fk Mitteilungen darllber machen, datz Frankreich mit seiner Luft -
(lotte keinerlei A ng r iff s a bf i ch t e n gegen Eng-
mnd heg«, wie überhaupt Franlreich wilnsche, mit Englünd zu
pstem Einvernehmen über die Luftrüstung zu kommen. Jns-
^londere follen beide Staaten sich verpflichten, ihre Erfindungen
^Nander mitzuteilen. Ferner sollen die Flieger das Recht haben,
Ldgland bezw- Frankreich sowie deren Soheitszewässer zu über-
"stgen Autzerdem würde St. Aulaire Lord Lurzon die Vsrstcherung
datz Frankreich keine Annexionsabfichten habe.
>Ne künstliche Auflöfung des Reichs wäre übrigens keine
?uernde Earantie für Frankreich. Selbst bei der Bildung
^ss Rheinstaates stehe noch nicht fest, datz dieser ein
lutz für die Franzosen ware. Frankreichs Sicherheit sei-
lange garantiert, als die alliierten Truppen am Rhein ständen.
bald dre Rheinlande geräumt würden, müsse Frankreich fordern,
tz dort keinerlei dculsche Garnifonen und kemerlei Fabriken für
U«gsmaterial beständen. Ebensowenig dürften Truppen in diefem
Miet ausaehoben werden. Keinerler steuertechnifche und wirtfchaft-
Matznahmen dürften ergriffen werden zu Lem Zweck, den Krieg
^zubereiten. Autzerdem werde Frankreich die Emfuhrung emer
L'NIamen und dauernden Kontrolle aller Vorfchrlften for-
dje dazu bestimmt sind, den Fneden zu fichern. (Man sieht.


i^ch ausgedehnte Forderungen Frankreich erheben will, die ubrigens
k rhrer Mehrheit gar nicht einmal durchzufuhren smd. D. Red.)
Lj'n besondercr Wichtigkeit für Frankreich ist eine Antwort auf die
mge aiie Deutschland wührend eines mehrjährigen Moratoriums
,'n« Währung zur Eesundung bringen wolle und wie es allmählich
hie Lage kommep könns, sein« Zahlungen zu jeisten.

Während der „Temps" Lehauptet, St. Aulaire würde Lord
Lurzou nur mündlich Aufklärung geben, behaupiet dis „I nfor-
mation", sobald einmal die mündlichen Vesprechungen zwifchen
den Leiden zum Abschlutz gebracht feien, werde binnen 48 Stunden
eine jchriftliche Beantwortung der Fragen erfolgen.
Dies habe der Direktor der politifchen Angelegenheiten auf dem
Quai d'Orsay am Donnerstag Lem englifchen Botschafter in Paris
ausdrücklich verfprochen. Die „Jnformation" sieht nach der Ueber-
reichung der fchriftllchen Antworten Frankreichs eine Zufam-
menkunft zwlschest Valdwin und Poincars voraus,
der vielleicht auch Theunis Leiwohnen könnte, und danach könne
man dann vielleicht eine allgemeine interalliierte Konferenz ein-
berufen.

SaS illohale Seulschland.

Abgeordneter Duüois über die Unnachgiebigkeit Frankreichs.

Paris» 29. Juni.

Bei einem Frllhstück der Vereinigung franzöfischer Kaufleute
und Zndustrieller hat der ehemalige Vorfitzende der Reparations-
kommifsion, Abg. Loüis Dubois, emen Vortrag über die
Reparationsfrage gehalten, in dem er erklärte, die Durch-
führung des Fried-nsvortragis uno des Londoner Zaylungsftatuts
fei von Ansang an auf Schwierigkeiten aller Art von jeiten
Deutjchlands und von feiten der Allnerten gestogen und stotze heute
meyr denn je darauf. Wenn Dentfchland, was niemand be-
streite, sich stets geweigert habe, sich irgend emer Anstrengung zu
nnterziehen, um feine Verpflichtungen zu erfüllen, fo habe es ftch
in gewifsem Sinne berechtigt fühten können durch die Schwäche
und die Eefälligkeit der Alluerten. (??) Es fei teine Löjung mög-
lich ohne eine loyale, ehrliche Verständigung der Alliierten üder die
Durchführung eines Vertrages, der ihre Unterfchrist trage. Wenn
einige unter den Alliierten die Dentjchland ovliegenden Lasten zu
schwer fänden, liege das daran, datz ste bei einer Erleichterung diefer
Laften, die eine wahre Revifion des Friedensvertrages darstellen
würden, auf ihre Kosten zu kommen gedenken. Für Frankreich
sei es völligausgeschlojsen, diefe neuen Erleich-
ternngen und Viefe Revifion zuzugejtehen ohne eine Kom-
penfation, wie zum Beijpiel in Gestalt einer Priorität zugunsten
der zerstörten Eebiete. Auch in diefem Falle hätte Frankreich
Earant-en zu erhalten, durch die ihm auf alle Fälle die feftgejetzten
Zahlungen gewährleistet würden. Sonst würden ohne weiteres
die Enttäuschungen Frankreichs zwischen Lem illoyalen Deutschland
einerfeits und den stch entziehenden Alliierten andererseits wieder
beginnen. Jn den betreffenden Abmachungen mützten auch die alli-
ierten Schulden berücksichtigt werden. Dubois jchlotz mit einem
Appell an die Entente.

S!e delglsche Mnisterirlse beendet.

Paris, 29. Juni. (Eig. Drahtm )
Die belgische Ministerkrise ist aljo nun nach genau 14 Tagen
gelöft. Sämtliche alten Minister, Larunter auch der Kriegs-
minister, bleibr» im Amt. Das königliche Dekret wird am
Samstag im Amtsblatt erscheinen. Freitag um 11 Uhr vormittags
sand der erste Kabinettsrat des »euen Ministeriums statt, um die
Regierungserllärung sür die am nächsten Dienstag stattsindende
Kammerfitzung auszuarbsiten.

Sin neuer Aebttsall aus Llmburg.

Festnahme von zeh« Limburger Bürgern Lurch die Franzosen.

Limburg, 29. Juni.

Jv der Nacht zum Donnerstag waren von auswärtigen deut-
schen Kriminalbeamten zwei in Diez in Diensten der Franzosen
stehende in Üimburg wohnende Arbeiter verhastet und in das unbe-
setzte Eebiet abtransportiert wvrden. Jnfolgedessen unternahmen
die Franzosen in der Nacht zum Freitag einen neuen Ueber-
fall auf Limburg. Sie rückten in Bataillonsstärke an und nahmen
zehn Limburger Bürger sest, nämlich Landrat Dr.
Huesker, Eymnasialdirektor Dr. Juris, Oberstadtsekretär
fZeiger, Telegraphen-Jnspektor Klapper, Regierungsrat
Müller, Oberbahnhofsvorsteher Hettinger, Lokomotivführer
Reinhard, Oberwachtmeister Niedusch, Hotelier Hill und
Assessor Raht. Di^ Franzofen erklärten, die Herren blieben solange
in Haft, bis die zwei verhafteten Arbeiter von den deutschen Be-
hörden wieder freigelassen worden feien. Unter lebhaftem Winken
und Zurufen der Bevülkerung wurden die Herren um 9 Uhr auf
Lastautos abtransportiert. Um Uhr verlietzen die Franzofen
wieder Limburg in der Richtung nach Diez. Während der Befetzung
der Stadt waren dte Post, der Bahnhof und das Stadthaus befetzt.
Der Eisenbahnbetrieb ist wieder im Eange.

AranMcher Anschlag aus Arankfurter Bahnen.

Frankfurt a. M„ 29. Juni.

Auf der Station Langen an der Strecke Frankfuri am
Main — Darmstadt rissen Freitag früh 6 Uhr französijche Trup-
pen die Eleise aus und unterbanden damit den Verkehr auf dir
Strecke Frankfurt—Darmstadt—Vasel. Der Zugverkehr wird vorläufig
über Osfenbach—Dieburg bzw. Neu-Jsenburg—Sprendlingen
nach Darmstadt geleitet. Ein weiterer Anschlag wurde aus Ven Lron-
berger Zug verübt. Kurz nach der Durchfahrt des Frühzuges nach
Frankfurt risfen französifche Truppenkommandos auf dem Bahnhos
Eschborn die Eleije auf und lcgten damit den Eifenbahnbetrieb
zwischen Frankfurt und Cronberg lahm. Dem deutschen Zugperjonal
gelang es, den gefamten Zugpark und die Lokomotiven rechtzeitig ins
unbejetzte Eebiet zu bringen. — Das Reichsausbesserungswerk Nied
ist Areitag früh 4.3Ü Uhr von jranzöWen Truppen Lejetzt wordem

Unterstutzt von den zahlrcichen russischt-n Emigrantenorganisa«
tionen m Paris, ist üie ofsizielle französische Polilik bekanntlich ^
feit Jahren bemüht, der rusfischen Räteregierung auf Schritt und;
Tritt innerpolitische und autzenpolitische Schwierigkeiten zu
bereiten. Datz die aktive Politik Frankreichs in ihrer Bekämpfung >
des Bolschewismus stets sehr gradlinig gewesen sei, wird niemand!
behaupten wollen, der sich daran erinnert, wie treulos Paris
hintcremander Denrkin und Wrangel hat fallen lasfen. Es
fragt sich nur, ob Frankreich hierbei bewutzt inkonfeguent verfuhr.
oder ob die Verhältnifse es zwangen, diefem Ziel dem Strrz
des Bolschewismus, jeweils grötzeren oder geringeren Eifer zuzu-
wenden. Fest steht, datz der französifche Jmperialismus von dem.
unerfchütterlichen Standpunkt ausgeht, die französifche Kontmental-
macht sej so lange nicht folid verankert, als in Moskau eine
R-gicrung und ein System am Ruder sind, in deren Jnteresse es
im Prinzip nicht liegen kann, sich der französifchen Vorherrfchaft
zu imterwerfen und die natürlichen Eegner der jra.izösijchen Repu»
blik auch zu ihren eigenen Eegnern zu machen.

Die durch die Befetzung des Ruhrgebietes verursachte neue Ver-
wirrung der europäischen Lage, lietz die Aktivisten Frankreichs die
Eelcgenheit für gekommen erachten, entfcheidende Vorstötze auch
gegen Rätcrutzland vorzubereiten. Unmittelbar riach dem
Einmarsch der Franzofen in das westdeutfche Jndu-
striegebiet wandelte sich jäh auch die Taktik der
franzöjischen Ostpolitik. Regicrung, Kammermeb-cheir,
Eeneialität und Schwerindustrie waren stch plötzlich darin einig,
datz die Anbahnung wirtfchaftlicher Beziehungen zu Rätcrutzland,
die noch eben zur Debatte gestanden hatte, undenkbar sei. Und in
demfelben Matze, m dem sich Herriot. der erst kürzlich in
Moslau geweilt hatte, um dort das Problem der von ihm
empfohlenen russisch-franzüstfchen „Annäherung" an Ort und Stelle
zu studieren. eines Tages isoliert sah, empfing man am Quai
d'Olsay und in den Pariser politischen Salons jene Führer der
verfchiebenen russifchen Emigrantengruppen wieder zuvorkommend
nnd hcflich, die noch eben bittcr genug empfunden hatten, »atz mon
i-n 'mperialistischen Frankreich beginne, ihnen den Parller räte-
rusfischen Handelsvertreter und seine Vegleitung vorzuziehen. Zu
Ende Februar fand in Paris eine Reihe von geheimen Konferenzen
statt, an denen neben Parlamentariern und JnLustriemagnaten
Marsthall Foch, Eeneral Nollet und namhafts russtschc Emi-
grcmten teilnahmen. Die Letzteren, die in Deutschland
parasitisch wohl in Mengen vertreten sind, mit
wenigen Ausnahmen aber als eingesleischteste
Feinde des deutfchen Staates angesprochen wer-
den können, stellten sich den Franzosen in jeder
Beziehung zur Verfllgung; als Politiker, Jndu-
strielle und Militärs haben sie die franzöjische.
Jnterventionspläne fraglos nach jeder Richtung
hingeschickt gefördert, undnicht ihreSchuld istes,
datz diese intrigante Wühlarbeit vorerst keine
Früchte zeitigte.

2n Moskau bekam man von den französischen Plänen Lbrigens
sehr viel Wind und begann mit allen Mitteln Eegenmatznahmen
militärifchen und politifchen Charakters zu ergreifen. als es sich
herausstellte, datz es sich um einen grotzzügigen Anschlag gegen
die Rätegewalt handelte. Jn jeinen Ansprachen zu Moskau
und Petersburg an die Truppen der Roten Armee hat
Trotzki das Wesen diefer seanzösischen Angriffspläne wahrschein-'
lich ebenfowenig erschöpfend gefchilderi, wie Tschitscherin es-
in seinen letzten Nolen an Polen tat. Jedenfalls aber besteht kein
Zweifel darüber, datz polnifche und rumänijche Truppen, von rus-
sifchen Freiwilligenkorps unterstützt, in Rutzland einmarschieren
sollten, während gleichzeitig im Jnnern des Landes durch ruffisch-.
sranzösifche Agenten Volkserhebungen gegen die bestehende Staats».
gewalt zu provozieren waren.

2m einzelnen wäre den Polen in diesem abenteuerlichen Spiele:
die Hauptrolle zugefallen. Seit Monaten arbeitet eine Legio«;
französifcher Instruktionsoffiziere daran, das polnijche Volksheer in
eine reguläre Armee zu verwandeln; und lassen die Erfolge dieserf
Lehrmeister auf manchen Eebieten auch noch zu wünschen übrig, so
sind die polnische Kavallerie und Artillerie den entsprechenden'
russifchen Waffengattungen doch beträchtlich Lberlegen. Seit Monaienf
werden nebenher die wehrfähigen russischen Emlgranten, die in-
Polen leben, zwangsweife in den Listen besonderer Freiwilligen-
korps geführt, und es ist' wiederholt vorgekommen, datz Proteste
gegen diese Bevormundung für die Vetroffenen üie Ausweisung
aus Polen zur Folge hatten. Seit Monaten, endlich, jst die Masse
des polnischen Heeres in den östlichen Earnisonen der Republik
konzentriert. Südlich der polnischen Front steht die russische Armee
gleichfalls mit dem Eesicht nach Osten. Referven aber sollten, sür
den Fall, datz ste nötig werden würden, nach dem französifchen Plan
in der Tfchecho-Slowakai und in den Laltischen Randstaaten berev-
gchalten werden.

Neben diesen Vorbereitungen für die militärische Fnterventio«
liefen die Vorbereitungen politischen Lharakters.
Die Sumnten, die Frankreich auf diesem Eebiet vorausgabt hat,
mögen gering neben den Unsummen erscheinen, die der Unersättlich-
keit des polnifchen Militärfiskus geopfert wurden; dennoch sind auch
die Appetite der russifchen Eeneräle, Parteiführer und ungezählten
Emigrantenorganisationen nicht gering, und beträchtlich visl Eeld
wird vor allem der besondere Pariser Stab verfchlungen haben,
dem die gefamte Leitung des Unternehmens gegen Rutzland ül^r-
tragen ward. Zum Aufgabenkreis dieser Organisatiou gehört neben
der rffiziellen Militarifierung der osteuropüischen Aafallenstaaten
Fiankreichs in erster Lmie die inoffizielle Ueberwachung, Beeiu-
flussung und Unterstützung all jener russischer Emrgrautcngrupven,
die aktiv am Werke sind, den Bolschewismus als russische Diktatur
von innen und von autzen her zu unterwühlen. Datz diese Eeheiin-
organisationen der Moskauer Regierung tatsächlich :n Len letzten
Mcnaicn beträchtliche Schwierigkeiten Lereitet haüen — auch die
Ermordung Worowskis ist ihr Werk —. Lag sie .liezende Pro;a-
gandazenlralen im Fnnern Nutzlands einrichteten und auch auf
weite Kreise der Arbeiterschaft Einflutz gewinnen konnten, datz sie
es scrtigbrachten, in der Ukraine und im Kaukasus Aufstände anzn-
zetteln und in den Industriegebieten Streiks zu organisicrcn, -
das lätzt ein anderesmal erkennen. wie jehr e» sich Frau.l. -
 
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