66. Wrgang Ar. 163
Heidelberger Zeitung
Arettag, -en 15. Zuni 1923
Mearündet
-DadiIcheDost- -rschctnt »öchentl Nebe„ mat. BeNae-„: DtSaSri»li a (Sonnt.) —
?«trrha!tunsSb!att>Mon«ag-> Litereturblatt-0ochl»«lbettagelmanat>ich>.
^unverlanate Betträae obne Dcrantwortung. Rütklenduna nar. wenn Vorto beilieqt.
«nd
Hauptgeschäftsstell» n. Schriftleitg. ver »Bavischen Post'Aetdelberg, Haavtstr. 23, Fernspr. I
Nr. 18S- Veriiner Bertretun«: Aerlin SV 48. Zimmerstrakie 0. Fernkpr. Zentr. 41S I
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«oMLeS»«o»to r Srankfurt a. M. V111S
«ostsLeck>»o«t»! »rinrkfurt a. M. »1L1»
^Unl-BezugSvreiS der „Bad. Post' Mk. kSM - tausfchd Zustellgeluihrt. Sewstabhol. Mk. KS00.—. Ausland Mk. ISOM-
pbbrstell. werd nur bis zilm S. ied.Mt« angsnommrn. Am I u.L. noch gclies.Zcitumien sind nach d. Einzelverkaufsprei» ,n be»
^ahlen. Preir d. C Inzelnummer MI.LVY -. Jst die Zeltung am Erfcheincn verhindert, besteht ketn Anspruch auftxntschädiguna
Anzelqenvreife r die 4t mm breite Nonpareillezeile kostet: lokale Stellengefuchc Mt.ss kl. Selegenheitsanzeigen Mk. LSS.-.
Familienanzeigen Mk 400.—. Geschäftsanzeigen Mk.SOO —.Finanz- und Industrieanzeigen MI. 000.—,mit Plahvorschrift und
MontagsMk. SO.—mehr. Die 08 mm breite Reklamezeile kostet Mk.2000.—, Anz'eigen uno Reklamen von auswärts 28°/, HSHrr
Srr gcheimnisvolle Kabmeüsrat.
Lrrrzon richtct peinliche Fragen an Poincarö.
Von unjerem -Korrespondenten.
LonLo». 14- Funr.
v- Die Meldungen der heutigen VlLtter über den Vorlauf des
, ^igen Ministerrats lauten vollkommen widersprechend. Wäh
r ^ z. V. „Daily Chronicle" versichert, dast das Kabinett beschlosser
eine neue Note an Frankreich zu ssnden, erklärt die „Morning
E stch der Ministcrrat mit der Reparationssrags Lberhaupt
Leschäftigt habe. Der „Daily Telegraph" bringt auf derselben
zNgi Jnformationen, von denen die eins dahin geht, dah das
^jbinett stch mit dcr Reparationsfrage nicht üefatzt habe, rvähreud
andere den Jnhalt der in dieser Frage gefatzten Deschlüsss schon
wicdergeben will. Jm HinLIick auf alle diese Widersprüchc
?ionj man nur, daß alle Schritte derRcgierung streng
^heim gehalten werden, und dah alle Jnformationen der
i ^doncr Presse nur als Stimmungsmache zu bewsrten ieien und
ste auch in Deutschland dementjprcchend eingeschätzt werden
tz/sisn. Daneben fehlt es auch nicht an abstchtlichen Pressemanövern
»^ endlich sprechen hier Meinungsverschledcnhsiten innerhalb des
tzAnetts selbst viel mit, die zur Fotge haben, datz die einzelnen
verschiedene Nichtlin'en ausgebcn. D!e Dinge liegen in
Beziehung also genau so wie in anderen Hauptstädton-
t,» sich aber der gestrige Ministerrat mit der Reparationssrage
h^iit habcn mag odsr auch nicht, so scheint doch richtig zu sein, datz
Curzon in Paris mehrere Rückfragen gestellt hat. die
bestimmt waren, die Lage weiter aufzuklären. Während Lisher
!>/ Derhandlungen zwischen Paris und London nur auf münd-
Wege erfolgt sind und man also für den französtschen Stnnd-
keinerlei schriftliche Aufzeichnungen hatte. hat Lord Curzon
WEUbar diesmal die englischen Rückfragen schriftlich formulierr,
datz man dabei jedoch von einer Note sprechen könnte. Die
Aen Lord Curzons sollen stch namentlich auf eine genaus
,,'inition des Begriffes passiver Widerstand
ferner auf die Arten, unter denen Frankreich und
k,,' 8 ien unter Umständen bereit wären, die gegenwärtige Form
^."Ulitärischen und wirtschaftlichen Besetzung abzuändern,
^.^rhin auf die Frage, ob dis Freiheit der oeutschon
^ustrie und der deutschen Verwaltung wieder-
^Testellt werden würde, um dadurch die deutsche Leistungs-
zu vermehren usw. Vor allen Dingen aber soll die Frage
ih^i werden, ob Frankreich, falls Deutschland den pas-
Widerstand einstellen würde, überhaupt zu Verhandlungen
sein würde und für welche Zcitdauer die Besetz-
Les Ruh-rgebiets geplant ist, für den Fall, dast
!i^!chland befriedigende Carantien liefert- Wir haben bereits
gcmeldet, dag man stch in englischen politischen Kreisen nicht
tz,,, Befürchtung verschließen kann, einer glatten Annek-
I^spolitik Frankreichs gegenüberzustehen. uud die
Rückfrage des englischen Außenministers ist ohne allen
dazu Lestimmt, über diesen Punkt volle Klarheit zu schaffen.
übrigen weifen trotz dieses englischen Schrittes alle
auf einesehr langsameEntwicklungder
, 3e hin. Frankreich hat Lisher. und das ist und bleibt
^, wichtigste Merkmal der Lage, nicht die geringste
^,,Kun g gezeigt, der englischen Auffassung in irgend cinem
entgegenzukommen. Auf dem rechten Flügel Les
Ht!^tts scheint man unier diesen Umständen einen Zeitgewinn
et MN besten Ausweg zu halten, so ist auch die „Morning Post"
^^Usicht, datz sich die jetzigen Vsrhältniffe leichter beseitigen
stch die beiden Ministerprüsidonten persönlich sprechsn
Das Blatt glaubt. dah ein solches Zusammentreffen in
Kürze stattfinden werde.
Di'e Sti'mMng in paris.
Poincar« sctzt seine destruktive Tendenz fort-
Vonunjerem 8. -Korrejpondenten.
Paris, 14. Juni.
Lber die Verbreitung der vor-
asmeldung hat bisher natürlich
. - geführt, sie wird angeblich aber „immer
s" N.^öesetzt". Jn die allgemeine Freude uber die Meldung von
'°d des englischen Votschafters in Berlin, Lord d'Aber-
BMufelt heute das „Journal" einen Tropfen Wermut hincin.
A»^tatt lätzt sich aus London berichten. datz Lord d'Abernon
>. aus seinen Posten zurückkehren werde.
^>l^" übrigen ist die Lage im allgemeinen unverändert. Eng-
tiM.hai, wie fchon erwähnt, gestern spät abcnds dur.h den
^»xl-chsn Botschafter in London einige Aufklärungen LLer die
des passtven Widerstandes gewünscht. Franlreich wird diese
M tz^hett benutzen, um England nicht »ur darüber, sonüern auch
^Uere Fragen seines Standpunktes zu unterrichten. Jn fran-
Hw,, diplomatischen Kreifen wird betont, datz Franlreich mit
^der bie Reparationsfrage und Lber alle damit 'm Zu-
IK ^»ang stehsnden Fragen gerne auf d iv l o m a t i sch e m
o? rhandeln möchte; es würde jetzt wahrscheinlich ein sehr
" Notenwechsel nicht nur zwischen Paris und
fst>'r Antersuchung Lb>
A. t 8 en falschen Hav,
Kkeinem Ergebnis gefüt
c-x.,
u, sondern auch z'wischen den übrigen'alliierten Haupt-
, y:',und voraussichtlich auch mit Washington einsetzen. um
ft>lg üsge Klarheit herbeizuführen, Diese Art der Auseinander-
d ff-^nnte allerdings Wochen hindurch vauern. man hoffe aber,
------- werde.,die Erundlage
^eii. "nmerhin den einen Erfolg zeigen w
V b- gemeinsame Antwort an Deutschland
" " ' ' ' ..
Paris" umschreibt dies etwas genauer mit den Worten, Deutschlrnd
dürfe direkt oder indirekt an diesem Eedankenaustausch felbstver-
ständlich auf keinen Fall beteiligt wsrden und alle Zweifel über den
passtven Widerstand mützten jetzt aus der Welt geschafft werden,
denn sonst wäre das Ruhrgebret kein wirksames Pfand-
Eigcntlich ist dies alles nichts anderes als eine gewundene und
rekchlich erkünstelte Umschreibung für die französischen
Annektionspläne. Deutschland soll stch Larüber trotz aller
WortklauÜereien nicht täuschen lassen, Latz seine Kapitulätion
für Voincars längst keine politische Frage mehr. sondern eino
reine P r e sti g e fra g e ist. Die Presse kennzeichnet diese Zu-
sammenhänge heute zu einem grotzen Teile sogar unbewutzt. denn
die „Action franyaise" schreibt: Alles, was wir verlangen, ift, dah
wir nicht zu teuer und sogar überhaupt mit irgend einem Prnse
die Zustimmung Englands bezahlen. Die „Republigue fran^aise"
meint. dah seit langem tatsächlich die interessterten Völker niemals
den Wunsch nach einsr Wiederherftellüng der interalliierten Front
so lebhast geäutzert hätten, wie gerade jetzt- Jnsbesondere hätte ->s
niemals grötzers Anstrengungen zur Ausarbeitung eines gemein-
samcn Planes gegeben. Jm „Jonrnal" wird betont, datz Englrnd
den ausrichtigen Wunsch habe, stch mit Frankreich zu einigcn.
Und Poincars selbft scheint sich bsreits jetzt schon wieder
als Sieger zu fühlen, denn er hat dem Vorfltzenden des Aus-
wärtlgen Ausschuffes im Senat, de Selves, ohne weitere sub-
stant'vierte Angaben zu machen, einfach mitgeteilt, datz „die Ver-
"andlungenmitLondon imGeiste aufrichtiger
erzlichkeit fortgeführt würden.'
Vor der Kammer-ebattr.
Der KauimcrlUlsschutz über die mr'gglückte Rnhrvesetzung.
Von unserem 8.-Sonderberichterstatter.
Paris. 14. Juni.
Jn der morgigen grotzen KammerdeLatte wird Poincare
namens der Regierung auf die beiden Interpellationsn ant-
worten- Jnzwischen ist von den Kommunrsten eine weitere Jnter-
pellation über die Bestrafung der Royalisten eingebracht
worden. Die Radikalsozialisten haben sich mit der Frage beschäf-
tigt, welches ihre Haltung in der morgigen Kammersttzung sein
werde. Es wurde Leschloffen, alles von der Erklärung Poin-
cares abhängig zu machen. Sollte diese Krklärung nicht geilügen,
so wird Herriot eine Tagesordnung einbringen und in die
Debatte eingreifen- , .
Jm Kammerausschutz für Auswärtige Angelegenherten verbrer-
tete sich gestern der Abg. Engerand LLer die Frage des Ruhe-
kokses und führte dabei folgendes aus: Weil die ostfranzö>ische
Industrie nicht Kohlen. fondern Koks verlangt, so macht
ie stch damit völlig abhängig von der rheinisch-westfälifchen ^ndu-
trie, die durch die Drohung mit der Einstellung der Koksausfuhr
ein sehr starkes Druckmittel in der Hand hat. Auch die Fr.lge des
Kokspreises spielt dabei eine ausschlaggebende Rolle. Wenn die
französische Jndustrie selbst hätte Koks herstellen können, so hätte ste
durch die Besetzung der Ruhr nicht in so grotze Ver-
legenheit kommen lönnen, w!e dies jetzt tatsaailich Ler -zall ist-
Der Austausch zwischen Frankreich und Deutschland mutz also
qeändert werden, und zwar mutz es statt der Formel „Erze: Koks
zukünftig heitzen „Erze: Kohlen". Engerand fugie hlnzu. datz
er sich dabei eigentlich auf einen Plan Loucheurs stutze, den
dieser schon im Jahre 1919 dringend befürwortet habe.
Ausllürung drs Vvrtmunoer Mordes.
Gi» ehemaliger Schutzpolizist als TSter.
Dortmund, 14. Juni.
Die Untersuchung von deutscher Serte über die Crschießung der
Lciden französischen Feldwebel am Samstag abend ergab folgendes
Bild' Am Samsiag abend trafen die bsrden Franzofen mit dem
früheren Oberwachtmeister der Schutzpolizei Bolduan, zufammcn.
Dieser war schon vorher versch edenilich mit Franzoien in Konflikt
oeraten. Der Erund hierfür soll seine Frau sein, eine übel-
Leleumundete Person, mit dcr er in Scheidung liegt. Sie soll zu einem
>der Leiden Franzosen in Derkehr gestanden haben. An dem be-
treffenLen ALend soll Bolduan von dcn Franzosen angerempelt und
vom Bürgersteig gestotzen worden sein. Nach heftigem Wortwechsel
schotz Bolduan, nachdem die Franzosen die Schutzwaffen auf ihn ge-
richtet hatten, auf beide. Am Montag wurde er von den
Franzosen. die ihn aus der Flucht verfnlgten, erschossen.
Dieser Tatbestand stützt sich auf die Aussagen der Frau Volduans
und eines Eastwiries. welchem Bolduan die gleichen Angaben Lber
die Vorgänge am Samsiag absnds gemacht hat- Es steht alfo fest,
datz es sich um die Austragung einerrein perfönlichen
Angelegenheit. und nicht etwa um einen nationalistifchen An-
fchlaq handelt.
Ueber die Vorgänge inderNacht zumMontag wer-
den immer krassere Einzelheiten Lekannt. Aus allen
Zeugenaussagen über die Schietzereien der Franzosen geht hervor,
datz die sranzösischen Patrouillen sämtliche Leute, die noch nach
9 Uhr aus Unkenntnis dsr Verkehrsfperre sich auf den Stratzen be-
fanden. in Trupps abtransportierten und ohne jede Doranlaffung
hin und wieder indieMengehineinschossen. Ferner wur-
den. wie viele Zeugen übereinstimmend aussagen, die festgenomme-
nen Zivilxerfonen mit Reitpsitschen, Futztritten und Kolbenschlägen
übel zugerichtet, sogar die Leichen wurden von den Franzosen
mit Futztritten traktiert. Auch in den französischen Arrest-
lokalen sollen die Verhafieten weiter schwer mitzhandskt worden
sein-
Ein franzSfischer Postsn erschoffen.
Dortmund, 14. Juni. An Ler Vahnülberführung Herne—
Bauken ist gestern gegen 11 Uhr abends ein französischer
Posten erschossen worLen. Als angeblicher Täter ist Ler
Vergmann Siellmann von den Franzosen verhaftet
worüen. Whcre Eingelheiten j'ind noch nichst bctannt.
Sta-Wermg oder Anarchie?
Die deutfche Ergänzungsnote liegt jetzt den Alliierten ver und
man erwartet mit Spannung die weitere Entwicklung der Dinge.
Die deutsche Note ist derartig, datz unmüglich wieder die Antwort
kommen kann, wie ste nach der Note vom 2. Mai erteilt worden war:
Deutschland mögo deutlicher reden. Deutschland hat flch jetzt auch
dieser Forderung gefügt, und jetzt müssen die andern reden. Allein,-
wie sollen sie das tun. wenn ihnen Frankreich den Mund rerbietet?
Frankreich verlangt, datz, ehe eine Antwort erteilt werde, die zu
den deutschen Vorschlägen sachlich Stellung nehme, Deutschland stch
verpflichtcn solle, den „passiven Widerstand" aufzugeben, und um
dieses Verlangen geht es jetzt. Dieses Verlangen Frankreichs seine«
Entente-Eenossen gegenüber tritt als ein: 8to volo. l-:io iubso auf.
ist die Geste des absoluten Herrschers: es bedeutet sür die englische,
Regierung die Zumutung, gerade das zu tun, was sie vermeiden
wollte. Englands Anregung an Deutschland, Vorjchläge zu mache»,
war auf den Eedanken gegründet, unter Umgehung der unmittek-
baren Behandlung der heiklen und für den Bestand dcr Entente ge-
sährlichen Ruhrsrage durch Anbahnung der Lösung der ullaemeinen
Reparationsschwierigkeit mittelbar und gleichsam selbsttätig cuch die
Ruhrsrage aus dem Wege zu räumen, aber Poincarö denkt nicht
daran, auf die Bedürsniffe der sogenannten Freunde Rücksicht zu
nehmen: sie sollen wollen, wie erwill, und der englische
Kabinettsrat galt wohl vor allem der Frage, ob man sich diescr
neuen Demütigung sügcn solle. Der Kabinettsrat ist zu keinem Er-
gednis gekommen. Der englische Ministerpräsident mutzte auf An-
fragen im Parlament mitteilen, datz er nicht in der Lage sei, eine
Erklärung abzugeben. Die Ueberlegung geht also weiter.
Es ist nun kaum wahrscheinkich. datz das neue englische Kabinett
seine Tätigkeit mit der glatten Annahme des französischen Begchrcns,
also mit einer Art diplomatischer Niederlage beginnen sollte, aber
nicht sehr wahrscheinlich ist auch eine glatte Ableynung, denn diese
würde einen Bruch der Entente bedeuten, und da die englischen Kon-
servativcn die Erhaltung der Freundschaft mit Frankreich stets als
einen Hauptpunkt ihrer auswärtigen Politik angesehen haben, so ist
eine solche Entwicklung schwer denkbar. Die englische Regierung
wird also vielleicht auch einen Ansgleich suchen, und darin liegt für
uns die Eefahr, denn ein Ausgleich wird im besten Fall für England
den Schein selbständigerer Entschlietzung wahren, wird aber in der
Sache Frankreichs Wunsch erfüllen müffen. weil Frankreich es ebcn
anders nicht tut, und so können wir denn erleben, datz in irgend einer
Weise die deutsche Regierung vcranlatzt werdcn mird, stch mit der
Angelegenheit des „passiven Widerstandes« zu b-jchästigen.
Und da ist es denn wohl an der Zeit, die Frage aufzuwerfen, ob
die Formulierungen der Diplomatie nicht eigentlich an dem Kern
der Dinge vorbeigehen, indem sie für die Fortdauer dcs „passiven
Widerstandes" die Reichsregierung verantwortlich machen. Allerdings
die Reichsregierung hat im Anfang Verbote gegen die Zumutungen
der Besatzungsbehörden erlaffen und ermöglichte die Durchführung
dieser Verbote nach Kräftcn durch Bereitstellung der nötigen finan-
ziellen Mittel, allein sie hat damit nur getan, was die plötzlich mitie»
im Frieden Lberfallene und vergewaltigte Bevölkerung des Ruhr«
gebiets von ihr erwartete. denn der Entschlutz, stch nicht zu fügen,
nicht „unter Bajonetten" zu arbeitcn, war ganz von sich aus hervor-
getreten, erwarda ohne vorherige Verabredung, ohne Bennfluffung
von Berlin her, er war da als der naturgematze Rückschlag gegen
die ungeheuerliche Zumutung, an Stelle der bisherigen Freiheit das
Ioch des Sklaventums auf sich zu nehmen. Jst denn nun anzunehmciy
datz das plötzlich anders werden sollte, wsnn wirklich die oder eine
deutsche Regierung den heute allerdings kaum denkbaren Entschlutz
fassen sollte, nachträglich gutzuheitzen, was sie so lange vor der'Welt
als Raub gebrandmarkt hat? Jst anzunehmen, datz die Ruhrarbciter
plötzlich anbeten sollten, was sie Lisher verbrannt haben, datz ste ihr
Schicksal bereitwillig dem verhatzien Kapitalismus und zwar jetzt dem
sremden Kapitalismus überantworten sollten, tatz der „passive Wider-
stand" aufhören und datz das Ruhrgebiet auch nur in absehbarer Zeil
eine Eoldmine werde, aus der Frankreich und Eenosscn sich sür di«
Kosten des Ruhrfeldzuges nicht nur, sondern auch für alle sonstigen
Wünsche unbegrenzt Schadloshaltung und Befriedigung holen können,
datz das Ruhrgebiet der „Esel, streck dich" des Märchens merden
werde?! Wir sürchten, datz es im Falle einer Kapitulation statt:
„Esel, streck' dich" heitzen würde: „Knüppel aus dem Sack!" Wir
fürchten, datz der eigentliche Kampf dann erst anheben, datz die Wirt-
schaftszerstörung. die das einzige bisherige Ergebnis des französisch-
belgischen Raubzuges gewescn ist, noch weitergehen, datz das Ruhr-
gebiet zu einem Brandherde werden könnte, der auch die Nachbar-
länder mit Vernichtung bedrohen würde.
Es ist sehr zeitgemätz, datz der Reichskanzler in seiner Ansprach«
iii Karlsruhe daran erinnert hat, der Widerstand im Nuhrgebict sel
„spontan". Er hat vielleicht mit dieser Erinnerung Lie cnglische Re-
gierung darauf hinweisen wollen, datz die Dinge allmählich einev
Charakter angenommen haben, der einen eigengesehlichen Verlauf zu>
Folge haben mutz, und datz es ganz verkehrt sein würde, von dei
Herbeiführung dieser oder jener Erkl'.'z der Reichsregierung eim
Besserung zu erwarten. Das llsbel yr w we!t fortgeschritten, da>
mit Worten nicht mehr zu helfen ist. <,u hclfen ist nur L--^ daf
der Versuch, mit militärischen Mitteln und unter dem ^ es
unerhörten Terrors von eincm Volke wirtschaftliche ,g>
leistungen zu erpressen, als ein Unstnn und als ein Verbreche» -..unnt
wird, und datz Militarisierung der Wirtschaft und Terror aufi
hören. Wenn die englische Regierung sich dies nicht als Ziel setzk
so ist alles Beraten und Finessieren und Ltzisklügeln diplomatischet
Forineln von vornherein verfchltes Demühen. Der englische Erst>
minister hat sich vor einigen Tagen in Oxford zu einer „englischei
Mission in Europa" bekannt: er hat gesagt, die „Stabilität Engkands'
mache dieses Land zum natürlichen Ausgangspunkt die Wiedev
herstellung der Stabilität Europas, und ohne ein he gebe «
keine westliche Zivilisaiion und keincn Fricden. D' :ie könnei
ein Programm sein. Sie können gesagt sein in Lewutz . Viderspruck
zu der anderen Aufsaffung der englischen Polrtik, die den NorteS
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Nr. 18S- Veriiner Bertretun«: Aerlin SV 48. Zimmerstrakie 0. Fernkpr. Zentr. 41S I
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pbbrstell. werd nur bis zilm S. ied.Mt« angsnommrn. Am I u.L. noch gclies.Zcitumien sind nach d. Einzelverkaufsprei» ,n be»
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Srr gcheimnisvolle Kabmeüsrat.
Lrrrzon richtct peinliche Fragen an Poincarö.
Von unjerem -Korrespondenten.
LonLo». 14- Funr.
v- Die Meldungen der heutigen VlLtter über den Vorlauf des
, ^igen Ministerrats lauten vollkommen widersprechend. Wäh
r ^ z. V. „Daily Chronicle" versichert, dast das Kabinett beschlosser
eine neue Note an Frankreich zu ssnden, erklärt die „Morning
E stch der Ministcrrat mit der Reparationssrags Lberhaupt
Leschäftigt habe. Der „Daily Telegraph" bringt auf derselben
zNgi Jnformationen, von denen die eins dahin geht, dah das
^jbinett stch mit dcr Reparationsfrage nicht üefatzt habe, rvähreud
andere den Jnhalt der in dieser Frage gefatzten Deschlüsss schon
wicdergeben will. Jm HinLIick auf alle diese Widersprüchc
?ionj man nur, daß alle Schritte derRcgierung streng
^heim gehalten werden, und dah alle Jnformationen der
i ^doncr Presse nur als Stimmungsmache zu bewsrten ieien und
ste auch in Deutschland dementjprcchend eingeschätzt werden
tz/sisn. Daneben fehlt es auch nicht an abstchtlichen Pressemanövern
»^ endlich sprechen hier Meinungsverschledcnhsiten innerhalb des
tzAnetts selbst viel mit, die zur Fotge haben, datz die einzelnen
verschiedene Nichtlin'en ausgebcn. D!e Dinge liegen in
Beziehung also genau so wie in anderen Hauptstädton-
t,» sich aber der gestrige Ministerrat mit der Reparationssrage
h^iit habcn mag odsr auch nicht, so scheint doch richtig zu sein, datz
Curzon in Paris mehrere Rückfragen gestellt hat. die
bestimmt waren, die Lage weiter aufzuklären. Während Lisher
!>/ Derhandlungen zwischen Paris und London nur auf münd-
Wege erfolgt sind und man also für den französtschen Stnnd-
keinerlei schriftliche Aufzeichnungen hatte. hat Lord Curzon
WEUbar diesmal die englischen Rückfragen schriftlich formulierr,
datz man dabei jedoch von einer Note sprechen könnte. Die
Aen Lord Curzons sollen stch namentlich auf eine genaus
,,'inition des Begriffes passiver Widerstand
ferner auf die Arten, unter denen Frankreich und
k,,' 8 ien unter Umständen bereit wären, die gegenwärtige Form
^."Ulitärischen und wirtschaftlichen Besetzung abzuändern,
^.^rhin auf die Frage, ob dis Freiheit der oeutschon
^ustrie und der deutschen Verwaltung wieder-
^Testellt werden würde, um dadurch die deutsche Leistungs-
zu vermehren usw. Vor allen Dingen aber soll die Frage
ih^i werden, ob Frankreich, falls Deutschland den pas-
Widerstand einstellen würde, überhaupt zu Verhandlungen
sein würde und für welche Zcitdauer die Besetz-
Les Ruh-rgebiets geplant ist, für den Fall, dast
!i^!chland befriedigende Carantien liefert- Wir haben bereits
gcmeldet, dag man stch in englischen politischen Kreisen nicht
tz,,, Befürchtung verschließen kann, einer glatten Annek-
I^spolitik Frankreichs gegenüberzustehen. uud die
Rückfrage des englischen Außenministers ist ohne allen
dazu Lestimmt, über diesen Punkt volle Klarheit zu schaffen.
übrigen weifen trotz dieses englischen Schrittes alle
auf einesehr langsameEntwicklungder
, 3e hin. Frankreich hat Lisher. und das ist und bleibt
^, wichtigste Merkmal der Lage, nicht die geringste
^,,Kun g gezeigt, der englischen Auffassung in irgend cinem
entgegenzukommen. Auf dem rechten Flügel Les
Ht!^tts scheint man unier diesen Umständen einen Zeitgewinn
et MN besten Ausweg zu halten, so ist auch die „Morning Post"
^^Usicht, datz sich die jetzigen Vsrhältniffe leichter beseitigen
stch die beiden Ministerprüsidonten persönlich sprechsn
Das Blatt glaubt. dah ein solches Zusammentreffen in
Kürze stattfinden werde.
Di'e Sti'mMng in paris.
Poincar« sctzt seine destruktive Tendenz fort-
Vonunjerem 8. -Korrejpondenten.
Paris, 14. Juni.
Lber die Verbreitung der vor-
asmeldung hat bisher natürlich
. - geführt, sie wird angeblich aber „immer
s" N.^öesetzt". Jn die allgemeine Freude uber die Meldung von
'°d des englischen Votschafters in Berlin, Lord d'Aber-
BMufelt heute das „Journal" einen Tropfen Wermut hincin.
A»^tatt lätzt sich aus London berichten. datz Lord d'Abernon
>. aus seinen Posten zurückkehren werde.
^>l^" übrigen ist die Lage im allgemeinen unverändert. Eng-
tiM.hai, wie fchon erwähnt, gestern spät abcnds dur.h den
^»xl-chsn Botschafter in London einige Aufklärungen LLer die
des passtven Widerstandes gewünscht. Franlreich wird diese
M tz^hett benutzen, um England nicht »ur darüber, sonüern auch
^Uere Fragen seines Standpunktes zu unterrichten. Jn fran-
Hw,, diplomatischen Kreifen wird betont, datz Franlreich mit
^der bie Reparationsfrage und Lber alle damit 'm Zu-
IK ^»ang stehsnden Fragen gerne auf d iv l o m a t i sch e m
o? rhandeln möchte; es würde jetzt wahrscheinlich ein sehr
" Notenwechsel nicht nur zwischen Paris und
fst>'r Antersuchung Lb>
A. t 8 en falschen Hav,
Kkeinem Ergebnis gefüt
c-x.,
u, sondern auch z'wischen den übrigen'alliierten Haupt-
, y:',und voraussichtlich auch mit Washington einsetzen. um
ft>lg üsge Klarheit herbeizuführen, Diese Art der Auseinander-
d ff-^nnte allerdings Wochen hindurch vauern. man hoffe aber,
------- werde.,die Erundlage
^eii. "nmerhin den einen Erfolg zeigen w
V b- gemeinsame Antwort an Deutschland
" " ' ' ' ..
Paris" umschreibt dies etwas genauer mit den Worten, Deutschlrnd
dürfe direkt oder indirekt an diesem Eedankenaustausch felbstver-
ständlich auf keinen Fall beteiligt wsrden und alle Zweifel über den
passtven Widerstand mützten jetzt aus der Welt geschafft werden,
denn sonst wäre das Ruhrgebret kein wirksames Pfand-
Eigcntlich ist dies alles nichts anderes als eine gewundene und
rekchlich erkünstelte Umschreibung für die französischen
Annektionspläne. Deutschland soll stch Larüber trotz aller
WortklauÜereien nicht täuschen lassen, Latz seine Kapitulätion
für Voincars längst keine politische Frage mehr. sondern eino
reine P r e sti g e fra g e ist. Die Presse kennzeichnet diese Zu-
sammenhänge heute zu einem grotzen Teile sogar unbewutzt. denn
die „Action franyaise" schreibt: Alles, was wir verlangen, ift, dah
wir nicht zu teuer und sogar überhaupt mit irgend einem Prnse
die Zustimmung Englands bezahlen. Die „Republigue fran^aise"
meint. dah seit langem tatsächlich die interessterten Völker niemals
den Wunsch nach einsr Wiederherftellüng der interalliierten Front
so lebhast geäutzert hätten, wie gerade jetzt- Jnsbesondere hätte ->s
niemals grötzers Anstrengungen zur Ausarbeitung eines gemein-
samcn Planes gegeben. Jm „Jonrnal" wird betont, datz Englrnd
den ausrichtigen Wunsch habe, stch mit Frankreich zu einigcn.
Und Poincars selbft scheint sich bsreits jetzt schon wieder
als Sieger zu fühlen, denn er hat dem Vorfltzenden des Aus-
wärtlgen Ausschuffes im Senat, de Selves, ohne weitere sub-
stant'vierte Angaben zu machen, einfach mitgeteilt, datz „die Ver-
"andlungenmitLondon imGeiste aufrichtiger
erzlichkeit fortgeführt würden.'
Vor der Kammer-ebattr.
Der KauimcrlUlsschutz über die mr'gglückte Rnhrvesetzung.
Von unserem 8.-Sonderberichterstatter.
Paris. 14. Juni.
Jn der morgigen grotzen KammerdeLatte wird Poincare
namens der Regierung auf die beiden Interpellationsn ant-
worten- Jnzwischen ist von den Kommunrsten eine weitere Jnter-
pellation über die Bestrafung der Royalisten eingebracht
worden. Die Radikalsozialisten haben sich mit der Frage beschäf-
tigt, welches ihre Haltung in der morgigen Kammersttzung sein
werde. Es wurde Leschloffen, alles von der Erklärung Poin-
cares abhängig zu machen. Sollte diese Krklärung nicht geilügen,
so wird Herriot eine Tagesordnung einbringen und in die
Debatte eingreifen- , .
Jm Kammerausschutz für Auswärtige Angelegenherten verbrer-
tete sich gestern der Abg. Engerand LLer die Frage des Ruhe-
kokses und führte dabei folgendes aus: Weil die ostfranzö>ische
Industrie nicht Kohlen. fondern Koks verlangt, so macht
ie stch damit völlig abhängig von der rheinisch-westfälifchen ^ndu-
trie, die durch die Drohung mit der Einstellung der Koksausfuhr
ein sehr starkes Druckmittel in der Hand hat. Auch die Fr.lge des
Kokspreises spielt dabei eine ausschlaggebende Rolle. Wenn die
französische Jndustrie selbst hätte Koks herstellen können, so hätte ste
durch die Besetzung der Ruhr nicht in so grotze Ver-
legenheit kommen lönnen, w!e dies jetzt tatsaailich Ler -zall ist-
Der Austausch zwischen Frankreich und Deutschland mutz also
qeändert werden, und zwar mutz es statt der Formel „Erze: Koks
zukünftig heitzen „Erze: Kohlen". Engerand fugie hlnzu. datz
er sich dabei eigentlich auf einen Plan Loucheurs stutze, den
dieser schon im Jahre 1919 dringend befürwortet habe.
Ausllürung drs Vvrtmunoer Mordes.
Gi» ehemaliger Schutzpolizist als TSter.
Dortmund, 14. Juni.
Die Untersuchung von deutscher Serte über die Crschießung der
Lciden französischen Feldwebel am Samstag abend ergab folgendes
Bild' Am Samsiag abend trafen die bsrden Franzofen mit dem
früheren Oberwachtmeister der Schutzpolizei Bolduan, zufammcn.
Dieser war schon vorher versch edenilich mit Franzoien in Konflikt
oeraten. Der Erund hierfür soll seine Frau sein, eine übel-
Leleumundete Person, mit dcr er in Scheidung liegt. Sie soll zu einem
>der Leiden Franzosen in Derkehr gestanden haben. An dem be-
treffenLen ALend soll Bolduan von dcn Franzosen angerempelt und
vom Bürgersteig gestotzen worden sein. Nach heftigem Wortwechsel
schotz Bolduan, nachdem die Franzosen die Schutzwaffen auf ihn ge-
richtet hatten, auf beide. Am Montag wurde er von den
Franzosen. die ihn aus der Flucht verfnlgten, erschossen.
Dieser Tatbestand stützt sich auf die Aussagen der Frau Volduans
und eines Eastwiries. welchem Bolduan die gleichen Angaben Lber
die Vorgänge am Samsiag absnds gemacht hat- Es steht alfo fest,
datz es sich um die Austragung einerrein perfönlichen
Angelegenheit. und nicht etwa um einen nationalistifchen An-
fchlaq handelt.
Ueber die Vorgänge inderNacht zumMontag wer-
den immer krassere Einzelheiten Lekannt. Aus allen
Zeugenaussagen über die Schietzereien der Franzosen geht hervor,
datz die sranzösischen Patrouillen sämtliche Leute, die noch nach
9 Uhr aus Unkenntnis dsr Verkehrsfperre sich auf den Stratzen be-
fanden. in Trupps abtransportierten und ohne jede Doranlaffung
hin und wieder indieMengehineinschossen. Ferner wur-
den. wie viele Zeugen übereinstimmend aussagen, die festgenomme-
nen Zivilxerfonen mit Reitpsitschen, Futztritten und Kolbenschlägen
übel zugerichtet, sogar die Leichen wurden von den Franzosen
mit Futztritten traktiert. Auch in den französischen Arrest-
lokalen sollen die Verhafieten weiter schwer mitzhandskt worden
sein-
Ein franzSfischer Postsn erschoffen.
Dortmund, 14. Juni. An Ler Vahnülberführung Herne—
Bauken ist gestern gegen 11 Uhr abends ein französischer
Posten erschossen worLen. Als angeblicher Täter ist Ler
Vergmann Siellmann von den Franzosen verhaftet
worüen. Whcre Eingelheiten j'ind noch nichst bctannt.
Sta-Wermg oder Anarchie?
Die deutfche Ergänzungsnote liegt jetzt den Alliierten ver und
man erwartet mit Spannung die weitere Entwicklung der Dinge.
Die deutsche Note ist derartig, datz unmüglich wieder die Antwort
kommen kann, wie ste nach der Note vom 2. Mai erteilt worden war:
Deutschland mögo deutlicher reden. Deutschland hat flch jetzt auch
dieser Forderung gefügt, und jetzt müssen die andern reden. Allein,-
wie sollen sie das tun. wenn ihnen Frankreich den Mund rerbietet?
Frankreich verlangt, datz, ehe eine Antwort erteilt werde, die zu
den deutschen Vorschlägen sachlich Stellung nehme, Deutschland stch
verpflichtcn solle, den „passiven Widerstand" aufzugeben, und um
dieses Verlangen geht es jetzt. Dieses Verlangen Frankreichs seine«
Entente-Eenossen gegenüber tritt als ein: 8to volo. l-:io iubso auf.
ist die Geste des absoluten Herrschers: es bedeutet sür die englische,
Regierung die Zumutung, gerade das zu tun, was sie vermeiden
wollte. Englands Anregung an Deutschland, Vorjchläge zu mache»,
war auf den Eedanken gegründet, unter Umgehung der unmittek-
baren Behandlung der heiklen und für den Bestand dcr Entente ge-
sährlichen Ruhrsrage durch Anbahnung der Lösung der ullaemeinen
Reparationsschwierigkeit mittelbar und gleichsam selbsttätig cuch die
Ruhrsrage aus dem Wege zu räumen, aber Poincarö denkt nicht
daran, auf die Bedürsniffe der sogenannten Freunde Rücksicht zu
nehmen: sie sollen wollen, wie erwill, und der englische
Kabinettsrat galt wohl vor allem der Frage, ob man sich diescr
neuen Demütigung sügcn solle. Der Kabinettsrat ist zu keinem Er-
gednis gekommen. Der englische Ministerpräsident mutzte auf An-
fragen im Parlament mitteilen, datz er nicht in der Lage sei, eine
Erklärung abzugeben. Die Ueberlegung geht also weiter.
Es ist nun kaum wahrscheinkich. datz das neue englische Kabinett
seine Tätigkeit mit der glatten Annahme des französischen Begchrcns,
also mit einer Art diplomatischer Niederlage beginnen sollte, aber
nicht sehr wahrscheinlich ist auch eine glatte Ableynung, denn diese
würde einen Bruch der Entente bedeuten, und da die englischen Kon-
servativcn die Erhaltung der Freundschaft mit Frankreich stets als
einen Hauptpunkt ihrer auswärtigen Politik angesehen haben, so ist
eine solche Entwicklung schwer denkbar. Die englische Regierung
wird also vielleicht auch einen Ansgleich suchen, und darin liegt für
uns die Eefahr, denn ein Ausgleich wird im besten Fall für England
den Schein selbständigerer Entschlietzung wahren, wird aber in der
Sache Frankreichs Wunsch erfüllen müffen. weil Frankreich es ebcn
anders nicht tut, und so können wir denn erleben, datz in irgend einer
Weise die deutsche Regierung vcranlatzt werdcn mird, stch mit der
Angelegenheit des „passiven Widerstandes« zu b-jchästigen.
Und da ist es denn wohl an der Zeit, die Frage aufzuwerfen, ob
die Formulierungen der Diplomatie nicht eigentlich an dem Kern
der Dinge vorbeigehen, indem sie für die Fortdauer dcs „passiven
Widerstandes" die Reichsregierung verantwortlich machen. Allerdings
die Reichsregierung hat im Anfang Verbote gegen die Zumutungen
der Besatzungsbehörden erlaffen und ermöglichte die Durchführung
dieser Verbote nach Kräftcn durch Bereitstellung der nötigen finan-
ziellen Mittel, allein sie hat damit nur getan, was die plötzlich mitie»
im Frieden Lberfallene und vergewaltigte Bevölkerung des Ruhr«
gebiets von ihr erwartete. denn der Entschlutz, stch nicht zu fügen,
nicht „unter Bajonetten" zu arbeitcn, war ganz von sich aus hervor-
getreten, erwarda ohne vorherige Verabredung, ohne Bennfluffung
von Berlin her, er war da als der naturgematze Rückschlag gegen
die ungeheuerliche Zumutung, an Stelle der bisherigen Freiheit das
Ioch des Sklaventums auf sich zu nehmen. Jst denn nun anzunehmciy
datz das plötzlich anders werden sollte, wsnn wirklich die oder eine
deutsche Regierung den heute allerdings kaum denkbaren Entschlutz
fassen sollte, nachträglich gutzuheitzen, was sie so lange vor der'Welt
als Raub gebrandmarkt hat? Jst anzunehmen, datz die Ruhrarbciter
plötzlich anbeten sollten, was sie Lisher verbrannt haben, datz ste ihr
Schicksal bereitwillig dem verhatzien Kapitalismus und zwar jetzt dem
sremden Kapitalismus überantworten sollten, tatz der „passive Wider-
stand" aufhören und datz das Ruhrgebiet auch nur in absehbarer Zeil
eine Eoldmine werde, aus der Frankreich und Eenosscn sich sür di«
Kosten des Ruhrfeldzuges nicht nur, sondern auch für alle sonstigen
Wünsche unbegrenzt Schadloshaltung und Befriedigung holen können,
datz das Ruhrgebiet der „Esel, streck dich" des Märchens merden
werde?! Wir sürchten, datz es im Falle einer Kapitulation statt:
„Esel, streck' dich" heitzen würde: „Knüppel aus dem Sack!" Wir
fürchten, datz der eigentliche Kampf dann erst anheben, datz die Wirt-
schaftszerstörung. die das einzige bisherige Ergebnis des französisch-
belgischen Raubzuges gewescn ist, noch weitergehen, datz das Ruhr-
gebiet zu einem Brandherde werden könnte, der auch die Nachbar-
länder mit Vernichtung bedrohen würde.
Es ist sehr zeitgemätz, datz der Reichskanzler in seiner Ansprach«
iii Karlsruhe daran erinnert hat, der Widerstand im Nuhrgebict sel
„spontan". Er hat vielleicht mit dieser Erinnerung Lie cnglische Re-
gierung darauf hinweisen wollen, datz die Dinge allmählich einev
Charakter angenommen haben, der einen eigengesehlichen Verlauf zu>
Folge haben mutz, und datz es ganz verkehrt sein würde, von dei
Herbeiführung dieser oder jener Erkl'.'z der Reichsregierung eim
Besserung zu erwarten. Das llsbel yr w we!t fortgeschritten, da>
mit Worten nicht mehr zu helfen ist. <,u hclfen ist nur L--^ daf
der Versuch, mit militärischen Mitteln und unter dem ^ es
unerhörten Terrors von eincm Volke wirtschaftliche ,g>
leistungen zu erpressen, als ein Unstnn und als ein Verbreche» -..unnt
wird, und datz Militarisierung der Wirtschaft und Terror aufi
hören. Wenn die englische Regierung sich dies nicht als Ziel setzk
so ist alles Beraten und Finessieren und Ltzisklügeln diplomatischet
Forineln von vornherein verfchltes Demühen. Der englische Erst>
minister hat sich vor einigen Tagen in Oxford zu einer „englischei
Mission in Europa" bekannt: er hat gesagt, die „Stabilität Engkands'
mache dieses Land zum natürlichen Ausgangspunkt die Wiedev
herstellung der Stabilität Europas, und ohne ein he gebe «
keine westliche Zivilisaiion und keincn Fricden. D' :ie könnei
ein Programm sein. Sie können gesagt sein in Lewutz . Viderspruck
zu der anderen Aufsaffung der englischen Polrtik, die den NorteS