V
6ö. Zahrgang Ar. 1S8
Die ,Bad< sch e Dost" erscheint wöchentl. sieb enm aBe> a en: D-dnskali a Sonnt.1 —
Unterhaltungsblatt iMontagr» Literatnrbiatt —Kochstb»:bcilage «n onatIich>.
Qnverlannte Veiträge ohne Berantwortnng. RüMrndnno nür, wenn Porto bei'iegt.
Heidelberger Zsitung
tGegründet 1858)
und
Sandelsblatt
Sonnlag, den lv. Znnl 1S2Z
Ha«ptgeschäktss!eII- u. Schriftleitg. der.Badischen Post'Hetdelberg, ganvtstr. 28, Fernfpr.
Nr. 182. Berüncr Vertretung: Verlin 8vr 48. Zimtnsrffraks g, Fernlpr. Zentr. 41k
Münchner Vertretung München, Eeorgenstr. 1117, Fernspr. 81867.
vosts>deit--t»«to Frankfnrt a. M. »1410
Loktschrik-lkoat»: Sranksnrt a. M. »141»
Jnni-Veiugsvrcis der.Vad. Post" Mk. 56>V lausschb Zustellgebiihrl. Selbstabhol. Mk. SK08.-. AuSlanS Mk. 120»0 -
Abbestell.werd. nur bis mm2.jed.Mis angenommm. Am I n.2. noch gelief.Zeitungen sind nach d.Einzelvcrkaufspreis mbe-
zahlen. Pretsd. ts inzelnrrnimer Mk 2»».-. Ist d'eZeitung om Crscheinen verhindert.bcsteht kein "nspruch aufEntlchädigunn
Anzeigenpreise:die44 mm breite Nonpareillezeile kostet: lokale -tellengesi: 10 >.-, kl. Eelegenheitsanzeigen Mk 12S.-
Familicnanzeigen M110».- Veschäftsanzeigcn Mk.2»».-,Finanz- und Indu .. -zcigenMk. 3N».-,mit Platzvorschrist pnd
Montags Mk. 2s.— mehr. Die 88 mm breite Reklame-eile koffet Mk.75».—, Anzei:cn und Neklamcn von aus.'värts 2S"/« höher
Auch Loglauö soll kapilulierk«.
Aomcares Bedingurrgen för die ASfassuug einer gemeinsamen Note.
Von unserem -K o r r e s p o n d e n t c n
London, 9. Juni.
Die günstige Wirkung des deuischen Memorandums auf die eng-
lische Oeffentlichleit kommt auch in der heutigen Vresse zum Aus-
dvuck. Auf der andern Seite ist keinerleiKlärung der
Lage hinsichtlich der Möglichkeit der Berständi-
gung mit Frankreich zu verzeichnen. Nach dem „Daily Tele--
graph" soll Poincars in London mstgeteilt haiben, datz er nur
unter drei Bedirgungen zu einer gemeinsamen Antwort bereit wäre:
1. der passive Widerstand mutz aufhören. 2. der Bor-
schlag einer internationalen Kommission mutz abge-
lehnt werden, 3. die vorgeschlagenen Garantien miissen in
ihrer gegenwärtigen Form als wertlos zurückaewiesen werden.
Sollte diese Ausfassung in der Tat von der fran<östschen Regierung
vertreten werdan, so würde ste nichts anLeres Ledeuten. als datz
Frankreich nicht nur die Kapitulation Deutsch-
lands, sondcrn auch di-e Kapitulation Englands
fordert, denn das deutsche Me-morandum ist, wie von englischer
beite ausdrücklich zugegeben wird, sowohl in der Frage des Wider-
stondes wie in der Fraqe der internationalen Kommisston genau
Ken von Cürzon erteilten Ratschlägen gefolgü Jn den offiziellen
Jirformationen des „Telegraph" wird denn auch betont, dast man
»on der englischen Regierunq nicht erwarten könnte, datz sse stch der
Ruhraktion, die ste bisber mit solcker Vest'mmtheit verurteilte,
nunmehr in irgend einer Form anschlietzen werde. Eine andere
Frage sei, ob England nicht versuchen könnte, einen vorläusigen
Ausweg aus Ler Sackgasse zu finden, womit offenbar die gestern
erwähiiten Kompromitzmöglichkeiten angedeutet werden.
Jedensalls sei das Kabinett durch die Haltung der englischen Oessent-
lichkeit in Ler Auffassung bestärkt worden, datz seine Wbkehr von der
Politik der Passivität, die das vorige Kabinett trieb, richtig ist i,nd
datz es bei seinsn Bemübungen um eine Reqelung der Frage das
ganze Land hinter stch habe. Jn mchreren Blättern, besonders auch
i» den liberalen Organen, wird wiederum aus Mac Kenna hin-
Kmviessn, was den Eindruck verstärkt, dah das Kckbinetj Lei seiner
Uuseinandersetzung mit Frankreich, von der Schuldensrage ausgebend,
Dm versuchen wird. Frankreich durch einen Druck in dieser Frage
«en erwähnten Kompromissen geneigt zu machen. Ob das gelingen
svird. mutz nach dem Bericht des Pariser „Times"-Korr«spondenten
als fraglich bezeichnet werden, doch wird hier andegseits vielsach die
Hoffnung ausgedriickt, dah die scharse Sprache der Pariser Presss
nicht die Auffassung d<.c amtlichen Kreis« vollkommen widerspiegelt.
Jn der „Dailv News" wird betont, datz, wcnn Frankreich die inter-
Nationale Sachverständ'gensommission durchans ablehne, England
dnd Amerika sehr wohl in der Lage wären. diese Kommisston
nlbständig zu bilden. Das Blatt fieht auch hierin die Wbsichteu
Mac Kennas.
Die redaktionellen Vetrachtungen der Blätter Lber das Memo-
^lndum lauten, wie gesagt, auch heute durchaus günstig. Ein Leit-
ürtikel des offiziösen „Daily Telegraph" drückt allerdings dis starke
Enttäuschung darübsr aus, datz Deutschland keine En>summe
stenannt habe. Offenbar sei das mit Rückstcht anf das Prcstiae des
Kabinetts Cuno geschehen. ALcr es müsse bezweifekt werden, ob
das deutsch« Nolk das Prestige des Kabinetts Cuno fllr wichtigsr
halte als die Regelung stiner Schwierigkeiten. Wls ganges ge-
üommen mllsse das Memorandum aber "trotz seiner Mängel und
"vtzdsm es von Sachleistungen nicht spricht. doch als geeigneterAus»
»«ngsvunkt einer gemeinschaftl-chen Behandlung betrachtet werden.
-oas stch gegenwärtig den Allüerten biete. sei nicht mehr als eine
Möglichkeit. Aber der Wsrt dieser Möglichkeit könne nur durch einen
Aersuch geprüst werdep und es sei deshalb ernsthaft zu hoffen. datz
Ae. Allnerten trotz der bestshenden Schwierigkeiten stch zu einer ge-
Aeinsamen Vehandlung des Problems zusammenfinden wsrden.
?.chärfere Töne gegen Frankreich schlägt die „Times" an, die
Frage aufwirft: Mas !st passtver Widerstand? Wie soll er defi-
»>ert werden? Jst Franlreich bereit, für seine offizielle Einstellung
^-tenleistungen zu ge>ben? Will es e-nwilligen, seins Trunpen
Mückznziehen. sobald d!e deutschcn Zahluugen festgesetzt worden stnd't
Dchlietzlich wisse Frankreich sehr wohl den Wert seiner Freundtchaft
«Menüber England einzuschätzen und es sei deshalb schwer zu
Dauben. datz es mit einer glaüen Ablehnung antworten werde, salls
7>e englischo Negierung den formellen Vorschlag machen würde, in
?»e Prstfung des deutschen Angebots einzutreten.
^ Auch der Londoner Berichterstatter des „Echo de Paris" mutz
^ustellem. dah die französisch-belgische Ruhrvolitik
j^.kgültig vonder englischen Regierung verdammt
A>rd, die infolgedessen daraus drängt, datz d!e Pariser und die
^ruffeler Regierung sich zu Beratungen mit England und Ftallen
erklären mögen. Um Frankreichs Forderung. datz der p a s s i n e
erstand im Ruhrqebiet aufzuhören habe, entgegen-
vnrmen, scheine man in England eine Ari Waffenruhe im
^hrgebiet vovschlageu zu wollen. Während die Fe'Melig-
^8>^ü von französtscher und deutscher Ssite eingsstellt seien. würden
^ Allüerten über die Lösunz der Reparationssrage berateu.
> Auch in Amsrika
^s^t das dentfche Memorandum eine durchaus freundliche Auf-
Staatssekretär Hughes ist namentlich bcsonders davon
^lr>edigt, batz Deutschland seinen Vovsch-lag aufgegriffen hat, die
lD/">he Leistungsfähigkeit durch eine internationale Sachverständigen-
"Mlissisn prüfen zu lassen.
Oberst Souse über das Memoranbum.
g. Juni. Oüerst House, der zu einem einmonatigen
stn!„>halt in London eingetroffen ist, erkiärte gestern in-einer
N;D:^edung mit einem Vertreter der „Times" über das deu'sche
Cr^?^andnm, es sei die bestimmteste und befriedizendste
itbl^»u>>g, die Deutschland bisher in der Frage der Reparationen
sydebeu habe. Es sei, w!e wenn eine grotze Korporation, die sich
!»rn», Schwierigkeiten Üefinde, alle vorhandenen Werte zu-
um ihren Verpslichtungen nachznkomnien. Wenn die
8, R^gierung einen bestimmten Betrag genannt hätte, würde
^.»ch der Beschuldigung Ler Unaufrichtigkeit ausgesetzt
ka i«de Simune, die ste angeüsben hätte, notwendigerwe-Gs
größer hätte sei-n müssen als die 30 Miküarden Goldmark, die in
der letzten Note angeboten waren, die von den Alliierten a-bge-
lehn-t worden sei. Deutschland hwbe sich jetzt Lereit erklärt, nach seiner
Le i st u n g s f äh i g k e i t zu zahlen Es sei Sache der Allüerten,
zu bestimmen, w!e hoch die Leistungsfäh'gkeit Deutschlands bemessen
werden könne. Houise erklärte, er glanbe zuverstchtüch, datz das
"'eulsche Memorandum einen guten Eindruck jn der ganzen
Welt machen werde.
Mffollnis programm.
Die Stellung zur Reparationssrage.
Rom, 9. Zuni.
Jn der gestrigen Sitzung des Senats ergriff Mussolin!
das Wort zu einer Erklärung, in der er die allgemeinen Linien dcr
italienischen Politik darlegte.
Der Ministerpräsideni wies darauf hin, datz Jtalien, abgesehen
davon, datz es sich Lessere Erenzen erobert habe, bei den Friedens-
vertrügen von den durch sie gewährten wirtschaftlichen und kolonialen
Vergiinstigungen tatsächlich ausgeschloffen worden sei. Die währtnd
des Krieges unjerschriebenen feierlichen ALmachungen seien autzer
Kraft getreten und nicht durch andere ersetzt worden. Die Zurück -
setzung, die Italien erfahren ihabe, laste noch schwer
auf der italienischen Wirtschaft. Nunmehr gelte es. das verlorene
Terrain wiederzugew-nnen und d!e verlorene Zeit einzuholen. 'Dsr
Ministerprästdent betonte, datz stch die Lage seit dem Oktober in Le-
merkenswerter Weise gebessert habe. Jedermann wisse, datz Italien
eine Politik energischer Wahrung seiner naüonalen Jnteressen zu
verfolgen Leabstchtige und Lberall zugegen sein wolle, wo seins
Lebensinteressen im Spiele seien. Der Zeitpunkt für eine poliüschs
Aktion allgemeinsr Natur sei günstig, die darauf abziele, so rasch w>e
möglich die politische Lage des Konünents normal zu gestalten. Es
ist ein italienisches Interesse ersten Nanges, fuhr der Ministerpräst-
dent fort, eine friedlicheLösung der europäischen
Krise zu beschleunigen. Diese Krise wird seit dem Versailler Ver-
trag von der Reparationsfrage beherrscht. Gegenüber dieser Frage
ist die Stellung Jtaliens in ihren Erundzugen folgende:
1- Dcutschland kann und mutz die Summe Lezahlen,
die bereits jetzt im allgemeinen aufgestellt zu sein scheint. und
die von mehreren hundert Milliarden, von denen nach Abschlutz
des Waffenftillstandes die Rede war, weit entfernt -st.
2. Italien kann keine Abänverungen oder llmwälzunqen
territorialer Art dulden, die eine Hegemonio politischer,
wirtschaftlicher oder militärischer Art herbeiführen könnten.
3. Itaüen w-'ll seinen Anteil am Opfer traaen, falls das
fur den Wiederaufbau der europäischen Wirtschaft notwendia
sein sollte.
4. Di« italienische Regierung Leharrt heute mehr als femals, ins-
besondere anqestäfts der letzten deutschen Note. ans -brem Stand-
' punkt, datz die Reparationsfrage und die Frage der
interalliierten Schulden miteinander in
engem Zusammenhang stehen und in gewissem Sinne
von einander abhängig stnd. Es besteht kein Zweifel darüber,
datz die Besetzung des Ruhraebiets die Repa-
rationskrise autzerordentlich verschärft hat.
Ueber Rutzland svrechend hob Mussolini hervor, dah Gesetz-
entwürfe dem Parlament vorgelegt seien. um den Dekreien, wslche
die italienisch-russische und die italienisch-ukrainische Präliminar-
abkommen vom 26- Dezember 1921 billigten, Eesetzeskraft zu vsr-
leihen Wir wünschen auf diese Weise, fuhr der Minister fort, die
Hindernisse zu beseitigen, um die wirtschaftlichen Bsziehungen der
beiden Länder zu erleichtern und den Boden für ein eventu-elles E!n-
verständnis auf breiterer Erundlage vorzubereiten. Die Poliük
Jtaliens gegen Rußland ist klar und kann zu keinen Mitzverständ-
nissen Veranlassung geben. Die Einbringung der crwähnten De-
krete im Parlament beweist unsere ALsichten und gibt uns das Recht.
von der Moskaver Regierung die gewissenhafte Ausführung der
unterzeichneten Verträge zu erwarten. Autzer diesem mutz sich die
russische Regierung an die von ihr Lbernommene Verpflichtung cr-
innern, sich jederfeindseligenHandlung gegen die üalie-
nische Regierung und jeder direkten oder indirekten Pvopaganda
gegen Einrichtungen des Königreiches zu enthalten.
Verhandlmig oder DMat?
Dr. Quaatz Lber den passtven Widerstand.i
Eigene Drahtmeldung.
Berlkn, 9. Inni.
Jn einem „Verhand-lung oder DMat?" überschriebenen Arükel
im „Lokalanzeiger" cheschäfügt sich d-er deutschvol>ksparteiliche Wbge-
ordnet-e Dr. Quaatz mit der Frag-e, was zu gesch-ehen habe, wenn
Frankreich in seiner unnachg-ebigen Halt-ung verharre und das Auf-
geben des passiven Widerstandes tatsächlich als Vorbed-ingung für
jegliches Verhand-sln fordert. Dara-uf antwortet Oua-atz: „Das be-
deut« nach Dersailles d!e nochmalige Kapitulätion in
aller Form. Eine Regiernng, d!s eine solche Kapüulaü-on unter-
schreibt, unterschreibt zugleich die Urk-unde des Verfalls des Deutsch-en
Reiches und das Ende d-es deutschen Volkes als einheitliche Nation.
Das Kabinett Cuno wird eine solche Kapitulation nicht
u n t e r s ch r e ib« n. Jch glaub« nicht, dah dabe! das Kabinett wirk-
üche innere Schwierigkeiten haben wird. Solltcn sie aber auftauchen,
sollte d-as Parl-ament in der Stunde höchster Eefahr die Gefolgischaft
für eine Politik des Widerstandes vevweigern, so bleibt nur die eine
Möglichkeit: der Appell an das Volk. Das deutsche Dolk hat
den Anspruch daraus, sein Schi.cksal selbst zu entschciden Will es
seine Freihei-t anfs neu« verpfänden und sein« Knechtschast besieaeln,
so mutz die Mehrheit des d-eutschen Volkes das voiieren. Kein
Kabi-nett und kein Parlament in Dsutschland darf es wag-en, Lie
Verantwortung für eine solche Kapitul-ation ohne Zustimmung des
VolLes auif sich zu nehmen."
MMSrSige poM.
Das Memorandum. — Lngkands Haltung. — Bcdiygungen dentscher
Politik. — Das Ruhrgebiet als sranzöstsche Kanone gegen Englaud-
Berlin, 9. Juni.
Das deutsche Memorandum steht im Vordergrunde des
Jnteresses. Welche Aufnahme es bei den frsmden Kabinetten
gefunden hat, steht noch nicht fest. Datz es den Räubern in Paris
nicht zusagt, ist beinahe selbftverständlich, da sic ja keine Verhand-
lungen, sondern Naub und Eroberung wollen. Aber auch bei den
anderen Müchten ist die Angstpsychose vor Deutschland noch ksin--s-
wegs gewichen, sie ist zum Teil verstärkt durch eine Angstpsychose vor
Frankreich, und so steht es noch sehr dahin, oü Las Msmorandum
endlich die Tür zu Verhandlungen aufgestotzen haben mag.
Sehr viel hängt dabei von dsr Haltung Englands ab.
Gewisse Anzeichen deuten darauf hin, datz das Kabinett Baldwin dech
nicht so völlig der obsäient ssrvuiit Poincarss sein w'll, wie es
das Kabinett Bonar Law in der Tat gewesen ist. Selbstverständlich
würde es diese Absicht hintcr sehr vielen höflichen und bewundernoen
Worten an die französische Adresse verstecken müssen, verbunden mit
einer Fülle verhängnisoollster Konzessionsn an den Milüarismus
und die Eroberungssucht Frankreichs, denn für einen schwachen
Staat, wie es Deutschland zur Zeit ist, legt sich niemand ins Zeug.
Das ist gerade eine der wichtigsten Erkenntnisse, die sich aus >-em
Verhalten Frankreichs und Englands seit Versailles dem verstiegen-
sten deutschen Pazifisten erheben, datz eine wehrlose Nation
rechtlos und ohne Freundist, datz sie eip Spielball der
schmutzigsten Banditen und Einbrecher ist, deren Schandtaten die
übrige, von Eerechügkeitsphrasen triefende Kulturwelt mit grötzter
Gelassenheit zuschaut.
Seit dem Jahre 1914 steht Deutschkand tn einem ununter-
bicochenen Krieg- Die Entscheidung in ihm ist noch nicht gefallen und
von dem augenblicklichen Weltbild steht nur eines fest, datz es eben
ein AugenblicksLild ift, das die von ihm profitierenden
Machthaber zwar mit Klauen und Bajonetten festzuhalten suchen,
das ihnen aber zerrinnt wie Wasser zwischen den Fingern- Der die
schweren trostlosen Monate und Jahre der Eegenwart durchlebende
deutsche Mensch will zwar oft verzweifeln an Zukunft und Schicksal
seines Volkes, weil er sich das geschichtl-ch Notwsndige gerns llar
vorstellt, mit allzu kurzen Zeiträumsn rechnet und meist die Gärungs-
elemente nicht erkennt, die schon heute unterirdisch an der Arbeit
ssnd und das, was für die Ewigkeit gebaut schien, rasch zersetzen. Dazu
kommt ein nationaler Kleinmut, der in der cigenen Raüon ^
die Derkörperung politischer llnfähigkeit und fehlenden National-
gefühles erblickt und einen Akt reinigender Buße zu vollzieh-n i
glaubt, wenn er oft und öffentlich diesen angeblichen Mangel seines
Volkes anklagt und besonders die Zeichen moralischer Korrupüon
und Widerlichkeit, von denen die Oeffentüchkeit voll ist, als trastlose
Bewsise dafür ansieht, datz die Naüon „krank bis ins Mark" sei.
Es wird Zeit, dah sich der deutsche Mensch von dieser Eespenster-'
feherei, die nur dem Feinde zustatten kommt und die die naüanale
Widerstandskraft zermürbt, endlich frei macht. Zunächst: Es gibt
keinepolitisch begabten und unbegabten Nationen.
Es gibt nur poliüsch begabte Pcrsönlichkeiten, und det llnter-
schied Lesteht darin, datz eine Nation solchen Führernaturen frLudig
folgt, die andere nicht. Jn England, dessen Volk wirklich in dsm
merkwürdigen Rufe steht, politisch „begaLt" zu sein, ist eine aristo-
kratische Schicht lebend geblieben, die sich die Führung der Naüon
erhalten hat, aber das erklärt sich wcht etwa 'aus einer Lefonderen
„Vegabung" der weiten englischen Volkskreise, sondern aus dem
direkten Eegenteil, einem auffallsnden Mangel poliüscher wie allge-
meiner Vildung, wie er sonst wohl nvr noch in Amerika zu Hause ist.
Man stelle stch die Szene vor, die sich -m deutschen Reichstage abge-
spielt hätte, wenn es dort einem Minister beigekommen wäre, das
zu sagen, was Ehurchill im englischen Parlament sagen durfte:
„Der Feind kocht aus den Leichen seiner gefallenen Soldaien Fett".
Das hat man in Westminster nicht nur ruhig mit angehört,
das hat man auch geglaubt und ein grotzer Teil des englischen
Volkes glaubt es auch heute noch. Mit einer intellektuell derarüg
begabten Nolksmasse ist es natürlich leichter, Politik zu machen, als
in Deutschland, wo die allgemeine Bildung ungleich viel höher steht,
wo jeder ssine eigene Meinung hat und politisch« Fragen nicht nur
versteht, sondern grundsätzlich besser versteht als der andere Die
Zerrissenheit des dcutschen Parteilebens und der deutschen politischen
Presse ist das deutlichste Symptom dafllr- ,
Sodann gibt es rein Land in Europa, für das es kraft seinsr
ungünstigen Lage so schwer ist, gute Politik zu machen, wie unser
Deutschland- „Staatsmänner", die in Deutschland völlig versagen,
würden in der Reihs der englischen Poliüker noch eine ganz passable
Figur machen, weil für England das llmgekehrte zutrifft: kraft der
autzerordentlich günstigen Lage dieses Reiches ist es dort rclativ
leicht, Poliük zu machen. Man vergegenwärtige sich, datz es einem
so bescheidenen politischen Talent wie Lloyd Eeorge möglich
war, eine so bedeutende Rolle zu spielen.
Das mangelnde deutsche Volksgefühl, das so gerne
in Gegensatz zu dem angeblich völlig geschlossenen sranzösischen
Nationalgefiihl gestellt wird, verliert gerade durch diese Gsgenüber-
stellung den Charakter einer deutschen Eigenart. Durch die ganze
französische Eeschichte läuft die Konspiration der „Erohen" im Aus-
lande genau so wie durch die deutsch«. Die entscheidende Unterlegen-
heit Frankreichs zur See gegen England in den Revoluüonstagen,
an der schlietzlich Napoleon gescheitert ist, sand in den Seeschlachten
bei Aboukir und Trafalgar schlietzlich nur ihre äutzerliche Bestäügung
und es ist verständlich genug, datz die patriütische englische Eeschichte
nur von diesen Schlachten spricht. Vor Ausbruch der französisch.-n
Revoluüon war die französtsche Flotte kraft dsr Anstrengungen des
Autzenministers Ehoiseul und Vergcnnes der englischen zumindest
gewachjen. Da waren es Franzose» und zwar sranzösische
6ö. Zahrgang Ar. 1S8
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tGegründet 1858)
und
Sandelsblatt
Sonnlag, den lv. Znnl 1S2Z
Ha«ptgeschäktss!eII- u. Schriftleitg. der.Badischen Post'Hetdelberg, ganvtstr. 28, Fernfpr.
Nr. 182. Berüncr Vertretung: Verlin 8vr 48. Zimtnsrffraks g, Fernlpr. Zentr. 41k
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vosts>deit--t»«to Frankfnrt a. M. »1410
Loktschrik-lkoat»: Sranksnrt a. M. »141»
Jnni-Veiugsvrcis der.Vad. Post" Mk. 56>V lausschb Zustellgebiihrl. Selbstabhol. Mk. SK08.-. AuSlanS Mk. 120»0 -
Abbestell.werd. nur bis mm2.jed.Mis angenommm. Am I n.2. noch gelief.Zeitungen sind nach d.Einzelvcrkaufspreis mbe-
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Auch Loglauö soll kapilulierk«.
Aomcares Bedingurrgen för die ASfassuug einer gemeinsamen Note.
Von unserem -K o r r e s p o n d e n t c n
London, 9. Juni.
Die günstige Wirkung des deuischen Memorandums auf die eng-
lische Oeffentlichleit kommt auch in der heutigen Vresse zum Aus-
dvuck. Auf der andern Seite ist keinerleiKlärung der
Lage hinsichtlich der Möglichkeit der Berständi-
gung mit Frankreich zu verzeichnen. Nach dem „Daily Tele--
graph" soll Poincars in London mstgeteilt haiben, datz er nur
unter drei Bedirgungen zu einer gemeinsamen Antwort bereit wäre:
1. der passive Widerstand mutz aufhören. 2. der Bor-
schlag einer internationalen Kommission mutz abge-
lehnt werden, 3. die vorgeschlagenen Garantien miissen in
ihrer gegenwärtigen Form als wertlos zurückaewiesen werden.
Sollte diese Ausfassung in der Tat von der fran<östschen Regierung
vertreten werdan, so würde ste nichts anLeres Ledeuten. als datz
Frankreich nicht nur die Kapitulation Deutsch-
lands, sondcrn auch di-e Kapitulation Englands
fordert, denn das deutsche Me-morandum ist, wie von englischer
beite ausdrücklich zugegeben wird, sowohl in der Frage des Wider-
stondes wie in der Fraqe der internationalen Kommisston genau
Ken von Cürzon erteilten Ratschlägen gefolgü Jn den offiziellen
Jirformationen des „Telegraph" wird denn auch betont, dast man
»on der englischen Regierunq nicht erwarten könnte, datz sse stch der
Ruhraktion, die ste bisber mit solcker Vest'mmtheit verurteilte,
nunmehr in irgend einer Form anschlietzen werde. Eine andere
Frage sei, ob England nicht versuchen könnte, einen vorläusigen
Ausweg aus Ler Sackgasse zu finden, womit offenbar die gestern
erwähiiten Kompromitzmöglichkeiten angedeutet werden.
Jedensalls sei das Kabinett durch die Haltung der englischen Oessent-
lichkeit in Ler Auffassung bestärkt worden, datz seine Wbkehr von der
Politik der Passivität, die das vorige Kabinett trieb, richtig ist i,nd
datz es bei seinsn Bemübungen um eine Reqelung der Frage das
ganze Land hinter stch habe. Jn mchreren Blättern, besonders auch
i» den liberalen Organen, wird wiederum aus Mac Kenna hin-
Kmviessn, was den Eindruck verstärkt, dah das Kckbinetj Lei seiner
Uuseinandersetzung mit Frankreich, von der Schuldensrage ausgebend,
Dm versuchen wird. Frankreich durch einen Druck in dieser Frage
«en erwähnten Kompromissen geneigt zu machen. Ob das gelingen
svird. mutz nach dem Bericht des Pariser „Times"-Korr«spondenten
als fraglich bezeichnet werden, doch wird hier andegseits vielsach die
Hoffnung ausgedriickt, dah die scharse Sprache der Pariser Presss
nicht die Auffassung d<.c amtlichen Kreis« vollkommen widerspiegelt.
Jn der „Dailv News" wird betont, datz, wcnn Frankreich die inter-
Nationale Sachverständ'gensommission durchans ablehne, England
dnd Amerika sehr wohl in der Lage wären. diese Kommisston
nlbständig zu bilden. Das Blatt fieht auch hierin die Wbsichteu
Mac Kennas.
Die redaktionellen Vetrachtungen der Blätter Lber das Memo-
^lndum lauten, wie gesagt, auch heute durchaus günstig. Ein Leit-
ürtikel des offiziösen „Daily Telegraph" drückt allerdings dis starke
Enttäuschung darübsr aus, datz Deutschland keine En>summe
stenannt habe. Offenbar sei das mit Rückstcht anf das Prcstiae des
Kabinetts Cuno geschehen. ALcr es müsse bezweifekt werden, ob
das deutsch« Nolk das Prestige des Kabinetts Cuno fllr wichtigsr
halte als die Regelung stiner Schwierigkeiten. Wls ganges ge-
üommen mllsse das Memorandum aber "trotz seiner Mängel und
"vtzdsm es von Sachleistungen nicht spricht. doch als geeigneterAus»
»«ngsvunkt einer gemeinschaftl-chen Behandlung betrachtet werden.
-oas stch gegenwärtig den Allüerten biete. sei nicht mehr als eine
Möglichkeit. Aber der Wsrt dieser Möglichkeit könne nur durch einen
Aersuch geprüst werdep und es sei deshalb ernsthaft zu hoffen. datz
Ae. Allnerten trotz der bestshenden Schwierigkeiten stch zu einer ge-
Aeinsamen Vehandlung des Problems zusammenfinden wsrden.
?.chärfere Töne gegen Frankreich schlägt die „Times" an, die
Frage aufwirft: Mas !st passtver Widerstand? Wie soll er defi-
»>ert werden? Jst Franlreich bereit, für seine offizielle Einstellung
^-tenleistungen zu ge>ben? Will es e-nwilligen, seins Trunpen
Mückznziehen. sobald d!e deutschcn Zahluugen festgesetzt worden stnd't
Dchlietzlich wisse Frankreich sehr wohl den Wert seiner Freundtchaft
«Menüber England einzuschätzen und es sei deshalb schwer zu
Dauben. datz es mit einer glaüen Ablehnung antworten werde, salls
7>e englischo Negierung den formellen Vorschlag machen würde, in
?»e Prstfung des deutschen Angebots einzutreten.
^ Auch der Londoner Berichterstatter des „Echo de Paris" mutz
^ustellem. dah die französisch-belgische Ruhrvolitik
j^.kgültig vonder englischen Regierung verdammt
A>rd, die infolgedessen daraus drängt, datz d!e Pariser und die
^ruffeler Regierung sich zu Beratungen mit England und Ftallen
erklären mögen. Um Frankreichs Forderung. datz der p a s s i n e
erstand im Ruhrqebiet aufzuhören habe, entgegen-
vnrmen, scheine man in England eine Ari Waffenruhe im
^hrgebiet vovschlageu zu wollen. Während die Fe'Melig-
^8>^ü von französtscher und deutscher Ssite eingsstellt seien. würden
^ Allüerten über die Lösunz der Reparationssrage berateu.
> Auch in Amsrika
^s^t das dentfche Memorandum eine durchaus freundliche Auf-
Staatssekretär Hughes ist namentlich bcsonders davon
^lr>edigt, batz Deutschland seinen Vovsch-lag aufgegriffen hat, die
lD/">he Leistungsfähigkeit durch eine internationale Sachverständigen-
"Mlissisn prüfen zu lassen.
Oberst Souse über das Memoranbum.
g. Juni. Oüerst House, der zu einem einmonatigen
stn!„>halt in London eingetroffen ist, erkiärte gestern in-einer
N;D:^edung mit einem Vertreter der „Times" über das deu'sche
Cr^?^andnm, es sei die bestimmteste und befriedizendste
itbl^»u>>g, die Deutschland bisher in der Frage der Reparationen
sydebeu habe. Es sei, w!e wenn eine grotze Korporation, die sich
!»rn», Schwierigkeiten Üefinde, alle vorhandenen Werte zu-
um ihren Verpslichtungen nachznkomnien. Wenn die
8, R^gierung einen bestimmten Betrag genannt hätte, würde
^.»ch der Beschuldigung Ler Unaufrichtigkeit ausgesetzt
ka i«de Simune, die ste angeüsben hätte, notwendigerwe-Gs
größer hätte sei-n müssen als die 30 Miküarden Goldmark, die in
der letzten Note angeboten waren, die von den Alliierten a-bge-
lehn-t worden sei. Deutschland hwbe sich jetzt Lereit erklärt, nach seiner
Le i st u n g s f äh i g k e i t zu zahlen Es sei Sache der Allüerten,
zu bestimmen, w!e hoch die Leistungsfäh'gkeit Deutschlands bemessen
werden könne. Houise erklärte, er glanbe zuverstchtüch, datz das
"'eulsche Memorandum einen guten Eindruck jn der ganzen
Welt machen werde.
Mffollnis programm.
Die Stellung zur Reparationssrage.
Rom, 9. Zuni.
Jn der gestrigen Sitzung des Senats ergriff Mussolin!
das Wort zu einer Erklärung, in der er die allgemeinen Linien dcr
italienischen Politik darlegte.
Der Ministerpräsideni wies darauf hin, datz Jtalien, abgesehen
davon, datz es sich Lessere Erenzen erobert habe, bei den Friedens-
vertrügen von den durch sie gewährten wirtschaftlichen und kolonialen
Vergiinstigungen tatsächlich ausgeschloffen worden sei. Die währtnd
des Krieges unjerschriebenen feierlichen ALmachungen seien autzer
Kraft getreten und nicht durch andere ersetzt worden. Die Zurück -
setzung, die Italien erfahren ihabe, laste noch schwer
auf der italienischen Wirtschaft. Nunmehr gelte es. das verlorene
Terrain wiederzugew-nnen und d!e verlorene Zeit einzuholen. 'Dsr
Ministerprästdent betonte, datz stch die Lage seit dem Oktober in Le-
merkenswerter Weise gebessert habe. Jedermann wisse, datz Italien
eine Politik energischer Wahrung seiner naüonalen Jnteressen zu
verfolgen Leabstchtige und Lberall zugegen sein wolle, wo seins
Lebensinteressen im Spiele seien. Der Zeitpunkt für eine poliüschs
Aktion allgemeinsr Natur sei günstig, die darauf abziele, so rasch w>e
möglich die politische Lage des Konünents normal zu gestalten. Es
ist ein italienisches Interesse ersten Nanges, fuhr der Ministerpräst-
dent fort, eine friedlicheLösung der europäischen
Krise zu beschleunigen. Diese Krise wird seit dem Versailler Ver-
trag von der Reparationsfrage beherrscht. Gegenüber dieser Frage
ist die Stellung Jtaliens in ihren Erundzugen folgende:
1- Dcutschland kann und mutz die Summe Lezahlen,
die bereits jetzt im allgemeinen aufgestellt zu sein scheint. und
die von mehreren hundert Milliarden, von denen nach Abschlutz
des Waffenftillstandes die Rede war, weit entfernt -st.
2. Italien kann keine Abänverungen oder llmwälzunqen
territorialer Art dulden, die eine Hegemonio politischer,
wirtschaftlicher oder militärischer Art herbeiführen könnten.
3. Itaüen w-'ll seinen Anteil am Opfer traaen, falls das
fur den Wiederaufbau der europäischen Wirtschaft notwendia
sein sollte.
4. Di« italienische Regierung Leharrt heute mehr als femals, ins-
besondere anqestäfts der letzten deutschen Note. ans -brem Stand-
' punkt, datz die Reparationsfrage und die Frage der
interalliierten Schulden miteinander in
engem Zusammenhang stehen und in gewissem Sinne
von einander abhängig stnd. Es besteht kein Zweifel darüber,
datz die Besetzung des Ruhraebiets die Repa-
rationskrise autzerordentlich verschärft hat.
Ueber Rutzland svrechend hob Mussolini hervor, dah Gesetz-
entwürfe dem Parlament vorgelegt seien. um den Dekreien, wslche
die italienisch-russische und die italienisch-ukrainische Präliminar-
abkommen vom 26- Dezember 1921 billigten, Eesetzeskraft zu vsr-
leihen Wir wünschen auf diese Weise, fuhr der Minister fort, die
Hindernisse zu beseitigen, um die wirtschaftlichen Bsziehungen der
beiden Länder zu erleichtern und den Boden für ein eventu-elles E!n-
verständnis auf breiterer Erundlage vorzubereiten. Die Poliük
Jtaliens gegen Rußland ist klar und kann zu keinen Mitzverständ-
nissen Veranlassung geben. Die Einbringung der crwähnten De-
krete im Parlament beweist unsere ALsichten und gibt uns das Recht.
von der Moskaver Regierung die gewissenhafte Ausführung der
unterzeichneten Verträge zu erwarten. Autzer diesem mutz sich die
russische Regierung an die von ihr Lbernommene Verpflichtung cr-
innern, sich jederfeindseligenHandlung gegen die üalie-
nische Regierung und jeder direkten oder indirekten Pvopaganda
gegen Einrichtungen des Königreiches zu enthalten.
Verhandlmig oder DMat?
Dr. Quaatz Lber den passtven Widerstand.i
Eigene Drahtmeldung.
Berlkn, 9. Inni.
Jn einem „Verhand-lung oder DMat?" überschriebenen Arükel
im „Lokalanzeiger" cheschäfügt sich d-er deutschvol>ksparteiliche Wbge-
ordnet-e Dr. Quaatz mit der Frag-e, was zu gesch-ehen habe, wenn
Frankreich in seiner unnachg-ebigen Halt-ung verharre und das Auf-
geben des passiven Widerstandes tatsächlich als Vorbed-ingung für
jegliches Verhand-sln fordert. Dara-uf antwortet Oua-atz: „Das be-
deut« nach Dersailles d!e nochmalige Kapitulätion in
aller Form. Eine Regiernng, d!s eine solche Kapüulaü-on unter-
schreibt, unterschreibt zugleich die Urk-unde des Verfalls des Deutsch-en
Reiches und das Ende d-es deutschen Volkes als einheitliche Nation.
Das Kabinett Cuno wird eine solche Kapitulation nicht
u n t e r s ch r e ib« n. Jch glaub« nicht, dah dabe! das Kabinett wirk-
üche innere Schwierigkeiten haben wird. Solltcn sie aber auftauchen,
sollte d-as Parl-ament in der Stunde höchster Eefahr die Gefolgischaft
für eine Politik des Widerstandes vevweigern, so bleibt nur die eine
Möglichkeit: der Appell an das Volk. Das deutsche Dolk hat
den Anspruch daraus, sein Schi.cksal selbst zu entschciden Will es
seine Freihei-t anfs neu« verpfänden und sein« Knechtschast besieaeln,
so mutz die Mehrheit des d-eutschen Volkes das voiieren. Kein
Kabi-nett und kein Parlament in Dsutschland darf es wag-en, Lie
Verantwortung für eine solche Kapitul-ation ohne Zustimmung des
VolLes auif sich zu nehmen."
MMSrSige poM.
Das Memorandum. — Lngkands Haltung. — Bcdiygungen dentscher
Politik. — Das Ruhrgebiet als sranzöstsche Kanone gegen Englaud-
Berlin, 9. Juni.
Das deutsche Memorandum steht im Vordergrunde des
Jnteresses. Welche Aufnahme es bei den frsmden Kabinetten
gefunden hat, steht noch nicht fest. Datz es den Räubern in Paris
nicht zusagt, ist beinahe selbftverständlich, da sic ja keine Verhand-
lungen, sondern Naub und Eroberung wollen. Aber auch bei den
anderen Müchten ist die Angstpsychose vor Deutschland noch ksin--s-
wegs gewichen, sie ist zum Teil verstärkt durch eine Angstpsychose vor
Frankreich, und so steht es noch sehr dahin, oü Las Msmorandum
endlich die Tür zu Verhandlungen aufgestotzen haben mag.
Sehr viel hängt dabei von dsr Haltung Englands ab.
Gewisse Anzeichen deuten darauf hin, datz das Kabinett Baldwin dech
nicht so völlig der obsäient ssrvuiit Poincarss sein w'll, wie es
das Kabinett Bonar Law in der Tat gewesen ist. Selbstverständlich
würde es diese Absicht hintcr sehr vielen höflichen und bewundernoen
Worten an die französische Adresse verstecken müssen, verbunden mit
einer Fülle verhängnisoollster Konzessionsn an den Milüarismus
und die Eroberungssucht Frankreichs, denn für einen schwachen
Staat, wie es Deutschland zur Zeit ist, legt sich niemand ins Zeug.
Das ist gerade eine der wichtigsten Erkenntnisse, die sich aus >-em
Verhalten Frankreichs und Englands seit Versailles dem verstiegen-
sten deutschen Pazifisten erheben, datz eine wehrlose Nation
rechtlos und ohne Freundist, datz sie eip Spielball der
schmutzigsten Banditen und Einbrecher ist, deren Schandtaten die
übrige, von Eerechügkeitsphrasen triefende Kulturwelt mit grötzter
Gelassenheit zuschaut.
Seit dem Jahre 1914 steht Deutschkand tn einem ununter-
bicochenen Krieg- Die Entscheidung in ihm ist noch nicht gefallen und
von dem augenblicklichen Weltbild steht nur eines fest, datz es eben
ein AugenblicksLild ift, das die von ihm profitierenden
Machthaber zwar mit Klauen und Bajonetten festzuhalten suchen,
das ihnen aber zerrinnt wie Wasser zwischen den Fingern- Der die
schweren trostlosen Monate und Jahre der Eegenwart durchlebende
deutsche Mensch will zwar oft verzweifeln an Zukunft und Schicksal
seines Volkes, weil er sich das geschichtl-ch Notwsndige gerns llar
vorstellt, mit allzu kurzen Zeiträumsn rechnet und meist die Gärungs-
elemente nicht erkennt, die schon heute unterirdisch an der Arbeit
ssnd und das, was für die Ewigkeit gebaut schien, rasch zersetzen. Dazu
kommt ein nationaler Kleinmut, der in der cigenen Raüon ^
die Derkörperung politischer llnfähigkeit und fehlenden National-
gefühles erblickt und einen Akt reinigender Buße zu vollzieh-n i
glaubt, wenn er oft und öffentlich diesen angeblichen Mangel seines
Volkes anklagt und besonders die Zeichen moralischer Korrupüon
und Widerlichkeit, von denen die Oeffentüchkeit voll ist, als trastlose
Bewsise dafür ansieht, datz die Naüon „krank bis ins Mark" sei.
Es wird Zeit, dah sich der deutsche Mensch von dieser Eespenster-'
feherei, die nur dem Feinde zustatten kommt und die die naüanale
Widerstandskraft zermürbt, endlich frei macht. Zunächst: Es gibt
keinepolitisch begabten und unbegabten Nationen.
Es gibt nur poliüsch begabte Pcrsönlichkeiten, und det llnter-
schied Lesteht darin, datz eine Nation solchen Führernaturen frLudig
folgt, die andere nicht. Jn England, dessen Volk wirklich in dsm
merkwürdigen Rufe steht, politisch „begaLt" zu sein, ist eine aristo-
kratische Schicht lebend geblieben, die sich die Führung der Naüon
erhalten hat, aber das erklärt sich wcht etwa 'aus einer Lefonderen
„Vegabung" der weiten englischen Volkskreise, sondern aus dem
direkten Eegenteil, einem auffallsnden Mangel poliüscher wie allge-
meiner Vildung, wie er sonst wohl nvr noch in Amerika zu Hause ist.
Man stelle stch die Szene vor, die sich -m deutschen Reichstage abge-
spielt hätte, wenn es dort einem Minister beigekommen wäre, das
zu sagen, was Ehurchill im englischen Parlament sagen durfte:
„Der Feind kocht aus den Leichen seiner gefallenen Soldaien Fett".
Das hat man in Westminster nicht nur ruhig mit angehört,
das hat man auch geglaubt und ein grotzer Teil des englischen
Volkes glaubt es auch heute noch. Mit einer intellektuell derarüg
begabten Nolksmasse ist es natürlich leichter, Politik zu machen, als
in Deutschland, wo die allgemeine Bildung ungleich viel höher steht,
wo jeder ssine eigene Meinung hat und politisch« Fragen nicht nur
versteht, sondern grundsätzlich besser versteht als der andere Die
Zerrissenheit des dcutschen Parteilebens und der deutschen politischen
Presse ist das deutlichste Symptom dafllr- ,
Sodann gibt es rein Land in Europa, für das es kraft seinsr
ungünstigen Lage so schwer ist, gute Politik zu machen, wie unser
Deutschland- „Staatsmänner", die in Deutschland völlig versagen,
würden in der Reihs der englischen Poliüker noch eine ganz passable
Figur machen, weil für England das llmgekehrte zutrifft: kraft der
autzerordentlich günstigen Lage dieses Reiches ist es dort rclativ
leicht, Poliük zu machen. Man vergegenwärtige sich, datz es einem
so bescheidenen politischen Talent wie Lloyd Eeorge möglich
war, eine so bedeutende Rolle zu spielen.
Das mangelnde deutsche Volksgefühl, das so gerne
in Gegensatz zu dem angeblich völlig geschlossenen sranzösischen
Nationalgefiihl gestellt wird, verliert gerade durch diese Gsgenüber-
stellung den Charakter einer deutschen Eigenart. Durch die ganze
französische Eeschichte läuft die Konspiration der „Erohen" im Aus-
lande genau so wie durch die deutsch«. Die entscheidende Unterlegen-
heit Frankreichs zur See gegen England in den Revoluüonstagen,
an der schlietzlich Napoleon gescheitert ist, sand in den Seeschlachten
bei Aboukir und Trafalgar schlietzlich nur ihre äutzerliche Bestäügung
und es ist verständlich genug, datz die patriütische englische Eeschichte
nur von diesen Schlachten spricht. Vor Ausbruch der französisch.-n
Revoluüon war die französtsche Flotte kraft dsr Anstrengungen des
Autzenministers Ehoiseul und Vergcnnes der englischen zumindest
gewachjen. Da waren es Franzose» und zwar sranzösische