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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Juli bis Dezember)

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Nr. 150-176 (01. Juli 1902 - 31. Juli 1902)
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zichtet werden. Stellen wir uns abcr mit der Zentrumspartei
in vorliegender Fragc auf den Boden des bei uns geltenden
positiven Rechts, so kann kein Zweifel darüber sein, daß letzteres
die Errrichtung von Männerorden in nnserem Lande zwar nicht
ausschlietzt, sie vielmehr prinzipiell zulätzt, aber die Frage
ob und wann eine solche Errichtuug zu genchmigen ist, durch-
aus dem pflichrmätzigen, frcien Ermessen der Staatsregierung
anheimstellt. Es kann also nicht zugegeben werden, datz,
wenn die Regierung von diesem Ermessen bis jetzt keinen Ge-
branch gemacht hat, von ihr ein Recht des katholischen Teiles
der Bevölkerung verletzt wordeu ist. Das Gesetz bom Jahrc
1860 kennt einen Ansprnch der katholischen Kirche auf Zu-
lassung von Männerorden nicht; es giebt dieses Gcsetz der Re-
gierung nur die Befugnis, eine Zulassung gedachter Art zu ge-
nehmigen. Es ist also, wie früher schon wiederholt hervorge-
hoben wurde, nicht cine Frage des Rechrs, soitdern eine solchs
der Politik, ob die Regierung im einzelnen Falle Mäunerorden
zulassen will oder zulassen kann. Seit nahezu 100 Jahren
hat man nun bei nns in Anbetracht der besonderen Verhältnisse
imseres Landes Bedenken getragen, derartige Zulassuugen aus-
gnsprechen, und ich kann nicht finden, datz jetzt Anlatz gegeben
ist, von dieser Praxis abzuweichen. Jch verkenne durchaus
nicht, datz die Klöster in früherer Zeir, wenn auch ihre Thätig-
keit die eine oder andcre Schatrenseite hatte, vielfach eine
knlturelle Mission erfüllt haben, die für eine Reihe von Ge-
genden unseres Landes von günstigen Folgen begleitet war.
Dabei kann man aber doch der Meinung sein, datz diese Ein-
richtungen mit den heutigen Verhältnisscn nicht mehr voll-
ständig harmonieren und datz sie speziell in einem Lande, dessen
Bevölkerung hinsichtlich des Bekenutnisses derart gemischt ist,
wie diejenige des Grotzherzogtums Baden, und in einer Zeit,
in der die konfessionellen Gegensätze leider stark verschärft
sind, möglicher-, ja wahrscheinlicherweise eine Wirksamkeit
entfalten werden, wie sie im Jnteresse eines friedlichen Zu-
sammenlebens der Angehörigen 5er einzelncn Konfessionen nicht
gewunscht werdeu kann. Jst doch zur Genüge bekannt, datz es
die streitbarsten Kräfte der katholischen Kirche sind, welche in
diesen Männerorden sich konzentrieren, und datz es denselben
nicht nur um ein religiös-beschauliches Leben, sondern auch
um die Bekämpfung anderer konfessioneller Richtungen zu thun
ist. Wir können nicht glauben, datz die Niederlassung solcher
Elemsnte in unserem Lande zum Frieden beitragen 'wird. Man
sagt freilich, es habe doch kein Bedenken, in einer ganz katho-
lischen Gegend ein Männerkloster zu errichten, und es mutz
ja allerdings zugegeben werden, datz dcr badische Staat nicht
aus den Fugen ginge, wenn dies geschehen würde. Aber wir
sind der festen Ueberzeugung, datz dies nur der Anfang wäre,
und datz nach den in anderen Ländern gemachten Erfahrungen
in kurzer Zeit alles aufgeboten und in Bewegung gesetzt wer-
den würde, um die Genehmigung weiterer Älöster zu erreichen
und immer zahlreichere Landesteile für Ordensniederlassun-
gen zu erschlietzen. Es wird eingewendet werden, die Regic-
rung habe es ja in der Hand, eine weitere Vermehrung der
Zahl solcher Niederlassungen zu verhindern. Ob sic aber wirk-
lich auf die Dauer in der Lage sein wird, sich weitcren Forde-
rungen auf diesem Gebiete zu widersetzen, ist fraglich. Wenig-
stens lassen die Vorgänge in anderen Staaten darauf schlie-
tzen, datz es, wenn man einmal mir solcheu Dingen bcgonneu
ihat, ungemein schwer ist, Zurückhaltung zn üben und zu ver-
hindern, datz schlietzlich das ganze Land mit einem Netz von
Klöstern überzogen wird. Es war daher unseres Dafürhal-
tens gut, datz die Regiernng seither auch Anfängen in dieser
Richtung Widerstand geleistet hat und wir können im derma-
ligen Zeitpunkt einer Aenderung dieser Praxis umso weniger
das Wort reden, als ja auch ganz erhebliche wirtschaftliche
Wedenken gegen die Wiedererrichtung von Klöstern im Grotz-
Herzogtum sprechen. Die Ansammlung von liegenschaftlichem
Wesitz in der toten Hand, wie sie durch die Errichtung von
Klöstern zweifcllos stark begünstigt werden wird, ftellt für
unser Lanb mit seinen eigentümlichen Verhältnissen in Bezug
auf den landwirtschaftlichen Betrieb eine nicht gering anzuschla-
gende Gefahr dar, die am allerwenigsten in bäuerlichen Krei-
sen übersehen werden sollte. Berücksichtigt man weiter, datz
die Bedürfnisse der katholischen Seelsorge in Baden zur Zeit
vollauf Befricdigung finden und von einem Priestermangel,
tvie er wohl srüher zu beklagen war, jetzt keine Rede mehr
sein kann, sowie dah nach unseren Wahrnehmungen auch bei
Linem nicht geringen Teile des katholischen Bolkes selber keine
Sehnsucht nach Errichtung von Männerorden besteht, so wird
man es im Lande begreiflich finden, datz wir von dem Stand-
punkt, den wir seither in dieser Sache eingenommen haben,
nicht abgehen können. Wir sehen voraus, datz uns diese un-
sere Haltung wieder mancherlei Angriffe zuziehen und datz
man uns insbesondere aufs Neue den Vorwurf machen wird,
wir seien katholikenfeindlich. Wir brauchen aber diesen Vor-
ivurf nicht zu scheuen. Eine Partei, die, wie die Nationallibe-
rale, seit einer Reihe von Jahren bestrebt ist, auch aus staat-
lichen Mitteln mit offener Hand den beiden grotzen Kirchen
zu geben, was sie behufs Erfüllung ihrer hohen Mission
nötig haben, die bei der Kirchensteuergesetzgebung wie bei
der Dotationsgesetzgebung speziell auch den Verhältnissen der
katholischen Kirche weitherzig Rechnung getragen und erst un-
lüngst wieder die bekannten Anforderungen im Nachtrag zum
Kultusbudget ohne weiteres gutgeheitzen hat, darf es getrost
für sich in Anspruch nehmen, datz sie auch die kirchlichen Jn-
teressen des katholischen Teiles unseres Volkes nach Kräften
zu fördern sucht. Wir können uns aber auf der einen Seite
nicht davon überzeugen, datz hier ein wirklich dringendes Jn-
ckeresse der katholischen Kirche in Frage steht, und sind auf
der anderen Seite der Meinung, datz die Erfüllung dieses an-
geblichen Bedürfnisses für unser paritätisches Land mit Be-
denken und Gefahren verknüpft sein würde, die es nach wie vor
als ratsam erscheinen lassen, datz die Grotzh. Regierung von
der in Paragraph 11 des Gesetzes vom Jahre 1860 einge-
räumten Befugnis der Zulassung von Männerorden keinen
Webrauch mache. (Bravo! bei den Nationalliberalen.)

Abg. Heimburger (Dem.) erklärt, datz seine Fraktion
iruch fetzt wiedcr wie früher, dem Antrag ihre Zustimmung
geben werde. Von ihrem Standpunkte könne sie auch die
WZilckenssche Befürchtung nicht abbringen, datz das Zentrum
mit weitergehenden Forderungen kommen wird; im Gegenteil
glaube er, datz, wcnn die berechtigten Forderungen erfüllt sind,
man mit nm so grötzerem Nachdruck den unberechtigten ent-
gegentreten könne.

Abg. Dreesbach (Soz.) erklärt namens seiner politi-
fchen Freunde, datz sie zwar kein Bedürfnis nach Klöstern
anerkennen, aber doch dem Antrag zustimmen. Die Befürch-
tung, datz sich allzuviele Klöster in Baden niederlassen wer-
den, hegen sie nicht. Wir sagen: Wenn die Regierung ihre
Pflicht und Schuldigkeit thut, braucht man nichts zu fürchten.
Wir betrachten die Religion als Privatsache und haben dem-
nach kein Recht, die Anschauung des Zentrums, datz Klöster
eine Einrichtung der katholischen Kirche und daher notwendig
sind, gu bekämpfcn, ebenso wenig wie wir uns das Recht be-
streiten lasscn, Vereinigungen zu bilden, die wir für not-
wendig halten. Der Staat hat nur dafür zu sorgen, datz keine
Ilebergriffe stattfinden. Wir werden daher für den Antrag
Zehnter stimmen.

Abg. Wacker (Zentr.) glaubt, datz die Festsetzung der
Modalitäten, unter welchen die Zulassung der Klöster statt-
finden kann, Sache der Regierung und der Kirchenbehörde ist.
Die Kammer habe sich daher jeder Einmischung zu enthalten.
Er sei der Meinung, daß man Aussicht habe, datz das Kultus-
ministerium sich den Anspruch verdienen werde auf das ein-

stige Zeuguis „Ministerium der G e r e ch t i g k e i t".
Er bestätige Wilckens, datz nichts neues ins Treffen geführt
werden kanu; auch Wilckens Äusführungen waren nicht neu.
Dcswegen waren sie auch in keiner Weise zutreffend. Heim-
üurger und Dreesbach wären gewitz keine Fürsprecher^des An-
trags, wenn es sich um eine politische Frage handelte. Es sei
vor allem eine Frage der religiösen Freiheit und des Rechts im
allgemeinen Sinne des Wortes. Es'war dem Zentrum stets
nur darum zu thun, datz das eine oder andere Kloster zuge-
lassen wird; es stand also stets auf dem Boden des Gesetzes
von 1860. Die von Wilckens vorgebrachten Gründe haben
einen für die Katholiken teilweise vcrletzenden Charakter. Sie
sind längst widerlegt. Die Liberalität in Bewilligung von
Ausgaben für Kultuszwecke könne man nicht ins Treffen füh-
ren; dafür werden die Nationalliberalen wohl selbst keinen
Dank vom Zentrum verlangen! Der Volksvertretung stehe
es gar nicht zu, in das Recht der Regierung einzugrei-
fen. Das pflichtgemätze freie Ermessen der Regierung, frei
auch von der Erklärung des Abgeordneten Wilckens, sei allein
maßgebend. Wenn in der Ordensfrage wirklich ein Zuge-
ständnis erfolgt, so ist das kein Zugeständnis an das Zentrum,
sondern an das katholische Volk. Eine Störung des konfes-
sionellcu Friedens könne dem Zentrum nicht nachgewicsen wer-
den.

Abg. Wilckens (Natlib.) konstatiert, datz die Regierung
prinzipiell den gleichcn Standpunkt einnimmmt, wie früher.
Der Minister habe bestimmte Zusagen nicht gegeben, sondern
sich Prüfung aller Verhältnisse vorbehalten. Er wünsche nur,
datz diese Prüfung in seinem (Redners) Sinne ausfällt.
Wacker habe ebeufalls nichts Neues vorgebracht; daher seien
weitere Ausführungen zwecklos. Zu einer Einigung werde
man doch nicht kommen. Es handle sich um eine Frage der Poli-
tik, nicht des Rechtes. Er verwahre sich dagegen, die Katholiken
verletzt zu haben; er habe nur objektiv die sachlichen Gesichts-
punkte entwickelt, selbst auf die Gefahr hin, datz ihm im
Lande drautzen wieder einmal der Vorwurf der Leisetreterei
gemacht werde (Heiterkeit). Persönliche Zänkereien liebe er
nicht; die sachlichen Gegensätze habe er immer mit Entschieden-
heit vertreten, es sei aber nicht notwendig, dieselben durch
persönliche Zänkereien zu verschärfen. Er hoffe, datz die
Regierung nichts unternimmt, ehe sie alle einschlägigen Ver-
hältnisse einer sorgfältigen Prüfung unterzogen hat.

Abg. Freiherr v. Stockhorner (Kons.) erklärt, datz er
sich in keiner Weise geändert habe und wie früher dem An-
trag Zehnter zustimmen werde.

Abg. Wacker (Zentr.) betont, daß er in den Worten
des Ministers keineswegs eine Zusicherung gefunden habe, datz
nun wirklich Männerklöster zugelassen werden.

Ministerialpräsident Freiherr v. Dusch freut sich, datz
die Diskussion so sachlich verlaufen ist. Er wolle nur noch
bemcrken, datz Wacker in einem Punkte seine Erklärung nicht
ganz richtig verstanden habe. Er habe nicht gesagt, datz Ver-
handlungen schweben, sondern datz den Verhandlungen noch
Erwägungen vorausgehen müssen. Positive Schritte seien bis
jetzt nicht erfolgt, weil die Regierung erst die Stellung der
Kurie abwarten wollte. Die Regierung sei bereit, in Verhand-
lungen einzutreten, um die Modalitäten festzustellen, unter
welchen Bedingungen dem Wunsche der Kurie stattzugeben sei.
Selbstverständlich werden vorher alle Verhältnisse objektiv und
eingehend geprüft.

Nach einem Schlußwort des Berichterstatters wird der
Antrag mit 33 gegen 20 Stimmen angenom-
men. Dagegen stimmten: die Nationalliberalen und der
Aüg. Burckhardt (Wild), die Abg. Mampel (Antis.), Kriechle
Kögler, Wehgoldt, Blankenhorn und Hauser (Natlib.) fehl-
ten.

Schlutz der Sitzung: 11 Uhr. Nächstc Sitzung: Heute Vor-
mittag halb 6 Uhr. Tagesordnung: Petitionen. Morgen kom-
men die Wahlrechtsanträge zur Verhandlung.

8.6. Karlsruhe, 3. Juli. Die Budget-
kommission der II. Kammer beantragte, die Petitionen
der Eisenb ahnb ea mt en, Eisenbahnbediensteten rc.
betr. ihrer Dienst- und Einkommensverhältnisse und zwar:
der 6 badischen Revisoren II. Klasse bei der Main-Neckar-
bahn, des Verbandes badischer Lokomotivbeamtenvereine,
der Magazinsaufseher, der Stationsausseher (Billetausgeber
I. Kl.), der Oberschaffner, der Wagenrevidenten, des
Verbands badischer Wagenwärtervereine, der ältesten Gepäck-
schaffner, der Bahn- und Weichenwärtervereine, der Bureau-
gehilfen und Bureaugehilfenanwärter, der Eisenbahnarbeiter,
des Verbandes badischer Eisenbahnbediensteter und der
Güterbegleiter der Regierung zu Kenntnisnahme zu über-
weisen und die Petition der Bremser, insoweit ste auf
Erhöhung der Lohnbezüge abhebt, ebenfalls der Regierung
zur Kenntnisnahme zu überweisen, über den auf etatmäßige
Anstellung dieses Personals bezüglichen Teil der Petitton
aber zur Tagesordnung überzugehen.

Heffen.

Darmstadt, 3. Juli. Die Zweite Kammer führte
nach zweitägiger teilweise sehr erregter Debatte die zweite
Lesung der Vorlage betreffend das Landtagswahl-
gesetz zu Ende. Bei der Schlußabstimmung wurde das
neue Wahlgesetz, wte es aus den Beschlüssen der Zweiten
Kammer hervorgegangen war, mit 32 gegeu 4 Stimmen
angenommen.

Aus der Karlsruher Zeitung.

— Seine Kömgliche Hoheit der Grotzherzog haben
der Schwester-Oberin Lina des Spitals in Blumenfeld
(Antonia Ganter von Haueneberstein) die silberne Verdienst-
medaille verliehen und den Amtsgerichtssekretär Adolf Bur-
ger iu Konstanz wegen vorgerückten Alters unter Anerken-
nung seiner langjährigen treugeleistcten Dienste in den Ruhe-
stand versetzt.

— Der Amtsgerichtssekretär Heinr. Kumpf in Sinsheim
tmrd in gleicher Eigenschaft zum Amtsgericht in Konstanz ver-
setzt und Aktnar Peter Hecker beim Amtsgericht Ettlingen
zum Gerichtsschreiber beim Amtsgericht Sinsheim ernannt.

— Finanzassessor Leo Z e i s e r bei der Steuerdirektion
wurde mit der Versehung der Stelle eines Steuerinspektors
betraut.

— Dem ersten Gehilfen Finanzassistenten Eduard Schwö-
bel bei der Evangelischen kirchlichen Stiftungenverwaltung
Offenburg ist öie etatmätzige Stelle eines Bnchhalters daselbst
übertragen worden.

Die Waykechlsfrage in der Merfassungs-
kommifsson der zweiten Kammer.

LO. Karlsruhe, 3. Juli. Die bekannten Anträge Wilckens,
Heimburger, Wacker, Fendrich betreffend Einführung des di -
rekten Wahlrechts bezw. des Proportionalwahlsystems
"ud Znderweitige Umgrenzung der Landtagswahlbezirke sind
endlich rn der Verfafsungskommission durchberaten worden.
Wie sckion fruher berichtet, wurde in allen wesentlichen Punkten

eine Einigung erzielt. Man war sich darüber einig, daß das
direkte Wahlrecht einzuführen sei, ohne dah daran Bedingun--
gen geknüpft worden wären, durch deren Erfüllung das allge-
meine, dirckte, gleiche und gcheime Wahlrecht aufgehobcn oder
der Charakter der Zweiten Kammcr als reiner Volkskammer
bceinträchtigt worden wäre. Eine Meinungsverschiedenheit be-
stand blotz bezüglich jener Städte, die mehr als einen Abgeord-
neten zu wählen haben. Da die nationalliberalen Mitglieder
von ihrem Standpunkte bezüglich der grötzeren Städte nicht
glaubten abgehen zu können, so glaubte ihrerseits die Mehrheit
im Jnteresse oer Einigung ihre Bedenken zurücktreten lassen
zu follcn. Sie war zwar nach wie vor der Anficht, datz eine
Einteilung derselben in Einerwahlbezirke mit grotzen prakti-
schen Schwierigkeiten verbunden sei nnd auf die Dauer bei dem
verschieden starken Wachstnm der einzelnen Stadtteile zu gro-
tzen Ungleichheiten führen müsse, sie glaubte aber, datz sich
diese unvermeidlichen Mitzstände wenigstens erträglich machen
ließen, wenn die Einteilung dieser Städte im Wege des Ge-
setzes immer nur auf einen verhältnismätzig kurzen Zeitraum
— etwa 12 oder 16 Jahre — erfolgcn und bei dieser Eintei-
lung auf die voraussichrlichen Verschiebungen der Bevölke-
rungszahl gebührend Rücksicht genommen würde.

Von einer weiteren Behandlung des Antrages der Abge-
ordneten Fendrich und Gen., die Einführimg der Proportional-
wahl betreffend, wurde abgesehen, da hierüber eine Einigung
nicht in Aussicht stand.

Ebenso wurde in eine Beratung jenes Teiles des Antrages
der Abgcordneten Wilckens und Gen., der sich mit der Reform
der Ersten Kammer befatzt, nicht eingetreten, da die Mehrheit
der Kommission der Ansicht war, datz eine solche mit der Ein-
führung des direkten Wahlrechts für die Zweite Kammer nicht
notwendig verbunden sein müsse, und datz es zur Zeit nicht
Sache dieses Hauses sei, hierzu die Jmtiative zu ergreifen.
Jmmerhin war auch die Mehreit geneigt, falls von der Regie-
rung die Jnitiative ergriffen würde, ihre Mitwirkimg nicht
zu versagen. Was die Neueinteilung der Wahlkreise anlangt,
so war man der Meinung, es könne naturgemäß nicht Sache
der Volksvertrstung sein, eine solche auszuarbeiten, vielmehr
könne diese nur allgemeine Gruudsätze hierfür aufstellen und
es müsse der Regierung überlassen bleiben, darnach einen Ge-
setzentwurf auszuarbeiten und den Ständen vorzulegen.

Dis Kommission kam auf Grund dieser Erwägungen gu
dem Beschlutz, dem Hause den Antrag zu imterbreiten:

1. Den Gesetzentwürfen betr.- Aenderung des Wahlrechts
und der Landtagswahlordnung zuzustimmen,

2. das Einverständnis mit emer Reorganisation der Ersten
Kammer im Sinne einer stärkeren Bertretung der Jnteressen
der auf Gesetz beruhenden wirtschaftlichen Korporationen in
derselbcn auszusprechen, jedoch mit der Maßgabe, datz das Ver-
hältnis der Zahl der Mitglicder der Ersten Kammer zu jener
der Mitglieder der Zweiten Kammer keine wesentliche Ge-
samtverschiebung erfahren soll;

3. Die Regierung zu ersuchen, im Zusammenhaug mit der
Verfassungsreform eine Gesetzsvorlage behufs anderweitiger
Umgrenzung der Landtagswahlbezirke auf der Grundlage zu
machen, datz a) die bisherigen Städteprivilegien mit der Modi-
fikation fortbestehen, datz den Städten Durlach, Lörrach (mit
Stetten), Bruchsal, Lahr, Offenburg, Rastatt, Baden und
Konstanz je 1, Heidelberg und Pforzheim je 2, Freiburg 3.
Karlsruhe 4 und Mannheim 0 Abgeordnetensitze zufallen;
K) das übrige Land, unter thunlichster Berücksichtigung der
historischen, geographischen und wirtschaftlichen Zusammenge-
hörigkeit der einzelnen Gebiete, in Wahlbezirke von durch-
schnittlich 26 000 Einwohnern emgeteilt wird,

4. die Petition des geschäftsführenden Ausschusses der
mittleren Städte Badens der Regierung als Material für eine
künftige Abänderung der Zusammensetzung der Ersten Kam-
mer zur Kenntnisnahme überweisen.

Minister Schenkel erklärte, diescr Antrag sei für die
Regierung n i ch t a n n e h mb a r. Auch die Regierung wolle
das indirekte Wahlrecht durch das direkte ersetzen und stehe
auf dem Standpunkt, datz sämtliche Mitglieder der Zweiten
Kammer aus direkter Wahl herborgehen sollten. Ebenso sei
sie mit Einführung der Gesamterneuerung einverstanden. Da-
gegen könne in diesem Falle das allgemeine und
gleiche Wählrecht nicht ohne jede Eingren-
zung und jedes Gegengewicht aufrecht erhalten werden.

Ueberhaupt lasse sich die Wahlrechtsfrage nicht für sich
allein lösen, sondern nur im Zusammcnhang mit einer ausge-
dehnten Revision der Verfassung. Hierfür führte der Ministec
eine grotze Anzahl von Gesichtspunkten an, die alle im Laufe
des letzten Jahrzehnts schon Gcgenstand eingehender Erwä-
gimg, sei es im Schotze der Kommissionen, sei es im Hause
selbst wareu. Endlich gab der Minister die Absicht der
Regierung kund, dem nächsten Landtag einen G e -
setzentwurf, die Revisiou der Verfassung betreffend, vor-
zulegen, in dem alle diese Fragen ihre Erledigung finden
sollten, und gäb anheim, ob man nicht angesichts dieser Sachlage
von dem gestellten Antrage Abstand nehmen und sich rnrt
einer Resolution begnügen wolle.

Die Kommission hat diese Ausführimgen in Erwägung
gezogen, konnte daraus aber keinen hinreichenden Grund ent-
nehmen, von ihren Anschaungen abzugehen. Sie hat dcchec
beschlossen, den gestellten Antrag aufrecht zu er/
h a l t e n, und ersucht das Haus, demselben auch seinerseits bei-°
zutreten.

Aus Stadt und Land.

Heidelberg, 4. Jnli.

Durchgereist. Prinz Joachim und Prinzessin Vikroria'
die beiden jüngsten Kinder unseres Kaiserpaares, trafen heute
früh 4 Uhr aus Badenweiler hier ein und setzten um 4,5 Uhv
die Reise nach Berlin fort.

O' Bürgermeister Dr. Walz, Privatdozent an der hiesigeu
Universität, erhielt den Charakter als autzerordente
licher Professor.

):( Der Jllustrierte Katalog dcr Kunsthistor. AusstellunS
in Düfseldorf liegt in der Antiquitäten- und Kunsthandlung
bon Julius Bamberger am Kornmarkt hier zur Einsicht sn^
Jnteresscnten auf.

-i- Dic Standarte des Kavallerie-Vercins, die am vere
gangenen Samstag im Städtischen Saalbau feierlichst ent^
hüllt wurde, ist gegenwärtig in dem Ausstattungsgeschäft voN
A. Baier, Anlage 3, ausgestellt; dieselbe ist in der Osiandec^
schen Kunststickereianstalt in Ravensburg (Württemberg) her^
gestellt und ist nach allgemeinem Urteil sowohl in Forrn tvie
in Ausführimg ein Meisterwerk der Kunststickerei.

** Bon dcr Hauptstraßc. Der Umbau der Stratzcnbahne
strecke vom Karlsplatz bis zum Friesenberg ist nun auch so tve^
sertiggestellt, daß morgen oder übermorgen sie in den PferdO
bahnbetrieb mit einbezogen werden kann. Jn nächster Woche
mit dem Umbau der nur noch kurzen Strecke vom Friesenberg
bis zum Karlsthor begonuen werden.

III Schöffengertchtssitzuna vom 3. Juli. 1) Karoline Kraus
mann, Ehefrau, von Dossenheim, erhielt wegen Vergehens gegen
das Nahrungsmittelgesetz 20 Mk. Geldstrafe; 2) wegen Körper-
verletzung erhielt Karl Josef Klein von Heidelberg 4 WoAe
Gefängnis, Christian Schaaf, Adam Schaaf und Michael Hilbet'
von Sandhausen je 1 Woche Gefängnis; 3) Stefan Schmitt vo,
Sandhausen erhielt wegen Bedrokung 6 Mk. Geldstrafe; 4)

Refior von Nußloch erhielt wegen Körperverletznng 4 Wom
Gefängnis nnd Jakob Winter von Nußloch we'gen des gleM
 
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