Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Juli bis Dezember)

DOI Kapitel:
Nr. 177-202 (01. August 1902 - 30. August 1902)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.23861#0320

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Erlaribniskartcn blciben für die Zeit giltig, für welche sie aus-
gestellt sind, _

Ausland.

»sraukreich.

Lesneveii, l 5. Aug, Landleute halten fort>
dauernd die Zugänge zu den Schulen besetzt. Heute
ist eine große Wallfahrt nach Folgoet veranstaltet
worden, wo etwa 16 000 Personen aus den benachbar-
ten Parochien mit der Geistlichkeit, Kreuzen und Bannern
sich versammelten und Hymnen sangen,

Euglaad.

— Den heute Samstag aus Südafrika in Sout h-
amPton erwarteten Vurensührern B o t h a, DeI a-,
rey und Dewet harrt, wie die „Daily Mail" versichern
Zu können glaubt, ein glänzender E m P f a n g.
Der Tag der Ankunft der KommaNdanten erscheint schon
aus dem Grunde ein glücklicher zu sein, als da die Flot-
tenrevue in Spithead aus Anlasz der Krönungsfeicrlich-
keiten abgehalten werden wird. Es ist so gut wie sicher,
daß der größte Teil der englischen Minister bei dem Em-
pfange zugegen sein wird, Ferner werden die Beamten
des Kolonialministeriums, sowie Lord Kitchener den
Gästen anf einem besonders für diesen und anderen distin-
guierten Personen von der Regierung gemieteten Spe-
zialdampfer den Abend verbringen und die Jllumination
der Kriegsschifse besichtigen, Die Burenführer werden
auch über Nacht auf dem>Dampfer verbleiben, um Tags
darauf auf der königlichen Aacht „Viktoria und Albert"
von dem Monarchen in Gegenwart hoher englischer
Staatsmänner in einer längeren Aüdienz empfangen
zu werden, Am Montag dürften sich die Kommandanten
bereits wieder nach Holland einschisfen,

Amerika.

— Nach einer Meldung des „Globe" hat der amerika-
nische Marineminister Moody mit dem Präsidenten
Roosevelt in Oyster Bay jüngst eine eingehende
Ilnterrednng darüber gehabt, welche Bestrafung dem Ad-
miral TayIor füc seine unklugen Aeußerungen über
einen „u n a b w e n d b a r e n K r i e g m i t D e u t s ch-
Ian d" werden solle, Der Präsident habe sich dahin ge-
äußert, daß dem Offizier strenge anbefohlen werden
solle, sich in Zukunft weniger vorlaut und schweigsam
zu verhalten, bis er seinen Posten als Mitglied des
Marincamtes in Washington guittiert, Die Presse habe
längst ausgegeben, sich in theoretische Erörterungen über
die von Taylot angeschnittene Frage einzulassen.

Kinderarbeit

Nach einer amtlichen Statistik sind zur Zeit 532 283 Kin-
der gewerblich in Deutschland thätig, Die Zahl der in der
Landwirtschaft und in häuslichen Diensten bei fremden Leuten
veschäftigten Kinder lies; sich bis jetzt noch nicht einmal ermit-
lelnl Unter jener erstgenannten Zahl finden sich 12 748
Kegelaufsetzer, einige Tausend von diesen wieder unter 10, bis
herab zu 6 Jahrenl 42 837 Kinder wieder jagt man früh
4 Uhr in den eisigen Wintermorgen hinaus, datz sie die Back-
waren in die Häuser tragen, 21 630 Kinder sind in der Gast-
und Schankwirtschaft beschäftigt, Und wie mögen die Räume
beschasfen sein, in denen 22 668 Kinder als Tabakarbeiter
thätig sind? Solche Zahlen sprechen von einem geradezu
grenzenlosen Elend und lassen fnr die Zukunft unserer Nation
das Schlimmste befürchtcn, Die Schäden der Kinder-
arbeit sind zum mindesten ebenso tiefgehend als die ge-
werbliche Frauenarbeit und wenn auf diesem Gebiete die Gc-
setzgebung nicht baldigst Hilfe schafft, dürfte eine soziale Ge-
sundung des deutschen Volkes schwerlich zu erhoffen sein,

Die Nachteile, die sich aus einer frühzeitigen Heranziehung
zur gewcrblichen Thütigkeit ergeben, sind dreifacher Natnr,
Dem noch in der Entwickelung begriffcnen Kinde wird oft
eine unglaubliche Kraft zugetraut, Wenn man bedenkt, datz
Mnder in 3 bis 4 Stunden 89, 54, ja 56 Treppen steigen
müssen, datz sie nicht blotz vor dem Untcrricht, sondern auch am
Nachmittag, oft bis spät in die Nacht hinein beschäftigt werden,
datz ihnen noch nicht einmal der Sonntag ungeschmälert gehört,
datz im Bezirk Halle 8 Kinder mit 45 bis 50, 5 mit 60 bis
60 Stunden wkichentlicher Arbeitszcit belastct waren, datz in
Braunschweig ein Mädchen während einer Woche mindestens
66 Stunden Jutestücke zu nähen hattc: dann braucht man sich
nicht zu wundern über unsere bleichc Jugend, übcr so viele
schiefgewachsenc nnd verkrüppelte Gestalten, Wer das frühe
Siechtnm, an dem die ärmeren Schichtcn unscrsr Vebolkerung
leiden, über dic Klagen dcs Aushebungskommissionen, die jähr-
lich lanter und lauter werdcn, Und dabei sind dic angeführten
Veispiele anfs Geratcwohl hcrausgegriffcn, die schlimmsten
Fälle durchaus nicht anfgezeichnet worden, Es ist ganz autzer
Iweifel, datz einc wcitere Ausdehnnng der Kinderarbeit zu
ciner Degcneration und körpcrlichen Zerrüttung nnseres Volkes
führen mutz, Aber auch dort, wo die Körperkraft nicht ge-

>»»»I»I«I... W!

„Als ich so krank und bcwutztlos warl Jch weitzl Und
nachher nie mehr?"

„Nein, Annal Kantrupps besuchen sie, die Zwillinge waren
erst kürzlich dort, Leontine und Wildling auch — Gott sei
Dank, datz die armen Eltern an denen allen so trcue Frennde
haben,"

„Jch verstehe aber nicht, datz sie dir oder deinem Vater
nie schreiben,"

„Sie fürchten wohl in Fritz' Jnteresse, damit ein lctztes
schwaches Band zu erhalten, was mich noch hoffen lietzel"

„Arme Ullal Jch begreife deine Bitterkeitl"

„Ach, Anna, ich schüme mich derselben, Aber ich kann es
nicht ändern, Jch habe ihn innig gcliebt —"

„Jch glaube, es liegt no-ch ein unbekanntes Etwas zwischen
euch, Fritz hat dich so sehr lieb gehabt, ich weitz es zu ge-
nau, Aber, was könnte es sein?"

Sie wutzten es beide nicht.

„Lah mich eine Biertclstunde allein fortgchen, Anna," bat
Ulla mit zuckenden Lippen.

„Geh, Liebste, ach, du Armel Bei dir liegt noch die Hoff-
nung —"

Ulla konnte nicht antworten, die Thränen wären sonst
hervorgequollen, und sie kam sich so unwürdig vor mit ihrem
Sehnen nach cinem Mannc, dcr sich nichts mehr aus ihr
machte,

Ohne bcsondcrcs Ziel war Nlla auf die Dorfstratze getreten.
Vor dem Hause lag ein freier Platz, anf dem ein immcr laufen-
der Brnnnen mit einem uralten, steinernen Marienbilde scit
Jahrhundertcn sein köstlichcs Wasser spendcte. Der Ueberflutz
ergotz sich in einen ebeizso alten, grotzen Steintrog, an dem die
Fraucn dcs Dorfes ihre Wäsche spülten, Das einförmige
Plätschcrn dcs Wassers war in diesem Augenblick das einzige
Geränsch aüf der Stratze,

Achtlos schritt sie einc der drei Gassen hinab, dic anf
dcn Platz mündeten,

Die kleinen Holzhäuschen, mit den stcinbeschwerten
Schindcldächcrn nnd den blumengcschmückten Balkons machten

radezu in sichtbarer Weise zerstört wird, mntz die Arbeit häufig
der körperlichen Entwickelung schaden, da Tausenden von Kin-
dern die Zeit zur Erholung nnd zum Spielen geraubt wird, die
nnumgänglich nötig znr Entfaltung des jugendlichen Organis-
mus ist,

Nicht minder bergiftet eine allzu frühe Erwerbsthätigkeit
das Seelenleben, Man denke nur an die Umgebung, in der
sich die Kegeljungen bewcgen, Dabei sei der nächtliche Ver-
kanf von Warcn, die Beschäftigung in Schankwirtschaften nur
gestreift, Aber welche geistigc Luft atmet das Kind in den
Fabriksälcn ein? „Wir wissen nicht," schreibt die „Jugendfür-
sorgc", „wic vicle Kinder allein in Berlin im Dienste der
Prostituierten stehen. Wenn aber ein Bericht der Berliner
Stadtmission feststellt, datz dem scheutzlichen Gewerbe bereits
41 Mädchen im Alter von 11 bis 14 Jahren verfallen waren,
scheinen uns hier gcwisse Schlüsse sehr naheliegend zu sein,"

Datz untcr solchen Verhältnissen die Schädigungen für das
Schulleüen unvermeidlich sind, liegt auf der Ha>rd. Die deutsche
Lehrerschaft mühte hier einen umfassenden statistischen Nach-
weis licfern. Gewitz darf man zugeben, datz eine gesunde,
nicht zu lange andauernde Nebenbeschäftigung, namentlich wo
der Aufenthalt im Freien damit verbunden wird, für die Kin-
der ersprietzlich ist, Sie werden dadurch frühzeitig an cine
regelmätzige Thätigkcit gewöhnt, vor Mütziggang nnd den
daraus sich ergebendcn Lastern bewahrt; ihr Erwerbs- und
Sparsinn wird geweckt und den Eltern in ihrer wirtschaftlichen
Notlage eine Erleichterung verschafft, Andererscits aber ist
den geschilderten Auswüchsen in körperlicher, sittlicher nnd
geistigcr Hinsicht mit allen gesetzlichen Mitteln entgegenzntre-
ten, und im Jnteresse einer gedeihlichen Entwickelung unseres
Volkes dürfen wir nicht eher ruhen, bis hier cndgiltig anfge-
ränmt ist, Ansähe hierzu machen sich erfreulicherweisc hier und
da schon bemerkbar, Bor allcm bedarf es aber auch der Mit-
arbeit und des Protestes dcr arbeitenden Klassen, wenn diese
sich nicht schweigend zum Mitschnldigcn an einem der fürchter-
lichstcn Mitzstände unseres Volkslebens machen wollen.

Aus Stadt und Land.

-s- Karlsruhe, 14. August. (Der Landesvcr-
band badischer ll h r m a ch e r) hält am Mittwoch, den
20. August, vormittags 9 Uhr beginncnd, hicr im Gartcnsaale
des Stadtgartons seincn dicsjährigen fünften Verbandstag
ab. Auf dcr Tagesordnung befindet sich unter anderem der
Antrag des Vorstandes: das Abonnement des Zentralverbands-
organs wird allen Mitgliedern des Verbands zur Pflicht ge-
macht.

8O Offenburg, 14. August. (S ch a d e n f e u e r.) Jn
Lautenbach brach in dem Änwesen des Hofbauern
Georg Bohnert auf dcm Spitzenberg Feucr ans, welches in
kurzer Zeit die Wohn- und Oekonomiegebäude in Asche legte.
Das Vieh und ein Teil der Fahrnisse konnte gerettet werden.
Der Schaden beläuft sich auf ca, 20 000 Mark, Es liegt
Brandstiftung vor und zwar hat die noch nicht 12 Jahre alte
Helene Waldersbach, gebürtig von Ottcnhöfcn, Zinkcn Heiden-
bach, das Fcncr gelegt, Das jungc Mädchen war seit Aus-
gang Februar dieses Jahres bei Bohnert als Kindsmädchen
in Dienst und batte bci seiner Herrschaft mehrere Diebstähle
nnd Schwindeleicn verübt, Nach dcr Brandstrftung machte
es sich aus dem Staube und kehrte nach Ottenhöfen zurück.
Das grundverdorbcnc Mädchen wurde laut „Ort. B." ver-
haftet und gestand zu, datz sie den Brand gelegt habc,

80 Vom Oberland, 14. August. (Ein geriebener
G a n n e r) treibt im Oberland ein ganz eigentümliches Hand-
wcrk, Dersclbe unterbricht im Freien die Telegraphenleitungen
und setzt sich, cinen Upparat anschlietzcnd und mit dcm Tele-
graphieren vollständig vertraut, mit einem Postamt in Ver-
bindung, demselbcn eincn telegraphischen Postauftrag von ver-
schiedencn 100 Mark überwcisend. Jn Mengen wollte der
Hcrr hernach die von Breslau (I) angewiesene Summc von
1800 Mark abholen, üieselbe wurde ihm aber, da er keine
Lcgitimation besatz, nicht ausgefolgt, worauf er verduftctc, aber
gleich andcrcn Tags bei der Postanstalt Untermauchthal für sich
700 Mark anwics und auch ausbezahlt erhielt, Von dem
Gurschen hat man noch keine Spur, Sämtliche Postanstalten
des Landes wurden von dem unlauteren Trciben in Kenntnis
gesetzt,

X Hornberg, 14, August, (Unser Nachbarort
Tenncnbronn ) ist ans dem Schuttc dcs grotzcn Brand-
unglücks vom vorigcn Jahre bercits ncn erstanden, Am Sonn-
tag wurde das nen erbaute Schulhaus in fcicrlicher Wcise
eingeweiht,

ch Radolfzcll, 14, August, (D e r diesjährige
Z e n t r a l z u ch t v i e h m a r k t) der oberbadischen Zucht-
genossenschaftcn findct hier in der neuen Viehhalle am Montag,
dcn 15, und Dienstag, den 16. Septembcr statt.

Aus Baden. Durch Trinkcn von Salzsäurc vcrgiftcte sich
cine in Mannheim wohnhafte Witwc, Die Frau starb
bereits nach cincr Stundc, Dic Ursache der That ist noch un-
bckannt.

Wom deutschen Kakwirtstag.

Vom 12, bis 14 ds, tagte in Hannover der 10, B u n d c Z-
tag des Bundes deutscher G a st w i r t e, Von den
zahlreichcn Verhandlungsgegenständcn heben sich einige hcr-

trotz der Armseligkeit einen friedvollen Eindruck. Ulla hatte
dic Thränen zurückgedrängt und zwang sich, an anderes zn
denken, Da war ein Bäckerladen, dort war die Post, weiterhin
ein Schneider, ein Schuhladen, endlich auch ein Krämer —-
Schnupftabak, WiHse, eine/ Zitrone, ein paar marinierte
Hüringe und grüne Seife auf einem zerbrochenen Teller —
darüber hängend Band, bunte Tücher. Es war dcr Dorfbazar,
sagte sie sich und mutzte lächeln.

Dann fiel ihr ein, ein Stück Leinenband zu kaufen.

Eine alte, freundliche Frau cmpfing sie zwischen einem
Chaos von Waren, die ohne jeden leisesten Versuch der Ord-
nung haufenweise über- und durcheinander lagen,

Die Olnädige ivünschte Band? Leinenband? Weitzes?
O, sie hatte vorzügliches Band, im Augenblick würde sie es
finden.

Und daüci begann sie zwischen Filzpantoffeln, Butter,
Schwefelfaden, Wollhemden und Zuckerstangen umherzusuchen,
dann vermutete sie das vortreffliche Band hinter grotzen Blech-
kannen voll Shrup und Oel und däbei plaudertc sie in einer
licbenswürdig-gutmütigen Art von eincm neucn Laden, den
ihr Sohn bauen müsse, da das Lokal zu klein wcrde.

Dic Alte hatte so schöne dunkle Augen, und trotz der vielen
Fältchen darin, ein so liebes Gesicht, datz Ulla gar keine
Ungeduld verspürte nnd immer nur die Frau ansäh, die
jetzt erzählte, sie hätten dies Jahr Glück, hätten früh auch
schon Gäste bekommen; der Herr sei gleich auf und davon in
die Berge, die gnädige Fran sei abcr müdc gewesen nnd habe
sich nicdergelegt, nachdem sie das Kind und das Mädchen in
den Garten geschickt, Ein sützes, kleines Mädelchen sei's mit
so grotzen, schwarzen Augen und bald werde anch wohl ein
Brüderchen dazu kommen,

Da vernahm man vom ersten Oberstock herab Schritte, das
leichte Anfschlagen der Absätze verriet schon die Fremde, Und
nun kam diese die Treppe hernnter nnd rief: „Fran Selisch
— sind Sie im Laden?"

„Ei, gcwiß, gnädige Fran, womit kann ich dienen?" ant-

aus, die ins Politische hinüberspielen. Hierher gehört in erst^
Linie der Protest gegen die Verordnung des Bunde
rats oom 23. Januar 1902 betreffend die Ruhezeite''
im Gastwirtsgswerbe, Drese Verordnung wurde als läD
und schädlich bezeichnet, auch für die Angestellten und es wurde
verlangt, daß die betreffenden Bestrmmungen den besorrdere»
Verhältnissen im Gastwirtsgewerbe Rechnung trageir. Ei>^
Resolution fordert, beim Bundesrat vorstellig zu werden, ul>>
die Verordnung einer Revision zu unterziehen, unter gutach^
licher Anhörung einer aus Arbeitgebern und Arbeitnehmerh
zusammengesetzten Kommission, Weiter von Jnteresse war d>e
Diskussion über das sogenannte Militärverbot für Gastwir^
schaften, die wegen ihres sozialdemokratifchen Verkehrs del
Militärbehörde verdächtig sind, Es wurde beschlossen, bei dc§
Reichsbehörden vorstellig zu werden, datz dies Militärverbob
wemr nicht ganz beseitigt, so doch nur an solchcn Tagen ver-
hängt Iverdc, wo in den betreffenden Lokaliräten Versammlun^
gen stattfinden, Auch mit der modernen Anti-AlkoholbewegunA
beschäftigte sich der Bundestag. Einmütig hob man hervon
datz dic Bestrcbungen gegen den Mitzbrauch geistiger Getränke
auch feitcns der Gastwirte durchaus gebilligt werden; nut
gcgen das „Zuviel" wende man sich, Jn erster Linie folll
man gegen die großen Schnapsbrenner vorgehen, welche ost
am meisten gegen den „Mitzbrauch geistiger Getränke" wettcr-
ten, Eine Resolution fordert, „beim Reichstag und Bundes^
tag dafür einzutreten, datz die nrcht unberechtigte Anti-Alkohol-
bewegung nicht Formcn annchme, welche den einwandfrcicN
deutschen Wirtestand mit Existenzvernichtung bedrohen." Zul
Au s b i l d u n g der L e h r l i n g e soll überall der obligato-
rischc Besnch von Fachschulen angestrebt werden; man will aucu
einen Befähigungsnachweis (?) bei Verleihung von Wirü
schaftskonzessionen beantragen, Weiterhin wurden MatznahnrcU
gegen den Flaschenbierhandel erwogen, Der nächste Bnndes-'
tag wird in Mainz abgehalten werden, („Franff, Ztg,")

Kleine Zeitunq.

— Dcr 1500 000. Zahlcndc Bcsncher der Tüssel'
dorfer Ausstellung traf am Sonutag auf der AusstellunA
ein, Sem Billet trug die Nummer L 235 640. TeM
Jnhaber der Karte, der sich bis jetzt noch nicht gemeldet
hat, wird bekanntlich von der Düsseldorfer Weinfirma
Ed, Hauth eine Prämie von 160 Flaschen Moselweill
ausgehändigt werden,

— London, 14. Aug. Wie es heißt, erschien vol
kurzem eine englische D a m e in einer Gesellschast
in einem Prachtvollen Kostüm, das aus dem kaiser'
lichen P a I a st e in Peking stammt, Unglück
licherweise für sie war in der Gesellschaft anch der chine-
sische Botschafter anwesend, und er war nicht nnr selst
erstaunt, sondern konnte kaum seine Entrüsümg und Aust
regung verbergen, eine englische Dame in einem Kostüw
zu sehen, das sonst nur von Angehörigen der kaiserlicheü
Familie in China getragen werden darf. Die Damri
der die Aufregung des chinesischen Botschafters nicht ver-
borgen blieb, verließ die Gesellschaft schnell und hLiiw
lich, es ist aber nicht bekannt geworden, ob fie das KostüM
dem rechtmäßigen Eigentümer wieder zngestellt hat.

— Fürstin nnd Zigcuncrkind. Aus Gedern iü
Oberhessen wird dem „Frkf. G.-A." ein Vorkommni»
vom Mittwoch berichtet, welches, wenn es sich bewahr-
heitet, wie ein Kapitel aus einer romantischen Geschichte
klingt. Es dürfte wohl noch in aller Erinnerung seiw
daß vor wenigen Tagen die in Birstein unter dem Ber-
dacht des Kindesraubs festgesetztc Zigeunerbandc wegett
Mangel an Beweisen entlassen nnd ihr zugleich das br'
treffende Kind wieder ausgeliefert werden mußte. Tie
Kleine, ein lebhaftes Kind von vier Jahren, war wäh-
rcnd der siebenwöchigen Haft großmütig im Birsteiner'
Fürstenhans aufgenommen worden und hatte sich in
dieser Zeit aller Herzen erobert, sodaß sich die Fürsstn
nur schwer entschließen konnte, das K'ind seiner Familie
wieder auszuliefern. Gegcn eine gewisse Abstands-
summe wollten es seine Eltern der Fürstin überlassen-
doch wurde die Forderung wegen ihrer Höhe äbgelehnü
Jnzwischen waren die Zigeuner am Mittwoch Mittag bi-
Gedern gekommen, wo sie, mit ihren Bären tanzend,
die Einwohner ergötzten, während das kleine Mädchen,
an der besseren Kleidung kenntlich, Brot zusammenbet-
teln nmßte. llebcrall wurde das Ktnd halb teilnehmeno
und halb neugierig ansgehorcht und der Alte schlug Ka-
pital aus der ganzen Sache, indem er ihnen die Geschichte
seiner versolgten llnschuld zum Besten gab. Als die
Zigeuner im Weiterfahren begriffen und in einer Wirt-
schaft Rast hielten, wurden sie von einer Birsteiner Egim
page eingeholt, in welcher die Bevollmächtigten der Für-
stin, telegraphisch benachrichtigt, herbeigeeilt waren. M
ging nnnmehr zum Rathaus und nach langem Hin nnd
Her kam ein gegenseitiger Dertrag zu Stande, des
halts, daß das Mädchen der FLrstin überlassen wurde,

wortete die Alte, dlnn schon stand diese in dem grotzcn ge-
wölbten Zimmer, das als Laden und Warenmagazin dienie.

Ulla hatte die Stimme ' schon im ersten Moment seltsarn
bekannt geklungen, aber ehe sie Zeit zum Nachdenken gehabt,
erschien in der offenen Thür erne junge Frau — stutzte, starrtc
Ulla entsetzt an und wankte.

„Hilde, Hilde, du? Urn Gottes Willen — du?"

„Ullal Ulla Burghausen!"

So stammelten sie beide und sahen einander in unbeschreib-
lichem Schrecken an. Dann sprang Ulla hilfreich zu ihr hsv
— Hilde lehnte ganz kraftlos am Thürpfosten — kreidewertz
zeigte sie stumm auf das Wochenblättchen des Dorfes — dst
stand es —: Angekommene Fremde: Frau von Glaichen rnn
Dienerschaft, und darunter Fräulcin Burghausen — il"
Gasthaus zum Bären.

Ulla erriet. Das hatte Hilde noch fragen wollen. Wic
abgezchrt und verändcrt sre aussah, um zehn Jahre gealtert,
trefe, scharfe Züge — viölleicht lag das zum Teil an ihrerN
Zustande — aber, daß ihr Haar von vielen Silberfäden durch-°
zogen wurde-

Mein Gott, sie war nicht viel über fünfundzwanzig —-
waren ja einst Schulgefährtinnen gewesen.

Hilde verstand Ulläs erschrockenen Blick.

„Du siehst mich an, weil ich alt geworden, lcmge vor der'
Zeit! Ach, Ullal Ein Glück, erbaut auf Unrecht und deM
Unglück cmderer — das rst kein Glück — das ist ein TcmtaluS-
elend l Man könnte so glücklich sein! Wir liebten uns ja uiw
lieben uns heute noch inniger, aber in jede frohe Stunde,
jedes Vergesscisihinein fiel uns der Schatten der Anstalt, w
welche man Anna gebracht. Und nun ist es also ivalw-
Sre ist genesen? Wir hörten es schon. Und du brst bei rh>)',
Sage, Ulla, ist es wahr? Gönne mir das eine ersehnte WoR'
Es ist der Wassertropfen in der Qual des ewrgen Feuers,
Ullal Jst sie hier? Und ganz genesen? Ganz? — O, rnew
Gott, welches Glück, welches Glückl"

(Fortsetzung folgt.)
 
Annotationen