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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Juli bis Dezember)

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Nr. 229-255 (01. Oktober 1902 - 31. Oktober 1902)
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Dvittes Blertt.

44. .Mrgnng. — ^ir. 244

Samstag, l^. Oktober 1902.

Erscheint t ä g l i ch, Sonntags ausgenommen. Preis mit Familienblättern monatlich 50 Pfg. in's Haus gebracht, bei öer Expedition und den Zweiganstaltcn abgeholt 40 Pfg. Durch

die Post bezogen vierteljährlich 1.36 Mk. ausschließlich Zustellgebühr.

Anzeigenpreis: 20 Pfg. für die Ispaltige Petitzeile oder deren Raum. Reklamezeile 40 Pfg. Für hiesige Geschäfts- und Privatanzeigen ermäßigt. — Für die Aufnahme von Anzeigen
an bestimmtcn Tagen wird keine Verantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Jnserate auf den Plakattafeln der Heidelb. Zeitung u,w den städt. Anschlagstellen. Fernsprecher 82.

Warum mitzlang der Ausstand in Oenf?

sNachdruck verboren.)

Aus Genf schreibt man uns:

8. Ii. Als die Geufer Arbeiterschaft Aiittwoch, deu
9. Oktober beschloß, die streikenden Tramangestellten
durch einen Generalstreik zu unterstützen, bemächtigte sich
der übrigen Einwohnerschaft grotze Bestürzung. Sie hat-
te den ersten Ausstand der Tramangestellten init Sym-
Pathie begleitet, den zweiten, der imrch Streitigkeiten
übcr die Auslegung der Friedensbedingungen des ersten
entstand, getadelt und war nun einpört, daß eine ver-
hältnismäßig geringfügige Angelegenheit die Stadt Gens
in so unabsehbare Schwierigkeilen bringen sollte.

Einige Beruhigung brachte nun sreilich schpn der
Donnerstag Morgen. Man sah bald ein, daß der Aus-
stand weit entfernt dabon war, allgemein zu sein. Die
Versorgung der Stadt mit Lebensmitteln funktionierte
ganz normal, und, was ebenso wichtig war, die Elektri-
zitäts-, Gas- und Wasserwerke hörten nicht aus, die
Stadt zu bedienen. Es war also klar, daß es sich nicht
um ein wohlorganisiertes, von langer Hand vorbereitetes
Iknternehmen handelte. Tie organisierte Arbeiterschast
hatte sich vielmehr von Elemcnten, denen sie sonst selbst
Mißtraut, iiberrumpeln lassen. Es waren dies einerseits
stnige sozialistische Theoretiker, die gerne einmal mit der
berühmten Waffe des allgemeinen Ausstandes experi-
rnentieren wollten, andererseits sranzösische und italieni-
sche Anarchisten und russische Nihilisten, denen jede stö-
rung des öffentlichen Friedens lieb wnr. Zn dieser
Gruppe gehörte übrigens auch der italienis-chp Schweizer
Bertoni, ein Anarchist, der seinem Vaterlande schon im
Frühjahr den Konflikt mit Jtalien eingebracht hat und
der sich der Persönlichen Freundschaft des Mörders der
Kaiserin Elisabeth rühmt.

Alle diese Leute mochten sich im Grunde von dem
Generalstreik nicht viel für die Arbeiterschast versprochen
Haben, nber der Erfolg blieb noch weit hinter den nied-
rigsten Erwartnngen zurück. Das war in erster Linie
ciuf die kantonale Regierung zurückzusühren. ^-ie hatte
bisher in Streitsällen keine große Energie bewiesen,
Und man wußte von ihr, daß sie nur im Falle der äußer-
sten Not die Jntervention der eidgenössischen Zentralge-
ivalt anrufen werde. Aber gerade das Bestreben, ohne
außerkantonale Hilfe auszukommen, verlieh ihr eine
Cnergie, die weder Freund noch Feind erwai-tet hatte.
Sie 'berief sänitli-che dem Kanton zur Verfügung stehen-
den Truppen, ca. 9000 Mann, unter die Wasfen und
kargte nicht mit dem Austeilen von scharfer Munition.
Sie hat freilich mit der Beschränkung auf die eigenen
Dkittel ein kühnes Spiel gespielt. Alle Erfolge der
kleinen Truppenzahl in der weit gebauten Großstadt
(1900: 105 000 Einwohner) hingen vom richtigen
Funktionieren dor Telephonverbindungen ab. Da es
ben Ruhestörern nicht gelang, diese zu unterbrechen, wa-
^en die Truppen immer rasch zur Stelle und die Rcgie-
rung hatte ihre Kühnheit nicht zu bereuen. Sie tagte
diährend der ganzen Zeit des Ausstandes in Permanenz
Und ihr sozialistisches Mitglied Thieband — ein Genfer
Vkillerand — war zur Nusrcchterhaltung der Ordnung
^icht weniger ents-chlossen, als seine beiden liberal-konser-
bativen und seine vi-er radikalen Kollegen.

Keidelöerger ^laudereien.

?? Heidelberg, 18. Oktober.

, Nculich 'hat man mit Befriedigung vernommcn, datz unserc
^tadthalle auch im inneren Ilusbau grotze Fortschritte gemacht
M uud schon weit gediehen ist; ebenso, datz die Anordnnng der
.säume als durchweg praktisch und bequem befundcn worden
(Ü- Wir werden also eine hübsche und gediegene Festhalle bc-
wmmen. Das ist sehr schön; doch damit allcin ist cs nicht
A-than, die Hauptsache ist viclmehr, datz der Bau bei der
L^idelberger Bürgerschaft populär wird. Vom jctzigen
^aalbau kann man nicht sagcn, dah cr dies sei. Er spicll in
?c>n Lcbcn der Heidelbcrgcr nicht dic Rollc, die ihm zukommt.
Zc-ffentlich wird es bei der neuen StadthallL besser. Weseni-
Fü wird dics davon abhängen, ob, wie viel und welchc Unter-
^stllung -dem Publikum darin gebotcn wird. Gleich> der nächstjäh-
Wintcr dürfte darüber cntschcidcn, ob sie vom Schicksal be-
wniiut ift, ein Prunkstück zu sein, oder zu einem den Heidelber-
q unentbchrlichen Möbel zu werdcn. Direkt rentiercn tvird
sich wohl auf keinen Fall; abcr cs ist wie bei der Eisenbahn:
nje iudirektcn Vorteile, dic sie bringt, bezw. bringcn kann,
nd wichtiger nnd größer, als dic direkten.
x: Viclleicht bekommcn wir in die ncue Halle auch einmal
Fraucnkongretz. Das wäre interessantl Wcr die Ver-
fvs üu>gen des diesjährigcn Kongrcsses in Wicsbaden ver-
-„^t hat, der mutz — wenn er cs noch nicht gethan hat —
^IEbcn, datz eine neue Zcit angcbrochen ist. Wie bestimmt,
L si wutig und' bei allcr Delikatessc wie d-eutlich haben diese
^ s»ieu ge-sprochenl Ein machtvolles Streben geht durch ihre
scini 3iel kF äutzere und innere Selbständ-igkeit. Früher

«d? ^wi iriohl: Wer nicht crtrinken will, der möge nicht an das
ertx- ^ ^ das Wasser gehen. Jctzt aber heitzt es: Wer nicht
P.Zvlcn will, der gehe ins Wasscr und lerne schwimmen.
yh" w machen es nun die Fraucn; sie wollen alles lernen,
ivissen, alles kennen, um im Strudel des Lebcns, dcr auch

große Hossmmgen auf Meuterei des Militärs gemacht.
Gefürchtet wareu eigeutlich uur die 50 Kavalleristen,
reiche Bauerusöhue und Städter. Aber die Jnsanterie,
die sich aus deiu Arbeiter- und Haudwerkerstande rekru-
tiert und von eiuer Stun'de- zur anderen mobilisiert
morden war, hielt sich ebeusalls gauz vortresslich. Auch
den uusicheren Elementen uuter ihr raubteu Pfkaster-
steine uud Nachttöpfe, mit denen sie von den Demon-
stranten begrüßt wurden, sosort jede Synipathie für deu
Ausstand. Die Offiziere hatten schließlich Mühe, ihre
Maunschaft vor allziis-charfem Draufgchen zurückzuhal-
t-en. Jm Tattschritt wurde in dem Steinhagel marschicrt
mtd die nötige Arbeit mit dem Gewchrkolben verrichtet.
Es war ein gntes Zeichen von innerer Disziptin dieser
Milizen, daß, trotzdem etwa 60 Soldaten verletzt wur-
den, von den ca. 20 000 verteitten scharsen Patronen
keine einzige verschossen wurde. Besonders nützlich m-ach-
ten sich die ea. 100 auf Fahrräder gesetzten Jnfanteristen.
Jhrer zwöls gelang es einmal im richtigen Moment einen
Temonstrantenzug aufzuhalten, wobei allerdings einem
Soldaten das Rad in die Rhone geworsen wurde.

Was nmi die Unternehmungen der Streikenden be-
trifst, so waren diese zuweilen sehr heftig, aber immer
unzweckmäßig. Von gut geleiteten Versuchen, die Stadt
dnrch Unterbrechnng der Telephon- und Telegraphen-
drähte, der elektrischen Leitnngen, der Gas- nnd Wasser-
zufuhr usw. zu terrorisieren, spürte man nichts. Die
Ausständis-ch!en hofften, diese Dinge würden sich ohne
Anwendnng von Gewalt durch Arbeitseinstellung des
Personals von selbst ergeben. Aber die betresfenden Ar-
beiter ließen sich dnrch den Hinweis aus das Ungtück,
das sie über die Kranken in den Spitälern, dic Gefan-
genen nsw. bringen könnten, von der Teitnahme ani
Ansstand abhalten. Alle ernsthaften Gewaltthütigkeiten
der Ansständischen richteten sich thörichterweise immer und
immer wieder gegen das Tramdepot und konnten vom
Militär znrückgewiesen werden.

Die verwegensten Elemente, von denen am ehesten
Propaganda dcr Dhat in größereni Maßstabe zu erwar-
ten war, waren meistens Frenide nnd konnten deshatb
in Masse ausgewiesen, bezw. in frenndnachbarlichck'
Weise der an der Grenze ihrer harrenden Polizei ihrer
Heimatsstaaten anvertraut werden. Das Streikkomitee
wurde, nachdem es das Maß der Ausreizungen vollge-
macht hatte, beim Mittagessm überrascht nnd verhaftet.

Dies waren die äußern Ursachen der Niederlage, mit
der der Ausstand endete. Die innere Hanptursache aber
war, daß er überhanpt nie zum wirklichen Generalstreik
geworden war. Diejenigen Gewerbe, von denen in er-
ster Linie das Wohtbefinden der Bevölkerung abhängt,
d. h. hanptsächli-ch diejenigen, die den Votksmagen ver-
sorgen, sind in den Schweizer Städten noch viel zu we-
nig in Großbetrieb übergegangen, als daß ein allge-
meiner Ansstand sie lahm legen könnte. Solange in einer
Stadt noch Tansende von kleinen selbständigen Existenzen
vorhanden sind, die ohne oder mit wenig fremden Perso-
nal arbeiten t'önnen, ist eine Bedötkernng den Organi-
satoren eines Generatstreikes noch nicht ans Messer ge-
liefert, und, solange sie nicht hnngern nmß, wird sie auch
aus eine schwache Regierung keinen Drnck im Sinne der
Fordermigen der Uusständischen ausüben.

sie ersatzt hat, nicht nnterzugehen. Wer hätte das Herz, sie
dieserhalb zu tadelnl Wer könnte ihnen zusehen, ohne ihnen
ein crmunterndes Bravo zuzurufenl

Man sagt, datz Amcrika die schönsten Frmlcn besitzt. Leutc,
die dort warcn, bestätigen dies; mancher Rciseschriftsteller ent-
wirft ganz enthnsiastische Schilderungen bon ihnen. Auch in
Europa hat man -da nnd dort Gelegenheit, Amerikcmerinnen zn
bewnndern. So erschienen vor K-urzem i^ cincr grötzeren Stadt
amRhein zwei amerikanischeSchwestern aus dem mittlerenBür-
gcrstande, und die Folge war, datz allc ihre dcutschen Mrt-
schwestern-verdunkelt crscheincn. Woher kommt Solches? O'hne
Zweifel daher, datz die Amerikanerinnen i» Freiheit und Selb-
ständigeit anfwachsen: dadurch werdcn sie von inncn heraus
scbön; denn schlietzlich ist der Körper doch nur die äutzere Er-
scheinung des inneren Jch. Ja, das Kapitcl von dcr Freiheit
des Christcnmenschen ist ein sehr bedeutsamcs und inhalts-
reiches.

Auch an Männern kann man sehen, wic günstig Freihest
und Selbständigkeit auf ihre äutzere Erschcinung wirken. Eii,
Bcispiel dafür bieten die Buren. Man glaubt es mit Lcmd-
edelleuten zu thun zu haben, sagt ein Berichterstatter, der in
Südafrika gewescn ist, von ihn-en. Und auch diejenigen, die
nach Europa gekommcn sind, imponieren durch krastbolles Aus-
sehen, Geschlossen'heit ihrcs Wesens und inncre Würdc. Wie
sichcr sie sich sclbst in ungewohnten Situationen zu benehmen
w-issen, das habcn die 'drei Burengenerccke, die zur Zeit in
Deutschland weilen, in England, wie in Holland und in Frank-
reich gezeigt. Das Ntitzverständnis hinsichtlich- der Audienz in
Bcrlin kommt in dieser Beziehung nicht in Bctracht.

Auf Deutschland lassen sich nun ja weder die amerikanischett
Verhältnisse, noch die der Burenländer übertragen, denn jedes
Volk mutz die Gc'schichtc seiner Vorfahren fortsetzen nnd kann
sich von dersclben nur allmählich entferncn. Nber es ist doch
nicht von ungefähr, datz anch bei uns das Wort bon der Per-
sönlichkeit in der Gegenwart größte Gcltimg crlangt hat.
Ter Einzelne bei uns ist zwar nicht frci imd nnabhängig, wie

Deutfches Neich.

— Gegen das Verbot der V e r w e n d u n g vv n
B o r s ä u r e und rhrer Lalze znr FtÄschkonserviernng
haben nenn hervorragende chenüsche Fabriken in Berlin,
Kasset, Grünan, Hamburg nnd Leipzig eine Eingabe an
den Reichstag gerichtet, in der sie als ihre Ueberzengnng
aiissprechen, daß Borpräparate „nicht geeignet seien, eine
niinderwertige Bes-chasfenheit vo» Fleischwaren zn ver-
decken, d. h. bereits der Verderbnis anheimgesallenes
Fleisch scheinbar wieder vollwerstg nnd geimßsähig zu
machen".

Badeu.

— Die ZähInng d e r Arbeit s losen in
der Stadt K arIs r n h e, welche auf Veranlassung des
Gewerkschaftskartells dnrch Nuflegung von Zählnngs-
listen in der Zeit voni 2. bis 6. Oktober d. I. vorge-
nommen wurde, ergab folgendes Resultat: Jn die Listen
waren eingezeichnet 69 Personen, wovon jedoch 11 we-
gen nngenaner Angaben gestrichen werden mntzten. Es
verbtieben danach 58 ArbeitsIose männlichen Ge-
schtechts. Davon waren im Alter von nnter 20 Jahren
'4, 20—25 Jahre 17, 25—30 Jnhre 11, 30—40 Jahre
10, 40—50 Jahre 10, 60—60 Jahre 2, über 60 Jahre
4. Fn Kartsruhe ansässig sind von den 58 Arbeitslosen
61 seit über 2, 7 seit weniger als zwei Jahren. Der
Familienstaiid wurde wie folgt festgestellt: 31 Arbeits-
lose sind ledig, 24 verheiratet und 3 sind Witwer. Or-
ganisiert sind 26, nnorganisiert 32 Arbeitslose. Die
68 in die Zählungslisten eingezcichneten Arbeitslosen
verteilen sich auf solgende Bernfe: Buchdriicker 18, Man-
rer 9, nngeiernte^lrbeiter 6, Schlosser 4, Bäcker 2, Ma-
ler 2, Gipser 2, Schmiede 2, S-chreiner 2, Kanfleiite 1,
Former 1, Steindrncker 1, Bnch'bindeir 1, Steinschteifer
1, Zigarrenmacher 1, Asphattenre 1, Dreher 1, Schnei-
der l, Emaillehrenner 1. Die Daner der Arbeitslosigkeit
beträgt bei 25 Arbeitstosen bis zn 1 Woche, bei 18 eine
Woche bis zu einem Monat und bei 16 Nrbeitslosen
über einen Monat. Der „Volkssr." bemerkt zn diesem
Ergebnis: Jmmerhin darf man sägen, daß die Befiirch-
tnngen, die man bezüglich der Lage des Arbeitsmarktes
am hiesigen Platze hegte, bis jetzt nicht emgetroffen
sind. Die Zisfern der hiesigen Krankenkassen tassen so-
gar eine kleine Bessernng crkennen.

— Ter Konstanzer nltramontane „Männerverein"
hat den ersten Staatsauwalt Herrn Junghanns
mit einer Mißtranensresolntion begrüßt. So weit Poti-
tik getrieben wird, ist das sein Recht, wenn er aber die
Besorgnis andeutet, daß H-err Jimghanns ats Staats-
anwalt an Vertranen einbüßen müsse, so ist das eine im-
gebörige Unterstellung nnd nmß entschieden znrückge-
wiesen werden.

Kar t s r u h e, 16. -Oktober. Wegen Fortdauer der
Seiichengesahr hat das Ministerium des Jnnern das
Verbot des Vertanfs von Geslügel i m
Umherziehe n bis l. April 1903 verlängert.

Bayern.

W ürzb u r g, 17. Ottober. Wie jetzt bestimmt
vcrlantet, wird der Sitz des 2. b aye r. Armeekorps
a-b l. Oktober 1903 von hier nach L a n d a u (Psalz)
verlegt.

ein herdcnzüchtendcr Bur odcr eine amerikcrnischc Dame,
äbcr er möchte es sein. Und das ist der Anfang. Umer diesem
Gesichtspimkte gewmnt unsere moderne Sozialpolitik, die dcm
Einzclnen Halt und Sicherhcit zn geben sucht, ihre besondere
Bsdeutung und ebenso der mit ncuer Macht sich regcndc Li-
beralismns, dcr dem Jndibiduum die innere Selbständigkcit
zu gcben, üezw. zu erhaltcn trachtet. Kein Zufall ist es auch,
datz die liberale Jugend fast durchweg sozial dcnkt, nnd -datz
sich schon das Wort Jungliberalismus gebildet hat. Das sind
berhcitzungsvolle Keimel

Unscrcm Heidelbcrg, als eincr Stäite dcr voraussetzimgs--
tosen Wissenschaft, die dcn Mcnschcn erhellt und erhöht, ist in
dcr Gcschichte der Entwicklung des -dcntschen Geistes keinc gc-
ringe Rolle zugefallen. Schon rücken von allcn Seitcn die
jnngcn Leute heran, die aus dem Born unserer Hochschnle
Weishett trinken wollen. Da nnd dort tauch-en schon die bnntcn
Mützen auf und hier und da spielen sich Begrühungsszenen ab,
bci welchen das lächelnde Gcsicht eincs Rosselcnkers oder eines
Dienstmanncs eine wesentlichc Rolle spielt. Auch die Wirte
sind froh, datz die studcnteiilosc Zeit sich -dem Ende zuneigt;
1800 Mägen, 1800 Kchlen, 1800 ,m Anfaug meist wohlgcfüllte
Portcmoimaics kommcn in dcm Leben ciner Stadt von dcr
Grötze Hcidelbergs sehr stark in Vetracht. Der und dort ist das
Schild: „Zimmcr zu vermictenl" schon eingezogen. Noch 14
Tage und die grotze -Einquarticrung Ivird sich vollzogcn habcn.
Das Wintcrsemester kann beginncn.

— Der Herr im Hause. Sic: „Wenn du gcrade Lust
hnttcst, so darfst 'du heutc Abend cinmal ins Wirtshans gehcn."
— Er: „Lust hätt' ich schon — aber ich -gch nichtl" — Sic:
„Warum denn nicht?" — Er: „Jch will auch einmal mcincii
Willcn haben l"

Zum „loben" fchlt uns meist die Zcit,
Znm „tadeln" sind wir stcts bercit.
 
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