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Heidelberger neueste Nachrichten: Heidelberger Anzeiger — 1936 (Juli bis Dezember)

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Sekte 2

Fernsprecher-S.-A. 7351—53. „Heidelberger Neueste Nachnchten' — „Heidelberger Anzeiger'

Erde ist das unzweifelhafte Wissen von der Ew i g-
keit deS Werdens.

Der Bauer kommt aus einer Zeit, die uns Men-
schen eine Ewigkeit ist. Der Bauer war, als der
Mensch wurde. And er hat seit jener ersten Zeit,
Tag um Tag, jahrein, jahraus, durch Iahrhunderte
und Jahrtausende, seine Handschläge an die Erde
gelegt.

Der Bauer ist aus der unendlichen Dergangen-
heit her der Priester der göttlichen, urschöpferischen
Erdkräfte.

Kann es anders sein? Kann der Bauer an-
derem dienen als seiner Erde und ihrem Werden?

Die Wandelgänge des Iahres, der Aufgang
und Medergang der Svnne sind ihm Mah und
Zeit seines Tuns. Er hat Svnne und Mond zu-
erst in Zeichen gebannt, denn er lernte früh die Ge-
heimnisse des sich darin vffenbarenden Lebens ken-
nen. And nichts dünkte ihm göttlicher und höher
als das Tagesgestirn, die Sonne. 2n ihrem Wan-
del durch die Zeiten des Sahres erlebte er Saat
und Ernte, Fruchtbarkeit und Bergehen. 2lus ihrem
mächtiger werdenden Sein erstand das Leben: in
ihrem Berlöschen lag das Bergehen beschlossen.
Die Sonne wurde in ihrer ewigen Wiederkehr dem
bSuerlichen Menschen zur Lebensgebärerin. Er
gab ihr sein herrlichstes, sein höchstes Runenzei-
chen. Er baute jene Steindenkmäler, um den Stand
der Sonne zu ermitteln, um den Tag zu bestim-
men, an dem er die Saat in den Boden legen
konnte.

Die Bauern der nordischen Erde, Lie mühsam
Iahr um Iahr ihrem Boden dienten, sind niemals
gottlos gewesen. Shre Gottverbundenheit
war niemals gröher als zu jener Zeit, da sie den
Bufgang der Sonne erwarteten an jenem Tag, an
dem sie die erste Saat streuen wollten.

Das Gesetz, daran die bäuerlichen Menschen
gebunden sind, ist einzig und allein das Gesetz der
Erüe, ist das Werden und Bergehen, ist die ur-
schöpferische Offenbarung der göttlichen Zeugungs-
kraft der Erde, der auch sie selbst untertan sind im
Leben und Sterben.

Leben und Sterben — wie nahs ist beides im-
merfort um den Dauern.

Das Korn, daS seine Hand hineinlegt in die
frischaufgerissene Erde — dieses Korn, das unter
den Kräften von Sonne und Erde zu leben be-
ginnt, keimt und zag und zart aus der Krume bricht
und sich hinausreckt in den Sonnenschein — dieses
Korn, das Halm wird und in den Blättern ver-
borgen das Geheimnis der 2lehre trägt, die blüht
und Frucht zu tragen beginnt und unter deren Last
der Halm zu sterben beginnt — dieses eine winzige
Korn, das des Bauern Hand sät und erntet und
wieder sät und wieder erntet — das ist voll des
heimlichen Göttlichseins.

And nicht anderS ist es mit allem Werden und
Vergehen nach dem Gesetz der Erde. Mcht anders
mit dem Wald und den Wiesen, nicht anders mit
Len Biehherden.

And zuletzt ist kein gröheres Geheimnis, als
daS um das Kommen und Gehen des bäuerlichen
Menschen selbst.

Die, die da heute über die Aecker gehen, Frucht
zu säen und Früchte zu schneiden, die die Srde auf-
reitzen und sie mit der Egge wieder glätten. diese
bäuerlichen Menschen, denen Gott in den Dingen

ihreS Seins lebt und in ihnen selbst, sie wissen don
dem Kommen und Gehen, von dem Bergangenen
und Künftigen nur eines:

Es waren Bauern, die über die Erde gingen,
und: es werden Bauern sein, die über die Erde
gehen.

Der Bauer, der unbekümmert um das Hin und
Her des StreiteS um das göttliche Sein, sein Tage-
werk tut, ist gottverbunden. Er braucht ja nicht zu

streiten, er braucht keine Worte zu machen, um das
Ewige zu erkennen in allem Geschehen. Denn der
Bauer steht seit allen Geschlechtern nahebei am
Sein des Göttlichen. Seinen Stand schuf die Gött-
lichkeit selbst in ihrem unerforschlichen Walten.
Darum, datz er mit seinem Tun dem Bolk, das
wiederum aus ihm gewvrden, diene.

And Blut und Bolk und Erde — Las ist das
Heiligste, das der Bauer kennt.

heidedauern fahren zum Sückeberg.

Vrm Hans Hermann Wilhelm.

Noch hatte sich der Morgen nicht von seinem kalten,
nebligen Lager aus Heidc und leeren Fsldern erhoben.
Hoch und klar stand der Mond am Himmsl und über-
schüttete sie mit seinem matten Glanz. Die Dächer der
Dörfsr am Rand dcr Heide schimmerten wie helles Sil-
ber. Noch schienen die Vewohner friedlich zu schlasen, doch
da wurde es von der Aller her plöhlich lebendig. Wie
Schatten kamen Männer auf Rädern näher, und von Hof
zu Hof schlosien sich ihnen andere an. Dann ginq es die
ichnurgerade, mondbeschienene Landstraße zum Vahnhof
weiter. Als ihn die lange Kette der RLder surrend er-
reichte, waren sie schon ein kleines Volk.

Auf dem Bahnhof gaben sie in einem allgemeinen
Ansturm die Räder ab und stiegen in den Sonderzug.
Die Vauern betrachteten nachdenklich die Felder, an
denen sie im Leuchten der aroß und golden aufgehenden
Sonne vorüberfuhren. Die schienen ihnen, je mchr sie sich
von der Heimat entfernten, setter und ertragreicher als
ihr karger, sandiger Heideacker.

„Seht doch, solche Klumpen liegen hier auf den Fel-
dern!" meinte siner von ihnen. „Davon achtzig Morgen
haben! Dis sind mehr wert als unsere größten' Höfe."'

„Möchtet ihr hier wohnen?" verwies sie ein alter,
graubärtiger Bauer mit glattrasiertem, klugen Gesicht,
der visl unter ihnen galt. „Ich nicht! Oder nur dann
wenn ich dis Heide auf dem Vuckel hrerher tragen könnte."
Sie stimmten ihm alle zu.

Ie mehr fis fich dem Weserland näherten, um so
zahlreicher wurden die Hakenkreuzfahnsn und Ernte-
kronen in dsn Dorfstraßen, die sis aus dem Zug erblick-
ten. Ihre Gedanken begannen sich immer stärker und aus-
schließlicher mit dem Fest zu beschäftigen. Sie konnten es
kaum noch im Zug ertragen und waren froh, als er
einige Kilometer vor dsm Vückeberg aus sreier Strecke
hielt. Da sie überall Bauern und Väuerinnsn die Ab-
teile vsrlasien sahen, stiegen auch sie aus und sehtsn sich
zuerst querfeldein, dann auf einer von Tausenden von
Menschen gefüllten Straße nach dem Vückeberg in Ve-
wegung.

Ie näher sie ihm kamen, um so dichter wurde das
Gedränge der Menschen. Auf zahllosen Anmarschwegen
zog es in unübersehbarer Mengs von allen Seiten hsran.
Die Heidebauern konnten es si'ch nicht vorstellen, daß so
viele Menschen auf einem Verg, und mochte er noch so
groß sein, Platz haben würdsn. Als sie aber anfingen,
ihn emporzusteigen, wurden sie gewahr, daß sis, die 'sich
wis ein kleines'Volk vorgekommen waren, auf dem ge-
waltigen, sanst abfallenden Rücken des Berges zu einem
winzigen HLuflein wurden und daß er Hunderttausende
und Aberhunderttausende zu faflen vermochte.

Die meisten Menschen drängten so dicht, wie sie nur
konnten, an dis Absperrungsseile in der Mitts heran. um
den Führer aus unmittelbarer Nähe zu sehen.' Viele
lange Stunden mußten sie an derselben Stelle stehen,
kaum hatten sie genug Plah, sich auf die Crde zu sehsn, —
absr das tat ihrer Festesfreude nicht den geringsten Ab-
bruch.

Endlich wurde als kleine mhwarze Punktreihe in der
unendlichsn Cbene die lange Wagenkolonne sichtbar, an
deren Spitze der Führer zum Bückeberq fuhr. Langhal-
lende Asilrufe begleitetsn ssine Ankunst und wurden zu
einem gewaltigen Getöse, als er inmitten dss Volkes
langsam den Verg hinaufstieg. Nein, das waren nicht
mchr die Niedersachsen, denc'n man Schwörfälliqkeit »nd
Leidenschaftslosigkeit vorwirft, — das war ein' Volk in
Aufbruch und Vegeisterung!

Sie wußten, was sie ihm verdankten, deni Retter
Deutschlands! Die Vauern gewiß nicht weniger als
irgendein Stand! Nur wenige Iahre waren es her, daß
sie am Crntsdanktaa nicht sicher waren, ob ihnen die Fel-
der, deren Crnte sie geborgen hatten, noch im nächften
Iahr qehören würden. Verzweiflung, Not, Crbitterung,
Haß, Neid und Grimm hatten von ihren Herzen Besitz
ergriffen. Cin Weltuntergang warf seine düsteren,
drohenden Schatten auf ihr Leben, sie wurden ihres Da-
seins nicht mehr froh. Wenn sie heute jubslten, so hatten
sie Iahre der Freudlosigkeit, der Oede, des Mißmutes
und der Cntbehrung nachzuholen.

Als der Führer das Wort ergriff, ging der schöne
Tag bereits zur Neige. Während er sprach, verschwand
die Abendsonne hinter bunt und glühend emporsteigenden
Wolken, um sich vor dem Antergehen noch einmal wie ein
roter Feuerball zu zeigen. In überirdischer Verklärung
leuchtete der Verg mit den vielen, vielen Fahnen und den
unzähligen stumni lauschcnden Menschen.

Ia, es war, als wußte das Land von dem Wunder,
das unter den Deutschsn geschah, datz ein Volk aus tief-
ster Crniedrigunq stärker dcnn je in seiner Geschichte zu
sich selbst und seinem unzerstörbaren Lsbenswillen zurück-
fand!

Davon sprach der Führer, der dort unten im Flam-
menschein des vergehenden Tages im schlichtsn braunen
Chrenkleid stand, während seine Stimme wie ein Zauber
mächtig Lber den ganzen Verg hallte. Nicht einsr war
unter den tzunderttausenden, den sie nicht bannte und aus
seinem schweren Alltagsleben riß.

Cin heiligss Gelöbnis rang sich aus den Seelen auch
der Heidebauern der kleinen, versteckten und vergesienen
Dörfer an der Aller empor. Wahr sollte wieder werden,
was am Anfang gewesen war und was bis in alle Cwig-
keit von dem B'auern gefordert wurde, wenn er von seiner
Art und Bestimmung nicht abfallen und ins Derderben
gerisien werden wollte.

Zwischsn Crde und Himmel war des Vauern Hei-
niat. Beiden gehörte er, und beide waren ein Teil von
ihm. Niemals durste sr dem Himmel untreu werden, um
dem Geist der Crde zu dienen. Niemals durfte er der
Crds, ihrer Arbeit und ihren Freuden, ihrer Not und
ihrer Crfüllung entsagen, um des Hirnmels tsilhaftig zu
werden. Wie 'es.von Anfang an gewesen war, so sollte es
blsiben, solange die Welt b'estand. daß der Himmel über
ihm, die Crde zu seinen Füßen und er selbst, der Daucr
inmitten, eine unlösliche Cinhsit bildetcn . . .

„Habt ihr ihn gesehen?" fragtcn die Heidebauern ein-
ander, als langsam'der Vann von ihnen fiel und sie ihrcr
Sprache wieder mächtig wurden. „Habt ihr den Führer
gesehen?"

„Ia, gewitz doch! Cr ging drei Schritte von uns vor-
bei!"

„Na, und? Was sagt ihr nun?"

„Das Glück leuchtct ihm nur so aus den Augen. Wenn
einer Dsutschland wieder sroh und frei machen kann, ist
er ss!"

*

Im Abenddunkel marschierten die Heidebausrn inmit-
ten siner gewaltigen Menge nach dcm Vahnhos zurück, von
dem ihr Zug in der Nacht in dis Heimat abging. Ueberall
wqxen am Weq Zslte aufgeschlagen, in denen alt und jung
sich im Tanz drehte. Nu'n war der Augenblick gekommen,
dem Llsbermüt die Zügel schießen zu laffen. Ciner war
untsr ihnen, der die Frauen und Mädchsn, die den gqn-
zen Tag tapser. ausgehalten und sogar noch zum Tanzen

Samstag, 3. Oktober 1936_Nr. 232 ^

Lust und Kraft hatten, mit den lustigsten VerbeugungeN
bcgrüßte und sich bald nach dieser, bald nach jener Seit«
mit so ulkigen Gebärden bewegte, daß alle im Zelt über
sein Eulenspiegelgestcht lachten.

Als sie wieder tni Zug saßen, schliesen manche vor
Müdigkeit sofort ein und müßten sich nach Vecndigung der
Fahrt mit derbcn Püffen wecken laffen. Andere aber sr-
zähltsn immer noch von dem großen Festtag ihres bäuer- <
lichen Lebens. . i

Die Sonne warf ihr herbstliches Strahlenfeuer über die
Heide, als sie in der Frühe ihre Dörfer wider erreichten-

Ernte.

Von Ludwig Väte.

Dis Halme bräunen sich und sinken langsam schräg>
Der Himmel ist ganz dunkelblau wie alter Stahl; das
Licht, das die Sonne schüttelt, funkelt weiß und gleißt;
die schweren ausgerundeten Kronen der Väume liegen
wie dunkls Deich'c dahinter; aller Lärm erlischt in dcr
Glut.

Morgens stehen die Schnitter in ihren schmalen
Kammern früh auf. Sie waschen sich im Hof. Das
kühle, weiche Vrunnenwasier klatscht über die Leibck,
Dann schneiden sie Brot und Speck auf der Diels, die voll
ist von dem Dust des jung geborgenen Heus. klnd nun
pfeifsn die Senscn in das taünasie Korn. Keiner spriäst
ein Wort; der Tag kommt höher herauf; die Sonnc
brennt. Wer Zeit hat, läuft zu den Kannen mit kaltew
Kaffce. Die Alten tun das nicht; man schwitzt doch alles
wisder weg. Vesier ist schon ein Zug aus der kurzen
Pfeife, noch besicr ein Knuben Priem, frisch von der
schwarzen Rolle abgeschnitten. Man setzt sich auch wohl
cinen Augenblick hin.

Mücken stechen; die schwarzblauen Vremsen brum-
men. Man schimpft in einer Stunde mehr als sonst in der
Woche. Aber dasür sind auch die höchsten Tage des Iah-
res angebrochen.

Wenn die Mädchen das Frühstück bringen, ist schon
ein gutes Stück geschnitten; wenn es vom Dorf her Mit-
taq läutet, ist dis halbe Tagesarbeit getan. Die großen
Bohnen schmecksn; wohler noch tut der Schlaf unter den
gclben, beweglich lastendsn Tellern des Holunders, in der
slirrenden, schillernden Stille, die nichts stört als das
scngende Sirren der Zikadsn. Nichts rührt sich, nur oben
fteüern die großen srhabenen Sommerwolksn, und manck-
mal kläfft irgendwo ein Hund. Der junge Vauer reibt
sich die Augen; wenn die Crnte weiter gut einschlägt,
kann man im Herbst heiratsn. Schön ist das und wohl
auch schwer. Denn bald sind es zwanzig Iahrs her, daß
der Vater an der Somme siel. Cr hat ihn nicht mehr ge-
kannt; aber die Muttcr, die doch noch so sung ist, weint
viel um diess Zeit. Er weiß das von Kind auf und
schaut versonnen in das rote Vlut eincs stehsngebliebenen
Mohns. Nachmittags geht die Arbeit langsamer; dic
Arme lahmen, die Glut' glast. Im Wsften fchisben sich
auch schon einige rotgelb angeglühte Gewitterköpse zu-
sammen, gegen Abend kann ss wohl noch etwas geben!
tzoffentlich 'keinen langen Reqen; man kann den jetzt
schlecht gebrauchen, weün ihn der Garten auch wohl nötia
hättc. stnd dann kommt dcr Abend. Cin aufgescheuchtcr
Iunghafe sucht vergeblich seine alts Ackerfurche; das
Wachtelnest hat man sorglich gsschont und sine Handbreit
Gstreids stehen lasien. Es wäre schade drum gewesen!
Cine Garbe läht man dann später sowieso unangetastct:
dc Lsßte, die Lchtc, Wodans Korn.

Nack dem Abendbrot sieht man noch eine Weilc vor
der tzaustür, der Iungknccht probiert seine zu Iohann'
crworbene Handharmonika und legt sie dann neben sich
auf die Bank, da ihn keiner zum Spielen ermuntert. Das
Gewitter hat sich vcrzogen; aus dem kleincn Vlumenqar-
ten strömen die Düstc der Nachtviolsn; die Flcdermäuse
taumeln, Schwalben schießen schief über die blaue Buchs-
baumheckc, das Gras wird schon wieder feucht. Aus dem
Wald tritt ein Reh. Ganz lcise, ganz zart sctzt cs seinc
kleincn vorsichtigen Schrittc. Kciner sagt etwas: das ist
alles so feierlich, so edel. Ietzt hebt es den Kops, mitten
binsin in das fließende Mondlicht. Kam ein Geist aus
bem Wald, der leise zu sckaucrn anhebt? Allcs ist still,
sebr still. Vis dann der Aelteste die Pseisc an seincm
Holzschuh ausklopft.

Die Kammern warten. stnd es wartet traumloser
Schlaf in dem ruhigcn, erzencn Gang dsr Tage. in dcncn
das Iahr sinkt und sich zudcckt mit Fülle und Frucht.

2lur die Frösche auarren, und manchmal mahlt aut
der Diele sin Rind. Aber der Iasmin duftet und sänat
in weißcn Kclchen den weißeren Mondglast ein.

Der Dank -es Dauern.

Skizze von Karl Langhans.

Humor -es öauer^

Von Heinz Heil, Düffeldorf.

Der alte Bauer ging über dsn Acker. Sein Gang
tvar schwer, aber noch schwerer die Last, die er heute
im Jnnern trug. Er war aufs Feld hinausgegangen,
um allein zu sein. Allein mit feinen Gedanken und mit
seinem Sohn.

Langsam sank die Sonne, sein Auge wanderte mit
ihr, weit nach Westen — dort irgendwo lag sein Karl.
Ssin einziger Sohn, der ihm Stütze aus seine alten
Tage weröen sollte. Alle Hoffnungen hatte er auf ihn
gesetzt. Nun ruhte er in fremder Erde. Heute vor
zwanzig Jahren fiel er in Frankreich, mid niemand
kannte oas Grab.

Als damals sein Junge in den Krieg zog, wußte
der Bauer, daß der nicht mehr heimkommen werde.
Gleich die ersten Kugeln galten dem Karl und warfen
ihn auf Wochen ins Lazarett. Den ersten Winter stand
er wieber draußen. Eine kalte Nacht, die Erde ge-
froren, und wieder traf ihn eine Kugel. Hilflos laz
er da, langsam erstarrten feine Glieder, über ihm ein
sternenklarer Himmel, und er wußte, er würde den Tag
nicht mehr sehen. Schon gab er sich dresem Schicksal
hin, da hörte er eine schwache Stimme neben sich:
„Bruder, ich sterbe... mich friert nimmer. Nimm
meinen Mantel!" Dann noch ein tieses Atmen, und
es war stille. Karl traute seinen Ohren nicht, er griff
neben sich, und da lag sein toter, unbekannter Kamerad.
Karl nahm dessen Mantel und deckte sich damit zu.
Langsam fühlte er wieder Wärme in seinen Gliedern
und schlief ein. Als er erwachtc, lag er in eincm La-
zarett. Da gedachte er dankbar des toten Kamera-
ben. — Ties hatte dem Bauer der Karl geschrieben,
und Dankesschuld an einen Unbekannten erfüllte
auch ihn.

1916 fiel Karl.

Der Vater schritt gerade hinter dem Pslug und
zog tiefe Furchen in die frühlingswarme Erde: neben
ihm ging der kleine Peter, seines Bruders Sohn, als
ihm der Ortsschulze diese Kunde überbrachte. Der
Bauer sagte kein Wort, legte nur seine Hand auf des
Knaben Haupt und verweilte in Schweigcn. —

Die Jahre vergingen, er wurde alt und einsam.
Peter nur blieb bei ihm und sollte, so es diesmal der
Himmel gnädiger meinte, den Hof bekommen.

Dies alles bebachte der alte Bauer. Die Sonne
war längst gesunken, der Abend dunkelte, als er den
Acker verließ, um heimzugehen.

„Grüß Gott, zum Abend, Rupprecht!" hörte er
eine Stimme neben sich. Der Ortsschulze stand vor
ihm. „Grad recht, daß ich dich treffe. ich wollte zu dir.
Nämlich, es geht die Bitte an uns Bauern, wir möch-
ten uns zusammentun und sür jeden Morgen Lanb-
besitz eincn Quadratmeter Flachs anbauen, als Ge-
ßchenk an die Wehrmacht. Soll der Dank von uns
Bauern an den Führer sein."

„Mir ist es recht", antwortete trocken der alte
Bauer. „Soviel kann schon ein jeder tun", und ging
seines Weges weiter.

Jm Hof trat ibm Peter entgegen, strablenden Ge-
sichtes: „Tauglich! Jm Herbst werde ich Soldat!" —
Rupprccht hatte ganz vergessen, daß sein Pflegesohn
beute bei der Musterung war — und nun hörte er das
Ergebnis

„So ist's recht, mein Junge!" Er schüttelte ihm
kräftig die Hand. „Habe wieber einen Soldaten!"
Mebr sprach er nicht und ging auf seine Stube.

Die Bäuerin ließ ibn gewähren, denn sie wußte.
jeht wollte der Bauer allein sein.

Als alle dann zur Ruhe gingen und es still im
Haus wurde, stand Rupprecht von seinem Sinnier-
platz aui, zündete das Talalicht an nnd scbritt zur alten
Truhe, daraus er ein Bündelchen hervorholte und auf

den Tisch stellte. Sodann legte er beide Hände daraus
und lauschte vor sich hin — wie in die Ewigkeit. Um
danach bas Tüchlein darum sorgfältig auszujchlagen —
und vor ihm lagen die Feldpostbriese seines Karl.
Einen nach dem andern nahm er in die zitternde
Hand, las ihn, und Karl lebte wieder. Er schrieb von
jener kalten Winternacht, seiner Verwundung und von
üem noch vor dem Sterben um ihn besorglen Kamera-
den. — „Vater, könnte ich ihm danken! Aber ich werde
nie seinen Namen erfahren..."

Da entsann sich der Alte des Gespräches mit dem
Ortsbauernführer. Und er wußte, daß «r zugleich mit
dem Dank an den Führer auch den andern Dank ab-
tragen könne. —

Äm andern Morgen ging er mit Peter aufs Feld
hinaus. Schritt Acker um Acker ab, gab Anordnungen
zur Saat, um dann zu einem Acker abseits des Weges
zu schreiten, zu einem besonders kräftigen Boden.

„Hier, Peter, will ich dieses Jahr Flachs anbauen
und den Herrn um den Segen bitten."-

Und der Herr segnete dieses Feld, und der Flachs
wuchs, daß es eine Pracht war. Rupprecht ging oft
aufs Feld hinaus. Kein Acker war ihm so lieb wie
dieser. Als dann die Gelbreife gekommen, ging er er-
wartungsfroh mit dem Gesinde hinaus, um das
Raufen zu überwachen. Feder Fuhre, die er schwer-
beladen heimsandte, solgte er einige Schritte, um gleich
das Aufladen der nächsten zu leiten. Jede Arbeit:
Das Trocknen, Reffeln, Rösten und die Zubereitung
des Werges und die Fahrt in die Spimierei — alles
war ein heiliges Tun.

Dann harrte er mit Bangen der Stunde, wo er
wieder in die Spinnerei fahren konnte, um das Lei-
nen zu holen Und endlich des Tages, dem Fest des
Bauern gewidmet — dem Erntedank.

Der Tag kam — früh schon war Rupprecht auf
den Beinen und mit ihm das Gesinde — und alle
eifrig beim Schmücken der Pferde und des Wagens.
Feder gab sein bestes.

War das eine Freude, als Rupprecht im Zuge
durch den Ort suhr — kein Wagen so schmuck und
schön und so reich beladen! Rupprecht schisn es, als
fäße Karl neben ikm und sie fübren nach Frankreich.
Zum toten Kameraden. Aber da sckwand dies Traum-
gebilde, denn sie fuhren auf die Festwiese ein, und
nicht mehr Karl saß an seiner Seite, sondern Peter,
der sest die Züael der Rosse in den Händen hielt...

Das Leben des Vauern ist qewiß hart, auch heut-
zutage noch. Cin Vauernspruch im Haus eines Crbhof-
hauern im Nassauischen umreißt das Leben des Bauern
so:

Wir Vauern schafsen mit schwcrer Hand,

Wir halten Sturm und Wslter stand.

Wir sehen, wie der Hagel die Halme säüt,

Der Acker wird fchweiqsnd neu bestellt.

Wir schauen nicht weit nach Ost und West,

Wir hängen am Heim, wir hänqen am Nest.

Der Hütte Zauber, des Acksrs Schweiqen
Sie sprechsn zu dem nur, dem beide eiqen.

In all seiner Not, die den Bauern durch Iährhun-
dsrts bedrückte, hat er eine bewundsrnswerte Kraft und
Zähigkeit bewahrt. Cs ist bezeichnsnd, daß in bäuer-
lichsn Sprüchsn das Wort „Verzweiflunq" überhaupt
nicht vorkommt! Der Bauer hat vielmehr seelsnstark die
Schicksalsschläge, wie sie kamen, genommen und getragen;
wenn es ihm einmal zu toll wurds, dann wußts er aber
auch mit eiserner Hand dreizuschlaqen. Mit dem Lebcn
hat er sich ost, eincm Philosophen qleich, auseinander-
gsseht, nicht schöngsistiq odsr gsistreich, sondern mit dsr-
ben, kräftiqen Worten, die ins Schwarze trcffsn. Dabei
hat er es aber auch verstandcn, die Dinqe mit Humor zu
sehsn und zu beleuchten. „Wer sich nicht sclbst zum besten
haben kann, gehört gewiß nicht zu dcn Vesten!"

Der Vauer hat übcrhaupt eine qutc Menschcn-
kenntnis, und er weiß sehr wohl, menschliche Schwä-
chen zu schildern. So saqt er z. B. von cinem schneidiqcn
Kerl: er qeht los wie ein Vock auf die Haferkiste. Vom
vorsichtigcn Leisetretsr heißt es: Cr hat Heu an den
Füßsn. Der allzu bedächtiq Handelnde „qeht drum her-
um" wie sin Vöttcher um die Tonne. Vom Arbcits-
scheuen saqt er: „Cr will schon arbeiten, aber er kann sei-
nsn eiqsncn Schweiß nicht riechen. Der rücksichtslose Gc-
schäftemacher hat bei ihm cin Gewisien, daß man mit
einer Fuhrs Hsu darin umwenden kann.

In humorvolle Vilder weiß der Vauer seine reiche
Lebenserfahrunq zu kleiden! Icdsrmanns Freund ist je-
dermanns Geck, damit weiß er trcffend dic Leute zu be-
zsichnen, die jedem nach dem Munde reden. Cr weiß,
wis hart das Lebsn ist, daß man selbst laufen muß, wenn

man andere jagen will, dajz man srüh säen muß, um srüh
zu mähen; auch bei ihm ist der erste Schlaq eincn Taler
wsrt. Mit bitterer Ironie stellt er aber auch fest, daß
nicht immer das Pferd den Haser bekommt, das ihn ver-
dicnt hat, und daß der eins die Vettcn macht, sich aber
ein andsrer oft darin mausiq macht. Die struppiqsten
Fohlcn werdsn die besten Pserde, erinnert an Goethes
Wort, von dem Most, der stch noch so absurd qebiert und
doch noch ein guter Wcin wird. Verschieden muß man
den Msnschen behandeln: mit Schmeichsln und Strcicheln
kann man den stärkstsn Vullen aus die Knie zwinqen, und
das weiß der Bauer auch, daß man einen Csel wohl
zwinqsn kann, ins Waffer zu gehen, aber nicht, daß er
davon säuft. Im Leben soll män wisisn, daß man beim
Necken eines Hundes damit rechnen muß, qebisien zu wer-
den, und daß man, wenn man sich an einem Esel reibt,
Haare von ihm abbekommt. Immer ist es qut, die Anqen
im Leben offen zu halten, sonst „muß män den Veutcl
auftun". Mit Vorsicht sind die zu qenießen, die von
hinten ins Haus kommen: wer von hinten ins Haus
kommt, der hat kein Geld, höchstens so viel, wie der
Frosch Haars! Des Lsbsns Ganq ist hart: so lanqö muß
man kriechen, bis man qehen lernt, aber noch lanqe nicht
wird, wsr nur zum Csel qeboren ist, ein Pferd. und der,
der seine Dienite anhietet, bekommt klcinen Lohn, und
immcr bleibt des Herrn Vefehl des Kncchtss Ganq. Auck
dcr von Haus aus Vefchränkte wird in der qroßen Welt
nicht gescheiter: Schicke das Kalb nach Paris, kommt es
wieder zurück, macht es doch „Muuh". Der wahre Vauer
saot viel lieber: eine alte Karre auf dsm Land ist mir
lieber als das schönste Schiff zur See, womit er seincm
Vodenständiqkeitsgefühl Ausdruck verleiht

Daß ein wackerer Landmann auch das Rscht dar-
aus hat, seinen D u r st zu stillen, ist selbstverständlick.
Der Vauer trinkt abcr durchweq mit Maß und Ziel, er
weiß: Vleibt das Vier in der Kann', bleibt die Weishsit
bsim Mann. Wer das letzte aus dem Bierkruq nimmt,
dcm fällt der Dcckcl auf dic Nase. Sollte die Väuerin
mal räsonieren, dann weiß der Vauer schelmisch zu sa-
qen: alle reden von meincin Trinken, absr keiner von msi-
ncm qroßen Durst. Vicllsicht schickt er dann dsn Kuccht
einen Schoppen holen, denn Trost lieqt auch im Prost!

Auch wenn ihn ein Mißgeschick trifst, weiß er
sich damit humoriq abzusinden: diese Not habe ich mir
selber zuzuschreiben, saqte der Ochse, da fuhr er seincn
eigencn Mist aufs Feld, — womit der Vausr sich selbst
mcint, wenn er an seinsm eiqenen Anqliick schuld war.
Vom Himmel hoch, da komm ich her, saqte Iochcn, als
er bei einem Sturz vom Heuboden noch qlimpslich davon-
kam. oder: des Guten ist das doch zu viel, saqte dcr
Baucrnhannes, als ihm eine Fuhre Mist auf den Lcib
siel. Ist der Kinderseqen allzureich, wciß er sick zu fai-
sen: Gibt Gott Iuiiqeris, gibt er auch Buren nachhcr!

Reichlich ist auch bsi ihm der Stoff zum Thema:
Frauen,Lisbe undChe, Cr findet es kluq, sick
sein Cheweib nicht aus der Ferns zu holen, denn er saqt:
wer sreit Nachbars Kind, weiß, was er find't. Immer-
hin muß man klug sein bci der Wahl der Gcfährtin: mit
Pferden, die aus dsr Schwemme, und Frauen, die aus
der Kirche kommen, kann man lsicht betroqen wcrden:
Linnen und Frauleut' soll man nicht bei künstlichem Licht
kaufen. Auch bei ihm sind die „Geschmäcker" verschieden:
der eine will die Tochter, der andere die Mutter. Uebcr
eine verschwenderischs Frau weiß der Vauer zu sagen, sie
könne mehr mit der Schürze aus dem Haus traqen, als
der Mann im Crntewaqen hereinfährt. Daß man au!
junge MLdchen auspasien muß, hat schon Mozart emp-
sohlen (einsperren ist ja qeradc nicht nötig!) der Vauer
drückt das ähnlich aus, wenn er saqt: qutc Mädchen und
gute Gänse kommen bei Zeiten nach Haus.

Ernteöank.

Von Will Vesper.

Als fich der Vauer mühte,

Herrgott, durch Deine Güte
Gabst Du den Segen drein.

Du sengtest nicht mit Hihe,

Du banntest Hagel und Vlitze,
Schenktest den Feldern ihr Gedeih'n.

Hab' Dank, dafi Du gegeben
Im Vrot uns nsues Leben;

Halt weiter uns in Hut.

Wehr ab von uns'rem Lande
All' Not und Zeitenschande,
Bewahre rein uns Feld und Vlut

Von Seuchen und von Plagen.

Durch Zittern und Verzagen,

Durch Feindesmacht und List
Laß uns nie überwinden!

Und laß uns immer finden,

Daß du des deutschen Landes gütiger Vater bist.
 
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