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Heidelberger neueste Nachrichten: Heidelberger Anzeiger — 1936 (Juli bis Dezember)

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Keidelberger

Reuesle Nachrickten

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' Schriftstücke wird keine Gewähr geleistet.

Nr. 301

Druck und Verlag von Friedrich Schulze in Heidelberg.

Schristleitunq: Hauvtstraße 23 Fernsprecher-S.-A. 7351—53.

Donnerstag, 24. Dezember

Hauptgeschästsstelle Hauptstraße 23, Fernsprecher-S.-A. 7351—53.
Zweigstelle: Saspelgaffe 1.

1936


Lr'Ns vori ÄL«r?kri»

Vieles ist der öeutschen Seele auf ihrem langen
als Erinnerung zugefallen und zur Sehn--
geworden. Das alles nimmt im deutschen
^^ihnachtsfest dichterische Gestalt an. Wie
einem großen Künstler, der sein Tiefstes in
ichonen ergreifenden Bildern und Gleichnissen aus-
^udrücken versteht, geformt und gebildet. tritt, was
^nst zutiefst in der Seele des deutschen Volkes ver-
^rgen liegt, zu Weihnachten sichtbar zutage.

Was alles zur Weihnacht gehört, ist ebensv
I^hr Gleichnis, wie es beseligend wirklich unsere
Stnben erfüllt: der Baum, der im Zimmer steht,
re Kerzen, die auf seinen Zweigen leuchten, die
ugel, die zwischen seinen Aesten schweben, der
tern, der von seiner Spitze herabglänzt — und
^Nter dem Baum in leibhaftiger Gestalt das Christ-
rnd in der Krippe, seine irdischen Eltern zu seinen
chäirpten. die Hirten, Lie vom Feld, die Könige,
aus dem Morgenland herbeigeeilt kamen, zu
leinen Füßen. 2n ihnen allen werden tiefste Ge-
heiinnisse auf zauberhafte Weise sinnfällige Wirk-
"chkeit.

Aber mit der Menschwerdung Gottes im Kind
>t der sinnbildliche Inhalt der deutschen Weihnacht
"°ch lange nicht erschöpft. Biele ihrer Sinnbilder
^ttstarnnren noch ferneren Zeiten als der, da Chri-
Nus in Dethlehem geboren wurde. Zhre vorläufige
/^tägnng rührt aus jenen dunklen Iahrhunderten
9". da unsere Vorfahren zu den Göttern der Erde
und der Luft beteten, dah sie die Sonne, deren
Ichräge Strahlen um diese Iahreszeit nicht mehr in
^ dichwn Wälder hineinzudringen vermochten,
Un5 ^her hinauf an den Himmelsplan führten.
kbenso weit reicht Ler Raum, aus dem die
tnnbilder ftammen: von den Afern des Euphrats
t" an die norwegischen Fjords: Abend- und Mor-
^trland lieferten den Stoff zu der grohen mhthi-
Ichen Dichtung.

Memandem wird es gclingen, Lie einzelnen
^itlichen und räumlichen Elemente voneinander zu
Efennen, das seltsam Verschlungene voneinander zu
^sen-, weil nämlich alle die mythischen Bilder, die
Itch im Weihnachtsfest vereinigen, wie die verschie-
oensten Motive einer gewaltigen Dichtung durch die
^tgenwillige Persönlichkeit eines begnadeten künst-
^tischen Gestalters zu vvllendeter Einheit zusam-
^tengefügt wurden, in der Seele des deutschen
Dvlkes.

Man hat das Weihnachtsfest ein Fest der
deutschen Familie genannt, und in der Tat
findet es im häuslichen Kreis seine besondere Stätte.
Es ist ja nicht ein Fest der Einsamen, die es noch
einsamer macht, sondern ein Fest der Gemein-

('^suicrt «itoervienii, K.)

samen, die es noch gemeinsamer macht; es for-
dert nicht zu stiller Bersenkung auf, sondern zur
Mitteilungsfreudigkeit, zum Liedersingen und
Schenken. Äber die Gemeinsamkeit ist weit umfas-
sender als die natürliche Verbindung der in einer

FamiNe vereinigten Personen, sie ist die große Ge-
meinsamkeit eines ganzen Volkes in Fühlen,
Denken und Wvllen, die sich in diesem kleineren
Kreis nur besvnders mächtig erweist . . . anders
könnten wir ja auch gar nicht von einem deutschen
Weihnachten reden. Staatliche Grenzen spielen da-
bei gar keine Rolle. Aeberall, wo Deutsche wohnen,
wird Las Fest in gleicher Weise gefeiert. 2luch die
Brüder in fernsten Teilen der Erde versuchen es
auf heimische Art zu gestalten, und wenn sie die
seltsamsten Dinge herholen müssen, das Symbol
ihres liebsten Festes im fremden Land zu ersetzen.
And wenn viele dvrt draußen eine neue Hcimat
fanden und sich einen neuen Lebenskreis schaffen
konnten, am Weihnachtsabend sucht auch die Seele
dieser Deutschen Lie alte Heimat, weil sie das
Land ihrer seligen Iugend ist.

Es heißt oft, daß mancher Deutsche als Eigen-
brötler in seinem Bolk herumlaufe. Das ist das
ganze Iahr über ebenso wahr, wie es zur Weih-
nachtszeit unrichtig ist. Denn es gibt wohl kaum
einen deutschen Menschen, der sich dem geheimnis-
voll halbdunklen Glanz dieses Festes vvllkvmmen
entziehen könnte, vor dem alle Zwietracht schweigt.
Das Geheimnis dieses BorgangeS ist aber nichtS
anderes als das: 2n diesen Stunden der leuchtenden
Kerzen findet jeder die eigenen Sehnsüchte wie-
der, von denen er gleichzeitig fühlt, dah es die aller
anderen deutschen Menschen sind. Alles, was im
deutschen Herzen uneingestanden lebendig ist,
aus Heidentum und Christentum, auS vergangener
Zeit und Gegenwart, aus Kindheit und Alter, liegt
hier shmbolisch verdichtet vvr dem deutschen Herzen
ausgebreitet. Hier haben wir das tiefe GeheimniS
des ganzen Wesens und Lebens des deutschen Men-
schen, eingeformt in heilige Zeichen, sichtbar, hör-
bar, schönste, beglückendste Gegenwärtigkeit ge»
worden.

Kein Fest erfährt so viel Ehrfurcht wie Lieses,
und in Ehrfurcht läht es sich ja auch nur erfahren.
2mmer sind wir vor ihm und seinen seligen Dingen
scheu-andächtige Kinder; trotz vieler bitterer Er-
fahrung voll kindlicher Hoffnung vor seinem alten,
sich stets verjüngenden Sinnbild.

Vvr der Tiese und Schönheit dieses SymbolS
überkommt uns derselbe erkennende Schauer wie vvr
einem uralten heiligen Buch, aus dessen Zeichen sich
das Geheimnis unseres eigenen ewigen Wesens ent-
hüllt.

Crzählung von Iosef Friedrich Perkonig.

ist um den tzof droben auf dem Berg schon im
^ mmer Cinöde; wie nun erst im Winter, wenn die
»reri^" tzöhe ungangbar geworden find. Iene som-
x ^inschicht ist noch leicht zu ertragen, es leuchten
Arnie " Wiesen die winzigen Sonnen, die Sterne der
!chr»i ' es sliegen die Almhähnchen mit leissn Luft-
hcilin ii^er das Dach. Der Schnee, der schon auf Aller-
^elan iiegt und nicht forttauen wird, ehe nicht der wilde
di» der Wandcrvögel über ihm verstummte, macht
Men blind.

knau^^ ist grau und dick, seit sieben Tagen fällt
bre^I^orlich Schnee, die Zäune sind verweht, die VLume
unter der grotzen Last.

im ^ kracht auch das Hausdach droben beim Cinöder
schj I?/oälk, der Vauer selber steht an der Dachluke und

imnes Schnec mit einer Schaufel. Cs ist ein müh

«s

m halb hängt man drautzen ini Gestöber, und

ist "i^chleln dabei Vauer, Väuerin und Tochter ab. Cs
^entlich Männerarbeit, darum schickt der Cinöder
chg^ewer auch immer fort, wenn er sich dem Schnee ge-
Np steht; nur wenn es so arg wird, datz eine Flocke

siez.j ^ anderen hängt, dann ruft er die Weiber. Die
*üten ^Z^Hre des ausgeschundenen Leibes bedeckt er mit
drejL. tzasersäcken; siebzig Iahre sind empfindlicher als

den^.8' Ia, drei'tzig Iayre^sollten an seiner Statt hicr

ichweren, feuchten Schnee schaufeln.
grau?^ drcitzig Iahre aber feiern in cinem grotzen,
Psli, E>aus in der Stadt. Dis groben Hände, die den
VrÄ sührten und die Sense schwangen, müffen jetzt
war ^^Ichläge kleben. Der junge Cinöder, der gewohnt
sieh/ ?om Verg aus Welt unp Himmel zu überfchauen,
eck «von der blauen Frcihert nur ein schmales Vier-
öiel eben Fenster oder Gefängnishof in sich ausnch-
<""aen, und kcinen Lichtstrahl mchr. Die Herren lie-
werd, ruhigcn, fleitzigen Iakob Kadöll, aber deswegen
hab^" die neun Monäte, die Cnde März angesangen
^inöd kürzer. Nichts wird ihm geschenkt sein, dem
ar,gg°^rsohn, einem Burschen in der Wut ein Auge
svrt^I-ochcn hat. Niemals war ein Cinöder vom Hof
tjj^. ^andert, um in die Schande zu gehen. Die Stuben-
Ichllin "ß Üch hiuker dem Sohn, dann die Haustür, lauter
d>ie „ ? öu als zu andercn Malen, und dcr Sohn war
ichaus i orben, nie mchr war die Rede von ihm. Und nun
lelte der alte Cinöder verbiffcn den Schnee vom Dach.
CZ auch der Heilige Abend im Schnee ersticken?

kc„ "'A^.Ichon Mittag, und immer noch ficlen die Flok-
dvn >Wie Gott will! Die Väuerin wischte den Dunst
cheri^" klcinen Fenstern; es war auch dann noch däm-
öer Stube. Als sie dabei durch die Scheibe sah,
ffch k ie sie drautzen im Schnee einen dunklen Fleck, der
Mtz "^ricgte. Doch erst nach einiger Zeit erkannte sie,
ia>n i? ^leh mit ganz verschneitem Pelz war. Häufig
^ie » Winter das hunqriqe Wild zum Hof. Sie hörte,
»btz^I-Mann drautzen im Flur den klumpigen Schnee
jmüe, §ing zu ihm hinaus und sagte:

»Das Reh ist wieder da."

Der Vauer nickte und verlietz das Haus. Cr holte
von der Tenne ein Vündel Heu und legte es in der Nähe
des Stalles in den Schnee ...

Die Bäuerin wunderte flch über den Mann. Cr steht
bis an den Hüften im Schnee und schaut in di« Ttefe
hinab. Die Luft ist immer noch grau und undurchflchtig,
wenn es auch aufgehört hat zu schneien. Cs ist kälter ge-
worden, und ein leiser Wind zieht. Ieder geht stumm mit
seinen heimlichen Gedanken um, und es ist nicht Brauch,
datz die Frau den Mann fragt, datz sich die Mutter der
Tochter anvertraut. Aber es bleibt seltsam, was der
Bauer vollbringt; immer wieder watet er zu dem Ort

von dem man an klaren Tagen weit in das schöne
l hinabsehen kann und wo er heute schon ein Loch im
Schnee ausgetreten hat.

Das Vieh mutz auch am Heiligen Absnd gefüttcrt
werden, und der Handgrrffe sind nicht wenige, wenn auch
in dieser Nacht einstens der Herr Christ geboren wurde.
Si« werden dann später zusammensitzen und beten. Bis
dahin muh alles am Hos geschehen sein. Bauer und
BSuerin haben ihr Tagwerk schon beendet und fitzen in
der finsteren Stube. Der Mann will kein Licht, und dem
Weib ist es recht; im Dunkeln wird überall viel leichter
zu reden sein. Die Tochter kehrt noch den Flur von
Schnee rein.

Als sie die Haustür öffnet, hört sis ganz in der Nähe
ein lautes Gekeuch. Um des Himmels willen! Cin
Mensch kommt durch den furchtbaren Schnee. Mit dem

Brrr üsrllrsfsr? MLsrrrk.

Von Will Vesper.

Am

Himmel.

Heiligen Abend gegcn Mittag bezog sich der
Cin leichter Frost hatte die Crde in der Nacht
etrocknet. Aber nun verhüllte ein goldcner Duft die
Wintersonne. Langsam wurde es finster am hellen Tag.
Llnd mit einem Mal segelte eins einzelne weitze Flocke
behaglich schaukelnd vom Himmel herab, und die Kinder
drückten die Nasen an die Scheibsn und jubelten ihr zu.
Sie blieb nicht lange allein. Nach einer Viertelstunde
war dcr Vodcn wcitz, war die Lust wie ein ausgeschüt-
teltes Federbett. Cs schüttete Schnee, als wolle es die
ganze Welt züschütten. In einer Stunde war die Crde
völlig verwandelt ... Das Haus gegenüber hat schon
eine grotzartige Haube, die Väume im Garten stehen still
und feierlich unter ihrem weihcn, diamantenen Glanz.
Selbst dic Zäune und Stcinpsosten habcn in der wundcr-
barcn Stillc hohe weihe Pelzmützen aufgesetzt. Cin un-
endliches Weitz füllt die Augen. Fsierlich geschmückt ist
die Welt für die Heilige Nacht.

Der Lärm dcr Stratze ist verstummt. Die Schritte
der Kommenden auf dem Hof hört man nicht mehr. Ilnd
plötzlich beginnen die Glocken zu läuten, weil die Christ-
nacht angeht, und viclleicht auch ein wenig, weil der Win-
ter, der König im Hermclin, in die Stadt eingezogcn ist.
Dann ist tiefe Nacht, und nur an den Flocken, die immer
wieder an den Scheiben zsrgehen, sieht man, datz es un-
unterbrochen schneit. Alle Herzen sind aufgeregt und fröh-
lich. Die Cltern haben den heiligen Vaum nun geschmückt
und angezllndet, die Gaben sind verteilt, und in den Kin-
dcraugen spiegelt sich der Kerzenschcin, diefcs heilige
Licht/das aus seligen Kinderaugen in unser aller. Herzen
fortleuchtet und oftmals in unserer Crinnerung aufblitzt
wie heimliches Gold ...

Abermals mahnen indeffen die Glocken. Da die
Mutter bei den Kleinen bleiben mutz, die heute noch
lange nicht ins Vett gehen werden, zieht der Vater allein
seinen Mantel an, nimmt den Stock und tritt.in die Nacht
hinaus. Es hat aufgehört zu schneien. Der Mann atmet

tief die köstliche, rcine Luft ein. Dann strebt er nach dem
Dom hinauf, in die Christmctte, fllr sich und die Seinen
zu beten, und sie mit ernzuschlietzcn in die großs Gemein-
schaft der Gläubigen, die, wunderbar genug, gerade jetzt
mittcn im Winter, in Schnce und Finsternis, die Geburt
des Lichtes und des Heilandes feiert. Ilnd wenn er nach
vcrnommenem heiligen Wort und nach verklungcnem Or-
gelspiel und Gesang aus dcm hohen Domtor tritt, hintcr
sich die hohen, erleuchteten Scheiben, vor sich die srievlich
rns Tal gelagerte Stadt, die goldensn Reihen der kleinen
Fenster, hinter denen die Christbaumlichter leuchten, und
lärmend das Volk der Kinder auf neugeschenkten Trom-
peten bläst, wenn es trommelt, pfeift, singt und jubelt —
dann atmet er tiefer noch und bewußter die Reinheit der
klaren Luft ein, und plötzlich kommt ihn eine ruhige, tiefe
Sicherheit an, wenn er der Seinen nicht nur, wenn er
seines ganzen.Volkes gedenkt, das in dieser Nacht, weit-
hin über die Crde verstreut, in Tausenden solcher Städte
und Städtchen innig und fromm den Heiligen Abend
feiert. Zum Himmel blickend, wo durch die ziehenden
Wolken ein paar Winterfterne leuchten, denkt der Mann:
Gott sei Dank, datz es noch diese kleinen alten Städte
gibt, diese heimlichen, heimatlichen Nester unseres Vol-
kcs. In ihnen wird unser Vestes aufbewahrt und gchor-
gen vor dem rasenden Sturm der Zeit.

Ilnd glücklich wie ein Kind geht er heim durch die
weißen, winterlichen Gaffen. Vor seinem eigenen Haus
bleibt er noch ein Weilchcn stehen. bctrachtet es lächelnd,
wie es daliegt gleich einem Psefferkuchenhaus, dick mit
Zucker bestreut. Mer warm und golden leuchten die
Scheiben, und leise dringt der Gesang der Kinder heraus,
sodaß er, die Hände über den Stock gepreßt, dasteht und
ganz versunken und erschüttert auch zu singen beginnt:

„... !lnd hat ein Vlümlein bracht

Mitten im kalten Winter

Wohl zu der halben Nacht."

mutz der Herrgott selber unterwegs sein; was treibt de»
an, daß er ohne Weg auf den Berg hinauf findet? Sie
muß sich den Mund zuhalten, daß sie nicht schreit; ste hat
den Vruder erkannt, noch ehe er, über und über voll
Schnee, auf die Türschwelle hinfällt. Die Schwester hebt
ihn auf, legt ihre Hand aus seinen Mund, dabei spürt fie
die Näffe in dem Vart, und führt ihn in ihr« Kammer.
Als ste wieder über die Stiege hinuntergeht, nimmt ihr
das Herzklopfen allen Atem. Da hört fi« auch schon be»
Vater rufen.

„Wir werden jetzt beten," sagt er, als fie in die fv»-

stere, warme Stube tritt.

M „Ich bin noch nicht sertig," sagt fie zurück, die eigen«
Stimme ist ihr sremd.

„War nicht jemand drautzen?" ftagt der Vauer.

„Wer soll drautzen gewesen sein in dem Schnee?"

„Ich habe die Haustür gchört."

„Cs war nur der Wind."

find sie vcrläßt schnell und bedrückt die unheimlich
dunkle Stube, wo Vater und Mutter mit dem Christ-
abend allein zurückbleiben.

„Mit dem Reh ist er barmherzig," denkt sich die
Väuerin.

„Wenn fle nur einmal zu reden anheben möchte,"
denkt sich der Baucr.

„Cr ist der Herr im Hause, er hat das erste Wort."

„Sie mutz doch wiffen, datz ich nicht anfangen kann."

„Cr hat cs sich vsrbeten, daß von dem Iakob noch
jemals die Rede ist."

„Sie hat nichts dawider getan, wie mich der Zor»
übcrmannt hat."

Die Väuerin sieht seinen dunklen Schatten vor dem
matten Hintergrund eines Fensters. Wenn nur dis Glok-
ken aus dcm Tal zu hören wären; wenn man nur fremde
Menschcn spürcn würde, die aus dcm Weg zur Christmett«
an dcm Haus vorübergehen müssen. Abcr man lebt ja in
der tiefsten Cinöde. Man kann nichts tun als beten ...

Gegen Mitternacht heitzt der Bauer sein Weib Glut
aus die Rauchpfanne legen. Die ratlose Tochter möchte
verhindcrn, datz dcr Vatcr beim Räuchcrn in ihre Stube
kommt. Sie will ihm die Handlung des Wcihwaffer-
sprengens abnehmen; aber er schiebt sie beiseite.

Cinöder und Cinöderin treten in alle Räume, überall
empfüngt sie die kalte Christnacht. Auf der Stiege sagt
die Mutter leise vor sich hin:

„Chre sei Gott in dcr Höhe!"

Sie räuchcrn in der Kammer der Tochter. Der Vater
spürt scincn schwcren Atcm.

„Und den Menschen ein Wohlgefallsn!" sagt er
cbenso leise wie das Weib.

„Amcn!" antwortet eine Stimme aus dem Dunkel.

Die Rauchpsanne entfällt der Cinöderin. Der Cin-
öder hebt zuerst auch das letzte Stückchen Glut vom Bo-
den aus, dann zieht er den Sohn an das Fenster. Cr sieht
die «affen Augen glänzen und spiegeln: wirklich, der
Himmel übcr ihncn ist besät mit Sternen.

Taten lchren den Menschen, und Taten tröste« ibn
— fort mit den Worten. Pestalozzi.
 
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