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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 11.1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.21394#0047

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LITERATUR

Athen wurde endgültig im Frühjahr 1833 von
den Türken geräumt und gehörte zu jenen
Städten des griechifdien Feftlandes, in denen
[ich noch geraume Zeit nach der Erhebung
Griechenlands zur politifchen Selbftändigkeit
türkifche Befaßungen infolge merkwürdiger Um-
ftände aufhielten. Athen, wie es die Türken
zurückließen, war ein armfeliges Städtchen, beffer
gefagt ein Dorf. Anfchaulich und gefällig hat
die damaligen Zuftände und das innere Leben
Athens der ehemalige Oberkonservator der
Altertümer Griechenlands Ludwig Roß (geb.
1806 in Flolftein, geft. 6. Auguft 1859) in feinen
wohlgelungenen griechifchen Erinnerungen
gefchildert1. Der erfte König von Griechenland,
Otto, aus dem Herrfchergefchlecht der Wittels-
bacher, erhob Athen vom 1. Dezember 1834 zur
Refidenz- und Hauptftadt des jungen König-
reiches. Von da ab nahm diefe Stadt einen
fteten Auffchwung und erhielt einen für orien-
talifche Begriffe unverhältnismäßig ftarken und
rafchen Bevölkerungszuwachs. Betrug ihre Ein-
wohnerzahl 1859 nach einer ziemlich zuver-
läffigen Volkszählung 30590, fo war diefe im
Jahre 1907 nach einer weniger genau durch-
geführten Zählung bereits auf 167479 geftiegen.
Heute beziffert man fie auf mindeftens 250000
Seelen. Die Entwicklung der Stadt fchreitet
kulturell in jeder Hinficht mächtig vorwärts und
man wird kaum fehl gehen, wenn man fie als
die zukunftsreichfte Stadt der ganzen Levante
bezeichnet.
Freilich hat man einen großen Fehlgriff getan,
daß man nach der Erhebung Athens zur Haupt-
ftadt das Ruinenfeld der alten Stadt zur Aus-
dehnung und Wiederbebauung benutzte. Viel
vorteilhafter wäre es gewefen, wenn die fchon
damals von Einheimifchen fowie von Deutfchen
aus der Begleitung König Ottos vertretene Mei-
nung, man folle die wiedererftehende Stadt füd-
lich der Akropolis nach der phalerifchen Küfte
hin anlegen, AnHlang gefunden hätte. Dadurch
hätte [ich Athen nach und nach zu einer Küften-
und Hafenftadt entwickelt und, was auch ein
wichtiger Gefichtspunkt ift, die archäologifchen
Ausgrabungen im Bereiche des antiken Athen
wären technifch leichter ausführbar und finan-
ziell nicht fo koftfpielig gewefen. Aber unter
den gegenwärtigen Umftänden müffen [ich alle
Bebauungspläne für Athen an das fchon Be-

1 Siehe die Zeitfchrift „Deutfdies Mufeum“ (hersg. von
R. Prüfe) 1853 Nr. 23, 26, 28; 1854 Nr. 38, 42; ferner
„Blätter für literarifche Unterhaltung“ 1832 Nr. 358, 359;
1833, Nr. 26, 27, 92, 104-107, 182-184,231-232, und „Mor-
genblatt“ 1836 Nr. 293 ff. Jetzt am bequemften im Buche:
„Erinnerungen und Mitteilungen aus Griechenland von
Ludwig Roß. Mit einem Vorwort von Otto Jahn“
Berlin 1863 S. 25 ff., 131 ff., 265 ff.

ftehende anfchließen. Derartige Pläne hielt die
griechifche Regierung für unbedingt nötig und
[teilte nach Beendigung beider Balkankriege
(1912—1913), die bekanntlich Griechenland um
politifches und finanzielles Anfehen, nicht zum
wenigften durch den erheblichen Landeszuwachs,
bereicherten, au verfchiedene Fachleute die Auf-
gabe, „Vorfdiläge für die Verbefferung und Er-
weiterung der Stadtpläne [von Athen] zu machen“.
Eine Löfung diefer Aufgabe liegt in dem hier
zu befprechenden Werke vor. Es ift nur in
einer geringen Anzahl von Exemplaren ver-
öffentlicht und den Intereffenten unentgeltlich
zugeftellt worden; im Buchhandel ift es nicht
erhältlich.
Wenn man einigen Kunftfinn befißt, Athen
gut kennt und feine Bedürfniffe fchon felbft
empfunden hat, wenn man unter diefen Voraus-
feßungen an Ludwig Hoffmanns „Bebauungs-
pläne“ herantritt, fo kann man mit gutem Ge-
wiffen wiederholen, was fchon über den Meifter
ausgefprochen worden ift: „Er hat die Philo-
fophie der Baukunft erfunden“ und „fein
Stolz ift nicht, Bedürfniffe aufzuweifen,
fondern fie aufs vollkommenfte zu er-
füllen.“ Die Schwierigkeiten, die in der Auf-
gabe lagen, werden gut gelöft, allerdings wären
zur praktifchen Durchführung der Pläne ziemlich
koftfpielige Unternehmungen nötig. Die alte
Kunft, die für Hoffmann Religion ift, fpendet
ihm reichlich Motive zum würdigen Wiederauf-
bau ihrer großartigften Vertreterin, wie es Athen
gewefen ift. Für Pläße mit Monumenten des
Altertums wird befondere Sorge getragen, wo-
bei auch auf die Verkehrsentwicklung und die
praktifchen Bedürfniffe einer modernen Groß-
ftadt gehörige Rückficht genommen wird. Eine
Gräberftraße durch den alten Friedhof zu Kera-
meikos, Alleen um die Akropolis, eine groß-
artige Anlage beim fogen. Thefeustempel, ein
prächtiges Villenviertel am Meer bei Altphaleron
werden in Ausficht geftellt. Für die Höhen in
der Stadt felbft, wie auch für die reizvollen Ge-
birgszüge in der Umgebung weiß der Meifter
Pläne vorzufchlagen, die fein von allen Seiten
anerkanntes Können1 und feinen klaffifdhen
Gefchmack vorzugsweife bezeugen.
L. Hoffmann hat feine „Bebauungspläne für
die Stadt Athen“ [ehr freigebig der griechifchen
Staatsregierung zum Gefchenk gemacht. Das
ift ein lautes Zeugnis für feinen reinen, heute
[ehr feltenen Philhellenismus. Er hat [ich aber
auch fchon früher ein großes Verdienft um das
Griechentum erworben, indem er eine Reihe von

1 Vgl. zulefet Ludwig Hoffmann. Mit Text von
Fritz Stahl. [= XIV. Sonderheft der Berliner Archi-
tekturwelt] Berlin [1914],

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