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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 11.1919

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Heft 21
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Landsberger, Franz: Impressionismus und Expressionismus, 3, die neue Stellung zur Natur
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https://doi.org/10.11588/diglit.21394#0713

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Impreffi onismus und Expreffionismus

Von FRANZ LANDSBERGER
Mit 4 Abbildungen

III. Die neue Stellung zur Natur

(Fortfetjung aus I^eft 20.)
die Freiheit, die fiel) der Expreffionift gegenüber den Erfcl)einungen der Natur
nimmt, heftet fiel) gewöhnlich) der (Hiderfprud) des Befdßauers. Es handelt [ich


*• diesmal nicht nur um den Einwand des braven Bürgersmannes von geftern und
morgen, dem man es mit der Natur niemals recht machen kann: man gibt ihm entweder
zuviel davon oder zu wenig. Er will nicht die dunklen Seiten des Lebens erblicken:
„nur keine Rinnfteinkunft“, und er will [ich auch nicht einen Schritt abfeits vom (Oege
des Catfäd)licl)en locken laffen: „nur keine Phantaftereien“; auch [ollen die Gegenftände
korrekt und deutlich zu [eben [ein, und [o hat er ja auch den Impreffionismus, dem man
heut [eine Naturnähe vorwirft, als naturwidrig verfpottet. (Has für ein kümmerlicher und
marklofer Begriff ift ihm die große Natur, die er [einer eigenen Plattheit angeähmelt hatte.
Von fold)en Betrachtern ift natürlich auch für den Expreffionismus kein Verftändnis
zu erhoffen. Äber es gilt, den (Hiderftand ernfterer Kunftfreunde zu befiegen, die
[ich auf die Natur als auf eine heilige Angelegenheit berufen, deren Gefet>e man nicht un-
geftraft verlebt. Eine Jahrhunderte alte (Tradition fprid)t aus ihnen. Seitdem zu Be-
ginn der Renaiffance L. B. Älberti in feinem Buch von der Malerei das Sehnen feiner
Epoche in die (Horte kleidete: „3weifle niemand, Anfang und Ende diefer Kunft und
fomit jede der Sproffen, die zur Meifterfchaft führen, haben wir der Natur zu ent-
lehnen“, ift diefe Forderung für die Kunft eines halben Jahrtaufends lebendig ge-
blieben. (Hohl gab es innerhalb diefer Periode Strömungen, welche Albertis Sakj ein-
fchränkten, indem fie das bloße Naturftudium als ungenügend erklärten, wie z. B. der
Klaffizismus um die (Hende des 18. zum 19. Jahrhundert, und wir haben Ausfprüche
aus diefen Lagen, die wie eine Betätigung der gegenwärtigen Lage klingen, fo wenn
Goethe in feiner Kritik an Diderots „Verfuch über die Malerei“ einmal ausruft:
„Der Künftler foll nicht fowohl gewiffenfiaft gegen die Natur, er foll gewiffenfiaft
gegen die Kunft fein. Durch die treuefte Nachahmung der Natur entfteht noch kein
Kunftwerk, aber in einem Kunftwerk kann faft alle Natur erlofdßen fein, und es kann
noch immer Lob verdienen.“ Aber gerade, wenn man neben ein [olches (Hort die Praxis
der 3eit fefet, die auch Goethe befriedigt hat, fo erkennt man die tiefe Gebundenheit
an die Natur, der man [ich gar nicht mehr bewußt wurde, weil fie die felbftverftändliche
Baßs geworden war, über die [ich alle Idealifierungen nur um ein (Heniges erhoben.
Und fo [ehr hatte die Forderung nach Naturwahrheit für die darftellenden Künfte
Allgemeingültigkeit erlangt, daß man meinte, zum mindeften das Streben danach für
jede Epoche vorausfe^en zu dürfen, um dann freilich mit Bedauern feftzuftellen, daß
dem guten (Hollen nicht immer ein Erfolg befrieden gewefen fei. Eben mit der ita-
lieni.fchen Renaiffance beginnt auch das große, die Jahrhunderte überdauernde und erft
von unferer 3eit ganz überwundene Mißverftehen der mittelalterlichen Kunft als eines
Verfalls des antiken und einer noch unentwickelten Vorftufe des neuzeitlichen Kunft-
vermögens, weil eine gewiffe Natürlichkeit nicht mehr oder noch nicL)t wieder er-
reicht war. Hnd konnte man nicht in der feit dem Ende des Mittelalters beginnenden
und von Jahrhundert zu Jahrhundert fteigenden Annäherung an die Natur zugleich das
Prinzip des Fortfehritts erblicken, an deffen Spit$e [ich ftolz der Impreffionismus fühlen durfte?
(Henn einmal die Gefchichte des Gefd)macks feit dem Impreffionismus gefd)rieben
fein wird, fo wird darin deutlich die ganz allmähliche Loslöfung von folchen An-

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