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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 11.1919

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Heft 3
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Vorschlag zu einem volkstümlichen Kunstprogramm
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https://doi.org/10.11588/diglit.21394#0070

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Die Zeit und der Markt

Kun ft politik
Maffenkunft oder Volkskunft?
In diefen Lagen der Setmfucht nach fozialer
Verformung zeigen fiel) auch in der Kunft Be-
ftrebungen, die gerne wieder zufaramenj'erließen
möchten, was fo feindlich) auseinanderftrebte.
Klie einft der römifcßeSenator zu dem ausgewan-
derten Volke auf den Hügel hinauszog und ihm
die fd)öne Erzählung von dem Magen und den
Gliedern vortrug, fo naht fid) aud) der Ratten-
fänger den Sezeffionen der modernen Kunft
und möcßte fie ein wenig mit der Magenfrage
ködern. Klas fdiließt ihr euch) fo feindlich) von
uns ab? Haben unfere marktßallenartigenRiefen-
ausftellungen nicht Platj für alle Kinder Gottes,
wozu fie fiel) aud) immer bekennen mögen? Klir
wollen wieder einträd)tiglid) wie Brüder zu-
fammenhaufen, jeder in feinem Saal, und das
Äuge des Befucßers, das fiel) vielleicht nod) eben
an den Schülern Änton von Klemers erfreute,
foll fünf Minuten fpäter Pechftcin oder Kokofd)ka
genießen können.
Ganz fo einfach, meine Fjerren, wie Sie fich
die Sache denken, ift fie nun doch nicht. Er-
ftens einmal find alle diefe Künftler-Sonder-
gruppen dod) nur darum entftanden, weil ihnen
in den alten Gemeinden das Licht und die Luft
nicht gegönnt worden find, ünd fie haben alle
ürfache, gegen die Freundfcpaft mißtrauifd) zu
fein, die ihnen jetjt entgegengebracht wird, wo
fie fie nicht mehr nötig haben, weil fie fid) in-
zwifchen auf eigene Fauft durchfeßten. Sogar
die ganz jungen Künftler find erft von den Se-
zeffionen refüfiert worden, ehe fie dadurch, daß
fie fich auf fich felbft ftellten, zu etwas wurden.
Kampf ift in der Kunft alles. Verformung ift
in der Kunft garnichts. jede neue Strömung
kommt gegen die alte hart auf hart auf. Kein
Erfolg wird gefchenkt, alles Erfolgreiche wehrt
fid). Ift kein Streit ums Hängen der Bilder mehr
möglich, fo wird ein Streit um die Säle mög-
lich fein.
Kleder der Impreffionismus noch der Expreffio-
riismus find von der akademifepen Kunft zur
3eit des Kampfes als gleichberechtigt anerkannt
worden. Innerlid) werden fie es heute noch
nicht, wenn aud) die Entwicklung zu einer an-
deren Stellungnahme zwingt. Es wäre eine
ganz faule Lüge, würde man nebeneinander
ausftellen, als priefe man nur mit verfd)iedenen
3ungen den gleichen Gott. Impreffionismus und

Expreffionismus dürfen, ja müffen heute ihrer-
feits die akademifdße Malerei nicht als ihres-
gleichen anerkennen. Sie fel)en in ihr den Feind,
fie fehen in ihr das, was Deutfd)land durch
Jahrzehnte hinter Frankreich von einer anftän-
digen Kunftentwicklung zurückgehalten hat- Sie
können diefer Kunft keinen Platj neben fid) ein-
räumen, weil es für fie überhaupt keine Kunft
ift, heute fo wenig wie vor einem Vierteljahr-
hundert. Nur die Bewegung, die fid) ihre Energie
und ihren Egoismus wahrt, hat Recht auf Exi-
ftenz und den möglichen Änfpruch, ftilbildend
zu fein.
Ja, es wäre eine fchöne und der Hochachtung
würdige Gefte gewefen, wenn alle die Herren
Äkademieprofefforen, die vor dem Kriege alle
großen und offiziellen Äufträge f druckten, ab-
wehrend die Hände erhoben hätten: „Nein, das
geht wirklich nicht! Es gibt auch eine junge
Kunft, die leben und fid) zeigen will!“ Äber von
folchen Laten und Klorten ift uns eigentlich
nichts bekannt geworden, und das ift auch na-
türlich, denn jeder ehrliche Künftler hält feine
Kunftart für die einzig richtige.
ünd eben aus diefem lebten Grunde ift es
Corheit, fo Verfchiedenes zufammenfperren zu
wollen, fei es auch durch dünne (Hände ge-
trennt, die Lrennung muß weiter fcßarf bleiben,
bis zu dem glücklichen Äugenbiicke, wo es
wieder einmal nur eine einzige Kunft in Deutfd)-
land geben wird an Stelle von lauter Kunst-
richtungen. Eine neue 3ßit bricht an, die
fchon manchen alten Moder weggefd)wemrnt
hat. Mit ihr muß das Volk durch die, die es
vertreten, feinen jungen hoffnungsvollen Künft-
lern die Möglichkeit geben, im großen zu ar-
beiten und fein Dafein durch il)rß Leitungen zu
verfcl)önern. Klir brauchen keine Maffenaus-
ftellungen, fondern wir brauchen Gleichheit des
Gefühls zwifchen Volk und Kunft. Nur aus
diefer Gleichheit des Gefühls kann kämpfender
Kunft die Möglichkeit erblühen, zu fiegreicher
Kunft zu werden. Br.
Vorfdjlag zu einem volkstümlichen
Kunftprogramm
Än alle Freunde der Kunft
Das Beifpiel des Mannheimer „Freien Bundes
zur Einbürgerung der bildenden Kunft“ zeigt
uns den Cüeg zu einer wahren Beteiligung des
ganzen deutfehen Volkes an der Kunft.
Nicht Reform von Akademien oder Lheatern,

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