Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 11.1919

DOI Heft:
Heft 5/6
DOI Artikel:
Kunstpolitik
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.21394#0154

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Zeit und der Markt

Kunftpolitik
Die werdende Kunft und die Cüelt-
wirtfdjaft
Ängcnommen die Datfacße, daß in abfeßbarer
3eit der Prozeß der deutfcßen Revolution jene
demokratifcß-fozialiftifcße Endform erreicht, die
wenigftens zunäcßft der Evolution ein 3iel feßt
und die Grundlage kulturellen Neuaufbaus ge-
währt— angenommen den Fall, daß felbft über
das Chaos hinaus die Vernunft im Geifte der
ÜJeltrevolution eines üages zum Siege kommt —
angenommen, daß in diefem Moment noch ein
arbeitsfähiges deutfcßes Volk die Kraft hat, neu-
verjüngt in den idealen GCIettftreit unter den
Nationen einzutreten, was kann die deutfcße
Kunft vom Weltmarkt erhoffen, welche Mittel
find ißr bereitgeftellt, um im Sinne einer neuen
fozialiftifcßen Völkerethik aufbauend und ver-
föhnend an dem großen ttlerke mitzuwirken?!
Vergeffen wir zunäcßft eines nicht: Die Ver-
achtung, mit der heute die Hielt dem fcßwer-
geprüften deutfcßen Volk begegnet, fie kann
nicht nur nicht von Dauer fein, im Gegenteil,
es kommt einmal der Moment, wo gerechtes
CIrteil angeficßts der Leiftung und des Opfer-
mutes über Fjaß und Chauvinismus triumphiert..
Klo man auch im Irrtum diefes Krieges die
geiftige Spannkraft, die Größe der Idee zur
Selbftaufopferung richtig werten wird, wo man
hinter dem begeifterten Raufcß von 1914 die
fittliche Überzeugung erkennt, die — wenn auch
für falfcße Ideale — dennoch ißr Leites her-
zugeben imftande gewefen ift. Das ift dann
die Peripetie der dramatifcßen Fjandlung, als
die [ich die Epopöe der Revolution darftellt.
ünd diefen Moment gilt es fcßon heute ins Äuge
zu faffen.
Fjier heißt es zu erkennen und realpolitifcß
zu werten: Klie immer auch in dem Äugenblick
unfere wirtfcßaftliche Lage fein mag und die
der Kielt im großen, wir haben in unferer Kunft
ein Inftrument fo reich an Könen und Über-
zeugungskraft, daß es ein Verbrechen an unferem
Volke wäre, würden wir es nicht für unfere
3ukunft nußbar machen. Faßten wir es nicht
an, um mit dem Geifte eines neuen Kulturideals
den fcßöpferifcßen Reichtum diefer jungen Kraft
aucß in die <Helt hinauszutragen. Den (Heg zu
öffnen unferer jungen Kunft mitten hinein in
die heute noch von Fjaß zerfleifcßte Völker-
familie der Erde, das ift ein 3iel, fo riefengroß

und fcßön, fo fcßwer und doch fo leicht zu-
gleich, daß keine Mittel zu gering erfcßeinen,
um diefer Äufgabe Erfüllung zu bereiten, Hlir
wollen und wir können den Weltmarkt für
unfere Kunft erobern, Kleil die Kielt arm ift
an gebärenden künftlerifcßen Kräften, weil wir
diefe Kräfte haben ebenbürtig denen, die Frank-
reichs Rußm beftreiten werden (denn die anderen
Nationen fcßeiden beinahe aus), weil alle Völker
am Lage des 3ufammenbrucßs einer materia-
liftifcß-kapitaliftifc±>en Kleltordnung dürften wer-
den nach dem Äufbau im Geiftigen, und weil
nicßt zuleßt der Kunft einer fo großen, von innen
aus erregten 3eit, die neuen Idealen zuftrebt, keine
territorialen Grenzen gezogen find.
Fjier harrt eine herrliche Äufgabe der Er-
füllung, würdig eines weit vorausfcßauenden
Organifators, dem das neue Deutfcßland Ver-
trauen und Mittel entgegenbringen muß, weil
diefe Seite einer etßifcßen Miffion aucß wirt-
fcßaftlich von ungeheurer Cragweite ift. Fjier
ßeißt es, die Dinge aus langjähriger Erfahrung
heraus im großen erfaffen, einen Weltmarkt zu
mobilifieren, der uns bisher verfcßloffen war,
weil Kurzficßtigkeit des alten Regimes, an-
geborenes Ijelotentum der Deutfcßen von ehe-
dem, den Sprung in die geiftige Ärena, wo ficß
die Völker treffen, nicßt gewagt haben. Fjier heißt
es, fcßon morgen die Fäden der Propaganda
anknüpfen und oßne Cßeorie die Catfachen als
folcße wägen und werten, ünfer neuer Kultus-
minifter in Ehren! Der Mann hat Ideen und
Initiative und den Mut, fein Programm zu ent-
hüllen, noch bevor ißm die allgemeine Lage zur
Realifierung verßolfen (fieße Neue Rundfcßau,
Januarheft, Konrad Fjaenifcßs Ärtikel). Diefes
Programm ift fcßlicßt und brav, tapfer in Kleinig-
keiten, aber arm an Ideen, die aus der 3ßit
heraus geboren find. Kunftausftellungen, Cßeater,
Jugenderziehung, gut — alle diefe Dinge find
bei Gott feit hundert Jahren der Reform be-
dürftig — aber Daten im Sinne einer neuen 3eit,
deren Etßos plößlicß die Klolken über dem Fir-
mament zerriffen hat, find das nicßt. — Klir wollen
unfere Kunft erleben, wollen ße aus uns und
unferen Schmerzen heraus gebären, wollen in
ißr — wie es die Mutter mit der fcßmerzßaft
füßen Frucht ißres Leibes tut — das kommende
Menfcßenfcßickfal geftalten. Denn unfere Künft-
ler, die nach Erfüllung ißrer Kräfte ftreben, ßnd
Gebärende der 3ßit, fruchtbar Befruchtete vom
Geifte des 3ukünftigen. Eße ißr die Schlechten
vom alten Stamme mit der fturmerfüllten Jugend
zu verfößnen ftrebt, gebt diefer letzteren die

132
 
Annotationen