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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 11.1919

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Heft 21
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Kunstpolitik
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https://doi.org/10.11588/diglit.21394#0729

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Die Zeit und der Markt

Kun ft politik
Meier-Graefe über Dresdner
Kunft- und Mufeumspolitik
Das kürzlich) erfolgte Äusfcßeiden des Fferrn
von Seidlilj aus der Generaldirektion der fädjfi-
fchen Staatsfammlungen war mit der dadurch
brennend gewordenen Frage einer Reorganifation
des bisherigen Verwaltungsapparates und der
noch wichtigeren einer grundfalschen Neuorien-
tierung in der gefamten bisher verfolgten Mu-
feumspolitik Anlaß zu einer zum Ceil fehr fchjarfen
Kritik an den Leitungen der fogenannten Ära
„SeidliJS, die zunächft in der lokalen Preffe ein-
gefeßt hatte. Neuerdings hat auch Meier-Graefe
in einem ausführlichen Beitrag des in München
erfdbeinenden „Neuen Merkur“ zu dem Chema
das (Hort ergriffen. Sein Beitrag ift — fo hart
auch im einzelnen das Urteil lauten mag — fach-
lich and von hoher Ularte aus konzipiert. Da
es nicht möglich ift, den Artikel im ganzen
wiederzugeben, fei mit freundlicher Genehmigung
des Verfaffers an diefer Stelle einiges im Äus-
zug zitiert, das auch ohne Kommentar die Stärke
der Meier-Graefefchen Kritik und ihren fachlich
einzig möglichen Standpunkt kennzeichnet.
Der Verfaffer fchreibt u. a.:
„Die Vergangenheit hat Dresden eine der fchön-
ften Galerien gefchenkt. Sie entftand, als es noch
kunftgefinnte Fürften gab, die perfönlich zu fam-
meln verftanden. Der Beamte übernahm im
19. Jahrhundert die Nachfolge der Fürften. Aus
der Perfönlichkeit ift ein Apparat mit Abteilungen
und Kompetenzen geworden. Nirgends wie in
Dresden hat der Äpparat fo kläglich verfagt. Man
kann alles Mögliche mit Kommiffionen und Be-
amten machen; felbft die Leitung einer Galerie,
aber dazu gehört, daß Beamte und Kommiffionen
wie eine Perfon wirken, die viele Fjände and
Beine, aber immer nur einen Kopf, eine Änfchau-
ung, einen (Hillen, und zwar einen künftlerifchen
(Hillen hat. Dresden ift diefes Glück nie zuteil
geworden. Der Laie ift geneigt, den Mangel
einem Niedergang der Kunft zuzufchreiben und
die Fürften der Vergangenheit für Sammler zu
halten, die es leichter hatten, weil die 3eit reicher
an Künftlern war. Nichts trifft weniger zu. Nichts
ift verkehrter, als das 19. Jahrhundert kunftarm
zu nennen. Keine 3eit hat mehr große Meifter
hervorgebracht. Und felbft wenn man von diefer
Catfache abfehen wollte: Nie ift es leichter ge-
wefen, Meifterwerke aller feiten zu fammeln,
als in der Epoche, die man, um fiel) eines lokalen

Ausdrucks zu bedienen, mit der Ära Seidlilj be-
zeichnen kann. 3U den Bedingungen gehört
nicht der Reichtum der 3eit an lebenden Mei-
ftern.-Das Erkenntnisvermögen der 3cit
entfeheidet. Keine Epoche hat fo vielartige Mög-
lichkeiten der Aufklärung befeffen, wie die lebten
50 Jahre.-Viele Künftler der vergangenen
Jahrhunderte find erft in unferen Lagen ans Licht
gekommen oder wurden ihrem (Uerte nach ein-
gefchäßt. Diefe Errungenfchaft wird nicht etwa
der Fachwiffenfchaft verdankt. Der Kunftfufto-
riker hat immer nur Einzelheiten, nie einen großen
Menfchen ans Licht gebracht. Die enifcheiden-
den Erkenntniffe verdanken wir den Künftlern
und Dichtern des 19. Jahrhunderts.-Diefe
modernen Verkünder der Alten, die mit dem Ge-
ficht und dem Stil ihrer 3eit auch das fchöpfe-
rifche Verhältnis zur Vergangenheit geftalten,
wurden wiederum von begeifterten Künftlern und
Dichtern erkannt. DieKunftdoktoren kamen immer
hinterher, und recht oft ift ihre Cätigkeit ein
Verwifchen der großen Catfachen gewefen, die
vor ihnen ftanden oder hätten ftehen müffen.
Jedenfalls war ihre Arbeit in einem 3eitalter,
voll von foviel fchöpferifchen Betrachtungen,
leicht. In Dresden hat man zuweilen den Ein-
druck,als fei diefe ganze3eit nie gewefen.--
(Uenn Leute, die der Staat anftellt, um die
Äugen aufzumachen und auf nichts anderes als
die Kunft zu achten, Leute, die es von Rechts
wegen ftudiert haben, denen alle möglichen Mittel
der Erfahrung, alle möglichen Verbindungen offen-
ftehen, leer ausgehen oder mit wertlofen Dingen
heimkommen, muß man annehmen, daß fie mit
Blindheit gefetdagen find. Von alten (Herken ift
in diefer 3Git kein einziges von der Dresdner
Galerie erworben worden, das fiel) mit den Perlen
des alten Beftandes meffen könnte oder den mo-
dernen Fortfehritten der künftlerifchen Erkenntnis
Rechnung trägt. In der neuen Abteilung der
Galerie fieht es noch viel fchlimmer aus. Den
vereinzelten (Herken von (Hert, die halb durch
3ufall hereinkamen, und die man an den Fingern
einer IJand abzählen kann, ftehen IJunderte von
Hnwerten gegenüber, die nur ein barbarifcher
Inftinkt oder Gevatterfchaft bedenklichster Art
zulaffen konnte. (Ho find die großen Franzofen
von Delacroix bis Cezanne, wo die großen Fon-
tainebleauer, wo Conftable, alle die Lebrmeifter
der modernen Kunft, die der lernende Maler wie
das tägliche Brot braucht? (Ho die großen
Deutfchen? Monftrofitäten hängen an ihrer Stelle.
-(Henn aber mal von Menzel, Feuerbach,
Leibi, Crübner, Liebermann Bilder aufgenommen
wurden, find es entweder mäßige Exempel oder

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