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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 11.1919

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Heft 17
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Uphoff, Carl Emil: Paula Modersohn
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https://doi.org/10.11588/diglit.21394#0559

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Paula M odcrfohn Mit 10 Abbildungen I Von C. E. UPHOFF

Paula Becker-Moderfoßn, geboren im Jaßre 1876 in Dresden, geftorben im Jabjre
1907 in (Uorpswede.
Äm Ende ißres fcßaffenden Lebens kam [ie zu diefer Erkenntnis: „Die Stärke,
mit der ib)r Gegenftand erfaßt wird, das ift die Scßönßeit in der Kunft.“
(Uas ift der Gegenftand der Kunft? Das Leben.
Leben ift der Menfcß, fein ficßtbares und unficßtbares Sein und GCIirken, Leben ift
Luft, Ließt, Erde, Fluß und Meer, Land und Stadt, Pflanze, Eier und Stein —, Leben
ift pflügender Bauer und näßrende Mutter —, Kinder, die noeß jenfeits von Gut und
Böfe ißr junges Dafein verbringen. Leben ift aueß das runenßafte Älter, der feßaurige
Fjerbft im Moor und fein zartefter Früßling —, Leben der Ärmenßäusling und der
großftädtifeße Dandy —, Leben der Dorfball und der üanz bei Bullier —, Leben der
Gedanke, der Craum und alle unentdeckten Geßeimniffe, die im Blute pulfen.
Leben —!
„Des Nacßts, wenn icß aufwaeße, und des Morgens, wenn icß auffteße, ift es mir
als wenn etwas Eraumßaft-Scßönes auf mir liege. Und dann ift es doeß nur das
Leben, das mit feinen feßönen Ärmen ausgebreitet vor mir fteßt, auf daß icß ßinein-
fliege.“ —
„Mir kamen ßeute beim Malen die Gedanken ßer und ßin, und icß will fie auf-
feßreiben für meine Lieben. Icß weiß, icß werde nießt feßr lange leben. Aber ift das
denn traurig? Ift ein Feft feßöner, weil es länger ift? Und mein Leben ift ein
Feft. Meine Sinneswaßrneßmungen werden feiner, als ob icß in den wenigen Jaßren,
die mir geboten fein werden, alles, alles noeß aufneßmen follte. Mein Gerucßsfinn ift
augenblickließ erftaunlicß fein. Faft jeder Atemzug bringt mir neue (Haßrneßmung von
Linden, reifem Korn, von F)eu und Refeden. Und icß fauge alles in mieß auf. Und
wenn nun die Liebe mir noeß blüßt, vordem icß feßeide, und wenn icß drei gute
Bilder gemalt ßabe, dann will icß gern feßeiden mit Blumen in den Fjänden und im
Haar. Icß ßabe jeljt, wie in meiner erften Kinderzeit, große Freude am Kränzebinden.
Ift es warm, und bin icß matt, dann fitje icß nieder und winde mir einen gelben Kranz,
einen blauen und einen von Eßymian. — Icß daeßte ßeute an ein Bild von unifizieren-
den Mädcßen bei bedecktem Fjirnmel in grauen und grünen Fönen, die Mädcßen weiß,
grau und bedeckt rot.“
„Icß empfange den Früßling draußen mit Inbrunft. Er foll mieß und meine Kunft
weißen. Er ftreut mir Blumen auf meine Stunden. Icß fand an der Ziegelei gelben
Huflattig. Die ßabe icß viel mit mir ßerumgetragen und ßabe fie gegen den Gimmel
geßalten, wie ißr Gelb dort tief und leueßtend ftand.“
So war Paula Moderfoßn eine Begnadete, eine Geliebte des Lebens. Ißre (Horte
offenbaren die Stärke, mit der fie das Dafein, diefen einzigen Gegenftand der Kunft
erfaßt —, wie fie ißm ßingegeben ift und wie fie ißm als feßaffender Menfcß gegen-
überfteßt.
Gegenüberfteßt?
Nein, fie ftand weder als feßöpferifeßer Menfcß noeß als (Heib dem Dafein gegen-
über. Man ßört es aus ißren (Horten und fießt es viel meßr noeß an ißren (Herken,
daß fie keinen jener taufend Standpunkte ßatte, auf denen fteßend fieß die Hnperfön-
licßen dem Nacßbar Leben gegenüber als Perfönlicßkeiten zu beßaupten bemüßen.

Der Cicerone, XI. Jahrg., Heft 17

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