Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 11.1919
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https://doi.org/10.11588/diglit.21394#0833
DOI Heft:
Heft 24
DOI Artikel:Pfister, Kurt: Edwin Scharff
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Edwin S cß a r f f
Mit 11 Abbildungen / Von KURT PFISTER
Das wefentliche Problem aller neuzeitlichen Kunfthervorbringung, die polare Spannung
von Anfdjauung und Idee, ift naturgemäß auch das Problem der Plaftik diefer
3eit, wenngleich h'er> wo die manuelle Schwierigkeit der Materialbehandlung
Tradition gewährleiftet und theoretifdje Experimente unterbindet, in [ehr viel fdjwächerer
Ausprägung. Irffmerhin: die Gegenfätje der Form, mehr noch der Tleltanfdjauung
beftehen. Die Kurve läuft von Rodin zu Maillol und fjildebrandt, wenn man will,
auch zu Barlach und Lehmbruck.
ßinter den Begriffen fteh)t der einzelne. Es ift unmöglich (wie das Tlölfflin einmal
für den Ablauf von der Klaffik
zum Barock gefordert hat) die •
Entwicklung der Kunft auf die
Entwicklung des Formproblems
allein feftzulegen. Der einzelne
lebt in der Atmofphäre der
3eit; aber je ftärker und reicher
fein Tiefen, defto entfchiedener
fprengt er das klammernde,
[äugende Schema.
Es könnte reizen, darzuftel-
len, wie [ehr der Bildhauer
Edwin Scharff in der nervöfen
und doch zu ballender Synttjefe
ftrebenden Struktur unferer
Tage wurzelt; darzuftellen wie
feine Art der Formanfchauung
im allgemeinen und grundfäß-
liehen aus dem dunklen, oft miß-
verftandenen Tlort Cezannes
wächft: alles in der Natur formt
fiel) nach Kugel, Konus und
3ylinder.
Solcher Einblick gibt denent-
fcheidenden Ausgangspunkt.
Tüchtiger ift die Erkenntnis des
perfönlichen Antriebs. Alles ift
im Fluß. Trotjiem: in der ein-
zelnen TIelle, die [ich aufbäumt
und niederftürzt, erfdßöpft [ich
Ausmaß und Richtung der ge-
famten Bewegung.
Man kann fagen, daß diefem
Künftler die matßematifche Pro-
portion alles ift, und fie ge-
läutert durch den fteigenden,
ftürzenden Rhythmus. Es gibt
■
Hbb. 1. Edwin Scßarff.
Büßte der Mutter. 1919.
799
Mit 11 Abbildungen / Von KURT PFISTER
Das wefentliche Problem aller neuzeitlichen Kunfthervorbringung, die polare Spannung
von Anfdjauung und Idee, ift naturgemäß auch das Problem der Plaftik diefer
3eit, wenngleich h'er> wo die manuelle Schwierigkeit der Materialbehandlung
Tradition gewährleiftet und theoretifdje Experimente unterbindet, in [ehr viel fdjwächerer
Ausprägung. Irffmerhin: die Gegenfätje der Form, mehr noch der Tleltanfdjauung
beftehen. Die Kurve läuft von Rodin zu Maillol und fjildebrandt, wenn man will,
auch zu Barlach und Lehmbruck.
ßinter den Begriffen fteh)t der einzelne. Es ift unmöglich (wie das Tlölfflin einmal
für den Ablauf von der Klaffik
zum Barock gefordert hat) die •
Entwicklung der Kunft auf die
Entwicklung des Formproblems
allein feftzulegen. Der einzelne
lebt in der Atmofphäre der
3eit; aber je ftärker und reicher
fein Tiefen, defto entfchiedener
fprengt er das klammernde,
[äugende Schema.
Es könnte reizen, darzuftel-
len, wie [ehr der Bildhauer
Edwin Scharff in der nervöfen
und doch zu ballender Synttjefe
ftrebenden Struktur unferer
Tage wurzelt; darzuftellen wie
feine Art der Formanfchauung
im allgemeinen und grundfäß-
liehen aus dem dunklen, oft miß-
verftandenen Tlort Cezannes
wächft: alles in der Natur formt
fiel) nach Kugel, Konus und
3ylinder.
Solcher Einblick gibt denent-
fcheidenden Ausgangspunkt.
Tüchtiger ift die Erkenntnis des
perfönlichen Antriebs. Alles ift
im Fluß. Trotjiem: in der ein-
zelnen TIelle, die [ich aufbäumt
und niederftürzt, erfdßöpft [ich
Ausmaß und Richtung der ge-
famten Bewegung.
Man kann fagen, daß diefem
Künftler die matßematifche Pro-
portion alles ift, und fie ge-
läutert durch den fteigenden,
ftürzenden Rhythmus. Es gibt
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Hbb. 1. Edwin Scßarff.
Büßte der Mutter. 1919.
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