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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 11.1919

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Heft 22
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Kunstpolitik
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https://doi.org/10.11588/diglit.21394#0775

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Die Zeit und der Markt

Kun ft politik
„Museum extension“
Bereits Richard Bergt), der zu früh dahin-
gegangene Leiter des Nationalmufeums in Stock-
holm, hatte [ich mit Plänen befchäftigt, die eine
intenfivere Ausnutzung der feiner Verwaltung
unterteilten Galerie im Dienfte der künftlerifchen
Volkserziehung zum Gegenftande hatten. Diefe
Pläne nimmt nun fein Nachfolger im Amte,
Oberintendant FoIcker, mit verftärktem Nach-
drucke auf. 3unächft handelt es fich um die
graphifche Abteilung des Mufeums, die nach
einer Denkschrift ihres Leiters, Fjerrn Gregor
Paulffon, in fehr viel umfaffenderer und aus-
giebigerer (Xleife als bisher der Allgemeinheit
erfchloffen und ihr nutzbar gemacht werden foll.
Doch geht der von Paulffon und Folcker ent-
worfene Plan weit über die Grenzen einer ein-
zelnen Abteilung hinaus: das ganze Mufeum
foll wahrhaft zum Eigentume des Volkes ge-
macht werden. In Ausficht genommen find
eigene Lehrgänge, fyftematifch angeordnete Mu-
feumsführungen, inftruktive Sonderausftellungen.
Mit den Führungen ift bereits ein Anfang ge-
macht worden, indem folche an den Sonntagen
für die Mitglieder des Arbeiterbildungsvereins
veranftaltet werden. In Vorbereitung befinden
fich Lehrerkurfe über die Sammlungen des Mu-
feums.
Allein die Abfichten der Direktion richten fich
zuletzt auf eine „Museum extension“ nach nord-
amerikanifchem Mufter. In den Vereinigten
Staaten haben bekanntlich befonders das Toledo
Museum of Art, fowie das Museum of Fine Arts
in Bofton eine Mufeumspolitik diefer Art be-
trieben. Ihr Grundgedanke ift etwa derfelbe
wie der der amerikanifchen Volksbibliotheken:
wir müffen nicht nur für das Publikum bereit
ftehen, es nicht nur erwarten — wir müffen es
felber auffuchen und heranziehen. Das Toledo-
Mufeum geht daher mit feinen Ausheilungen
und Vorträgen in Schulen, öüerkftätten und
Fabriken; es arbeitet Fjand in F>and mit der
Schulverwaltung, benutzt die Abende und die
Sonntagnachmittage zu feinen Veranftaltungen;
es erteilt koftenfreien 3ei&>en~ und Kunftge-
fchichtsunterricht, es macht geradezu fozufagen
Reklame für fich, indem es z. B. öffentliche Ver-
fammlungen dazu benutzt, die Teilnehmer zur
Befichtigung der Galerie einzuladen. Das Mu-
seum of Fine Arts in Bofton hat fich die künft-
lerifche Ausbildung der Lehrer als Sonderauf-

gabe gefegt und auf diefem Gebiete reiche Er-
fahrungen gefammelt.
Oberintendant Folcker fchlägt nun vor, Qerrn
Paulffon ein Reifeftipendium zum 3wecke des
Studiums der amerikanifchen Museum extension
zu bewilligen, und es ift wohl anzunehmen, daß
fein Vorfchlag genehmigt werden wird. Die
Angelegenheit ift infofern dringend, als ein Er-
weiterungsbau des Nationalmufeums in Vor-
bereitung fich befindet und diefer natürlich den
künftigen Aufgaben des Mmfeums angepaßt
werden muß. Die Ergebniffe der fchwedifchen
Studien und Verfucfje werden auch wir mit Auf-
merkfamkeit verfolgen und prüfen müffen. Es
ift bei uns auf dem Gebiete volkstümlicher Mu-
feumspolitik in jiingfter 3eit wenig Bedeutfames
gefchehen, obgleich die literarifche Erörterung
diefer Fragen fehr in die Fjalme gefchoffen ift.
Einer gründlichen und befonnenen Prüfung be-
darf vor allem die Frage, ob fich für die 3wecke
der künftlerifchen Volkserziehung nicht in erfter
Linie die Begründung eigener Volksmufeen
empfiehlt, die von vornherein nach den Gefichts-
punkten und Intereffen der Kunfterziefmng an-
gelegt und zufammengeftellt und in diefer Rück-
ficht mit Landes-, Volks- und Naturkunde in
enge Fühlung gefegt werden. In Altona ift ein
fehr beachtenswerter Verfuch diefer Art unter-
nommen worden. Volksmufeen diefes Typs
werden den Vorzug hüben, daß fie von den
vielfältigen praktifchen Bedenken und Rückfichten
frei find, mit denen die Verwertung unferer koft-
barften Kunftfchafzkammern im Dienfte der volks-
tümlichen Kunfterziehung zu rechnen hat; päda-
gogifch aber wäre es von großem öQerte, daß
fie vom leichter zum fchwerer Verftändlichen,
vom Gegenftande zur Form, von Natur- und
Volksleben zu ihrer Verarbeitung und Verwen-
dung durch die Kunft auffteigen könnten. In
diefer öüeife ließe fich vielleicht eine eigentüm-
liche und fruchtbare deutfche Form der Museum
extension entwickeln. ad.
Kubismus und deutfdjes Kunft-
gewerbe
In der Opinion vom 26. Juli hat Biffiere eine
in Frankreich umgehende Legende zerftört, der
Kubismus fei nicht deutfchen Qrfprungs, fondern
in Frankreich entftanden und von dort nach
Spanien importiert. Dort hätten die Deutfchen
ihn kennengelernt und nachgeahmt. Daran
anknüpfend fchreibt L. Dimier in Action fran-
^aise vom 8. Oktober, das deutfche Kunfttjändler-
konfortium habe den Kubismus bei feinem Auf-

Der Cicerone, XI. Jahrg., Heft 22

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